Protokoll der Sitzung vom 19.01.2012

(Unterbrechung der Sitzung von 13.19 Uhr bis 15 Uhr)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir treten nach der Mittagspause wieder in die Beratungen ein.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:

Erste Beratung: Projektbeschleunigung zur „Rückholung der radioaktiven Abfälle aus der Asse“ - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 16/4361

Zur Einbringung erteile ich jetzt dem Kollegen Bosse von der SPD-Fraktion das Wort.

(Unruhe)

- Vielleicht gelingt es den wenigen Kolleginnen und Kollegen, die hier sind, etwas mehr Disziplin zu wahren. Bei einer so geringen Präsenz ist eine derart hohe Lautstärke im Plenarsaal schon erstaunlich.

(Jens Nacke [CDU]: Das Interesse der Grünen an der Asse scheint eher ge- ring zu sein!)

Bitte, Herr Kollege!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! 126 000 Fässer mit schwach und mittelradioaktivem Atommüll und auch Arsen, Pflanzengifte sowie verschiedene andere toxische Stoffe lagern im Bauch des Asse-II-Bergwerks.

Ich möchte nur noch einmal in Erinnerung rufen, dass die Asse das größte Umweltproblem der Bundesrepublik Deutschland, wenn nicht sogar Europas ist, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD - Clemens Große Macke [CDU]: Das hat Herr Oesterhelweg gestern auch schon gesagt!)

Entstanden ist das Problem - wir arbeiten das im Untersuchungsausschuss schon seit zweieinhalb Jahren auf; an einigen Stellen treffen wir da auf Mauern des Schweigens, auf Verzögerungen, ob bewusst oder unbewusst, darauf will ich an dieser Stelle gar nicht weiter eingehen, und auf bürokratische Hemmnisse - mit Sicherheit durch Ignoranz, Ahnungslosigkeit und - die Kolleginnen und Kollegen, die in dem Untersuchungsausschuss sitzen, egal von welcher Fraktion, geben mir da wohl recht - auch mit einem Stückchen krimineller Energie, meine Damen, meine Herren.

2009 hat es die Bundesregierung in einem Bündnis mit Bundesumweltminister Gabriel, mit Frau Schavan und dem niedersächsischen Umweltminister Sander geschafft, die Asse von Bergrecht in Atomrecht zu stellen. Das war ein guter, vernünftiger und weiser Beschluss.

Nun, nach dem Optionenvergleich, wurde deutlich, dass die Asse letzten Endes nur durch eine Rückholung sicher geschlossen werden kann. Der bauliche Zustand des Grubengebäudes und auch der Laugenzufluss lassen jedoch nur eine begrenzte

Zeit zu. Seit zwei Jahren ist man dabei, die Faktenerhebung voranzutreiben. Mittlerweile ist aber noch nicht einmal ein Loch in die Wand gebohrt worden, meine Damen und meine Herren.

Durch die strikte Anwendung des Atomrechts ist nicht ausreichend berücksichtigt worden, dass es bei der Asse nicht um die Genehmigung eines neuen Endlagers geht, sondern um die Abwendung von Gefahren aus einem nicht genehmigten Endlager. Das muss geändert werden, meine Damen, meine Herren. Ich glaube, dass wir nach den letzten Mitteilungen in der Presse an der Stelle gar nicht mehr so weit auseinander sind. Dies gilt offenbar sowohl für Herrn Röttgen als auch für den neuen niedersächsischen Umweltminister Herrn Dr. Birkner.

Zurzeit kommt es vor der Kammer 7 zu Verzögerungen. Dort geht es nachweislich um den Brandschutz und um die notwendige Stickstoffbereitstellung. Vor der Einlagerungskammer 12 muss unbedingt die kontaminierte Lauge beseitigt werden - einige sagen 25 000 l, andere sprechen von 80 000 l; weil das ein Sumpf ist, kann durchaus etwas nachlaufen -, um einen Bohrplatz zu errichten und ein Bohrgerät aufzustellen, meine Damen und Herren.

Fakt ist - auch darüber sind wir uns wohl einig -: Das Verfahren muss umgehend beschleunigt werden. Wir brauchen ein transparentes Verfahren. Wir alle, insbesondere auch die Ministerien sowie das Bundesamt für Strahlenschutz, müssen hier gemeinsam und über die Parteigrenzen hinweg unsere ganze Kraft investieren. Zudem müssen wir das Schwarzer-Peter-Spiel an dieser Stelle endgültig beenden.

(Beifall bei der SPD)

Wir sehen diese Möglichkeit durch eine Interventionsgruppe aus Vertretern des niedersächsischen Umweltministeriums, des Bundesumweltministeriums, des Bundesamtes für Strahlenschutz, dem Landrat des Landkreises Wolfenbüttel, Herrn Röhmann, und einem Vertreter der Bürgerinitiativen gewährleistet. Diese Interventionsgruppe muss unverzüglich geschaffen werden.

Sie werden sicherlich fragen: Warum der Landrat und die Bürgerinitiativen? - Ich meine, es gibt kein besseres Instrument, um die nötige Transparenz zu schaffen, an der Stelle den Landrat, der Vorsitzender der Asse-II-Begleitgruppe ist - das ist ein Instrumentarium, das bisher von allen Seiten gelobt worden ist -, und auch einen Vertreter der

Bürgerinitiativen bei den Beratungen dabei zu haben. Diese Interventionsgruppe muss in kürzester Zeit sicherstellen, wie es um die Standsicherheit des Berges steht und dass sämtliche Vorbereitungen zur Durchführung der nötigen Faktenerhebung getroffen werden können. Meine Damen und Herren, hier muss endlich Klarheit geschaffen werden.

Weiterhin geht es darum zu prüfen, ob nach dem Atomgesetz alle Facetten bis zum Letzten ausgelotet werden müssen und sollten. Möglicherweise - ich habe vorhin noch einmal in dieser Sache telefoniert - geht es auch um eine Erweiterung des Atomgesetzes nach § 57 b im Sinne der Gefahrenabwehr, meine Damen, meine Herren.

Berücksichtigt werden muss immer - das ist an der Stelle sehr wichtig - die Sicherheit der Bevölkerung und natürlich auch der Bergleute. Das Verfahren muss zwar beschleunigt werden, aber die Sicherheit darf dabei nicht ins Hintertreffen geraten.

Ich möchte an der Stelle nur noch bemerken, dass ich es für sehr bedauerlich halte, dass bei der Veranstaltung im Forum in Braunschweig, die gestern stattfand und am heutigen Tag noch stattfindet, der Chef der Entsorgungskommission, Herr Sailer, nicht anwesend ist. Das zeugt nicht unbedingt von einem guten Stil. Man hätte ihn dort brauchen können. Herr Sailer hatte schon vor einigen Jahren die Meinung zu der Asse, dass man sie ohnehin nur mit einer Verfüllung verschließen, d. h. sie fluten könne. Ich meine, es wäre angebracht gewesen, dass sich Herr Sailer dort hätte sehen lassen.

(Zustimmung von Detlef Tanke [SPD])

Meine Damen und Herren, wir brauchen auch ein sogenanntes Prozessmanagement. Das heißt, die Auflagen, die es gibt, dürfen nicht nacheinander abgearbeitet werden; sie müssen parallel abgearbeitet werden.

Meine Bitte - Sie können mir glauben, dass sie wirklich von Herzen kommt; sie richtet sich an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Ministerien -, um das wirklich voranzutreiben, ist: Greifen Sie vielleicht bitte einmal mehr zum Telefon, bevor man eine E-Mail schreibt und wieder mehrere Tage warten muss oder das Ganze schriftlich macht! Hier ist wirklich Gefahr im Verzug, meine Damen und Herren!

Wir müssen Folgendes anerkennen - darum bitte ich -: Wenn wir mit der Asse nicht vorankommen, wenn wir dieses Problem auf Dauer nicht beseitigen - uns läuft die Zeit an der Stelle davon; wir

brauchen ein gemeinsames und entschlossenes Handeln -, dann kann es für Norddeutschland zu einem Riesenproblem werden.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Ich erteile jetzt dem Kollegen Försterling das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben gestern hier in diesem Haus sehr einvernehmlich über die Asse diskutiert und alle anstehenden Probleme angesprochen, die zum Großteil auch während des derzeit laufenden Fachworkshops in Braunschweig diskutiert werden. Ich bin sehr gespannt, welche Ergebnisse heute Abend präsentiert werden. Diese Ergebnisse sollten wir dann am Ende in die Beratung im Umweltausschuss über diesen Antrag einbeziehen.

Dieser Antrag ist von der SPD-Fraktion im Zuge der Diskussion um Weihnachten und Neujahr um den Vermerk des Bundesamtes für Strahlenschutz sehr schnell eingebracht worden. Einige Punkte sind in den letzten Tagen in ganz ähnlicher Art und Weise von den verschiedenen Vertretern aufgegriffen worden. Das gilt beispielsweise für die Frage, wie man eine Lenkungsgruppe initiieren kann. Die SPD-Bundestagsfraktion spricht in ihrem Antrag, den sie im Bundestag eingebracht hat, von einer Taskforce.

Mir ist am Ende völlig egal, wie man diese Gruppe nennt. Entscheidend ist vielmehr, was dabei am Ende herauskommt, wer ihr angehört, dass man dort Einigkeit erzielt und dass man sich dabei nicht wie hier im Antrag der SPD nur auf die Frage der Klärung der Standsicherheit beschränkt. Ich finde, die Klärung der Standsicherheit ist zwar eine ganz entscheidende Frage für den weiteren Prozess der Rückholung ist. Darüber darf aber nicht eine Gruppe aus führenden Ministeriumsvertretern diskutieren, sondern diese Aufgabe muss nach wie vor das Institut für Gebirgsmechanik aus Leipzig wahrnehmen, das die Asse schon in den letzten Jahren begleitet hat.

Der letzte Bericht zur Standsicherheit stammt aus dem März 2009. Ich meine, dass es vor diesem Hintergrund sehr angebracht wäre, wenn das Bundesamt für Strahlenschutz als Betreiber beim IfG ein neues Gutachten in Auftrag gäbe. Wir haben erlebt, dass sich in den vergangenen Jahren da

durch, dass Verfüllmaßnahmen stattgefunden haben und sich in der Folge die Versatzdrücke im Grubengebäude entsprechend erhöht haben, die Prognosesicherheit bei der Standsicherheit immer weiter nach hinten verschoben hat. Deswegen halte ich es für angemessen, gemeinsam zu fordern, dass nach drei Jahren erneut ein Gutachten zur Standsicherheit auf den Weg gebracht wird.

Eine spannende Frage ist sicherlich auch, mit welchem Rechtsregime wir zukünftig arbeiten werden. Ich unterstütze den neuen Umweltminister sehr darin, zu sagen, dass wir möglicherweise eine Lex Asse brauchen, und zwar nicht - Herr Wenzel, das haben Sie gestern gesagt - um den Strahlenschutz und die Sicherheit abzusenken - das will niemand in der Region -, sondern um Verfahren zu beschleunigen.

Ich bin mir nicht sicher, ob die Anwendung von Gefahrenabwehrrecht der richtige Weg sein könnte. Ich persönlich habe den Eindruck, dass dann ganz schnell an der Öffentlichkeit vorbei Entscheidungen getroffen werden können. Natürlich besteht momentan Einigkeit in dem Ziel der Rückholung. Deswegen gibt es vor Ort viele Menschen, die wollen, dass die Verfahren beschleunigt werden und aufwendige Widerspruchsverfahren und Prüfungen etc. möglicherweise hintangestellt werden.

Wir alle müssen uns aber vor Augen halten, dass auch der Zeitpunkt kommen kann, in dem man von dem Ziel der Rückholung abrückt und plötzlich sagt: Wir wollen jetzt doch verfüllen. - Wenn man das dann unter Anwendung von Gefahrenabwehrrecht und mit Einschränkung der Beteiligungsrechte der Öffentlichkeit macht, dann haben wir ein riesengroßes Problem. Auch daran müssen wir schon heute denken, damit wir in dieser Hinsicht nicht irgendwann von den zuständigen Behörden bevormundet werden. Das nämlich wollen die Menschen in der Region sicherlich nicht. Die Menschen in der Region wollen die Rückholung, und das muss in diesen Tagen, in den nächsten Monaten und Jahren unser aller Auftrag sein, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Ich erteile jetzt dem Kollegen Herzog das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Asse hat viele Probleme: Fehleinschätzungen,

Fahrlässigkeiten, falsche politische Weichenstellungen, Lügen, Vertuschungen, Täuschungen der Öffentlichkeit, Unterschätzungen von Gefahren usw. - Das größte Problem aber ist im gesamten Bereich der Atomenergie die mangelnde Vertrauenswürdigkeit. Dabei meine ich weniger die der Standsicherheit des Asse-Bergwerks als vielmehr die in die Standsicherheit der beteiligten Akteure.

Da schreibt ein Mitarbeiter des Bundesamtes für Strahlenschutz am 14. November einen internen Vermerk, mit dem er kundtut, dass bis Ende 2012 eine Sachlage eintreten wird - wohlgemerkt: eintreten „wird“, nicht „kann“ -, die eine weitere Verfolgung der Stilllegungsoption Rückholung als nicht vertretbar erscheinen lässt. Er bemängelte, dass die Faktenerhebung zu lange dauern werde, die Erstellung des notwendigen neuen Schachtes viel zu lange brauchen werde, ein Pufferlager für die rückgeholten Abfälle nicht rechtzeitig bereitstünde und es nicht gelänge, kontaminierte Lösungen in Landessammelstellen oder bundeseigene Einrichtungen zu verbringen. Zudem sei die Auslegungsgrenze des Bergwerks für kontaminierte Lösungen erreicht.

Abgesehen davon, dass auch diese Meldung wie schon die Grenzwertüberschreitung am Zwischenlager Gorleben wieder nicht auf normalem Weg an die Öffentlichkeit gelangte, was Skandal genug ist, muss man sich allerdings fragen, welche löchrige Qualität das seitens des BfS zugrunde gelegte Gutachten für die Rückholung gehabt hat oder ob das ein gezielter Hilferuf des BfS ist.

Dann verplapperte sich noch der Ex-Sander und redete munter mit klammheimlicher Freude der Flutung das Wort. Folge: Das Vertrauen ist weg - wieder mal! - Daran ändern auch die hastigen gegenteiligen Beteuerungen nichts, und daran dürfen auch hohe Schmiergelder nichts ändern, wenn Flutung das Ziel ist. Ich jedenfalls glaube niemandem mehr: nicht dem lieben Norbert, der Gorleben gesundbohren will, anstatt zu stoppen, nicht Wolfgang König, der offenbar sein Haus nicht im Griff hat, nicht den Bockgärtnern Thomauske und Hennenhöfer, die für die Umsetzung eines Atomausstiegs so geeignet sind wie ein Veganer als Bundesgeschäftsführer der Fleischindustrie.

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN - Jens Nacke [CDU]: Sie sollten Co- mics malen, Herr Kollege! Dann pas- sen Ihre Bilder!)

Wie wenig die Menschen vertrauen, zeigt doch, dass laut Umfragen Endlager gar nicht mehr um