Protokoll der Sitzung vom 07.12.2011

Die eigentliche Klageschrift liegt noch nicht vor. Bis sie vorliegt, wird es aller Voraussicht nach noch einige Wochen, möglicherweise sogar noch einige Monate dauern. Das heißt, wir können bisher nur entlang der offiziellen Pressemitteilungen der Kommission nachvollziehen, was am VW-Gesetz im Einzelnen gerügt werden soll.

Letztlich stehen wohl zwei Punkte im Mittelpunkt. Zum einen wird gerügt, dass das letzte Urteil des EuGH aus dem Jahre 2007 zum VW-Gesetz nicht eins zu eins umgesetzt worden sei. Zum anderen kritisiert die Kommission, dass die verbliebene Vorschrift zur sogenannten Sperrminorität angeblich gegen den Grundsatz des freien Kapitalverkehrs verstößt.

Meine Vorredner haben bereits darauf hingewiesen, dass die Kommission sehr scharfe Auflagen gegen die Bundesrepublik Deutschland angedroht hat. Es geht nicht nur um 31 114,72 Euro pro Tag für die Zeit vom Ersturteil am 23. Oktober 2007 bis zum Tag des neuen Urteils, sondern die Kommission hat auch angedroht, ein Zwangsgeld in Höhe von 282 725,10 Euro pro Tag ab dem zweiten Urteil des EuGH bis zur entsprechenden Umsetzung des Urteils zu verhängen. Die Bundesrepublik Deutschland, die der eigentliche Verfahrensgegner ist, weiß sehr wohl, dass das scharfe Auflagen sind.

Der Betriebsrat, das Unternehmen und auch die Landesregierung sehen diesem Verfahren dennoch gelassen und mit Zuversicht entgegen, und zwar aus drei Gründen:

Erstens. Eine qualifizierte Mehrheit für Beschlüsse von Hauptversammlungen ist legal. Aktiengesellschaften - wie eben auch Volkswagen - haben hiervon Gebrauch gemacht.

Zweitens. Die Regelung über die verminderte Sperrminorität in der VW-Satzung haben die Aktionäre in freier Entscheidung im Dezember 2009 mit einer Mehrheit von über 98 % bestätigt. Sie verstößt also nicht gegen Europarecht.

Drittens. Europäisches Recht, dem sich ein bestimmter Grenzwert für Sperrminoritäten entnehmen lässt, gibt es nicht.

Wir sind uns mit der Bundesregierung, dem Unternehmen und den Arbeitnehmern einig in der Auffassung, dass Deutschland das EuGH-Urteil aus dem Jahre 2007 eins zu eins umgesetzt hat. Mit

der Streichung des Entsenderechts für Vertreter von Bund und Land in den Aufsichtsrat und mit dem Wegfall der Stimmrechtsbeschränkung wurde das Urteil vollständig umgesetzt. Die erneute Klage der Kommission entbehrt also jeglicher Grundlage.

Meine Damen und Herren, das Thema der Zukunft der Europäischen Union beschäftigt uns alle. Auch meine Vorredner haben schon darauf hingewiesen, wie schwierig die Situation in Europa ist. Wir alle als überzeugte Europäer werden wohl feststellen müssen, dass unsere gemeinsame Idee einer Europäischen Union vor der größten Herausforderung, vor der größten Bewährungsprobe seit den 50er-Jahren steht.

Als überzeugter Europäer kann ich und will ich auch nicht nachvollziehen, dass genau in der jetzigen Situation, in der die Zukunft der Europäischen Union möglicherweise auf dem Spiel steht, die Kommission nichts anderes zu tun hat, als das VW-Gesetz wieder auf die Tagesordnung zu setzen. Ich will und kann das nicht nachvollziehen.

(Beifall bei der CDU, bei der FDP und bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der SPD und bei der LINKEN)

Der Fraktionsvorsitzende der Linken hat auf die Transparente hingewiesen. Lesen Sie die heute beispielsweise in der Braunschweiger Zeitung abgedruckten Stellungnahmen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von Volkswagen zu diesem Thema! In der Tat sorgt die Kommission in einem der wirtschaftlich erfolgreichsten Unternehmen der Europäischen Union ohne Not für Unruhe. Sie sorgt auch ohne Not dafür, dass das Vertrauen der Menschen in die europäischen Institutionen belastet wird. Und das ist das eigentliche Thema, das mich umtreibt.

(Vizepräsident Hans-Werner Schwarz übernimmt den Vorsitz)

Meine Damen und Herren, Kollege Hagenah, Politik bedeutet immer, mehrgleisig zu fahren. Natürlich müssen wir in den nächsten Wochen, Monaten und möglicherweise auch Jahren sehr konzentriert an dieses Thema herangehen, diplomatisch wie politisch. Ich habe allerdings Verständnis dafür, dass beispielsweise die IG Metall und die Betriebsräte auch andere Aktionsformen wählen, um ihrem Anliegen Ausdruck zu verleihen. Jeder ist jetzt an seiner Stelle gefordert. Wir brauchen Verbündete in der Kommission, wir brauchen Verbündete im Europäischen Parlament. Eine ganz aktive Verbündete haben wir in der Bundeskanzlerin. Das ist

gestern von Bernd Osterloh in der Betriebsversammlung vor 20 000 Mitarbeitern ausdrücklich hervorgehoben worden.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich freue mich ebenfalls darüber, dass es hier eine große Übereinstimmung im Deutschen Bundestag gibt, und ich möchte auch ausdrücklich die Entschließung des SPD-Bundesparteitages zu diesem Thema erwähnen. Hier im Niedersächsischen Landtag stehen wir ohnehin wie eine Eins hinter unserem wichtigsten Unternehmen im Land.

(Stefan Wenzel [GRÜNE]: Ist denn Ihr Koalitionspartner in Bund und Land auch an Ihrer Seite? - Gegenruf von Roland Riese [FDP]: Ach, Herr Wen- zel!)

Ich habe gestern zum Schluss meiner Rede in Wolfsburg eine versöhnliche Geste in die Richtung von Kommissar Barnier zum Ausdruck gebracht, indem ich ihn gebeten habe, diese Klage aus den von mir genannten Gründen und vielen anderen mehr zurückzuziehen. Weil es so schön war, wiederhole ich es gern noch einmal auf Französisch: Je vous prie de retirer cette plainte. Herr Kommissar Barnier, wenn Sie das tun, leisten Sie Großes für Europa.

Vielen Dank.

(Starker, lang anhaltender Beifall bei der CDU und bei der FDP - Detlef Tanke [SPD]: C’est bon! - Karl-Heinz Klare [CDU]: Oui, monsieur!)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, zu diesem Tagesordnungspunkt liegen keine Wortmeldungen mehr vor. Daher stelle ich fest, dass er erledigt worden ist.

Ich eröffne nun die Besprechung zu Tagesordnungspunkt 15 d:

NPD-Verbot vorantreiben: Parlamentarisches Agieren des Rechtsextremismus verhindern - Handlungsmöglichkeiten des Rechtsterrorismus einschränken - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 16/4248

(Unruhe)

- Ich möchte gleich Herrn Bachmann von der SPDFraktion das Wort erteilen, Ihnen allen aber Gelegenheit geben, den Raum zu verlassen, wenn Sie kein Interesse an dem Thema haben.

(Jens Nacke [CDU]: Es kommt darauf an! Geht es wieder gegen Landesbe- dienstete?)

Einen kleinen Moment noch, Herr Bachmann! Es sollte noch ein bisschen ruhiger werden. - Vielen Dank. - Herr Kollege Bachmann, Sie haben das Wort.

Vielen Dank. Ich kann mir aber vorstellen, dass es nicht viele Kolleginnen und Kollegen sind, die an diesem Thema kein Interesse haben.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem hier im Jahr 2009 ein Antrag der SPD-Fraktion, ein Verbotsverfahren in Sachen NPD erneut zu prüfen und einzuleiten, mehrheitlich abgelehnt wurde, nehmen wir die aktuelle Debatte im Land, aber auch die jetzt beginnende Innenministerkonferenz zum Anlass, dies noch einmal zu thematisieren und Herrn Innenminister Schünemann, der uns nach der gestrigen Entscheidung dort ja weiterhin vertreten wird, Folgendes mit auf den Weg zu geben:

Für Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist es ein unerträglicher Zustand, dass unter dem Schutz des Parteienprivilegs eine Partei, die ausländerfeindliche, rassistische und antidemokratische Gedanken verbreitet, die engen Kontakt zu menschenverachtenden und gewaltbereiten Kameradschaften hält und die, wie wir jetzt erfahren haben, aus ihren Reihen auch konkrete Unterstützung für terroristische Mörder leistet, in diesem Land auch noch mit Steuergeldern respektive Wahlkampfkostenerstattung subventioniert wird.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Für uns ist es auch unerträglich, dass ein Verbotsverfahren bisher - so ein Teil der Unionsinnenminister - an sogenannten V-Leuten, die auch noch staatlich alimentiert werden, scheitern musste.

(Bernhard Busemann [CDU]: Das sagt das Bundesverfassungsgericht!)

Ich will Ihnen einmal etwas zur Rolle der V-Leute sagen. V-Leute sind keine verdeckten Ermittler der Landespolizei. Das wäre ja noch in Ordnung; denn damit würden sie der Weisungsbefugnis unserer Staatsorgane unterstehen. Die V-Leute in der NPD

sind aus Steuergeldern subventionierte Nazifunktionäre mittlerer und höherer Chargen. Das ist die Realität.

(Starker Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Dass sie nichts liefern, was dazu führen kann, auch terroristischen Strukturen, die in der Vergangenheit unterstützt wurden, auf die Schliche zu kommen, liegt doch auf der Hand. Sonst hätte es doch Erkenntnisse gegeben.

(Heinz Rolfes [CDU]: Wenn es so ein- fach wäre, wäre es ja gut!)

- Lass mich doch einmal ausreden!

Es ist doch eher zu befürchten, dass die Honorare, die sie vom Staat bekommen, auch noch in solchen Strukturen landen oder zur Finanzierung solcher Strukturen verwendet werden.

(Hans-Jürgen Klein [GRÜNE]: So ist das!)

Aber die Antwort, die wir auf die konkreten Fragen bekommen haben, die wir dem Verfassungsschutz in den Gremien, in denen die Unterrichtungen stattgefunden haben, gestellt haben, lautete immer: Dazu haben wir keine Erkenntnisse.

Wissen Sie, V-Leute mit diesem Status entscheiden doch selbst, was sie sagen und was sie nicht sagen. Sie werden doch nur in Bereichen abgeschöpft, in denen sie uns möglicherweise sogar desorientieren wollen. Deshalb ist die Forderung der Stunde, diesen uneffektiven Apparat abzuschalten und damit die Grundlagen für ein Verbotsverfahren zu schaffen.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Es geht nicht um ein Zurückziehen. Wir haben dort keine Eingeschleusten. Das sind Nazifunktionäre. Ich sage das einmal in aller Deutlichkeit.

(Bernhard Busemann [CDU]: Können Sie das belegen? Dann ist der Fall er- ledigt!)

Meine Damen und Herren, wir haben hier im Landtag in den letzten Jahren immer und immer wieder die entsprechenden Fragen thematisiert. Wir haben im Jahr 2008 die Verbindungen zwischen der NPD und Tattoo-Studios thematisiert - jetzt hat es „Frontal 21“ aufgegriffen -, woran auch einer derjenigen, die heute als Unterstützer des NSU bekannt

sind, direkt beteiligt war. Antwort: keine Erkenntnisse, keine Gefahr.

Wir haben durch unsere Kollegin Sigrid Leuschner, die sich um diese Fragen wirklich verdient gemacht hat,