Die Verfolgung und Ermordung über einer halben Million Sinti und Roma wurde mit eben jenen antiziganistischen Vorurteilen gerechtfertigt, die auch noch heute zur Diskriminierung und Ausgrenzung der Roma überall in Europa führen. Deshalb, meine Damen und Herren, stehen wir in einer besonderen historischen Verpflichtung, diese Gruppe zu schützen.
Ich möchte an dieser Stelle noch ein paar Worte über unseren Ministerpräsidenten verlieren. Anlässlich des Neujahrsempfangs der evangelischen Landeskirche kündigte Ministerpräsident McAllister einen neuen, und zwar humanen Umgang mit Flüchtlingen an. Die Worte hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube - das ist ein Sprichwort, das angesichts der weiterhin geplanten und vollzogenen Abschiebungen auf das Handeln dieser Regierung leider zutrifft. Herr McAllister - er ist gerade nicht hier -, wir vernehmen Ihre Ankündigung mit großem Interesse und warten auf die Umsetzung.
Niedersachsen könnte sich für ein humanitäres Handeln Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz zum Vorbild nehmen. Niedersachsen könnte, wie die genannten Bundesländer, zumindest davon absehen, in den kalten Wintermonaten Menschen, darunter Familien, Kinder, alte und kranke Menschen, den elenden Lebensbedingungen von Minderheitsangehörigen im Kosovo auszuliefern. Angesichts der Tatsache, dass viele Abgeschobene keine Unterkunft mehr haben bzw. dass sich die Betroffenen oft nicht trauen, in ihre Herkunftsorte zurückzugehen, halten wir es insbesondere im Winter für vollkommen unverantwortlich, Menschen abzuschieben.
Herr Ministerpräsident, sicherlich ist Ihnen die Familie Meta aus Otterndorf ein Begriff. Schließlich liegt Otterndorf in Ihrem Wahlkreis und im Landkreis Cuxhaven, den Sie als Kommunalpolitiker sicherlich gut kennen.
- Genau. - Anfang Dezember 2011 wurde die Familie Meta aus Otterndorf in den Kosovo abgeschoben. Sechs Kinder im Alter von bis zu 19 Jahren gehören dazu. Die Familie lebte hier seit 2002. Ein Kind wurde hier geboren und kennt als Lebensmittelpunkt nur Otterndorf und seine Umgebung. Diese Familie wurde nachts um 2 Uhr in zwei vergitterten Wagen abgeholt, aus ihrem vertrauten Umfeld herausgerissen und in den Kosovo gebracht. Wir finden diese Vorgehensweise einfach nur unmenschlich.
Für die in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Kinder bedeutet die Abschiebung den Verlust der einzigen Heimat, die sie kennen. In Otterndorf hat dieses unsensible Vorgehen zu Unmut und Empörung geführt.
Viele dort fragen sich, ob nicht mildere Verfahrensschritte hätten geprüft werden können, und kritisieren vor allen Dingen den gewählten Abschiebezeitpunkt scharf. Zum Zeitpunkt des Abtransports wurde ausgerechnet die Adventszeit gewählt, meine Damen und Herren, eine Zeit, in der Werte wie Mitmenschlichkeit und Barmherzigkeit eine immense Bedeutung haben. Im Otterndorfer Fall spielen Mitmenschlichkeit und Barmherzigkeit offensichtlich keine Rolle.
Wir meinen, dass Humanität Vorrang haben muss. Deshalb fordern wir diesen Erlass. Unzumutbare Härten müssen vor allem für die betroffenen Kinder in den nächsten Monaten vermieden werden. Das hilft nicht nur kurzfristig den zahlreichen Romafamilien, sondern schafft auch Zeit, um humanitäre Lösungen zu finden.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beginne meine Ausführungen mit einem Artikel der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung vom 14. Januar 2012. Redakteur war Herr Michael B. Berger. Ich zitiere:
„Das niedersächsische Innenministerium hat am Freitag ausführlich die Abschiebung einer 39 Jahre alten Kosovarin begründet, die 20 Jahre in Emden gelebt hat. Die Abschiebung sei mehrmals überprüft worden, auch gerichtlich, das zuständige Ausländeramt der Stadt Emden habe völlig richtig gehandelt, meinte Frank Rasche, Sprecher von Innenminister Uwe Schünemann. Der Fall sei sehr kompliziert, Schuldzuweisungen an das Innenministerium unangebracht.“
Meine Damen und Herren, kürzer kann man es nicht darstellen. Wie dieses Beispiel zeigt, wird jeder Fall einzeln geprüft, und dabei spielen auch die humanitären Gesichtspunkte eine Rolle.
Die Anträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der SPD-Fraktion haben gemeinsam, dass eine Abschiebung im Winter nicht durchzuführen ist. Ich gehe davon aus, dass sie Hinweise haben, dass die angesprochene Gruppe der Roma, Aschkali und Ägypter nicht die Möglichkeit hat, im Winter eine geeignete Unterkunft zu erhalten. Wenn man sich die Zahlen ansieht, so stellt man fest, dass bundesweit 191 Personen dieser Gruppe im letzten Jahr abgeschoben wurden. In Niedersachsen waren es 46 Personen. In den letzten drei Wintermonaten wurden zwölf Volksangehörige der Roma abgeschoben. Eine Aussetzung der Abschiebung würde dazu führen, dass im April eine erhöhte Zahl abgeschoben werden würde. Dies würde eine Belastung vor Ort bringen, die auch zu Schwierigkeiten führen könnte.
Es ist erkennbar, dass wir hier nicht über eine große Zahl sprechen. Dies an sich ist aber kein Grund, nicht darauf zu achten, dass auch Wenige und Einzelne das Recht haben, eine humanitäre Behandlung einzufordern.
Meine Damen und Herren, wir sind der Ansicht, dass eine Abschiebung selbstverständlich auch vor Ort nachgeprüft werden sollte. Die Bundesrepublik hat mit dem Kosovo Vereinbarungen geschlossen. Erst nachdem diese erfolgten, ist überhaupt eine Abschiebung möglich. Es wurden gemeinsame Regeln vereinbart.
Vor Ort im Kosovo gibt es Eingliederungshilfen und Rückkehrprojekte. Es gibt keine Hinweise, die darauf schließen lassen, dass es nicht funktioniert.
Es ist bekannt, dass die angesprochenen Gruppen einen großen Rückhalt bei den Verwandten haben. Das ist auch nachprüfbar. Ich gehe davon aus, dass Abschiebungen, die im Winter durchgeführt werden, keine unnötigen Härten für die Betroffenen mit sich bringen. Sollten allerdings Hinweise auftauchen, dass es zu außergewöhnlichen Härten durch Wintereinflüsse gekommen ist und diese belegbar sind, wird man darauf reagieren. Wir sind nämlich für humane Lösungen. Dann sind Maßnahmen zu ergreifen, die inhumane Abschiebungen verhindern.
Meine Damen und Herren, halten wir fest: Die bundesgesetzlich geltenden Regeln werden von den Behörden in Niedersachsen umgesetzt. Die Möglichkeit der freiwilligen Ausreise, die häufig verweigert wird, ist auch eine Option. Die Vorgaben für die Abschiebungen sind so, wie sie jetzt bestehen, nachvollziehbar und gerecht.
Zu einer Kurzintervention auf den Beitrag von Herrn Götz hat sich Herr Bachmann gemeldet. Sie haben anderthalb Minuten, Herr Bachmann. Bitte schön!
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Götz, ich hätte mich sehr gefreut, wenn Sie sich einmal mit den Ansprüchen, die die Kollegin Frau Dr. Lesemann hier formuliert hat, warum die Roma unter unserem besonderen Schutz stehen sollten, auseinandersetzen und nicht technokratisch antworten würden.
Zum Zweiten hätte ich mir gewünscht, dass Sie die Möglichkeiten, die die Bundesländer nämlich sehr wohl haben, einmal objektiv dargestellt hätten. Das, was wir hier heute an parlamentarischer Initiative ergreifen, ist in Nordrhein-Westfalen geübte Praxis. Es geht also, als vorübergehende Maßnahme zu beschließen, im Winter nicht abzuschieben.
Ich möchte noch eines deutlich machen: Das ist nur ein Hilfsantrag. Ansonsten ist die SPD-Fraktion der Auffassung, dass es insgesamt einen Abschiebestopp geben muss. Das hat Frau Dr. Lesemann ausdrücklich begründet. Wir sind darüber hinaus der Auffassung, dass wir eine neue komplette Härtefall- und Altfallregelung brauchen, die uns in die Lage versetzt, hier integrierten Menschen - Menschen, die hier Kinder bekommen haben und die dieses Land als Heimatland betrachten - auf Dauer eine Chance zu geben, hierzubleiben. Gegenüber den Roma stehen wir in besonderer Verantwortung.
Das ist die grundsätzliche Position unserer Partei. Deswegen kann es nicht angehen, dass wir die Einzelfälle nur über die Härtefallkommission regeln. Das kann die Härtefallkommission gar nicht leisten. Hier ist eine grundsätzlich veränderte Politik erforderlich. Dazu sind Sie offensichtlich nicht bereit.
Das, was wir heute beantragen, ist sozusagen nur ein Hilfskonstrukt, um den Winter zu überbrücken. In NRW geht das!
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Herr Präsident! Ich glaube, uns allen ist klar, dass es sich bei jeder Situation, in der Menschen in ihr Heimatland zurückgeführt werden, um eine für diese Menschen extrem belastende Situation handelt. Diese Feststellung möchte ich meinen Ausführungen voranstellen, weil ich glaube, dass es nicht gerechtfertigt ist, Fraktionen hier in diesem Hause zu unterstellen, man würde damit kaltherzig und technokratisch umgehen. Uns allen ist vielmehr bewusst, dass diese Situation eine große Belastung für die Menschen ist, die in ihr Heimatland zurückgeführt werden, verehrte Kolleginnen und Kollegen und Kollegen.
Ich möchte an dieser Stelle auch sagen, dass diejenigen, die von Abschiebung bedroht sind, nach unserem deutschen Recht vollziehbar ausreisepflichtig sind. Das heißt, dass die Situation, in der
sich diese Menschen befinden, nämlich dass eine Abschiebung angeordnet werden muss, dem Umstand geschuldet ist, dass sie ihrer Pflicht zur Ausreise nicht nachgekommen sind. Ich will hier gleich hinzufügen, dass das die Situation für die Menschen natürlich nicht minder schwierig macht. Aber auch das gehört bei der Betrachtung natürlich zur ganzen Wahrheit dazu, verehrte Damen und Herren.
Wir haben hier gerade gehört - vom Kollegen Bachmann auch noch einmal -, dass NordrheinWestfalen solche Abschiebungen in den Wintermonaten nicht durchführt. Das ist korrekt. Man muss aber der Vollständigkeit halber auch sagen, dass aus Nordrhein-Westfalen insgesamt mehr Menschen in den Kosovo abgeschoben werden als aus Niedersachsen - übrigens auch mehr Roma, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Aus der Sicht der FDP-Fraktion ist es notwendig, dass wir im Asylrecht liberalere Regelungen bekommen. Auch wir, verehrte Kolleginnen und Kollegen, setzen uns natürlich dafür ein, dass wir Regelungen bekommen, die es Menschen, insbesondere denen, die hier geboren sind, insbesondere Jugendlichen, ermöglichen, hierzubleiben. Frau Kollegin Lesemann hat gesagt, dass die Bundesregierung über 10 000 Menschen abschieben will. Tatsache ist natürlich auch, dass diesen Menschen die Regelungen zur Verfügung stehen, die schon heute bestehen. Man kann über die Kriterien dieser Regelungen natürlich streiten. Auch wir sind der Meinung, dass sie angepasst werden sollten. Aber es ist natürlich nicht so, dass wir dort in eine rechtliche Lücke fallen.
Ich möchte zum Abschluss sagen, dass ich der Auffassung bin, dass die Ausländerbehörden vor Ort die Einzelfälle sehr genau prüfen sollten. Wir haben hier schon an verschiedener Stelle darüber diskutiert, wer in solchen Situationen entscheidet. Frau Kollegin Polat, ich möchte hier außerdem sagen, dass es nicht so ist, dass auf irgendeine Art und Weise von Hannover aus Druck gemacht wird, sondern dass das Entscheidungen der Ausländerbehörden vor Ort sind. Ich wünsche mir, dass die Ausländerbehörden vor Ort mit solchen Fällen sehr sensibel umgehen. Ich möchte darüber hinaus deutlich machen, dass den Menschen, die dann in ihre Heimat zurückgeführt werden, natürlich vor Ort Hilfsangebote zur Verfügung stehen. Darüber sollten wir uns im Ausschuss intensiv informieren lassen.
Gestatten Sie mir noch einen Hinweis, weil hier darüber gesprochen wurde, dass Schutzbedürftige nicht abgeschoben werden sollten: Meine Damen und Herren, Schutzbedürftige werden ohnehin nicht abgeschoben, sondern Schutzbedürftige, insbesondere Kranke, wenn eine Erkrankung festgestellt worden ist, bleiben natürlich ebenfalls in Deutschland.
Ich glaube, mit einem sensiblen Umgang mit diesem Thema und einer praktikablen und sensiblen Handhabung vor Ort kann dieses Problem minimiert werden.
(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Klaus-Peter Bachmann [SPD]: Spar- samer Beifall bei der CDU!)
Für eine Kurzintervention auf den Beitrag von Herrn Oetjen hat Frau Polat ums Wort gebeten. Ich erteile Ihnen das Wort, Frau Polat. Anderthalb Minuten!