Protokoll der Sitzung vom 23.02.2012

In Vorbereitung auf diese Beschlussempfehlung haben wir eine mündliche und eine schriftliche Anhörung durchgeführt. Wenn ich richtig gezählt habe, haben ungefähr 14 Institutionen an dieser mündlichen Anhörung teilgenommen. Es hat mehr als 20 umfangreiche schriftliche Stellungnahmen gegeben. An dieser Stelle einen herzlichen Dank an die Vertreter von Hochschulen, Erwachsenenbildung und Wirtschaft, die sich an dieser Anhörung beteiligt haben!

Jetzt wird Niedersachsen seine Hochschulen also für diejenigen noch weiter öffnen, die keine traditionelle Zugangsberechtigung - sprich: das Abitur - haben. Wir werden das ausbauen. Ich möchte das Maßnahmenpaket, das wir hier auf den Weg gebracht haben - einige Maßnahmen laufen ja schon -, in vier Blöcken zusammenfassen:

Im ersten Block geht es um das Schnittstellenmanagement. Wie verbessern wir die Vorbereitung auf das Studium? Wie binden wir die Erwachsenenbildungseinrichtungen besser ein? Wir wollen die Anrechnungsmöglichkeiten und die Anrechnungsstandards besser darstellen, damit die Kompetenzen, die im Beruf gewonnen wurden, auf das Hochschulstudium angerechnet werden. Gleichzeitig muss natürlich die Qualität des Studiums gewahrt bleiben.

Eine gewisse Schwierigkeit besteht darin, dass die Vielfalt der Berufsausbildungsgänge und der Studiengänge die Etablierung von Standards deutlich erschwert. Hier werden wir aber einen Weg finden.

Das ist für die Berufstätigen besonders wichtig, da das Studium durch die Anrechnung erheblich verkürzt werden kann.

Im zweiten Block geht es um strukturelle Veränderungen, die im Wesentlichen an den Hochschulen geleistet werden müssen. Ich denke hier an Teilzeitstudien und an berufsbegleitende, an modularisierte Studiengänge sowie an duale Studiengänge. Auch der Ausbau des Fernstudiums kann in diesem Bereich hilfreich sein. Hier gibt es ja sehr gute Beispiele auch aus dem Bereich der privaten Fachhochschulen.

Im dritten Block möchte ich die Anreize zusammenfassen. Wir müssen auch in den Zielvereinbarungen für die Hochschulen deutlich mehr darauf achten, dass sich bei diesem Thema auch bei den Zulassungszahlen ein angemessener Wert widerspiegelt. Auch beim BAföG kann man sicherlich noch das eine oder andere machen.

Nun zum vierten Block. Man muss immer über das Gute, das man macht, reden. Dabei geht es um die Maßnahmen der Kommunikation, der Werbung, der Beratung und der Öffentlichkeitsarbeit. Auch eine zugängliche Onlinedatenbank könnte man diesem Bereich zuordnen. Mit einer solchen Onlinedatenbank könnte es den Berufstätigen wesentlich einfacher gemacht werden, zu erkennen, welche beruflichen Qualifikationen sie auf welches Studium an welcher Hochschule anrechnen lassen können. Auch so erreichen wir eine vollständige Transparenz.

Gerade in diesem Bereich lassen wir der guten Politik auch Taten in Form von Finanzmitteln folgen. Das Land Niedersachsen stellt dem Bereich Offene Hochschule knapp 1 Million Euro jeweils in den Haushaltsjahren 2012 und 2013 zur Verfügung, sodass Niedersachsen in diesem Bereich auch künftig weiter spitze bleiben wird.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich erteile jetzt der Kollegin Dr. Andretta das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im April vergangenen Jahres titelte die Hannoversche Allgemeine Zeitung: „Stell Dir vor, es ist Aufschwung - und die dafür nötigen Leute fehlen“. Dieses Szenario ist leider sehr real. Fachkräftemangel gibt es inzwischen in vielen Branchen und Berufen. Vor

allem Akademiker und Akademikerinnen werden gesucht. Bislang nehmen bundesweit 38 % eines Jahrgangs ein Studium auf, in Niedersachsen sind es sogar nur knapp über 30 %. Das reicht bei Weitem nicht aus.

Vorhandene Bildungsreserven müssen deshalb besser mobilisiert werden. Vor allem muss die Durchlässigkeit im Bildungssystem verbessert werden. Dazu will die Offene Hochschule einen Beitrag leisten. Deshalb haben wir keinen Zweifel: Die Offene Hochschule wird unsere Hochschule der Zukunft sein.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, es ist deshalb ein gutes Signal, wenn wir heute hier im Landtag den von CDU, FDP, Grünen und SPD gemeinsam getragenen Antrag verabschieden. Dafür möchte ich mich stellvertretend bei meinen Kolleginnen Frau Heinen-Kljajić und Frau Below-Neufeldt und stellvertretend bei Herrn Hillmer und Herrn Siemer herzlich für die gute Zusammenarbeit und für die Bereitschaft bedanken, an dieser für unser Land so wichtigen Frage an einem Strang zu ziehen. In diesen Dank möchte ich auch ausdrücklich das Ministerium einschließen, das dieses Projekt engagiert verfolgt.

Meine Damen und Herren, Niedersachsen - Herr Siemer hat darauf hingewiesen - hat schon früh begonnen - damals mit der Immaturenprüfung -, die Hochschulen für Nichtabiturienten zu öffnen. Es war damals noch einmal ein Meilenschritt, als die SPD-Vorgängerregierung 2002 mit der Novellierung des Hochschulgesetzes die Hochschulen für Meister, Techniker und Fachwirte öffnete. Diese Berufsgruppe darf hier in Niedersachsen uneingeschränkt studieren.

Diese Pionierrolle Niedersachsens ist dann mit dem KMK-Beschluss vom März 2009 bestätigt und ausgebaut sowie anschließend mit der Novellierung des Hochschulgesetzes 2010 umgesetzt worden. Deshalb ist es heute möglich - Sie wissen es -, auch mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung und drei Jahren anschließender Berufspraxis fachgebunden zu studieren.

Mit dieser Öffnung - dessen muss man sich wirklich einmal vergewissern - wurde erreicht, dass heute mindestens 70 % eines Altersjahrgangs eine formale Zugangsberechtigung zu unseren Hochschulen haben. Das ist ein enormes Potenzial. Doch dieses Potenzial liegt weitgehend brach.

Unser gemeinsames Ziel muss es sein, dieses Potenzial zu aktivieren.

(Beifall bei der SPD)

Haben Sie jetzt keine Ängste: Die SPD sagt nicht, dass dann alle studieren sollen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Anteil von 5 % bei den Studienanfängern wäre aber schon ein gewaltiger, riesiger Erfolg. Heute sind es gerade einmal 1,5 %. Das waren im letzten Wintersemester 417 Studierende. Das ist definitiv zu wenig.

(Beifall bei der SPD)

Wir wissen, es reicht nicht aus, die Hochschulen formal für beruflich Qualifizierte zu öffnen. Ein Hochschulstudium muss auch attraktiv sein. Genau daran hapert es, und genau das wollen wir zusammen ändern. Was ist also zu tun? Wo sind die größten Hürden?

Herr Siemer hat bereits darauf hingewiesen: Wir haben eine zweitägige höchst spannende Expertenanhörung durchgeführt. Bei den Betroffenen, bei den Verbänden, Kammern und Hochschulen herrschte große Unsicherheit hinsichtlich der Frage, welcher Ausbildungsberuf zum Studium welchen Faches berechtigt.

Eine Blackbox scheint nach wie vor die Anrechnungspraxis zu sein. Welche Leistungen und Kompetenzen aus der beruflichen Tätigkeit und bestandenen Fortbildungsprüfungen werden in welchem Umfang auf ein Studium angerechnet? Wer entscheidet nach welchen Kriterien darüber?

Auch die Zulassungskriterien der Hochschulen sind nicht immer transparent. Es gibt Hochschulen - das muss man auch kritisch anmerken -, die ihre Autonomie bei der Hochschulzulassung dazu nutzen, um die im Gesetz geschaffenen erweiterten Zugangsregelungen durch hohe Hürden bei der Zulassung auszuhebeln. Auch da müssen wir gegensteuern.

Auch die Angebote der Hochschulen müssen stimmen. Studienformate orientieren sich heute immer noch fast ausschließlich am Leitbild eines Vollzeitstudierenden: jung, ledig, mit Abitur, Papa zahlt. Angebote, die den speziellen Bedürfnissen der Zielgruppe der im Beruf stehenden Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen gerecht werden, fehlen. Wir brauchen also - da besteht Konsens - echte Teilzeitstudienangebote, berufsbegleitende Studiengänge mit Lehrveranstaltungen am Abend und auch einmal am Wochenende. Denn welches kleine oder mittelständische Unternehmen lässt

schon gerne seine Fachkräfte für zwei, drei Jahre aus der Firma heraus zum Studieren an die Uni, und welcher Arbeitnehmer bzw. welche Arbeitnehmerin kann sich das leisten?

Im Antrag werden weitere konkrete Maßnahmen vorgeschlagen. Ich möchte hier nur kurz auf drei Punkte eingehen, die uns, der SPD-Fraktion, besonders am Herzen liegen:

Erstens. Das Projekt Offene Hochschule wird nur dann ein Erfolg, wenn es gelingt, die wichtigen Akteure aus Politik und Wirtschaft, die Hochschulen, die Einrichtungen der Erwachsenenbildung und die berufsbildenden Schulen - alle gemeinsam - ins Boot zu holen. Einen breiten Konsens braucht man vor allem auch bei der Anerkennung und Anrechnung von im Beruf erworbenen Kompetenzen. Diesen Konsens, meine Damen und Herren, sehen wir durch die Entscheidung der Ministerin gefährdet, die Aufgabe der Koordinierung der gegenseitigen Anerkennung einer einzelnen Einrichtung für Erwachsenenbildung übertragen zu wollen, nämlich dem Bildungswerk der Niedersächsischen Wirtschaft. Wir appellieren erneut an Sie, Frau Ministerin, das in Niedersachsen bewährte Prinzip der Pluralität in der Erwachsenenbildung nicht aufzukündigen.

(Beifall bei der SPD)

Zweitens. Neben einfachen Zugangsverfahren fehlt es auch an einer besseren finanziellen Förderung der Studenten und Studentinnen ohne Abitur, die häufig älter sind und schon Familie haben. Als erster Schritt muss die Altersgrenze beim BAföG fallen. Ich begrüße sehr, dass sich CDU und FDP hier bewegt und unserer Forderung nach Aufhebung der Altersgrenze beim BAföG zugestimmt haben.

Drittens. Die SPD will auch neue Wege im Bildungssystem gehen. Unser Ziel ist es, eine echte Gleichwertigkeit von beruflicher und allgemeiner Bildung zu erreichen. Dabei sind die Schweiz und Österreich für uns Vorbild, die ein System der dualen Ausbildung kennen, das dem unseren ähnelt. In der Schweiz und in Österreich besteht für junge Menschen in der dualen Ausbildung die Möglichkeit, ausbildungsbegleitend an der Berufsschule ein Berufsabitur zu erwerben, das dann uneingeschränkt zum Hochschulzugang berechtigt. Ich begrüße es sehr, dass die Regierungsfraktionen sich unserem Vorschlag nicht länger verschlossen haben und einer Prüfung dieses Modells für Niedersachsen zugestimmt haben.

Mit der Einführung eines Berufsabiturs würden wir nicht nur die Durchlässigkeit im Bildungssystem erhöhen. Es wäre, liebe Kolleginnen und Kollegen, das entscheidende Signal für die Gleichwertigkeit von beruflicher und allgemeiner Bildung - eine Gleichwertigkeit, die die KMK bei der Einordnung der Abschlüsse in den deutschen Qualifikationsrahmen verweigert hat. Diese Entscheidung war in meinen Augen ein großer Rückschritt. Die KMK steht aber auch nicht immer für Fortschritt in diesem Lande, Herr Althusmann.

Meine Damen und Herren, Bildungswege nicht länger als Sackgassen zu konzipieren, ist wohl die größte Herausforderung unseres Bildungssystems. Die Offene Hochschule kann dazu einen wichtigen Beitrag leisten. Ich finde, dafür lohnt es, gemeinsam zu streiten.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Ich erteile jetzt der Kollegin Dr. Heinen-Kljajić das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was lange währt, wird endlich gut. Wir freuen uns, dass die Einreichung unseres Antrages vor einem Jahr für alle anderen Fraktionen hier im Hause den Anstoß gegeben hat, mit eigenen Vorschlägen in die Debatte um die Offene Hochschule einzusteigen.

Nach einer großen Anhörung und diversen Abstimmungsrunden zwischen CDU, FDP, SPD und meiner Fraktion, für deren konstruktiven Verlauf auch ich mich hier bei den beteiligten Personen bedanken möchte, ist es jetzt sogar gelungen, sich auf einen interfraktionelle Beschlussempfehlung zu einigen. Das ist ein gutes Signal an alle diejenigen, die wir ohne Abitur aufgrund ihrer Berufsausbildung oder ihrer Berufspraxis an unsere Hochschulen holen wollen. Es ist aber auch eine Aufforderung an die Hochschulen, sich das Leitbild der Offenen Hochschule zu eigen zu machen und entsprechende Umsetzungsstrategien zu entwickeln.

Nun liegt es in der Natur der Sache, dass in der Kompromissformel einer gemeinsamen Entschließung nicht alle Fraktionen alle Forderungen haben durchsetzen können. Es gab aber vier zentrale Punkte, von denen wir unsere Zustimmung zu dem

gemeinsamen Papier abhängig gemacht haben und auf die ich kurz eingehen möchte.

Schon in unserem Ursprungsantrag haben wir den Fokus auf eine enge Kooperation zwischen Hochschulen und den Einrichtungen der Erwachsenenbildung gelegt. Sie sind die geborenen Brückenbauer zur Klientel, die wir bisher so gut wie gar nicht erreichen. Nur 1,5 % der Studienanfänger in Niedersachsen beginnen alleine aufgrund beruflich erworbener Kompetenzen ein Studium. Andere Bundesländer - hier muss ich Herrn Siemer einmal korrigieren - wie Nordrhein-Westfalen und Hessen laufen Niedersachsen längst den Rang als Vorreiter beim Konzept Offene Hochschule ab, jedenfalls wenn es um den Anteil der so Qualifizierten an der Gesamtheit der Studienanfänger geht.

Das zeigt: Nur weil das Hochschulgesetz das Tor für ein Studium ohne Abitur breit öffnet, ändert sich erst einmal noch nichts am Bildungsverhalten der Menschen. Hier kann die Erwachsenenbildung den Kontakt zur Zielgruppe herstellen; denn nur wer Weiterqualifizierung bereits als Chance erfahren hat, die ihn selbst im Berufsleben weitergebracht hat, traut sich in einen Vorlesungssaal. Deshalb müssen die Hochschulen lernen, dass die Erwachsenenbildung als traditionelle Expertin in Sachen Durchlässigkeit des Bildungssystems ihr Verbündeter beim Konzept Offene Hochschule ist.

Sie müssen bei der Vorbereitung auf ein Studium und bei Brückenangeboten zu Beginn des Studiums zu Kooperationspartnern werden. In der Praxis haben sie längst bewiesen, dass sie das können. Damit diese Kooperation aber nicht die Ausnahme bleibt, sondern das gesamte Potenzial der Erwachsenenbildung flächendeckend und vor allen Dingen anbieterübergreifend genutzt werden kann und damit sichergestellt ist, dass die Angebote tatsächlich beim Einstieg in ein Studium helfen, war es uns wichtig, dass zwischen Landeshochschulkonferenz, der Agentur für Erwachsenenbildung und den Kammern verbindliche Qualitätsstandards für die eben angesprochenen Angebote vereinbart werden.

Bei der Suche nach einem Partner für eine vom MWK geplante „Steuerungsstelle Offene Hochschule“ - an dieser Stelle möchte ich die Ausführungen der Kollegin Andretta ausdrücklich unterstreichen - warnen auch wir davor, eine Lösung zu finden, die nicht im Konsens zwischen allen Beteiligten entschieden wird. Wir müssen alle mit ins Boot nehmen, wenn wir unsere Hochschulen öffnen wollen, sonst lassen wir Potenziale brach

liegen. Wir hätten uns gewünscht, man hätte sich hier auf die Agentur für Erwachsenenbildung als Schnittstelle einigen können.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Ein weiterer wichtiger Punkt in der gemeinsamen Beschlussempfehlung ist die Forderung nach der Entwicklung transparenter Anrechnungsverfahren zwischen Hochschulen und Bildungsträgern. Eine bundeseinheitliche Lösung wäre hier sicherlich wünschenswert, aber wir wollen nicht länger warten, sondern auf Landesebene mit gutem Beispiel vorangehen, wobei hier in der Praxis sicherlich die größte Herausforderung liegt.