Protokoll der Sitzung vom 13.10.2011

(Beifall bei der CDU)

Ich habe mich gestern - das sage ich in Richtung der Soziokultur - über die freundliche E-Mail gefreut, die auch Sie zum Teil bekommen haben, und über die Aussage, dass man sich für die Anfrage bedankt und der Meinung ist, dass die Situation, wie sie ist, gut wiedergegeben wurde. Seitens der Soziokultur sieht man es einerseits als Ansporn, leitet aber andererseits berechtigte Forderungen ab.

Bevor ich zu den berechtigten Forderungen und dem komme, was die Landesregierung vorhat und umsetzt, gestatten Sie mir einige wenige Bemerkungen zu Ihren Aussagen, Frau Heinen-Kljajić, zum Thema Kultur und bundesweite Vergleiche.

Es gibt in der Bundesrepublik Deutschland keine belastbare Kulturstatistik.

(Dr. Gabriele Heinen-Kljajić [GRÜNE]: Das stimmt, trotzdem gibt es die Ein- zelstatistik!)

- Nein, es ist einfach Unsinn, was darin steht.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Stefan Wenzel [GRÜNE]: Weil es Ih- nen nicht gefällt, Frau Wanka!)

Gerade hat Niedersachsen in der jüngsten Amtschefkonferenz verhindert, dass ein erneuter Vorstoß des Bundesamtes für Statistik Erfolg hat, weiterhin eine Kulturstatistik zu veröffentlichen, obwohl sie sie nicht haben. Ich will ein Beispiel nennen: Die Ausgaben für den städtebaulichen Denkmalschutz sind bei uns im Ressort von Frau Özkan angesiedelt. In anderen Ländern ressortiert das beim Kulturministerium. Das wird dann nicht differenziert gerechnet, sondern pauschal genommen.

Das heißt, das können Sie wirklich wegschmeißen. Das ist unverwertbar. Damit sind nicht Ihre Aussagen über Niedersachsen und beispielsweise über Relationen von Besuchern und anderes gemeint.

(Dr. Gabriele Heinen-Kljajić [GRÜNE]: Das meinte ich!)

Darüber können wir gerne reden. Aber bei einer Bundeskulturstatistik bekomme ich Lachkrämpfe. Es ist peinlich, dass es über Jahre nicht gelungen ist, dort zu einer ordentlichen Statistik zu kommen.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Aber zurück zum Land und zur Soziokultur. Zur Großen Anfrage drei Bemerkungen:

Erstens. Zu den ausgewählten Daten und Fakten nur so viel: Wir haben im Bereich der Soziokultur 280 hauptamtlich Beschäftigte und 1 800 ehrenamtlich Beschäftigte und erreichen über 1,3 Millionen Besucher. Das ist eine ganz großartige Zahl.

Dazu muss man auch sagen: Wenn es um kulturelle Teilhabe und darum geht, junge Leute für Kultur zu interessieren, dann wissen wir alle, dass man in unseren Theatern in 30 Jahren vor leeren Rängen steht, wenn das nicht gelingt. Wir, z. B. unsere Staatstheater und unsere kommunalen Theater, tun sehr viel. Dennoch zeigen Untersuchungen, dass daraus, dass Schulklassen ein-, zwei- oder dreimal ins Theater gehen, noch keine Begeisterung erwächst. Begeisterung müssen wir anders wecken.

(Unruhe)

Frau Ministerin, ich darf Sie kurz unterbrechen. - Ich will nicht ausschließen, dass einige an dem Thema kein Interesse haben. Ich habe die ausdrückliche Bitte, die Gespräche dann nach außen zu verlagern, damit das zumindest nicht den Ablauf hier stört.

Also noch einmal: Über 1,3 Millionen Besucher werden erreicht. Mitbestimmung und Teilhabe haben einen sehr hohen Stellenwert. Bei den Zahlen fällt mir auch positiv auf, dass fast 90 % der soziokulturellen Einrichtungen in regelmäßigen Kooperationen mit Schulen zusammenarbeiten.

Wenn man die Sparmaßnahmen der letzten Jahre betrachtet, muss man sagen, dass die Soziokultur ihrem Image, flexibel zu sein, alle Ehre gemacht

hat. Die Hälfte des Gesamtetats der Soziokultur wird von ihr selbst erwirtschaftet. Kein anderer Kulturbereich schafft einen so hohen Anteil.

(Beifall bei der CDU)

Zweitens. Niedersachsen hat im Bereich der Soziokultur bundesweit ein Alleinstellungsmerkmal. Das wurde auch aktuell in der Zeitschrift für Soziokultur noch einmal hervorgehoben. In Niedersachsen gibt es seit 20 Jahren Kulturberatung. Es gibt vier Beratungsstellen. Das ist vor allem deswegen wichtig, weil Soziokultur ein ganz breites Spektrum abdeckt und die einzelnen Akteure vor Ort unmöglich in allen Bereichen gleichmäßig kompetent sein können. Beratung, Professionalisierung, Einwerbung von Drittmitteln, Projektentwicklung - diese Aufgaben werden durch die Kulturberatungsstellen wahrgenommen. Deswegen haben wir versucht, die Beratung an dieser Stelle ein Stück weit zu stärken und für die Zukunft eine weitere Beratungsstelle zu finanzieren, beginnend mit dem Jahr 2012.

(Zustimmung bei der CDU)

Drittens zum Investitionsbedarf der soziokulturellen Zentren in Niedersachsen. Die soziokulturellen Einrichtungen sind nicht in der gleichen Situation wie z. B. die Studentenwerke, über deren Möglichkeiten ich gestern geredet habe. Sie sind in einer anderen Situation. Der Zahn der Zeit nagt an ganz vielen Räumlichkeiten. Der überschlägige Investitionsbedarf liegt auf jeden Fall im Millionenbereich - egal ob bei 5 Millionen Euro oder bei 7 Millionen Euro, weil die Abfrage ja nicht alle erreichte.

Deswegen glaube ich, dass es wichtig ist, zu versuchen, dort mit den 1,1 Millionen Euro vonseiten des Landes einen vernünftigen Anfang zu machen. Ich bin mir ganz sicher und mache mir überhaupt keine Sorgen darüber, dass das, was an Eigenleistungen möglich ist, von den soziokulturellen Zentren geleistet wird. Das hat immer funktioniert. Aber ich würde gerne in Richtung aller hier im Raum sagen: Mehr oder weniger alle Fraktionen haben Bürgermeister. Wenn wir mit diesen Mitteln in die soziokulturellen Einrichtungen hineingehen - Träger sind in der Regel die Kommunen -, dann können jede Kommune und jede Partei anstelle von Lippenbekenntnissen und Forderungen an die Landesregierung an dieser Stelle dafür sorgen, dass aus den 1,1 Millionen Euro wesentlich mehr wird.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP - Victor Perli [LINKE]: Was ist mit dem Zukunftsvertrag?)

- Der stört an der Stelle nicht.

Viertens. In der Stiftung Niedersachsen haben wir zwei Plätze im Senat; den einen habe ich, den anderen unsere Abteilungsleiterin für Kultur. Wir haben zum allerersten Mal erreicht, dass die Stiftung Niedersachsen die Absicht hat, mit einem beträchtlichen Betrag über mehrere Jahre die Soziokultur zu fördern, was sie ab dem Jahre 2012 auch realisieren wird. Man will aber nicht einfach Geld ausschütten, sondern wir haben bereits zu einem Workshop im November eingeladen, um dort mit den Betroffenen zu diskutieren, in welcher Art und Weise die Mittel wettbewerblich effektiv vergeben werden sollen, in welchen Größenordnungen und zu welchen Konditionen.

Alle diese Punkte halte ich für sehr wichtig. Völlig klar ist, dass wir auf diesem Weg weitergehen müssen. Aber es ist nicht alles gleichzeitig regelbar und machbar. Wir sind im Haushalt auch auf einem Konsolidierungspfad. Ich stimme Frau HeinenKljajić zu: Gemessen am Gesamtetat der Kultur und der Leistung der Soziokultur müssen wir gemeinsam dafür Sorge tragen, dass sich das auch finanziell stärker aufseiten der Landeshaushalte, aber auch der Kommunalhaushalte ausdrückt.

Sie können sicher sein, dass das Wissenschaftsministerium und ich hoch anerkennen, was in diesem Bereich geleistet wird, und dass dieser Bereich in den nächsten Jahren erhöhte Aufmerksamkeit von unserer Seite erfahren wird.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich erteile jetzt der Kollegin Behrens von der SPDFraktion das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Geehrte Kolleginnen und Kollegen! In der Tat ist der heutige Tag perfekt für die Beratung der Großen Anfrage zur Soziokultur. Heute wird in Deutschland der Tag der Soziokultur unter dem Motto „Vernetzt“ begangen. Ich glaube, es gibt kaum einen besseren Begriff, um die Arbeit und die Leistungen, die Arbeitsweise und vor allem auch den Anspruch, den die Soziokultur an sich selbst stellt und auch jeden Tag lebt, zu beschreiben.

(Zustimmung bei der SPD)

Heute finden in ganz Deutschland soziokulturelle Veranstaltungen statt. Auch der Landtag kann sich dank der Grünen hier einreihen, weil wir uns mit diesem wichtigen Thema beschäftigen und einen ganz intensiven Blick auf eine sehr lebendige Kunst- und Kulturszene werfen.

Vernetzt heißt, Kulturarbeit zu ermöglichen, an der viele teilnehmen können, in der sich jeder auf seine Weise einbringen kann und in der es keine ausgrenzenden Debatten darüber gibt, was Kultur ist und vielleicht auch nicht ist. Jeder und jede kann fast überall zum Künstler oder zur Künstlerin werden.

(Jens Nacke [CDU]: Mancher sogar hier am Pult!)

Das ist das einladende Versprechen der Soziokultur. Das ist ihre große Leistung.

Die Soziokultur ist und war immer ein Seismograf gesellschaftspolitischer Entwicklungen. Die Arbeit der soziokulturellen Zentren in Deutschland, aber vor allen Dingen hier in Niedersachsen ist beispielhaft für den politisch gewünschten breiten Zugang zur Kultur, unabhängig von den materiellen Voraussetzungen und unabhängig von der Herkunft eines jeden. Hier ist es jedem möglich, sich künstlerisch und kreativ zu entdecken, auszuprobieren und zu entwickeln. Soziokulturelle Angebote und Einrichtungen erfüllen gerade in der Fläche unseres Landes eine wichtige Aufgabe.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Sie erleben großen Zuspruch bei der Bevölkerung und haben einen großen vernetzenden Auftrag aller Einrichtungen im Bereich von Bildung, Jugendarbeit und auch Erwachsenenarbeit.

Gleichwohl steht die Soziokultur wachsenden Herausforderungen gegenüber. Insgesamt wird die finanzielle Förderung durch öffentliche Mittel knapper. Die Beschäftigungsverhältnisse sind zunehmend prekär und von Selbstausbeutung geprägt.

(Unruhe)

Frau Kollegin, ich darf erneut kurz unterbrechen. Der Geräuschpegel steigt wieder an. Das ist, glaube ich, auch für Sie inakzeptabel, Frau Behrens. - Jetzt, bitte!

Danke schön. - Die notwendige qualifizierte Personalentwicklung, die auch die jüngere Generation an die Arbeit der Soziokultur heranführt, wird in diesen Zeiten der knappen Ressourcen schwierig, um nicht zu sagen: an mancher Stelle unmöglich. Daher ist es unerlässlich, auch die Freiwilligendienste, insbesondere das erfolgreich gewachsene Freiwillige Soziale Jahr Kultur, finanziell gut auszustatten, um auch dort das Engagement in der Soziokultur zu stärken. Die Nachfrage der Jugendlichen nach solchen Plätzen ist riesig. In Niedersachsen haben wir mehr Bewerber als Plätze. Auch hier könnten wir z. B. ansetzen, um die Zukunft der soziokulturellen Arbeit zu sichern. Aber dazu, liebe Kolleginnen und Kollegen, später mehr.

Die Antwort macht die Bedeutung der Soziokultur und die Fülle der Möglichkeiten sehr schön deutlich. Die Antwort ist ein wichtiges Dokument für unsere kulturpolitischen Debatten hier im Landtag und auch im Fachausschuss.

Ich bedanke mich im Namen der SPD-Fraktion bei den Mitarbeitern in den Ministerien, bei der LAGS und auch bei den Grünen, die diese Diskussion mit ihrer Großen Anfrage erst ermöglicht haben.

Wir alle können unseren Dank und unseren Respekt vor allen Dingen dadurch ausdrücken, dass wir die Erkenntnisse aus dieser Großen Anfrage ernst nehmen und den Engagierten bei den unbestreitbaren Herausforderungen, die die Soziokultur in Zukunft zu meistern hat, tatkräftig helfen. Dieser Verantwortung sollten sich die Landesregierung und auch dieser Landtag stellen.

Meine Damen und Herren, die Bilanz der 71 soziokulturellen Zentren und Vereine ist wirklich beeindruckend. Das Zahlenwerk in der Antwort auf die Große Anfrage ist nicht immer aktuell und komplett. Nimmt man aber den Jahresbericht der LAGS vom vergangenen Jahr hinzu, bekommt man ein relativ gutes Bild. Einige Daten haben wir hier schon von der Ministerin wie auch von Frau Dr. Heinen-Kljajić gehört. Mehr als 2,5 Millionen Menschen besuchen die Veranstaltungen der soziokulturellen Zentren und Einrichtungen in Niedersachsen. Jeder fünfte ist unter 20 Jahre alt. Das gelingt kaum einer anderen Kultursparte in diesem Ausmaß. Auch das ist, glaube ich, bemerkenswert und gar nicht genug wertzuschätzen.

(Beifall bei der SPD)