Protokoll der Sitzung vom 23.02.2012

Frau Flauger, es kann vorkommen, dass auch ein Innenminister zu spät kommt. Wichtiger ist mir, dass er so manche Dinge einmal bemerkt und darüber nachdenkt.

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Stephan Siemer [CDU]: Wir haben einen sehr guten Innenminister!)

Das kann er natürlich nur, wenn er bei einer so wichtigen Debatte von Anfang an dabei ist.

(Beifall bei der LINKEN - Jens Nacke [CDU]: Für die wichtigen Beiträge ist er ja hier!)

Herr Schünemann, herzlich willkommen!

Somit besteht das Grundproblem trotz zweier Bleiberechtsregelungen der Innenministerkonferenz, eines Verlängerungsbeschlusses, einer gesetzlichen Regelung und einer zusätzlichen Regelung für Jugendliche fort. Immer noch leben 50 000 Menschen ohne Aussicht auf ein Aufenthaltsrecht länger als sechs Jahre in Deutschland. In Niedersachsen sind es mehr als 10 000 Personen.

Es ist schon bemerkenswert, mit welcher stoischen Ignoranz CDU und FDP und die Landesregierung

diesem Problem begegnen. Aus diesem Grund sind die Forderungen unseres Antrages weiterhin mehr als aktuell und bedürfen einer sofortigen Umsetzung, um endlich Tausenden in unserem Land lebenden Menschen eine sichere Perspektive zu geben.

(Beifall bei der LINKEN)

Eine neue Bleiberechtsregelung darf nicht an einen Stichtag geknüpft sein. Das haben wir hier schon ganz oft besprochen. Sie muss fortlaufend die Aufenthaltsdauer der Betroffenen zur Voraussetzung machen.

Die bisherigen hohen Anforderungen an die Lebensunterhaltssicherung sind grundsätzlich in Frage zu stellen und dürfen keine Ausschlussgründe für ein Bleiberecht sein. Allein die Schwierigkeit, mit einer befristeten Aufenthaltsperspektive überhaupt einen lebensunterhaltenden Beruf zu finden, ist eine erhebliche Hürde. Sämtliche Studien zu Zugangschancen zum Arbeitsmarkt zeigen deutlich, dass insbesondere Migrantinnen und Migranten und ganz besonders Flüchtlinge unter starker Diskriminierung leiden. Folglich darf auch eine mögliche Erwerbslosigkeit kein Grund sein, einen seit Jahren hier lebenden Menschen oder gleich die gesamte Familie regelrecht aus dem Land zu werfen.

(Beifall bei der LINKEN)

Eine Bleiberechtsreglung darf nicht zur Familientrennung führen. Eine Regelung, die die Ausreise der Eltern zur Voraussetzung für das Bleiberecht des Kindes macht, ist mit dem Schutz der Familie und dem Grundgesetz nicht vereinbar.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, der Änderungsantrag der Grünen greift nochmals grundsätzliche Aspekte auf, zielt im Grundsatz in die richtige Richtung und findet deshalb auch unsere Zustimmung.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)

Für die CDU-Fraktion hat sich Frau Jahns zu Wort gemeldet. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bleiberecht, Asylrecht, Ausländerpolitik, das sind The

men, die mit Fingerspitzengefühl behandelt werden müssen und die natürlich sehr sensibel sind.

Ich darf an dieser Stelle einmal betonen, dass gerade auch in Deutschland Menschen aufgenommen werden, die in anderen Ländern Probleme haben, die hier Toleranz begegnen und die in Deutschland einer Betreuung entgegensehen, die im Vergleich zu vielen anderen Ländern sicherlich einmalig ist. Das gilt natürlich auch für Niedersachsen.

Ich weiß nicht, ob Sie gerade vor ein paar Tagen in der Zeitung gelesen haben - da spreche ich insbesondere die SPD-Fraktion an -, dass die sozialdemokratische Justizministerin der Schweiz in Zukunft die Bedingungen für Entwicklungshilfe an die Unterstützung der betroffenen Heimatländer, bei der Rückführung der abgelehnten Asylbewerber ebenfalls mitzuhelfen, knüpfen wird. Meine Damen und Herren, so etwas über eine sozialdemokratische Politikerin zu lesen, hat uns schon einigermaßen in Erstaunen versetzt.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, die beiden Anträge von den Linken und von Bündnis 90/Die Grünen beschäftigen sich insbesondere mit dem Bleiberecht und dessen Handhabung in Niedersachsen. Im Ausschuss ist uns mitgeteilt worden, dass auf der Innenministerkonferenz beschlossen wurde, die Verlängerung der Bleiberechtsregelung, wie sie zurzeit gesetzlich vorgesehen ist, auch in Niedersachsen weiter durchzuführen. Das können die Länder unterschiedlich handhaben. Aber wir sind in Niedersachsen bisher mit unserem Innenminister und der hier durchgeführten Praxis sehr gut gefahren.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Klaus-Peter Bachmann [SPD]: Na, na, na!)

Ich weiß natürlich, dass Sie das anders sehen. Aber ich denke, man muss auch einmal Folgendes deutlich machen: Sie stellen Forderungen auf. Sie werfen uns vor, dass die Abschiebungen bzw. die Bleiberechtsregelungen nach Nützlichkeitserwägungen und nach Kostenkalkül durchgeführt werden. Meine Damen und Herren, das weisen wir eindeutig zurück.

(Beifall bei der CDU)

Verehrte Frau Kollegin Jahns, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein. - Wir sind ein humanitäres Land. Sie werden sicherlich anerkennen: Wenn es so schwierig wäre, mit den Dingen umzugehen, um in Niedersachsen für Menschen, die in Not sind, etwas zu tun, dann würde es kaum 10 000 Menschen geben, die mit einem Bleiberecht in Niedersachsen leben.

(Beifall bei der CDU)

Im Rahmen der Anhörung haben wir von fünf Verbänden schriftliche Stellungnahmen entgegengenommen, in denen sie ihre Meinungen zum Ausdruck gebracht haben. Natürlich haben sich auch die kommunalen Spitzenverbände zu den Anträgen der Fraktion der Linken und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen geäußert. Sie haben insbesondere darauf hingewiesen, dass es 1994 und 1995 schon einmal Veränderungen gegeben hat, weitere, großzügigere Regelungen.

(Zuruf von der SPD: Großzügig?)

Danach hat eine Kommune verschiedentlich erheblich mehr zahlen müssen. Insbesondere bei den Lebensunterhaltssicherungen sind weitere, großzügigere Regelungen geschaffen worden, sodass diese Kommunen - das wurde dort als Beispiel angeführt - für zwei Jahre insgesamt mehr als 5 Millionen Euro zahlen mussten. Während einer CDU/FDP-Mehrheit wurde die Konnexität eingeführt. Man muss also auch daran denken, wie die Kosten letztendlich getragen werden.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, Sie fordern eine stichtagsunabhängige Regelung. Man kann natürlich viele Forderungen stellen. Sie wollen, dass wir uns mehr um ein Bleiberecht für kranke, ältere bzw. behinderte Menschen kümmern. Sie wollen, dass wir die restriktiven Ausnahmeregelungen aufheben. Das alles kann man fordern, und dazu haben Sie natürlich auch die Unterstützung des Flüchtlingsrates, Sie haben die Unterstützung der Kirchen, obwohl ich an dieser Stelle auch darauf hinweisen darf, dass sich gerade das Katholische Büro sehr positiv geäußert hat, indem es gesagt hat, in den vergangenen Jahren seien schon sehr viele positive Entscheidungen getroffen worden, gerade was das Aufenthaltsrecht oder das Bleiberecht von jungen Menschen betreffe. Auch dort sind wir einen Schritt weiter vorangekommen. Ich denke, dass das eine sehr positive Entwicklung ist.

Insgesamt ist festzustellen, dass das Bleiberecht und auch das Asylrecht Bundesaufgabe sind. Wir

erfüllen nur die rechtlichen Regelungen, die uns aufgegeben sind. Auch die Kommunen halten sich an Recht und Gesetz. Die kommunalen Spitzenverbände haben noch einmal darauf hingewiesen, dass sie selbstverständlich humanitäre Gründe in ihre Entscheidungen einfließen lassen und dass die Entscheidungen nachgeprüft werden können. Das heißt, jeder Einzelfall ist durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit überprüfungsfähig.

Meine Damen und Herren, in den vergangenen Jahren hat sich natürlich das eine oder andere Einzelschicksal dargestellt, das auch für uns schwer nachzuvollziehen ist. Aber ich darf noch einmal auf Folgendes hinweisen: Wenn es so schwierig ist, hier in Deutschland zu leben, warum wollen dann so viele Menschen nach Deutschland kommen?

(Zuruf von Sigrid Leuschner [SPD])

- Sie wissen das ganz genau. Wir waren mit dem Innenausschuss in Italien. Wir haben uns die Insel Lampedusa und die dortigen Verhältnisse angeschaut. Lassen Sie sich einmal von den Menschen berichten, die dort aufgenommen werden, und dann lassen Sie sich von den Menschen berichten, die in Deutschland aufgenommen werden! Das ist ein himmelweiter Unterschied.

(Beifall bei der CDU)

Ich habe es gesehen. Ich habe auf Lampedusa die Erfahrung machen können, wie die Menschen dort aufgenommen werden und wie sie untergebracht sind.

(Sigrid Leuschner [SPD]: Wann warst du denn auf Lampedusa?)

- Ja, natürlich waren wir da. Selbstverständlich.

(Zurufe von der SPD)

- Trotzdem gibt es dort andere Aufnahmekriterien als bei uns. Das wollen Sie ja wohl nicht abstreiten.

Meine Damen und Herren, die CDU tritt selbstverständlich für eine humanitäre Bleiberechtsregelung ein. Wir wollen natürlich auch, dass den Menschen möglichst Gerechtigkeit zuteil wird.

Frau Kollegin Jahns, eine Zwischenfrage ist noch - - -

Nein. - Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland mittlerweile sehr viele Mittel auch für die In

tegration eingesetzt. Ich hoffe, dass auch die Vorstöße von Nordrhein-Westfalen, die auf Bundesebene laufen, bzw. der Gesetzentwurf, der von Schleswig-Holstein, einer CDU-geführten Regierung, eingebracht wurde, auf Bundesebene diskutiert werden. Wir werden sehen, ob es Chancen für eine veränderte Bleiberechtsregelung gibt. Hier in Niedersachsen haben wir zurzeit keine Möglichkeit, und deswegen werden wir Ihre beiden Anträge ablehnen.

Danke schön.