Protokoll der Sitzung vom 14.09.2011

Ich frage Sie - dazu habe ich schon im Mai ausgeführt; bedenken Sie das ernsthaft -: Sie müssten sonst doch konsequenterweise fordern, dass auch in anderen Bereichen des Lebens die Bewegungen von Menschen, die Kontakte von Menschen, was sie gelesen haben, z. B. welche Bücher sie gelesen haben, rein vorsorglich aufgezeichnet werden. Die technischen Möglichkeiten dafür werden immer besser. Nur weil dies technisch geht und möglicherweise irgendwie dazu beitragen könnte, Verbrechen besser zu bekämpfen, können Sie doch nicht pauschal in der Abwägung von Grundrechten auf der einen Seite und möglichen Erfolgen im Kriminalitätsbekämpfungsbereich auf der anderen Seite entscheiden: Dann machen wir das einfach mal. - Das kann doch nicht Ihr Ernst sein!

(Beifall bei der LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich kann mir vorstellen, dass Sie sich schwertun, jetzt das Thema fallen zu lassen und sich einsichtig zu zeigen. Immerhin ist das Gesetz aus der rotschwarzen Regierungszeit. Das kann ich in gewisser Weise begreifen. Aber hätten Sie doch hier diesen Antrag nicht vorgelegt! Das hätten Sie sich besser erspart.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich finde es auch schade - das muss ich ehrlich sagen -, dass Sie das Thema der Kinderpornografie so herausragend in Ihren Antrag aufgenommen haben. Weniger als 0,1 % der Straftaten betreffen strafbare Pornografie im Internet. Nur ein Teil davon weist kinderpornografische Inhalte auf.

(Thomas Adasch [CDU]: Auch ein Teil ist zu viel!)

Wissen Sie, die Verbreitung von kinderpornografischem Foto- und Filmmaterial passiert ganz, ganz überwiegend auf anderen Wegen als über Internetseiten.

(Uwe Schünemann [CDU]: Jede ein- zelne Straftat ist unfassbar! Es ist un- glaublich, dass Sie das verniedlichen!)

- Das wissen Sie genau, Herr Schünemann. Deshalb sollten Sie an der Stelle ruhig sein.

(Beifall bei der LINKEN - Uwe Schü- nemann [CDU]: Das ist unfassbar! Absolut peinlich!)

Es ist eine Verschwendung von Steuergeldern, wenn Sie sich ausgerechnet auf dem Feld tummeln. Sie sollten Kinderpornografie lieber an anderer Stelle bekämpfen, nämlich dort, wo sie wirklich verbreitet wird. Das machen Sie aber nicht, weil dieses Thema sicherheitspopulistisch so schön funktioniert.

(Beifall bei der LINKEN - Uwe Schü- nemann [CDU]: Das ist verantwor- tungslos!)

Ich appelliere an dieser Stelle an alle Fraktionen hier im Hause: Ziehen Sie aus den Erfahrungen mit Zeiten mit und ohne Vorratsdatenspeicherung die Konsequenzen! Stellen Sie fest und konzedieren Sie, dass die Vorratsspeicherung nichts nützt! Insbesondere an die CDU gerichtet sage ich, weil Ihre Kanzlerin sonst immer gute Möglichkeiten hat, sich europapolitisch durchzusetzen: Sie möge diese Durchsetzungsfähigkeit an dieser Stelle nutzen, um dafür zu sorgen, dass es auf der EU-Ebene keine solchen Vorschriften gibt, das also gekippt wird.

Die anlasslose und verdachtsunabhängige Vorratsdatenspeicherung, also die pauschale Speicherung von Kontakt- und Bewegungsdaten, lehnen wir Linke ab. Das ist ein unverhältnismäßiger Eingriff in Grundrechte. Deshalb lehnen wir sie auch mit verkürzten Fristen ab.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN - Zurufe von der CDU: Nur gut, dass Sie keine Verantwortung übernehmen müssen!)

Danke schön. - Zu diesem Tagesordnungspunkt hat sich von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Herr Kollege Limburg zu Wort gemeldet. Bitte!

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin Ross-Luttmann, auch ich hatte in den ersten Entwurf meiner Rede einen Bezug zu den Terroranschlägen aufgenommen, habe ihn dann aber wieder herausgenommen, weil er mir etwas zu weit weg vom Thema erschien.

(Editha Lorberg [CDU]: Das ist das Thema!)

Weil Sie auf das Thema der Terroranschläge vom 11. September 2001 eingegangen sind - hören Sie gut zu, Frau Kollegin Lorberg -: Diese Anschläge

hätten mit der Vorratsdatenspeicherung weder verhindert noch aufgeklärt werden können.

(Uwe Schünemann [CDU]: Aber in Düsseldorf sind die Täter dadurch dingfest gemacht worden!)

Deswegen sind sie kein Beleg für die Notwendigkeit dieses scharfen Instruments.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

- Herr Abgeordneter Schünemann, jetzt hören Sie einmal zu! Die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung ist unter dem Eindruck der schrecklichen Terroranschläge von London und Madrid im Jahre 2005 erlassen worden, ohne schon damals nachweisen zu können, dass es die Notwendigkeit dafür gibt; denn in der Tat sind die Terroranschläge von Madrid von den spanischen Strafverfolgungsbehörden aufgeklärt worden, und zwar völlig ohne Vorratsdatenspeicherung, meine Damen und Herren. Es hat erfolgreiche Gerichtsverfahren im Rahmen rechtsstaatlicher Grundsätze gegeben, und das alles ohne diese anlasslose Überwachung von Millionen von Menschen in ganz Europa.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Uwe Schünemann [CDU]: Es ist doch dokumentiert, wie viele Straftaten nicht aufgeklärt werden konnten!)

Dass das 21. Jahrhundert neue und aktuelle Antworten bezüglich der Organisation der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger erfordert, ist klar. Genauso selbstverständlich sollte es aber sein, dass diese Antworten nicht nur intelligent, sondern auch im Einklang mit Grundrechten und dem Grundgesetz stehen müssen; denn das Grundgesetz, meine Damen und Herren, ist auch im 21. Jahrhundert immer noch mehr als aktuell.

(Beifall bei der LINKEN)

Sicherheit muss im Dienste der Freiheit stehen, sie darf nicht zu einer Bedrohung werden.

Nun betont die SPD in ihrem Antrag völlig zu Recht, dass wir nach dem Urteil aufgefordert sind, nach grundrechtschonenden Alternativen zur Vorratsdatenspeicherung zu suchen. In der Tat stellt der Antrag im Vergleich zur alten Regelung eine Reihe von Verbesserungen dar. Sie schreiben zu Recht - das habe ich schon ausgeführt -, dass die anlasslose verdachtsunabhängige Vorratsdatenspeicherung nicht das gehalten hat, was man sich

von ihr im Bereich der Kriminalitätsbekämpfung versprochen hat.

(Uwe Schünemann [CDU]: Völlig falsch!)

Auch Ihre Forderung nach einem Verwertungsverbot für Berufsgeheimnisträger teilen wir ausdrücklich.

Aber das Grundproblem, die anlasslose Sammlung und Speicherung von Daten von Millionen unschuldiger Menschen, lösen Sie nicht, meine Damen und Herren von der SPD. Ich möchte dazu nur einen Punkt des Bundesverfassungsgerichtsurteils zur Vorratsdatenspeicherung aufgreifen. Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass die Vorratsdatenspeicherung geeignet ist, ein diffus bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins für die Gesellschaft hervorzurufen. Allein ein solches Gefühl des Beobachtetseins ist eine so erhebliche Einschränkung des Kommunikationsverhaltens der offenen Gesellschaft, dass das Bundesverfassungsgericht gesagt hat: So wie ihr es gemacht hat, geht es nicht; das ist mit einem freiheitlichen Rechtsstaat nicht vereinbar. - Deshalb lehnen wir Grüne die Vorratsdatenspeicherung in Gänze ab.

(Uwe Schünemann [CDU]: Aber sie sagen, dass es geht!)

Ich teile die Kritik an der Bundesregierung und auch expliziert an der Bundesjustizministerin, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, durchaus; denn in der Tat ist ihr der Vorwurf zu machen, dass sie tatenlos ist. Aber sie soll nicht in dem Sinne tätig werden, wie Herr Schünemann und Herr Busemann es fordern, sondern sie muss auf europäischer Ebene im EU-Ministerrat tätig werden und auf eine Aufhebung der zugrunde liegenden EURichtlinie drängen. Das muss die Aufgabe einer Ministerin sein, die sich den Grundrechtsschutz auf die Fahnen geschrieben hat, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN - Uwe Schü- nemann [CDU]: Unfassbar! Das ist ein Sicherheitsrisiko! - Editha Lorberg [CDU]: Was für eine verdrehte Vor- stellung haben Sie?)

Ich will noch einen letzten Satz zu dem von der SPD vorgeschlagenen Richtervorbehalt sagen und davor warnen, den Richtervorbehalt als Allheilmittel zum Grundrechtsschutz in Strafprozessen zu sehen. Wir haben gerade in Dresden gesehen, dass es Amtsrichter waren, die die völlig anlasslose, ungerechtfertigte, flächendeckende Funkzellenabfrage der Daten Tausender Menschen im

Bereich der Stadt Dresden genehmigt haben. Dieser Richtervorbehalt hat in Dresden vollkommen versagt. Solchen Richtern möchte ich nicht die Kontrolle über die Vorratsdaten überlassen, meine Damen und Herren. Wir lehnen diesen Antrag ab.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Zu einer Kurzintervention hat sich Frau Kollegin Ross-Luttmann gemeldet. Sie haben das Wort für anderthalb Minuten.

Sehr geehrter Herr Limburg, Sie haben mich ganz bewusst angesprochen. Ich will nur eines noch einmal deutlich machen.

Erstens. Das Bundesverfassungsgericht hat die Vorratsdatenspeicherung in engen Grenzen ausdrücklich für zulässig erklärt.

(Beifall bei der CDU)

Zweitens. Es geht nicht darum, dass wir zu einem Überwachungsstaat werden, sondern lediglich darum, zu speichern, wer wann mit wem und wo telefoniert hat.

(Lachen bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Es geht um die Nutzungsdaten, nicht um die Inhalte, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Noch etwas: Ich möchte Sie wirklich bitten, mit der Gewerkschaft der Polizei zu sprechen, mit Polizeibeamten und dem Bundeskriminalamt. Dann werden Sie von ihnen hören, dass gewisse Straftaten - das betrifft auch Pornografiehändler - nicht aufgeklärt werden können, weil sie eben die Nutzungsdaten nicht haben.

(Thomas Adasch [CDU]: So ist es!)

Ich muss ganz ehrlich sagen: Mir geht es um Opferschutz und nicht um Täterschutz. Aus diesem Grund bin ich dafür, dass die Vorratsdatenspeicherung so gestaltet wird.