1. Mit welchen wissenschaftlichen Methoden, unter welcher Federführung und in welchem zeitlichen Turnus gedenkt die Landesregierung die Daten für den in den Statistischen Monatsheften Niedersachsen (Ausgabe 12/2007) angekündigten Armuts- und Reichtumsbericht zu erheben und auszuwerten?
2. Welche konkreten politischen Maßnahmen und welche Schwerpunktsetzung erachtet die Landesregierung zur Armutsbekämpfung in Niedersachsen im Spiegel der bisher erhobenen Daten kurz-, mittel- und langfristig für notwendig?
3. Wie bewertet die Landesregierung Anstrengungen sowohl auf Bundes-, Landes- als auch kommunaler Ebene, den gesellschaftlichen und individuellen Reichtum durch steuerpolitische Maßnahmen von oben nach unten umzuverteilen, und welche Position vertritt sie im Bundesrat?
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Landesregierung hat einmalig im September 1998 einen Bericht über die Entwicklung von Armut und Reichtum in Niedersachsen vorgelegt. Dargestellt waren darin Informationen und ihre Bewertung zur Armutslage in
Niedersachsen. Allein die Beschreibung der Lebenslagen hat dabei breiten Raum eingenommen. Insgesamt stand der Bericht im damaligen Kontext der Armutsdiskussion.
Heute ist die Entwicklung weiter. Es gibt zahlreiche Untersuchungen und Analysen, die sich mit Armutsrisiken, sozialer Ausgrenzung und Armutsbekämpfung beschäftigen. Zuletzt hat die Bundesregierung den 3. Armuts- und Reichtumsbericht vorgelegt, der am 25. Juni 2008 vom Bundeskabinett verabschiedet worden ist. Auch die statistischen Ämter auf Landes-, Bundes- und Europaebene beschäftigen sich mit Themen wie Einkommensverteilung, Armutsrisikoquoten und Vermögensverteilung.
In Niedersachsen gibt es auf Landesebene im Rahmen der regelmäßigen Berichterstattung des statistischen Landesamtes, also des Landesbetriebs für Statistik und Kommunikationstechnologie, abgekürzt LSKN, jährlich Ausführungen über die Entwicklung von Armut und Reichtum in Niedersachsen und Deutschland. Unabhängig von dieser Berichterstattung wollen wir durch eine handlungsorientierte Sozialberichterstattung Handlungsansätze aufzeigen, um chancengleich allen Kindern Bildung und Teilhabe zu ermöglichen. Hierzu stehen wir derzeit mit der Wohlfahrtspflege, den Familienverbänden und den kommunalen Spitzenverbänden im Gespräch.
Zu 1: Der LSKN erhebt und veröffentlicht die Daten im Rahmen seiner regelmäßigen Berichterstattung. Danach gibt es insgesamt einen Rückgang der relativen Armutsquote in Niedersachsen im Zeitraum der Jahre 2006 zu 2005 um 0,3 Prozentpunkte, d. h. von 14,3 auf 14 %. Die Quoten liegen leicht unter dem Bundesdurchschnitt.
Bei dem Abschnitt in der Ausgabe 12/2007 der Statistischen Monatshefte Niedersachsen, der sich mit Perspektiven einer künftigen Berichterstattung beschäftigt, handelt es sich um einen wissenschaftlichen Diskussionsbeitrag der Autoren. Die wichtigste Datenquelle für den Armuts- und Reichtumsbericht ist der Mikrozensus, der im Jahr 2005 umgestellt wurde. Bisher bestand technisch keine Zugriffsmöglichkeit auf Einzeldaten, sondern nur auf Tabellen. Nunmehr ist ein Zugriff auf Einzeldaten möglich. Individualdaten des Mikrozensus können differenziert ausgewertet werden. Diese Verbesserung der Analysetechnik war Anlass für den LSKN, die Methoden für den Armuts- und Reich
tumsbericht zu überdenken. Der LSKN ist derzeit bestrebt, die Methodendiskussion in Abstimmung mit den Kunden in die Bund-Länder-Arbeitsgruppe Sozialberichterstattung der amtlichen Statistik einzubringen, da es im föderalen Verbund Überlegungen gibt, zu einer vereinheitlichten Armuts- und Reichtumsberichterstattung von Bund und Ländern zu gelangen. Diese Diskussion ist noch nicht abgeschlossen.
Zu 2: Armut, meine Damen und Herren, ist mehr als nur finanzielle Armut. Es geht um mehr, nämlich um die Lebens- und Verwirklichungschancen eines jeden Einzelnen. Dabei sind Arbeit und Bildung die zentralen Punkte zur Herstellung von Chancengleichheit.
Die Landesregierung fördert mit zahlreichen Programmen und Projekten die Integration in den Arbeitsmarkt. Dies gilt für Erwachsene und vor allen Dingen auch für junge Menschen. Denn sie sind die Eltern von morgen. Ich möchte beispielhaft einiges aufzählen.
Das Land hat mit den Kammern, Verbänden und der Regionaldirektion Niedersachsen-Bremen der Bundesagentur für Arbeit für die Jahre 2007 bis 2009 einen neuen Ausbildungspakt geschlossen. Ziel ist, allen ausbildungswilligen und -fähigen jungen Menschen in Niedersachsen den Einstieg ins Berufsleben zu ermöglichen.
Mit dem Programm „2 000 mal 2 500“ fördert das Land zusätzliche Ausbildungsplätze für Altbewerberinnen und Altbewerber, Jugendliche ohne oder mit schlechtem Schulabschluss.
Mit der Förderung zusätzlicher Ausbildungsplatzakquisiteure bei den Kammern sollen vor allem solche Unternehmen gezielt für eine Ausbildung gewonnen werden, die bislang nicht oder nur wenig ausgebildet haben.
Mit dem Programm „Arbeit durch Qualifizierung“ soll die berufliche Integration in den ersten Arbeitsmarkt durch Qualifizierung und gegebenenfalls Stabilisierung von Arbeitslosen gefördert werden. Ein besonderer Schwerpunkt liegt bei der Qualifizierung von Jugendlichen unter 25 Jahren.
Die frauenspezifische Arbeitsmarktförderung durch „Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt“ - das FIFA-Programm - umfasst zahlreiche Projekte, die es Frauen mit Kindern ermöglichen, einen Beruf zu erlernen, sich selbstständig zu machen oder durch Qualifizierung ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern.
Mit dem Programm zur Förderung der Koordinierungsstellen Frauen und Wirtschaft wird insbesondere die Berufsrückkehr von Frauen gefördert. Im Förderjahr 2008 konnte die Anzahl der Koordinierungsstellen Frauen und Wirtschaft von 15 auf 19 Koordinierungsstellen landesweit erhöht werden.
In Jugendwerkstätten werden benachteiligte junge Menschen durch ein abgestimmtes Konzept von betriebsnaher Beschäftigung, Bildung und sozialpädagogischer Hilfen in Arbeit und Ausbildung eingegliedert, um dauerhaft Arbeitslosigkeit zu verhindern. Die 105 Jugendwerkstätten fördert das Land jährlich mit jeweils 165 000 Euro, inklusive der ESF-Förderung 4,3 Millionen Euro.
Die 45 Pro-Aktiv-Centren bieten benachteiligten jungen Menschen Unterstützung bei der beruflichen und sozialen Integration durch individuelles Casemanagement, Beratung und Betreuung sowie Vermittlung in Arbeit, Ausbildung oder Qualifizierung. Damit soll jungen Menschen eine berufliche Perspektive eröffnet werden, die sonst kaum eine Chance auf eine Ausbildung hätten. 45 Landkreise und kreisfreie Städte in Niedersachsen sind Träger von Pro-Aktiv-Centren. Im Durchschnitt wird jedes der Pro-Aktiv-Centren jährlich mit 250 000 Euro Landes- und ESF-Mitteln gefördert. So erhalten pro Jahr mehr als 20 000 Jugendliche Hilfe.
Ein weiterer Schlüssel zum Erfolg bei der Herstellung von Chancengleichheit, meine sehr geehrten Damen und Herren, sind die Bildung von Kindern und Jugendlichen sowie die qualifizierte Betreuung von Kindern. Durch das 100-Millionen-EuroProgramm „Familien mit Zukunft - Kinder bilden und betreuen“ unterstützt die Landesregierung die Kommunen beim Aufbau von familienfreundlichen Infrastrukturen, sie hilft Eltern, Familie und Beruf zu vereinbaren, baut die Tages- und Kleinkinderbetreuung aus und stärkt die frühkindliche Bildung.
Seit dem Kindergartenjahr 2003/2004 fördert Niedersachsen den Erwerb der deutschen Sprache bei Kindern nicht deutscher Herkunftssprache und bei Kindern aus benachteiligten Bevölkerungsgruppen ab drei Jahren in den Kindertagesstätten durch Finanzierung zusätzlicher Fachkräfte.
(Kreszentia Flauger [LINKE]: Gehört das zum Thema? - Gegenruf von Heinz Rolfes [CDU]: Das haben Sie nicht zu entscheiden!)
- Ja. Die Frage war ganz genau: Welche Programme hat die Landesregierung aufgelegt, um Menschen zu helfen, aus der Armutsfalle zu ent
rinnen? - Herr Humke-Focks nickt bejahend. Insofern bitte ich um Verständnis, dass ich Ihnen diese Frage genau so, wie sie gestellt worden ist, beantworte.
Ich bin überrascht, dass Ihr Kollege eine Frage stellt und Sie fragen, warum Ihr Kollege diese Frage gestellt hat.
(Kreszentia Flauger [LINKE]: Das ha- be ich nicht gefragt! - Hans-Christian Biallas [CDU]: Es geht doch nur ums Chaos!)
Meine sehr geehrten Damen und Herren, besonders wichtig ist: Das letzte Kindergartenjahr ist in Niedersachsen seit August 2007 beitragsfrei für die Eltern. Das bedeutet 120 Millionen Euro jährlich. Wir werden die Beitragsfreiheit schrittweise auf das erste und das zweite Jahr ausdehnen. Zusätzlich hat im letzten Jahr vor Schuleintritt jedes Kind mit festgestelltem Sprachförderbedarf einen Anspruch auf eine Förderstunde pro Woche, die durch Lehrkräfte der Grundschulen erteilt wird.
Wir setzen Schwerpunkte bei der schulischen, beruflichen und sozialen Integration von Kindern und Jugendlichen durch die Kooperation von Jugendhilfe und Schule. Ein wichtiges Beispiel ist die Landesförderung von niedersächsischen Kooperations- und Bildungsprojekten - das Programm NiKo - für Kinder und Jugendliche in problematischen Lebenssituationen. Hier arbeiten Fachkräfte der Jugendhilfe mit Schulen in sozialen Brennpunkten in kooperativen Netzwerken zusammen. Die Träger der öffentlichen und freien Jugendhilfe - es sind 77 NiKo-Projekte - erhalten jeweils eine anteilige Personal- und Sachausgabenförderung von 26 000 Euro jährlich.
Wir möchten durch das Projekt Elternlotsen Eltern qualifizieren, um als Vermittler zwischen Schulen und anderen Eltern zu agieren.
Für Mittagessen an Ganztagsschulen hat das Land 2008 freiwillig 3 Millionen Euro bereitgestellt, um gerade Initiativen von Schulträgern zu fördern, damit Schülerinnen und Schüler in besonderen Notlagen an der mittäglichen Verpflegung teilnehmen können.
Mit dem Modell der entgeltlichen Ausleihe von Lernmitteln werden Eltern von schulpflichtigen Kindern um bis zu zwei Drittel von den Lehrmittelkosten entlastet. Für Familien mit mehr als zwei Kindern wird eine Reduzierung des Entgelts um
20 % für alle Kinder gewährt. Darüber hinaus sind Leistungsberechtigte nach SGB II, VIII und XII sowie dem Asylbewerberleistungsgesetz von dem Entgelt für die Lernmittelausgabe völlig befreit.
Mit der Übernahme der Schülerbeförderungskosten für Schülerinnen und Schüler der Jahrgänge 1 bis 10 der allgemeinbildenden Schulen sowie der 11. und 12. Schuljahrgänge der Schulen für Schülerinnen und Schüler mit geistiger Behinderung übernimmt das Land Niedersachsen den weitaus größten Teil der insgesamt anfallenden Kosten für die Schülerbeförderung.
Meine Damen und Herren, 25 Familienbildungsstätten machen Bildungs- und Beratungsangebote, die gezielt helfen, Eltern bei der Erziehung zu unterstützen.
Eine erfolgreiche Politik der Armutsbekämpfung schließt als wichtige Säule auch eine Politik zur Integration von Menschen mit Migrationshintergrund mit ein. Dazu gehören neben der erwähnten Sprachförderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund u. a. auch die Landesförderung zahlreicher Beratungseinrichtungen und Projekte. Als ganz besonders erfolgreich hat sich das Projekt der Integrationslotsen erwiesen, in dem sich ehrenamtlich Engagierte für die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund einsetzen.
Das, meine Damen und Herren, macht eines deutlich, nämlich dass wir in diesem Bereich eine ganze Menge tun. Deswegen ist für mich auch eines ganz wichtig: Armut zu verhindern, ist immer eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die Bekämpfung und die Verhinderung von Kinderarmut müssen ein vordringliches Ziel aller gesellschaftlichen Gruppen sein. Es gibt in vielen Bereichen gute Ansätze und Ideen. Diese zu koordinieren und zielgerichtet zusammenzuführen, muss unser Ziel sein.
Deswegen werde ich auch ein niedersächsisches Bündnis für alle Kinder gründen. Denn wir brauchen die Hilfen, die direkt ankommen. Ich will Ergebnisse, die die Situation unserer Kinder wirklich verbessern und der Ausgrenzung mancher Kinder in unterschiedlichen Alltagssituationen entgegentreten.
Deshalb werde ich Vertreter von Kirchen, Kommunen und Verbänden an einen Tisch holen. Auch sollen hier lokale Initiativen beteiligt werden.
Zu 3: Alle steuerpolitischen Maßnahmen werden von der Landesregierung danach bewertet, ob sie den steuerpolitisch übergeordneten Zielen der Verbesserung der Steuergerechtigkeit einerseits und der Steuervereinfachung und Entbürokratisierung andererseits entsprechen. In diesem Sinne bringt sie sich nicht nur mit einer entsprechenden Positionierung im Bundesrat,