Protokoll der Sitzung vom 11.11.2011

Meine Damen und Herren, weitere Nachfragen zu dieser Mündlichen Anfrage liegen nicht vor. Um 9.05 Uhr haben wir angefangen. Jetzt ist es 10.07 Uhr. Also ist die Stunde jetzt zu Ende. Ich schließe damit diesen Tagesordnungspunkt.

Die Antworten der Landesregierung zu den Anfragen, die jetzt nicht mehr aufgerufen werden können, werden nach § 47 Abs. 6 unserer Geschäftsordnung zu Protokoll gegeben.

Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 28:

Erste Beratung: Abschiebungen in die Republik Syrien dauerhaft einstellen - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 16/4127

Zur Einbringung hat sich Frau Kollegin Polat von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu Wort gemeldet. Bitte!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit Monaten erreichen uns täglich neue schreckliche Meldungen aus der Republik Syrien über gewaltsame Niederschlagungen von Demonstrationen, zahlreiche Todesopfer staatlicher Gewalt, Folter und andere Menschenrechtsverletzungen.

Insgesamt starben nach UN-Schätzungen seit Beginn der Aufstände gegen die autoritäre Regierung von Präsident Baschar el Assad Tausende Menschen.

Für uns ist es daher absolut unverständlich, dass mit diesem Terrorregime weiterhin ein Rückübernahmeabkommen gilt, was nichts anderes beinhaltet, als gerade Regimekritiker und Exilsyrer in Deutschland abzuschieben. Das ist für uns vor dem Hintergrund unserer Verfassung eine unverantwortliche Politik, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung von Gerd Ludwig Will [SPD])

Das Rückübernahmeabkommen mit der Republik Syrien trat erst im Januar 2009 in Kraft. Gleich im Jahr 2009 wurden in Niedersachsen 139 Personen für die Abschiebung nach Syrien angemeldet. Ende 2009 gab es eine Information des Bundesinnenministeriums an die Länder zum besagten Rückübernahmeabkommen und Berichte über die Inhaftierung von aus Deutschland Abgeschobenen und anschließende Prozesse vor Militärgerichten jenseits anerkannter juristischer Standards. Die niedersächsische Reaktion darauf: Im Jahr 2010 wurden 240 Personen für die Abschiebung nach Syrien angemeldet.

Noch im Februar dieses Jahres wurden - dies ist ein bekannter Fall - Anuar und Bedir Naso aus dem Landkreis Hildesheim nach Syrien abgeschoben. Erst im Mai dieses Jahres kam ein Erlass des niedersächsischen Ministeriums zur vorübergehenden Aussetzung der Abschiebungen nach Syrien heraus - zu spät für den Vater und den Sohn der Familie Naso. Die Mutter ist nicht abgeschoben worden, weil sie am Flughafen einen Schwächeanfall erlitten hat.

Die Inhaftierung von Anuar Naso für vier Wochen und von Bedir Naso für 13 Tage - auch diese Personen sind inhaftiert worden; der Sohn ist noch minderjährig - werden von Innenminister Schünemann noch immer als zur Identitätsfeststellung

übliche Ingewahrsamnahme heruntergespielt - keine Spur von Einsicht, Bedauern oder gar einer Entschuldigung!

(Miriam Staudte [GRÜNE]: Auch die Menschlichkeit fehlt!)

Wir fordern deshalb endlich einen förmlichen Abschiebestopp nach § 60 a des Aufenthaltsgesetzes.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Der aktuelle, vom Bundesinnenministerium den Ländern empfohlene Verzicht auf die Abschiebung in die Republik Syrien bietet keinen verlässlichen, dauerhaften Rechtsrahmen und dient lediglich der Umgehung der in § 23 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes vorgesehenen Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen, die den Betroffenen zumindest für eine bestimmte Dauer Sicherheit bieten würde.

Konsequenterweise muss natürlich das Rückübernahmeabkommen gekündigt werden. Das gilt, wie gesagt, noch immer. Die Fälle der Abgeschobenen müssen endlich vollständig aufgeklärt werden. Das fordern wir im Übrigen auch auf Bundesebene.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung von Patrick-Marc Humke [LINKE])

Darüber hinaus fordern wir die Landesregierung auf, mehr Verantwortung für die Konsequenzen ihres Handelns in menschenrechtlicher Sicht zu übernehmen. Ich beziehe mich hier insbesondere auf die Wirtschaftsdelegationen, die mit Unterstützung der Landesregierung in Staaten mit kritischer Menschenrechtslage reisen. So fand im Februar 2011 eine Reise einer Wirtschaftsdelegation nach Syrien statt. Alle Kolleginnen und Kollegen haben wohl noch ungefähr im Kopf, wann die Eskalationen in Syrien begonnen haben.

Das Ministerium erklärte - ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten -:

„Im Unterschied zu anderen arabischen Ländern ist Syrien ein weltlich orientiertes Land, in dem die verschiedenen Religionen und Nationalitäten weitgehend konfliktlos nebeneinander leben. Eine Entwicklung wie z. B. in Ägypten wird derzeit als unwahrscheinlich angesehen, da Präsident Assad bedeutend jünger ist als die anderen Machthaber in der arabischen Welt und somit dem Volk näher

steht. Ein Generationswechsel vom Vater zum Sohn ist bereits vollzogen und hat bereits für eine Modernisierung des Landes gesorgt.“

(Helge Limburg [GRÜNE]: Na dann ist es ja gut!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Flüchtlingsrat Niedersachsen kommentiert treffend - ich zitiere -:

„Diese Verharmlosung der Verfolgung und Unterdrückung in der von Sicherheitsapparaten und Militärs geprägten autoritären Diktatur im Interesse guter Geschäfte schreit zum Himmel.“

Der Flüchtlingsrat hat recht.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung von Patrick-Marc Humke [LINKE])

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Bode?

Gerne.

Herr Bode!

Frau Kollegin Polat, Sie haben gerade aus einer Presseinformation der Landesregierung zitiert. Gaben die Passagen, die Sie zitiert haben, die Einschätzung der Landesregierung über Syrien wieder, oder war das die von der Landesregierung weitergegebene Einschätzung der Bundesregierung über Syrien?

(Helge Limburg [GRÜNE]: Sie haben recht! Westerwelle war schuld!)

Frau Kollegin!

Herr Bode, dazu muss ich Ihnen sagen: Es macht die Sache nicht besser, wenn Sie aus den Berichten des Auswärtigen Amtes abschreiben, die wir schon seit Langem kritisieren. Denn in die Berichte des Auswärtigen Amtes gehen keine Berichte der Menschenrechtsorganisationen ein. Sie sollten sich wirklich einmal Gedanken über einen kriti

schen Menschenrechtsdialog mit solchen Terrorregimen machen!

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Wir fordern die Landesregierung auf, keine wirtschaftlichen oder politischen Delegationen in die Republik Syrien zu begleiten, zu organisieren oder zu unterstützen.

(Zustimmung von Patrick-Marc Hum- ke [LINKE])

Auch Delegationen in andere Staaten oder Regionen mit derart kritischer Menschenrechtslage sind entsprechend zu unterlassen.

Am 3. November hat das Wirtschaftsministerium in einer Pressemitteilung die Bilanz einer niedersächsischen Unternehmerdelegation unter Leitung des Wirtschaftsstaatssekretärs auf die arabische Halbinsel, also nach Saudi-Arabien, Oman und die Vereinigten Arabischen Emirate, präsentiert. Ziele des Besuchs seien der weitere Ausbau und die Vertiefung wirtschaftspolitischer Kontakte zwischen Niedersachsen und den Golfstaaten sowie die Profilierung des Landes als Wirtschaftsstandort. - Auch hier wurde das Thema Menschenrechte offenbar ausgeklammert.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen für solche Anlässe einen kritischen Menschenrechtsdialog. Was bringt es, wenn wir auf Bundes- und europäischer Ebene kritische Menschenrechtsdialoge führen, wenn das für die Bundesländer nicht gilt?

Die Industrie hat sich einen internationalen Verhaltenskodex gegeben. Es gibt OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen. Etwas Ähnliches fordern wir auch für die Politik und die Delegationen, an denen die Landesregierung für Niedersachsen beteiligt ist.

Ich würde mich freuen, wenn Sie unsere Vorschläge unterstützen würden.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Meine Damen und Herren, für die CDU-Fraktion spricht nun Herr Kollege Focke.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch die CDU-Fraktion hier im Nieder

sächsischen Landtag verurteilt die Menschenrechtsverletzungen und kriegerischen Handlungen gegen das syrische Volk aufs Schärfste. Das Assad-Regime und seine Anhänger gehen brutal und rücksichtslos vor. Während des Ramadan und der Eid-Feiertage wurden mindestens 583 Menschen getötet, darunter auch Kinder. Die Vereinten Nationen gehen insgesamt - Frau Polat, Sie haben es gesagt - von etwas über 3 500 Toten aus.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir begrüßen daher ausdrücklich die von Deutschland im August initiierte Sondersitzung des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen, in der eine Resolution zur Einsetzung einer unabhängigen Untersuchungskommission verabschiedet wurde. Leider scheiterte eine Resolution im UN-Sicherheitsrat an dem Veto Russlands und Chinas.

(Sigrid Leuschner [SPD]: Auch In- dien!)

- Auch Indien.