Protokoll der Sitzung vom 22.02.2012

Schlecker ist kein Einzelfall; ich sagte es bereits. Wir könnten von Netto und Lidl sprechen - oder auch vom ÖPNV. 30 Busfahrer, die bei CeBus in Celle arbeiten, haben zum Jahreswechsel 30 % ihres Lohnes eingebüßt. Er sank für diese Busfahrer von 13,40 Euro auf 8,39 Euro im Wahlkreis von Herrn Bode. Das ist ein weiterer Skandal, der hier auch besprochen werden muss.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, wir brauchen in Niedersachsen einen arbeitsmarktpolitischen Kurswechsel, um gute und sichere Arbeit zu schaffen.

(Glocke des Präsidenten)

Das bedeutet für die Linke - ich komme zum Schluss -: Wir fordern nach wie vor einen gesetzlichen Mindestlohn, einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor, die Abschaffung der Leiharbeit und die Rücknahme der Rente mit 67; denn Menschen müssen von ihrer geleisteten Arbeit leben können, auch im Alter. Und dafür steht die die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Der nächste Redebeitrag kommt von Herrn Schminke für die SPD-Fraktion. Ich erteile Ihnen das Wort, Herr Schminke.

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In Niedersachsen hat der Anteil prekärer Beschäftigung in den vergangenen Jahren dramatisch zugenommen - auch deshalb, weil in den großen Warenhäusern und bei den Discountern wie Lidl, Aldi, Netto, Penny, Kaufland, Real und anderen Niedriglöhne, Minijobs, Leiharbeit und Tarifverstöße an der Tagesordnung sind und dort Leute regelrecht nach gesetzlichen Schlupflöchern suchen, um in immer neuen Formen diese skandalöse Ausbeutung zu betreiben.

Meine Damen und Herren von CDU und FDP, Sie haben tatenlos zugesehen, wie ein Drittel guter Voll- und Teilzeitstellen in den letzten zehn Jahren in 400-Euro-Jobs umgewandelt wurde. Sie erklärten dem erstaunten Publikum doch tatsächlich auch noch, Sie seien begeisterter Anhänger der Tarifautonomie. Auf der anderen Seite akzeptieren Sie sittenwidrige Löhne, Dumpinglöhne, Arbeitgeberwillkür und Rechtsverstöße in Serie bei den Discountern und überall sonst. Das ist die Realität.

Die Realität sieht also anders aus als die heile Scheinwelt, die Sie uns ständig predigen. Die Leiharbeit steigt rasant an. Inzwischen sind weit über 100 000 Menschen in Niedersachsen von Leiharbeit und damit fast ohne Ausnahme von Niedriglohn abhängig, weil Sie in Ihrer christlichen Nächstenliebe von Equal Pay nichts wissen wollen.

Wenn für die Verräumer - das sind die Leute, die bei Rossmann die Kartons auspacken - ein Mindestlohn von 7,79 Euro gilt, dann wird dieser Mindestlohn kurzerhand über Werkverträge und mithilfe christlicher Scheingewerkschaften auch noch ausgehebelt. Der erklärte Wulff-Freund Dirk Roßmann zahlt weit unter 7 Euro, war in der Neuen Presse zu lesen. Solche Leute wie Roßmann predigen einerseits in den Talkshows über Anstand und Moral. Andererseits sperren sie sich gegen anständige Beschäftigung zu auskömmlichen Löhnen, indem sie Beschäftigten Hungerlöhne zahlen. Das ist die Realität, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Schlecker hat es vorgemacht. Aber das System der Lohndrückerei über Leiharbeitsfirmen wurde erkannt. Deshalb wurde einfach umgerüstet. Man

treibt das unwürdige Spiel jetzt mit Werkverträgen und den immer treu ergebenen Erfüllungsgehilfen der christlichen Gewerkschaften, die Sie ja so schätzen, meine Damen und Herren der NochRegierungskoalition.

Der Gesetzgeber - ergo die Bundesregierung - muss endlich handeln; denn eine klare rechtliche Abgrenzung zwischen Leiharbeit und Werkverträgen ist selbst für erfahrene Praktiker enorm schwer und dringend vonnöten. Wir brauchen dringend eine praxistaugliche und gerichtsfeste Abgrenzung. Dieser Abgrenzungskatalog muss dann in das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz aufgenommen und dort festgeschrieben werden, meine Damen und Herren. Nur das bringt uns weiter.

Rechtliche Grenzen sind wichtig. Es gibt Rechtsnormen, die bereits bestehen, beispielsweise das Betriebsverfassungsgesetz und das Arbeitszeitgesetz.

Trotzdem haben wir im Einzelhandel und insbesondere bei den Discountern unhaltbare Zustände zu beklagen. Ver.di beklagt z. B., dass Arbeitnehmer unbezahlte Arbeit leisten. Ich selbst bin als Pate eines Netto-Discounters ebenfalls im Bild

(Reinhold Hilbers [CDU]: Pate? Was ist das denn für eine Aufgabe?)

und weiß durch Gespräche, was den Leuten auf der Seele brennt. Die Beschäftigten schämen sich oft, überhaupt über ihr Schicksal zu reden. Da wird von Vorgesetzten enormer Druck aufgebaut. Es gibt psychischen Druck. Die Leute werden fertiggemacht. Krankheit begegnet man mit Telefonterror. Scheinheilig wird nach der Erkrankung gefragt.

(Ernst-August Hoppenbrock [CDU]: In welchem Land leben Sie eigentlich?)

Ruhezeiten werden nicht eingehalten, weil Leute fehlen. Die Frauen - zumeist sind es Frauen; und auch das ist diskriminierend - werden genötigt, jeden Tag 20 Minuten vor Arbeitsbeginn am Arbeitsplatz zu sein - unbezahlt natürlich.

(Reinhold Hilbers [CDU]: Wo haben Sie das nur gelesen?)

Dabei handelt es sich eindeutig um strafbare Handlungen. Das ist Steuerbetrug sowie Lohn- und Sozialversicherungsbetrug - die ganze Palette, meine Damen und Herren.

Wir müssen die Betroffenen deshalb auffordern, und zwar schnellstens auffordern, als Erstes ein

mal in die Gewerkschaften einzutreten, und zwar in die anständigen Gewerkschaften,

(Beifall bei der SPD und Zustimmung von Enno Hagenah [GRÜNE] - La- chen bei der CDU und bei der FDP)

die zuständig sind, z. B. ver.di, aber auch IG BAU, IG Metall und andere DGB-Gewerkschaften. Das sind die anständigen - aber nicht Ihre Tarifakrobaten von Gottes Gnaden. Diese christlichen Seelenverkäufer meinen wir ausdrücklich nicht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD - Reinhold Hilbers [CDU]: Leute wie Sie schrecken die Menschen davon ab, beizutreten! - Zuruf von Ernst-August Hoppenbrock [CDU])

Viele sind bereits heute Aufstocker, weil der Verdienst zum Leben nicht reicht. Später werden diese Leute auch noch bei der Rente subventioniert werden müssen, Herr Hoppenbrock. Die Spirale von Roßmanns Niedriglohn ist unwürdig. Sie sorgt schon heute für schlimmste Armut in den Familien. Die Menschen sind trotz vollschichtiger Arbeit bettelarm.

Das ist aber auch das Spiegelbild Ihrer unsozialen Politik, meine Damen und Herren. Darum werden wir alles Menschenmögliche tun, um Sie hier aus der Verantwortung herauszuholen. Ihre Politik steht für Niedriglohn - und den wollen wir nicht.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Für die FDP-Fraktion hat jetzt Frau König das Wort. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um auf Ihre Frage einzugehen, stelle ich hier erst einmal die Definition auf: Was ist mit prekär in Ausdehnung auf atypisch denn eigentlich gemeint? - Alles, was nicht zu Normalarbeitszeit gehört, ist atypisch. Darunter fallen Teilzeitbeschäftigte mit 20 Arbeitsstunden oder weniger pro Woche, also klassische Halbtagsjobs, ebenso wie geringfügig Beschäftigte, befristet Beschäftigte, auch Saisonarbeiter genannt, und Zeitarbeitsverhältnisse.

Wir müssen also erst einmal unterscheiden, wer denn ein solches Arbeitsverhältnis eingeht, statt alles negativ zu pauschalieren und ins Prekäre zu

übertragen. Sind hier möglicherweise absichtlich gewählte Arbeitsformen genannt, die es etwa Müttern von kleinen Kindern ermöglichen, ihre beruflichen und persönlichen Interessen zu vereinbaren? Oder sind es vielleicht auch Hinzuverdienstmöglichkeiten bereits im vollberuflichen Arbeitsverhältnis Stehender?

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Weil sie hinzuverdienen müssen!)

Sind es Studenten? Sind es Frührentner? Leben diese Menschen im Verbund mit Familien oder Lebensgefährten? Und vor allem: Sind sie in der Lage, einen vollen Arbeitsplatz einzunehmen?

Vor diesem Hintergrund müssen wir abwägen, wie wir die Menschen am Arbeitsleben teilnehmen lassen.

Wir haben auch eine Ankündigung des Mittelstandes auf einen Stellenzuwachs in der Wirtschaft, der ein zusätzliches Plus von ca. 40 % ausmacht. Das sollte die Lage innerhalb der nächsten Jahre noch einmal stark verbessern. Darauf müssen wir auch hinweisen.

Wir spüren heute schon, dass der rasante Zuwachs der Zeitarbeit abflacht und dort eine große Fluktuation zu verzeichnen ist. Das wird sich unter dem Aspekt des Fachkräftemangels weiter verstärken; denn Zeitarbeit oder Arbeitnehmerüberlassung ist, auch wenn sie derzeit stark zugenommen hat, keine Langzeitstrategie. Im ersten Halbjahr 2011 wurden beispielsweise 580 000 neue Arbeitsverträge in der Branche abgeschlossen. Es wurden aber auch 569 000 Arbeitsverhältnisse beendet. Einen Zuwachs an Arbeitslosen in der Größe hat es in dieser Zeit aber nicht gegeben. Also müssen die Betreffenden irgendwo geblieben sein. Sie können sich ja nicht in Luft auflösen. Von daher ist es falsch, zu sagen, dass das prekäre oder atypische Beschäftigungen sind. Vielmehr sind das Beschäftigungen im Übergang zu einer Vollzeitarbeitnehmerschaft.

(Zustimmung bei der FDP - Lachen bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Olaf Lies [SPD]: Die Abschaffung des Synchronisations- verbots ist doch das Problem!)

Auch wenn Sie das nicht wahrhaben wollen: Es ist so.

(Zurufe von der SPD, von den GRÜ- NEN und von der LINKEN: Wo leben Sie denn?)

Allerdings - da bemerken wir einmal mehr den Einfallsreichtum einer besonders gewieften Klientel - gibt es auch bei dieser Regelung - wie immer und überall bei Gesetzen - ein Hintertürchen.

(Ursula Weisser-Roelle [LINKE]: Un- glaublich!)

Das haben die natürlich aufgemacht.

(Enno Hagenah [GRÜNE]: Wer hat die Tür aufgemacht?)

Das betrifft auch die sogenannten Werkverträge all derjenigen, die ganze Arbeitsmodule auslagern, durch unseriöse Unternehmen Arbeitskosten minimieren und Verantwortung ablehnen.

(Enno Hagenah [GRÜNE]: Machen wir die Tür doch wieder zu! - Kreszen- tia Flauger [LINKE]: Das wollten Sie doch so! Das haben Sie doch gewollt und gefördert! - Ursula Weisser- Roelle [LINKE]: Das fördern Sie doch mit Ihrem Gesetz!)

Hier gilt es, besonders auf die Verträge zu schauen und sie einer kritischen Überprüfung zu unterziehen.