Protokoll der Sitzung vom 08.05.2012

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der LINKEN)

Wenn wir diese Logik nicht brechen, dann werden in Europa Demokratien zerbrechen. Dafür tragen CDU und FDP maßgeblich Mitverantwortung,

(Zuruf von der CDU: Quatsch!)

weil sie die Regierung im wirtschaftstärksten Land der Eurozone stellen.

Meine Damen und Herren, mit dem Fiskalpakt allein treiben Sie Europa in die Rezession und die schwächeren Euroländer noch tiefer in die Krise. Mit der Transaktionssteuer könnten wir den EUHaushalt entlasten, Einnahmen erwirtschaften,

Spekulanten bremsen und schwächere Länder unterstützen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Um die Haushaltsdisziplin deutlich zu verstärken, hätte es Optionen im europäischen Rechtsrahmen gegeben - auch dann, wenn nicht alle Länder sofort mitgemacht hätten. Stattdessen wurde ein Sonderweg gewählt, der das Parlament außen vor lässt und das europäische Einigungsprojekt umgeht.

Haushaltskonsolidierung erfordert eine Flankierung, um sinnvolle Investitionen auszulösen. Notwendig sind mehr EU-Mittel für Investitionen in den Krisenländern, notwendig sind aktive Maßnahmen gegen die makroökonomischen Ungleichgewichte auch in den Überschussländern, notwendig ist eine weitere Harmonisierung der Steuerpolitik, und notwendig ist eben auch eine Finanztransaktionssteuer. - Bislang alles Fehlanzeige, Herr McAllister!

Ein zentrales Projekt nicht nur in Niedersachsen, sondern in ganz Europa muss der Umbau der Energieversorgung sein. Jede Investition senkt zugleich die Rechnung für fossile Rohstoffe. Das ist eine Win-win-Situation. Wir nennen das Green New Deal, Herr McAllister.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Das könnte ein Wachstumsprojekt für ganz Europa werden, wenn Sie sich von Stromkonzernen und Atomlobbyisten endlich richtig freischwimmen. In Deutschland senken die erneuerbaren Energien heute bereits die Strompreise.

Meine Damen und Herren, gucken wir nach Niedersachsen. Wenn man sich fragt, warum Sie heute diese Regierungserklärung abgeben wollten, dann sind zwei Passagen Ihrer Rede auffällig. Erstens. Offenbar wollen Sie eine möglichst gute Verpackung für die Nachricht, dass die Stärkung des Eigenkapitals der NORD/LB von der Kommission genehmigt werden muss. Das ist keine gute Nachricht. Vielleicht liegt hier auch der tiefere Grund für die Amtsmüdigkeit des Finanzministers.

(Lachen bei der CDU)

Wir hoffen jedenfalls, dass die Operation gelingt, ohne dass weitere Milliarden-Bürgschaften des Landes in Anspruch genommen werden müssen.

Zweitens. Sie teilen mit, dass die EU-Kommission in ihrer Klageschrift nun auch die VW-Satzung in den Fokus genommen hat. Das ist auch nicht schön. Offenbar haben Freunde Ihres Koalitions

partners in Brüssel Ihre Bemühungen hintertrieben, meine Damen und Herren.

(Zustimmung von Enno Hagenah [GRÜNE])

Ihre Rede bringt keinen frischen Wind für Europa. Der Text enthält nicht mal ein laues Lüftchen, Herr McAllister. Angesichts der Hausforderungen ist diese Rede - um es als Göttinger mit Lichtenberg zu sagen - eher ein wehendes Vakuum.

Meine Damen und Herren, Sie versuchen sich als Chronist, aber Sie verweigern sich der Definition von Zielen, an denen wir Sie wirklich messen können.

Meine Damen und Herren, es gibt am Ende drei entscheidende Fragen, die für die Zukunft Niedersachsens in Europa von großer Bedeutung sind. Ich hoffe, dass die Wählerinnen und Wähler Ihre Politik, Herr McAllister, und die Ihrer Freunde in Berlin und in Brüssel am Ende daran messen werden: Erstens. Stehen Sie für ein freies und gerechtes Europa, für Reisefreiheit und für eine humane Flüchtlings- und Asylpolitik, oder wollen Sie das Schengen-Abkommen infrage stellen, neue Grenzbäume in Europa errichten und die Außengrenzen noch stärker abschotten?

Zweitens. Stehen Sie für eine Politik, die den Hedgefonds und Schattenbanken wirklich entscheidende Zügel anlegt, eine Spekulationsumsatzsteuer durchsetzt, Steueroasen beseitigt und öffentliche Haushalte konsolidiert, oder wollen Sie eine Fortsetzung der Austeritätspolitik, die alle Lasten am Ende dem einzelnen Steuerzahler aufbürdet?

Drittens. Stehen Sie für eine Politik, die Atomkraftwerke auch europaweit schnell und konsequent abschaltet, die Macht der Stromkonzerne beschränkt und die erneuerbaren Energien konsequent ausbaut, oder gehören Sie zu denen, die die Solarindustrie aus Europa wieder vertreiben wollen, weil sie das Geschäftsmodell der Öl- und Stromkonzerne in wenigen Jahren überflüssig machen könnte?

Herr McAllister, meine Damen und Herren, ich kann nicht erkennen, wo Sie mit Herzblut für Europa dabei sind. Ich kann aber erkennen, wo die Weichen falsch gestellt werden, und befürchte, dass ein unregierbares Griechenland nur der Anfang als Symptom einer Krise sein kann, die viel weiter greift - als Symptom einer Krise, die sich einer gerechten Finanzpolitik in Land, Bund und Europa verweigert und zusieht, wie Spekulanten

das Spielkasino in Betrieb halten und demokratische Strukturen in Gefahr bringen.

Sie haben es heute versäumt, für ein wirklich solidarisches Europa einzutreten, und Sie haben es versäumt aufzuzeigen, wie Sie mit Armutsbekämpfung, Klimaschutz, Bildung und Forschung und Entwicklung ein besseres Europa bauen wollen. Deshalb war Ihre heutige Regierungserklärung, Herr McAllister, auch ein weiteres Plädoyer dafür, dass diese schwarz-gelbe Landesregierung im Januar 2013 ihren Dienst quittiert.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung von Stefan Schostok [SPD])

Ich erteile jetzt dem Kollegen Dürr das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Für meine Generation war es immer eine Selbstverständlichkeit, dass Deutschland einen festen Platz in einem demokratischen und freiheitlichen Europa hat. Der Kalte Krieg war nach 1990 beendet, der Fall des Eisernen Vorhangs hatte noch mehr Europa möglich gemacht, und das Eintreten für Europa war Konsens quer durch das politische Spektrum auch in Deutschland.

Deswegen ist es auch richtig, dass im Europapolitischen Konzept der Landesregierung steht:

„Die Europäische Union verkörpert heute eine Wertegemeinschaft, die für Werte wie die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit, Wahrung der Menschenrechte, Pluralismus, Toleranz, Gerechtigkeit und Gleichheit von Frauen und Männern steht.“

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ja, wir sind eine Wertegemeinschaft in Europa, aber wir stehen dennoch gerade an einem Scheideweg. Die Wahlen in Frankreich und Griechenland haben wichtige Fragen aufgeworfen, auf die es keine einfachen Antworten geben kann. Was bedeutet es für die Demokratie in Deutschland, wenn Wahlen in anderen Ländern direkte Auswirkungen auf uns haben? Wie können wir eng mit unseren europäischen Partnern kooperieren, ohne die Mitbestimmung der Menschen in Deutschland zu gefährden? Und wie können wir all das vor dem Hin

tergrund der dramatischen Staatsschuldenkrise schaffen?

(Vizepräsident Dieter Möhrmann übernimmt den Vorsitz)

Es muss klar sein, dass es eine übergestülpte und künstliche europäische Identität von oben nicht geben kann. Europa muss von den Menschen getragen werden und demokratische Realität sein, z. B. auch durch mehr Mitwirkung der Europäer durch das Europäische Parlament. Dazu gehört ebenso - davon bin ich überzeugt, liebe Kolleginnen und Kollegen - eine gemeinsame europäische Verfassung.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, Europa hat es gerade nicht leicht. Wir müssen eigentlich groß denken, aber wir verlieren uns doch allzu oft im Kleinklein.

Sehr geehrter Herr Kollege Wenzel, ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass Oppositionsparteien, insbesondere Sozialdemokraten und Grüne, im Deutschen Bundestag einmal die Zustimmung zu einem zentralen europäischen Vertragswerk für einen kleinkarierten politischen Kuhhandel missbrauchen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Bei Ihnen lautet das Motto „Fiskalpakt gegen Finanztransaktionssteuer“. Liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen, was soll das denn für ein Geschacher sein?

(Enno Hagenah [GRÜNE]: Was heißt hier „Geschacher“?)

Ich sage Ihnen in aller Deutlichkeit: Der Fiskalpakt ist für CDU und FDP nicht einmal auf europäischer Ebene verhandelbar. Das haben die Kanzlerin und gerade eben der Ministerpräsident deutlich gesagt. Deswegen werden wir im Deutschen Bundestag gar nicht erst damit anfangen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Starker Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Ich weiß nicht, in welche Richtung sich die SPD gerade bewegt, aber es ist keine gute Richtung für Europa.

(Hans-Dieter Haase [SPD]: Immer nach vorne!)

Zitat Sigmar Gabriel im Interview mit der Rheinischen Post vor Kurzem: „Richtig ist aber, dass der alte Maastricht-Vertrag eine Lebenslüge beinhaltet

hat.“ Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein riesiger Schritt hin zu europäischer Integration und Stabilität ist 20 Jahre später für den Bundesvorsitzenden der SPD eine „Lebenslüge“ - ausgerechnet für den Vorsitzenden der Partei, die zu rot-grünen Zeiten den Maastricht-Vertrag bis zum Letzten ausgehöhlt hat! Ich sage Ihnen: Nicht der Maastricht-Vertrag war eine Lebenslüge, sondern der Glaube, dass sich Politiker wie Gerhard Schröder und Joschka Fischer an einen solchen Vertrag halten.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Unser Land in einem stabilen und geeinten Europa - das ist eine Leistung vor allem auch von schwarzgelber Politik in Deutschland. Konrad Adenauer hat 1957 die Gründungsverträge der Europäischen Union unterzeichnet. Helmut Kohl hat 1992 die Maastrichter Verträge unterzeichnet. Angela Merkel hat 2012 mit dem Europäischen Fiskalpakt das gemeinsame Fundament noch fester und sicherer gemacht. Das alles zeigt: Wir sind stolz auf unsere proeuropäische Tradition. Ich würde mir wünschen, dass sich alle Parteien in diesen Wochen der europäischen Verantwortung stellen.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)