Protokoll der Sitzung vom 18.01.2012

Ein wichtiger Faktor der sozialen Marktwirtschaft, den wir gar nicht hoch genug einschätzen können, ist die hohe Flexibilität.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: 20 % un- ter der Armutsgrenze!)

Immerhin haben wir über 300 Wirtschaftszweige und 70 000 Tarifverträge mit mehr als 1 100 Tarifbereichen. Ich wette, Sie kennen nicht einmal 10 % davon. Sie wollen sie aber bewerten. Na, prost Mahlzeit!

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Die Hälf- te der Leute fällt nicht mehr unter Ta- rifverträge!)

Viel wichtiger ist uns, auch diejenigen in Arbeit zu bringen, die schwer vermittelbar sind, nämlich Langzeitarbeitslose und nicht Ausgebildete. Auch oder gerade weil wir einer Vollbeschäftigung entgegengehen, brauchen wir all diese Menschen und müssen versuchen, diese einzubinden.

Frau Kollegin König, darf ich Sie unterbrechen? - Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Weisser-Roelle?

Nein, ich bin so sehr erkältet, dass ich froh bin, wenn ich das hier alles hinter mich bringe.

(Dr. Gabriele Andretta [SPD]: Ich ver- stehe, dass Sie das hinter sich brin- gen wollen!)

Sie hingegen lassen diese völlig außen vor, ja, Sie riskieren sogar mehr Arbeitslosigkeit; denn die Verteuerung der Arbeit führt in einigen Branchen zur Rückführung der Nachfrage. Sie scheinen auch nicht begreifen zu können, dass die Unternehmen Arbeitsplätze schaffen und nicht die Politik. Sie müssen wirtschaftlich arbeiten, um diese Stellen zu gewährleisten. Das schaffen sie zurzeit außerordentlich gut.

(Ursula Weisser-Roelle [LINKE]: 5 Euro je Stunde für alle? - Kreszentia Flauger [LINKE]: Sind 5 Euro pro Stunde okay, Frau König?)

Im Verhältnis zu unseren europäischen Nachbarn sind wir sogar beispielhaft. Nirgends ist die Arbeitslosigkeit stärker abgebaut worden, insbesondere die Jugendarbeitslosigkeit, und die Wirtschaftsleistung ist hervorragend.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Wie fin- den Sie denn 5 Euro pro Stunde?)

Das spiegelt sich auch in den Sozialsystemen wider, die erstmals nach langer Zeit wieder Überschüsse generieren können. Dabei ist auch die Steigerung der Reallöhne um immerhin 2,6 % zu berücksichtigen. Davon profitieren letztlich auch die Renten.

Es gibt keinen Grund, Änderungen vorzunehmen. Es ist hingegen wichtig, die Arbeitnehmer weiterzubilden und zu qualifizieren. Das muss die Aufgabe sein, um unseren Wohlstand und den der Arbeitnehmer weiterzuentwickeln. Sie hingegen riskieren weitere Arbeitslosigkeit - laut Ifo Institut -, die weiter steigen würde. Sie würden 1,2 Millionen bis 1,5 Millionen Arbeitsplätze vernichten.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Von Pro- fessor Unsinn und seinem Ifo Institut!)

Viele Studien führen an, dass gesetzliche Mindestlöhne wie in Frankreich schuld daran sind, dass die

Jugendarbeitslosigkeit auf teilweise über 20 % angestiegen ist. Tariflich gut organisierte Länder wie Österreich und alle skandinavischen Länder brauchen keinen gesetzlichen Mindestlohn.

(Glocke des Präsidenten)

Auch ein Hinweis auf auskömmliches Einkommen greift nicht. Ein Alleinverdiener - das müssen Sie sich vor Augen führen - mit einer vierköpfigen Familie müsste wenigstens 11 Euro je Stunde verdienen, um mehr zu haben als ein Arbeitsloser mit Grundsicherung.

(Ursula Weisser-Roelle [LINKE]: Dar- um sind wir für mindestens 10 Euro!)

Demnach sind Sie mit 8,50 Euro oder mit 10 Euro je Stunde weit von der Praxis entfernt.

Frau Kollegin, Sie müssen allmählich zum Schluss kommen.

Kurz gesagt: Sie sind noch gar nicht in der Wirklichkeit angekommen. Deswegen bringt es auch nichts, dass Sie immer wieder die gleichen Forderungen aufstellen.

(Beifall bei der FDP und Zustimmung bei der CDU - Dr. Gabriele Andretta [SPD]: „2 %“ sage ich da nur!)

Meine Damen und Herren, die Kollegin WeisserRoelle von der Fraktion DIE LINKE hat sich zu einer Kurzintervention gemeldet. Bitte schön!

Danke. - Herr Präsident! Frau König, wenn Sie uns in Ihren Ausführungen deutlich machen wollten, wir bräuchten keinen Mindestlohn,

(Gabriela König [FDP]: Keinen gesetz- lichen Mindestlohn!)

weil die Einkommen so hoch seien, dass man davon leben könne, dass das also nicht nötig sei, weil sich alles selbst regulieren würde, dann frage ich Sie: Wie stehen Sie dazu - ich habe Ihnen vorhin Zahlen genannt -, dass in der Bundesrepublik 1,2 Millionen Menschen für einen Lohn von unter 5 Euro je Stunde arbeiten und dass weitere 3,6 Millionen Menschen weniger als 7,50 Euro pro Stunde bekommen. Diese Zahlen müssen Sie doch einmal zur Kenntnis nehmen! Da können Sie

doch nicht sagen, dass sich alles selbst regelt und dass alle ein vernünftiges Einkommen haben. Die Zahlen liegen vor, und die Menschen, die dahinter stehen, sind Wirklichkeit.

Sie sagten zum Schluss, dass ein Beschäftigter mit einer vierköpfigen Familie ein Einkommen von mindestens 11 Euro je Stunde haben müsste, um ein Einkommen oberhalb der Grundsicherung zu bekommen. Was folgern Sie daraus? Dann müssten Sie doch unserer Forderung nach einem Einkommen von mindestens 10 Euro je Stunde zustimmen, damit die Person, die arbeitet, über der Grundsicherung liegt. Das wäre doch die logische Folgerung daraus! Das verstehe ich nicht. Dazu würde ich gern Ihre Meinung hören.

(Beifall bei der LINKEN)

Frau König möchte erwidern. Bitte schön!

Herr Präsident! Frau Weisser-Roelle, es nutzt nichts, dass Sie hier mit irgendwelchen Fakten um sich werfen,

(Lachen bei der SPD und bei der LINKEN - Ursula Weisser-Roelle [LINKE]: Dahinter stehen Menschen!)

von deren Hintergrund Sie absolut nichts verstehen. Ich habe Ihnen eben deutlich gemacht - - -

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Sollen wir Ihre Ideologie nicht mit Fakten stö- ren?)

- Sie können noch so doll schreien, wie Sie wollen. Ich versuche aber einmal, es Ihnen zu erklären.

(Zuruf von der LINKEN: Na dann viel Spaß!)

Wenn Sie von 1,2 Millionen oder sonst wie vielen Arbeitnehmern sprechen, müssen Sie prüfen, ob sie hinzuverdienen, ob es sich um Langzeitarbeitslose handelt, ob das Menschen sind, die in den Arbeitsmarkt integriert werden,

(Olaf Lies [SPD] und Ursula Weisser- Roelle [LINKE]: Bei denen reichen 3 Euro je Stunde? Das spielt dann keine Rolle?)

ob das eventuell schlecht oder gar nicht ausgebildete Arbeitskräfte sind, die sich auf dem Weg befinden, eine vernünftige Qualifikation oder Ausbildung zu erhalten, um dann mehr verdienen zu

können und um ihren Unterhalt selbst bestreiten zu können.

(Olaf Lies [SPD]: Frau König, wenn einer eine vernünftige Ausbildung hat, dann reden wir doch nicht über 7,50 Euro! Das gibt’s doch gar nicht!)

Sie bringen hier alles durcheinander. Das ist von den Fakten her vollkommen daneben!

(Beifall bei der FDP und Zustimmung bei der CDU - Kreszentia Flauger [LINKE]: Sie finden 3,50 Euro je Stunde gut, nicht wahr?)

Meine Damen und Herren,

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Sie fin- den 3,50 Euro je Stunde wirklich okay? - Gegenruf von Gabriela König [FDP]: Sie finden das Aufstocken doch auch ganz schrecklich! Und das ist genau das Falsche!)

wenn Sie einverstanden sind, rufe ich den nächsten Redner auf. - Ich sehe, das ist so. Dann hat jetzt Herr Hagenah von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das kleine Scharmützel macht doch deutlich, wo die eigentliche Konfliktlinie liegt. An diesem einen Punkt bin ich anderer Meinung als Herr Kollege Schminke. Ich stimme mit ihm in seiner Einschätzung zum Arbeitsmarkt, zur sinnvollen Wirkung von Mindestlöhnen und zu ihrer Gestaltung überein. Da gibt es in unseren Auffassungen keinen Unterschied.

Wo ich auf der Grundlage von Zitaten und Beschlüssen aus dem Unionsbereich einen Unterschied mache, ist der Generalvorwurf an die diese Landesregierung tragenden Fraktionen. Da sehe ich Unterschiede. Es gibt da eine in der Bevölkerungs- und Wählergunst mittlerweile völlig durchgefallene kleinere Koalitionsfraktion, die die größere in diesem Zusammenhang nicht handeln lässt. Bei der größeren Fraktion gibt es Landes- und Bundesparteibeschlüsse zum Mindestlohn. Bei ihr gibt es gutwillige Aussagen von Arbeitnehmervertretern, auch in der Bundestagsfraktion.

(Zurufe: Der Justizminister!)