Protokoll der Sitzung vom 16.09.2011

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Man kann das so machen. Man kann sich hier Kaugummi kauend ans Rednerpult stellen, man kann Buttons tragen wie eine Litfaßsäule, man kann ständig seine Missachtung gegenüber den Regierungsmitgliedern und auch seine Unkenntnis über die Verfassung und die Geschäftsordnung zum Ausdruck bringen - aber dann muss man sich nicht wundern, wenn man als Parlamentarier irgendwann nicht mehr ernst genommen wird.

(Starker Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, ich möchte gerne etwas feststellen. Es ist in diesem Hause üblich - ich gehöre ihm schon einige Zeit an -, dass Wortmeldungen zur Geschäftsordnungen auch für solche Auseinandersetzungen genutzt werden. Deswegen finde ich es nicht in Ordnung, wenn daran gezweifelt wird, dass man sich hier in dieser Form äußern kann.

Frau Modder hat sich ebenfalls zur Geschäftsordnung gemeldet. Bitte!

Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich stimme Ihnen ausdrücklich zu: Wir sollten uns in diesem Hause wirklich überlegen, wie wir miteinander umgehen!

(Beifall)

Ob Gast oder nicht Gast: Ich erwarte von jedem - aber vielleicht ist mein Anspruch bei dieser Landesregierung zu hoch -,

(Hartmut Möllring [CDU]: Was soll das denn? - Weitere Zurufe von der CDU)

insbesondere von Mitgliedern der Landesregierung erwarte ich, dass Unterstellungen belegt bzw. konkrete Namen genannt werden und solche Pauschalverurteilungen und -unterstellungen unterlassen werden.

(Jens Nacke [CDU]: Und die Abge- ordneten brauchen das nicht, oder was? - Weitere Zurufe von der CDU - Glocke des Präsidenten)

Das erwarte ich auch von einer Ministerin. Sie ist heute Morgen in einer Art und Weise aufgetreten, die eigentlich gar nicht ihrem Stil entspricht. Das hat mir deutlich gemacht, wie dünnhäutig diese Ministerin in dieser Angelegenheit ist.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN - Zurufe von der CDU)

Meine Damen und Herren, nachdem alle ihre Meinung dazu dazwischengerufen haben, liegt nun eine weitere Wortmeldung zur Geschäftsordnung vor. Herr Kollege Adler, bitte!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir erleben gerade, wie eine Geschäftsordnungsdebatte sozusagen dazu missbraucht wird, eine abschließende Bewertung der vorangegangenen Debatte vorzunehmen. Das ist nach der Geschäftsordnung aber gar nicht vorgesehen. Das wurde eben auch sehr deutlich, weil der Kollege Nacke gar keinen Antrag gestellt hat.

(Zustimmung bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN - Björn Thümler [CDU]: Das muss man nach der Geschäftsordnung auch nicht!)

Ich mache deshalb für das Präsidium folgenden ganz konstruktiven Vorschlag für die Zukunft: In

Zukunft sollen Geschäftsordnungsanträge immer so eingebracht werden, dass am Anfang der Antrag genannt wird. Dann hat das Präsidium nämlich die Möglichkeit einzuschreiten.

(Björn Thümler [CDU]: Wo sind Sie denn groß geworden? Was sind Sie denn für ein Parlamentarier?)

Wenn man das erst zum Schluss macht, dann weiß das Präsidium am Anfang nicht, ob noch ein Antrag kommt oder nicht.

Das, was Sie gemacht haben, war völlig unzulässig; das ist offensichtlich.

(Beifall bei der LINKEN)

Selbstverständlich hat die Opposition das Recht, unangenehme Fragen zu stellen und die Regierung zu kritisieren. Daran müssen Sie sich gewöhnen, Herr Nacke.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜNEN - Hartmut Möllring [CDU]: Dann müssen Sie auch mal unange- nehme Fragen stellen! - Weitere Zuru- fe von der CDU)

Meine Damen und Herren! Herr Adler, ich kann es vertragen, dass Sie in dieser Frage eine andere Auffassung haben. Aber die bisherige Praxis der Geschäftsordnung war so. Wenn Sie etwas Neues einführen wollen - und so habe ich es verstanden -, dann stellen Sie bitte einen entsprechenden Antrag auf Änderung der Geschäftsordnung.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 36 auf:

Besprechung: Der Staatsanwalt im Kultusministerium - Wer übernimmt die Verantwortung? - Große Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 16/3540 - Antwort der Landesregierung - Drs. 16/3885

Zur Einbringung der Großen Anfrage erteile ich nun Frau Korter von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Frau Korter, bitte!

Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es war ein Paukenschlag,

als am 27. Januar die Staatsanwälte im Kultusministerium auftauchten, um Akten im Zusammenhang mit Honorarverträgen an Ganztagsschulen mitzunehmen. Die Reaktion von Kultusminister Althusmann: Herunterspielen, Verschleiern der Hintergründe, Abschieben der Verantwortung. Es habe ein Gespräch im Ministerium mit Vertretern der Staatsanwaltschaft, dem Hauptzollamt und der Deutschen Rentenversicherung stattgefunden, sagte Herr Althusmann.

Heute wissen wir, dass um die 20 Beamte seit mehreren Monaten mit umfangreichen Ermittlungen beschäftigt sind und bestimmt noch bis ins nächste Jahr beschäftigt sein werden.

Anlass für das Gespräch, so Herr Althusmann, sei ein Ermittlungsverfahren gegen einen einzelnen Schulleiter gewesen, das aber inzwischen eingestellt sei. Nun gehe es - so war damals seine Rede - nur noch um Ermittlungen gegen Unbekannt im Zusammenhang mit der Frage, ob eine Formulierung in einem Vertragsmuster den rechtlichen Anforderungen genüge.

Heute wissen wir, meine Damen und Herren, dass die Staatsanwaltschaft in mittlerweile über 10 000 Fällen ermittelt, ob ausgerechnet das Land Steuern und Sozialversicherungsabgaben vorenthalten hat. Es könnten Nachzahlungen in Millionenhöhe drohen.

Herr Althusmann wurde nicht müde, darauf hinzuweisen, dass die Anfänge der problematischen Honorarverträge bereits in der Zeit der Vorgängerregierung im Jahre 2002 gelegen hätten. Die Antwort auf unsere Anfrage macht etwas ganz anderes deutlich, nämlich dass erst ab 2004, also seit der Zeit des damaligen CDU-Kultusministers Busemann, die Honorarverträge eine derartige Dimension angenommen haben. Sie müssen sich die Zahlen einmal anhören:

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Während von 2002 bis 2003 nur 723 Zahlvorgänge im Rahmen von Honorarverträgen an 193 Personen an 109 Schulen vorgenommen wurden, waren es von 2004 bis Anfang dieses Jahres 221 538 Zahlvorgänge an 21 796 Personen an 1 247 Schulen. Während vor 2004 der Einsatz von Honorarkräften eine Ausnahme und Ergänzung war, wurde sie ab 2004 an den Ganztagsschulen light zur Regel.

Die Landesregierung betont immer wieder, dass es ihr bei den Erlassen zum Einsatz von Honorarkräf

ten nur darauf angekommen sei, Haushaltsmittel zu sparen, und dass kein Hinweis auf vorsätzlichen Sozialversicherungsbetrug gefunden wurde. - Meine Damen und Herren, das wäre ja wohl auch noch schöner! Denn wenn man das Gegenteil nachweisen würde, wäre § 266 a des Strafgesetzbuches erfüllt. Danach wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer als Arbeitgeber der Einzugsstelle Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung vorenthält. In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Das, meine Damen und Herren, ist genau der Paragraf, nach dem die Staatsanwaltschaft im Kultusministerium ermittelt.

Die Frage ist doch: Warum eigentlich hat das Kultusministerium seit 2004 für die außerschulischen Fachkräfte in den Ganztagsschulen keine regulären und rechtskonformen Arbeitsverhältnisse, sondern nur rechtlich fragwürdige Dienstleistungsverträge vorgesehen und den damals geltenden Erlass noch ausgeweitet? - In ihrer Antwort auf unsere Große Anfrage kann die Landesregierung dafür keine überzeugende Begründung liefern.

Um das klarzustellen: Honorarverträge können sinnvoll sein, wenn Fachleute von außen in die Schulen kommen - das finden wir gut - und dort kurzzeitig selbstständig Projekte durchführen. Seit 2004 aber konnten Honorarverträge für die Dauer ganzer Schuljahre - nicht nur für Projekte - abgeschlossen werden, also für den regulären Betrieb. Das ist rechtlich problematisch.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Vor den Arbeitsgerichten mussten diese Honorarverträge inzwischen in einer ganzen Reihe von Fällen in unbefristete Arbeitsverträge umgewandelt werden.

Worum es der Landesregierung tatsächlich ging, wird aus dem Bericht der Arbeitsgruppe Honorarverträge der Landesregierung deutlich. Dort heißt es: In einer Besprechung zwischen dem damaligen Staatssekretär und dem Abteilungsleiter II wurden im August 2003 bereits die Schwierigkeiten erörtert, die die Errichtung zusätzlicher Ganztagsschulen und die dafür benötigten zusätzlichen personellen Ressourcen in finanzieller Hinsicht bereiten könnten.

Es ist doch ganz klar: Die Landesregierung wollte damals die Investitionsmittel des Bundes für Ganztagsschulen mitnehmen, sich als Wohltäter aufspielen, ohne selbst etwas dazuzubezahlen. Die

Lösung damals: Die insgesamt für die Ganztagsschulen bereitgestellten Mittel werden einfach auf alle Ganztagsschulen - alte und neue - mit Ganztagsangeboten verteilt. Im Bericht heißt es dazu: Aus den Vorgängen zur Entstehung des Ganztagserlasses kann somit geschlossen werden, dass die möglicherweise über die Beschäftigung von außerschulischen Fachkräften mit Honorarverträgen bzw. über die Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern zu erzielenden Kostenvorteile gesehen und in die Überlegungen einbezogen wurden. - Die Sozialversicherungsbeiträge spielten - so heißt es in dem Bericht -, soweit aus den vorliegenden Akten ersichtlich - dazu komme ich noch -, insoweit jedoch keine Rolle.

Meine Damen und Herren, aus den Akten wird auch deutlich, dass das Kultusministerium an dieser Praxis noch festhielt, als schon lange deutlich wurde, dass es sich nicht nur am Rande, sondern offenkundig jenseits des Arbeits- und Sozialversicherungsrechts bewegte.

Seit 2007 hat die Landesschulbehörde wiederholt schriftlich darauf hingewiesen, dass es mit den Honorarverträgen der Ganztagsschulen Probleme gibt. Erst zwei Jahre später, 2009, sah sich das Kultusministerium veranlasst, grundsätzlich einmal die Frage zu klären, wann ein Dienstleistungsvertrag und wann ein sozialversicherungspflichtiger Arbeitsvertrag abzuschließen ist.

Immer wieder wurde auch unter Kultusminister Althusmann die endgültige Klärung offener Fragen verschoben, zuletzt die bereits seit Juni 2010 vorgesehene Prüfung sämtlicher neu abgeschlossener Verträge durch die Landesschulbehörde auf den Februar 2011, weil - so heißt es in der Antwort - die Landesschulbehörde überlastet war. Vermutlich musste sie die diversen Erlasse für die Oberschule vorbereiten.

Meine Damen und Herren, da stellt sich doch die Frage: Wer ist denn nun eigentlich für die jahrelange Praxis rechtswidriger Dienstleistungsverträge verantwortlich, wer für diesen laxen Umgang mit Recht und Gesetz im Kultusministerium?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dann kommt die Antwort der Landesregierung - Zitat -: Aufgrund von leider bestehenden Lücken in den Akten in den Jahren 2002 bis 2004 konnte der Prozess der Entstehung der Grundsatzerlasse über die Arbeit in den Ganztagsschulen sowie der Regelungen zum Einsatz von außerschulischen Fachkräften im Zusammenhang mit ganztagsspe