Protokoll der Sitzung vom 23.03.2012

Guten Morgen, Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 134. Sitzung im 43. Tagungsabschnitt des Niedersächsischen Landtages der 16. Wahlperiode.

Mitteilungen des Präsidenten

Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hauses fest.

Geburtstag hat heute der Abgeordnete ErnstAugust Hoppenbrock.

(Beifall)

Ich übermittle Ihnen im Namen des ganzen Hauses herzliche Glückwünsche, Gesundheit und Wohlergehen für das nächste Lebensjahr, Herr Kollege!

Zur Tagesordnung: Wir beginnen die heutige Sitzung mit Tagesordnungspunkt 37, den Mündlichen Anfragen. Anschließend setzen wir die Beratungen in der Reihenfolge der Tagesordnung fort. Die heutige Sitzung soll gegen 13.45 Uhr enden.

Ich weise darauf hin, dass gegen 10 Uhr in der Portikushalle anlässlich des heutigen Equal Pay Day, des internationalen Aktionstages der Entgeltgleichheit zwischen Frauen und Männern, eine kurze Veranstaltung stattfindet. Die Kolleginnen, die mich gebeten haben, die Aktion dort durchführen zu können, würden sich sicher auch über die Aufmerksamkeit einiger männlicher Abgeordneter freuen.

(Beifall bei den weiblichen Abgeord- neten der GRÜNEN)

Die mir zugegangenen Entschuldigungen teilt Ihnen nunmehr die Schriftführerin mit.

Guten Morgen, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Es haben sich entschuldigt: von der Landesregierung Herr Ministerpräsident McAllister, von 9 Uhr bis ca. 14 Uhr, von der Fraktion der CDU Herr Focke, Herr Dr. Matthiesen ab 13.30 Uhr

(Zuruf von Ansgar-Bernhard Focke [CDU])

- Herr Focke ist, wie ich sehe, doch anwesend -, von der Fraktion der SPD Frau Dr. Andretta, Frau

Stief-Kreihe, Herr Brinkmann, Herr Schneck und Herr Tanke, von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Herr Meyer und Frau Dr. Heinen-Kljajić bis 11 Uhr.

Danke schön.

Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 37:

Mündliche Anfragen - Drs. 16/4560

Die Frage 17 wurde von der Fragestellerin zurückgezogen.

Die für die Fragestunde geltenden Regelungen unserer Geschäftsordnung setze ich als allgemein bekannt voraus. Um dem Präsidium den Überblick zu erleichtern, bitte ich, dass Sie sich nach wie vor schriftlich zu Wort melden, wenn Sie eine Zusatzfrage stellen möchten.

Ich stelle fest: Es ist 9.03 Uhr.

Ich rufe die Frage 1 auf:

Welche rechtlichen Rahmenbedingungen sind gemäß Zukunftsvertrag Grundlage bei Fusionen von Gemeinden, Samtgemeinden und Landkreisen?

Der Herr Abgeordnete Herzog hat das Wort. Bitte!

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Zusammenhang mit der Diskussion bzw. Beschlussfassung von Kommunen, eine Entschuldung gemäß den Bedingungen des Zukunftsvertrages vorzunehmen, stellen sich Fragen insbesondere nach den rechtlichen Grundlagen.

So wird beispielsweise in Lüchow-Dannenberg von einigen Kommunen ein Modell erwogen, bei dem die momentan bestehenden drei Samtgemeinden mit insgesamt 27 Gemeinden zu einer einzigen Samtgemeinde fusionieren. Diese würde dann das jetzige Gebiet des Landkreises Lüchow-Dannenberg mit knapp 50 000 Einwohnern umfassen. Ab 30 000 Einwohnern hat eine Samtgemeinde laut § 14 des Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetzes - abgekürzt: NKomVG - die Rechtsstellung einer selbstständigen Samtgemeinde. § 97 der NKomVG verweist darauf, dass neue

Samtgemeinden durch den Zusammenschluss bestehender nach § 101 zustande kommen. Weiterhin wird in der Kommentierung ausgeführt, dass das Leitbild der Verwaltungs- und Gebietsreform festlegt, „dass eine Samtgemeinde in der Regel nicht mehr als zehn Mitgliedsgemeinden umfassen darf“ und „diese Höchstzahl nicht wesentlich überschritten werden“ darf.

Aus dem Gesetz ergibt sich zudem nicht eindeutig, welche Aufgaben auf eine selbstständige Samtgemeinde übertragen werden können. Auskünfte der zuständigen Kommunalverwaltungen sind diesbezüglich widersprüchlich.

Ich frage die Landesregierung:

1. Welche zahlenmäßige Obergrenze an Gemeinden in so einer neuen Samtgemeinde hält die Landesregierung für rechtssicher, und müssen alle vorhandenen Gemeinden mit dieser Neubildung einverstanden sein?

2. Welche Aufgaben genau - bitte aufschlüsseln - könnten einer selbstständigen Samtgemeinde von der Landkreisebene übertragen werden?

3. Können Gemeinden, Samtgemeinden oder Landkreise durch Fusionen Mittel gemäß Zukunftsvertrag beantragen, nachdem sie vorher schon als Einzelne erfolgreich einen Antrag auf Eigenentschuldung gestellt hatten?

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)

Für die Landesregierung antwortet Herr Minister Schünemann. Ich erteile ihm das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit der am 17. Dezember 2009 unterzeichneten gemeinsamen Erklärung der Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände Niedersachsens und der Niedersächsischen Landesregierung zur Zukunftsfähigkeit der niedersächsischen Kommunen, dem sogenannten Zukunftsvertrag, wird der intensive Dialog zwischen den Spitzenverbänden und der Landesregierung fortgesetzt. Im partnerschaftlichen Miteinander steht die Frage der Zukunftsfähigkeit einzelner Kommunen ganz oben auf der politischen Agenda. Deshalb war es gut und richtig, die Zugriffsfrist für den Zukunftsvertrag im Sommer letzten Jahres bis zum 31. März 2013 zu verlängern.

Die Mitarbeiter der Regierungsvertretungen und meines Hauses haben mit mehr als 100 Kommunen im Land - dies ist fast ein Viertel aller niedersächsischer Landkreise, Städte, Gemeinden und Samtgemeinden - zum Teil einen sehr intensiven Dialog bis hin zum Abschluss von öffentlichrechtlichen Verträgen geführt. Das bisherige Ergebnis kann sich sehen lassen:

Die paritätisch besetzte Kommission aus Vertretern des Landes und der kommunalen Spitzenverbände hat bis heute in zwölf Sitzungen Rahmenbedingungen und Musterverträge erarbeitet sowie Empfehlungen über den Abschluss von Verträgen mit 27 Kommunen über knapp 470 Millionen Euro Entschuldungshilfe gefasst. Zehnmal ist in diesen Verträgen die Fusion von Kommunen vereinbart worden, und dreimal haben Samtgemeinden beschlossen, sich in eine Einheitsgemeinde umzuwandeln, um ihre Leistungsfähigkeit dauerhaft zu steigern.

Der Gemeindeverband „Samtgemeinde“ hat auf niedersächsischem Boden eine lange Tradition. Die letzte grundlegende Neukonzeption des Samtgemeinderechts geht auf das Gutachten der Sachverständigenkommission für die Verwaltungs- und Gebietsreform von 1969 - das sogenannte WeberGutachten - zurück. Das diesbezüglich von der Sachverständigenkommission erarbeitete Modell sollte vor allem im ländlichen Bereich eine brauchbare, freiwillige Alternative zur Einheitsgemeinde darstellen. In raumstruktureller Hinsicht sah das Modell vor, dass einer Samtgemeinde nicht mehr als zehn Mitgliedsgemeinden angehören sollen, von denen jede mindestens 400 Einwohnerinnen und Einwohner haben müsse. Beide Kriterien fanden Eingang in die Entschließung des Niedersächsischen Landtages über die Verwaltungs- und Gebietsreform auf Gemeindeebene vom 9. Februar 1971. Diese Entschließung wiederum bildete die Grundlage - und damit das Leitbild - für die später vom Landesministerium beschlossenen Entwürfe zu den einzelnen Neugliederungsgesetzen.

Auch noch nach heutigem Recht können nur solche Gemeinden Samtgemeinden bilden, die jede mindestens 400 Einwohnerinnen und Einwohner haben; die Samtgemeinde selbst soll mindestens 7 000 Einwohner haben. Dies gilt sowohl für die erstmalige Bildung einer Samtgemeinde durch Vereinbarung von deren Hauptsatzung als auch für den freiwilligen Zusammenschluss von bestehenden Samtgemeinden durch Verordnung des Innenministeriums. Weder in dem einen noch in dem anderen Fall dürfen der Bildung der neuen Samt

gemeinde allerdings Gründe des öffentlichen Wohls entgegenstehen.

Dagegen enthält das niedersächsische Kommunalverfassungsrecht heute keine Obergrenze mehr für die Anzahl der Mitgliedsgemeinden einer Samtgemeinde. Die frühere Vorschrift über die höchstzulässige Zahl von zehn Mitgliedsgemeinden ist im Jahr 2006 im Rahmen der Änderung der Niedersächsischen Gemeindeordnung entfallen.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:

Zu Frage 1: Die zulässige Zahl von Mitgliedsgemeinden in einer Samtgemeinde kann letztlich nur im konkreten Einzelfall bestimmt werden. Maßgeblich hierfür sind zum einen die jeweiligen Gründe des öffentlichen Wohls und zum anderen die grundsätzlichen Fortwirkungen des gesetzgeberischen Leitbilds aus der Verwaltungs- und Gebietsreform der 1970er-Jahre. In letzterer Hinsicht hat der Niedersächsische Staatsgerichtshof in seinem Lüchow-Dannenberg-Urteil vom 6. Dezember 2007 ausgeführt, dass sich eine Anzahl von zwölf Mitgliedsgemeinden noch im Bereich dieses Leitbildes bewege, eine Anzahl von siebzehn Mitgliedsgemeinden mit diesem aber unvereinbar sei. Zugleich hat der Staatsgerichtshof in dem Urteil aber betont, dass es dem Gesetzgeber selbst grundsätzlich jederzeit möglich sei, ein neues, über den Einzelfall hinausgehendes gesetzliches Leitbild zu begründen.

Wenn durch die Zusammenlegung aller Samtgemeinden eines Landkreises eine neue Samtgemeinde entsteht, die sich auf das gesamte Gebiet des Landkreises erstreckt, so besteht eine räumliche Identität dieser beiden Gebietskörperschaften. Grundsätzlich kann es nicht sinnvoll sein, die nur für ein Gebiet bestehenden kommunalen Aufgaben in zwei getrennten Organisationen - die örtlichen Aufgaben in der Samtgemeinde und die überörtlichen Aufgaben beim Landkreis - durchzuführen. Inwieweit eine derartige Konstellation rechtlich zulässig ist, wäre im Einzelfall zu beurteilen. Da die Landkreise in ihrem Gebiet gemäß § 3 NKomVG Träger von Aufgaben sind, die von überörtlicher Bedeutung sind, müsste der Landkreis bei einer derartigen Samtgemeindebildung konsequenterweise mit einem anderen Landkreis zusammengeschlossen werden. In diesem Fall müsste aber auch die Anzahl der Mitgliedsgemeinden in der neu gebildeten Samtgemeinde an die Verhältnisse des neu gebildeten Landkreises angepasst werden.

Kommunale Struktur- und insbesondere auch Gebietsänderungen sind nach ständiger Rechtsprechung der Verfassungsgerichte auch gegen den Willen von Kommunen zulässig, wenn sie durch Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt sind. Dementsprechend sieht § 101 NKomVG vor, dass der Zusammenschluss von Samtgemeinden durch Verordnung des für Inneres zuständigen Ministeriums abweichend vom Grundsatz dieser Vorschrift auch dann erfolgen kann, wenn „einzelne Mitgliedsgemeinden“ dem nicht zugestimmt haben. In diesem Fall ist für die Verordnung nach derselben Vorschrift allerdings die Zustimmung des Niedersächsischen Landtages erforderlich.

Zu Frage 2: Gemeinden und Samtgemeinden mit mehr als 30 000 Einwohnerinnen und Einwohnern haben nach § 14 Abs. 3 NKomVG kraft Gesetzes die Rechtsstellung einer selbstständigen Gemeinde. Als solche nehmen sie nach § 17 NKomVG wiederum kraft Gesetzes - und nicht aufgrund einer Übertragungsvereinbarung - zusätzlich die Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises der Landkreise wahr, es sei denn, andere Rechtsvorschriften schließen dies ausdrücklich aus, oder eine Aufgabe ist durch Verordnung der Landesregierung den Landkreisen vorbehalten.

Nach Maßgabe des eben Genannten nehmen die selbstständigen Gemeinden anstelle der Landkreise folgende Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises wahr: erstens gewerberechtliche Maßnahmen nach der Gewerbeordnung, auf die Gewerbeordnung gestützte Verordnungen und der Handwerksordnung, zweitens verfahrens- und aufsichtsrechtliche Aufgaben, drittens waffen- und sprengstoffrechtliche Verfahren, viertens Gefahrenabwehr- und Hoheitsangelegenheiten, fünftens Ordnungswidrigkeitenmaßnahmen, sechstens Umwelt- und Arbeitsschutzaufgaben, siebtens Verteidigungsangelegenheiten, achtens Wohnungsbau- und Wohnungsförderungsangelegenheiten, neuntens baurechtliche Angelegenheiten, soweit der selbstständigen Gemeinde diese Aufgaben einer unteren Bauaufsichtsbehörde nach § 63 der Niedersächsischen Bauordnung übertragen wurden, und zehntens soziale Aufgaben.

Die erbetene genaue Aufschlüsselung der von selbstständigen Gemeinden gegenüber Gemeinden ohne Sonderstatus zu erfüllenden Aufgaben ist sehr aufwendig. Wir werden sie Ihnen schriftlich zur Verfügung stellen. Sonst würden wir sicherlich die ganze Fragestunde zum Vorlesen brauchen. Das Ministerium für Inneres und Sport ist also bereit, diese Angaben nachzureichen.

Zu Frage 3: Mit dem Abschluss eines Entschuldungshilfevertrages geht die Antragsberechtigung dieser Kommune unter, da zumindest die in § 14 a NFAG geforderte Voraussetzung einer „weit überdurchschnittlichen Liquiditätsverschuldung“ nicht mehr vorliegt. Die Kommune könnte aber mit einer anderen, noch antragsberechtigten Kommune fusionieren, da bei einer Fusion zweier Kommunen die Anspruchsvoraussetzungen des § 14 a NFAG nur von einer Kommune erfüllt sein müssen. In diesem Fall würde somit auch ein Vertrag mit einer Kommune abgeschlossen werden, für die bereits eine Entschuldungshilfe gewährt worden ist. Dies bedeutet jedoch keine erneuten Entschuldungshilfeleistungen für die Kommune, die einen zweiten Vertrag abschließt. Ausschlaggebend ist, ob bei der entstehenden neuen Kommune der Ausgleich des Ergebnishaushaltes innerhalb des Finanzplanungszeitraumes erreicht werden kann. Dies ist im Wege einer wirtschaftlichen Gesamtbetrachtung nach der Durchführung von Konsolidierungsmaßnahmen zu ermitteln. Hierbei sind fusionsbedingte Mehreinnahmen und Minderausgaben sowie eine Entschuldungshilfe von bis zu 75 % der zum 31. Dezember 2009 vorhandenen Liquiditätskredite zu berücksichtigen. Die bei der nicht mehr antragsberechtigten Kommune noch vorhandenen restlichen Liquiditätskredite finden in diesem Zusammenhang keine Berücksichtigung.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herr Kollege Humke stellt die erste Zusatzfrage.