Meine Damen und Herren, Europapolitik wird momentan mit hohem Tempo gemacht. Am auffälligsten wird das bei einem Blick auf die Staatsschuldenkrise. Diese war Anfang 2010 noch kein Thema, als wir das letzte europapolitische Konzept
An vier aus dem Europapolitischen Konzept 2012 ausgewählten Themenbereichen möchte ich darstellen, wo wir niedersächsische Interessen vertreten und europäische Chancen nutzen.
Erstens. Die Staatsschuldenkrise hat auch konkrete Auswirkungen auf uns in der Landespolitik. Diese resultieren im Wesentlichen aus den Aktivitäten der EU im Bereich der Finanzmarktregulierung. Die NORD/LB unterfällt als einzige niedersächsische Bank dem sogenannten Stresstest. Sie muss bekanntlich bis Juli 2012 eine harte Kernkapitalquote von 9 % erreichen. Daher hat Niedersachsen zum Jahreswechsel 2011/2012 stille Einlagen und andere Kapitalinstrumente in Höhe von 1,07 Milliarden Euro in Stammkapital umgewandelt. Zusätzlich hat das Land der NORD/LB Kapital in Höhe von 500 Millionen Euro zugeführt. Damit ist der größte Teil zur Erfüllung der vom Europäischen Rat im Oktober 2011 beschlossenen harten Kernkapitalquote in Höhe von 9 % bereits erledigt. Um das angestrebte Ziel zu erreichen, wird die NORD/LB bis Mitte 2012 weitere Kapitalumwandlungen durchführen und Gewinnthesaurierungen vornehmen.
Meine Damen und Herren, jetzt kommt Brüssel ins Spiel. Diese Kapitalmaßnahmen müssen als Beihilfen von der Kommission genehmigt werden. Es ist wichtig - dazu nutze ich heute auch die Regierungserklärung -, der Kommission klarzumachen, dass dieser Kapitalbedarf allein durch die erhöhten Anforderungen der Europäischen Finanzaufsicht und nicht durch eine wirtschaftliche Schieflage der Bank ausgelöst worden ist. Dafür werden sich Herr Dunkel, ich und weitere Vertreter in Brüssel nochmals persönlich verwenden.
Meine Damen und Herren, ein anderer Fall ist die Umsetzung von Basel III durch die Europäische Kommission. So richtig eine stärkere Regulierung der Finanzmärkte auch ist, sie muss mit Augenmaß erfolgen. Wir müssen insbesondere darauf achten, dass die Kreditversorgung von Mittelstand und Handwerk sowie das Geschäftsmodell von Sparkassen und Genossenschaftsbanken nicht beeinträchtigt werden. Daher hat sich die Landesregierung gerade in den letzten Wochen für eine Reduzierung der Risikogewichtung für Mittelstandskredite eingesetzt.
Ich darf Ihnen versichern: Wir bleiben zuversichtlich, mit unserem Anliegen durchzudringen. Hier kann und darf das letzte Wort in Brüssel noch nicht gesprochen worden sein!
Eine zweite Anmerkung gilt dem VW-Gesetz. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wie Sie wissen, besteht zwischen der Bundesregierung, der Landesregierung, dem Unternehmen und dem Betriebsrat Einvernehmen darüber, dass das VWGesetz und die Regelung über die verminderte Sperrminorität in der VW-Satzung europarechtskonform sind. Sie wissen ebenso, dass die Europäische Kommission dies leider anders sieht und im Februar erneut den Europäischen Gerichtshof zum VW-Gesetz angerufen hat. In ihrer Klageschrift hat die Kommission erstmals auch die VWSatzung in das Verfahren einbezogen.
Meine Damen und Herren, am 3. Mai - also ganz aktuell - ist dem Europäischen Gerichtshof die zwischen den Bundesressorts, der Staatskanzlei und dem VW-Betriebsrat abgestimmte Klageerwiderung zugestellt worden. Letzte Woche bzw. in den letzten Tagen habe ich sie sehr aufmerksam gelesen. Ich stelle fest: In der Klageerwiderung stellt die Bundesregierung heraus, dass der Europäische Gerichtshof die Regelung im VW-Gesetz über die verminderte Sperrminorität nicht isoliert, sondern nur im Zusammenspiel mit dem Höchststimmrecht beanstandet hat.
Die Bundesregierung stellt weiter heraus, dass die Festlegung einer verminderten Sperrminorität kein Sonderrecht für den Staat begründet, da eine Sperrminorität nicht nur dem Staat, sondern auch allen übrigen Aktionären - seien es Großaktionäre oder eine Gruppe von Kleinaktionären - zugutekommen kann.
Schließlich stellt die Bundesregierung auch heraus, dass die Klage der Kommission in Bezug auf die Satzung der Volkswagen AG unzulässig ist, da diese nicht Gegenstand des Vertragsverletzungsverfahrens war.
Meine Damen und Herren, wir rechnen im Sommer 2013 mit einem Urteil des EuGH. Bundesregierung, Landesregierung, die Volkswagen AG und der Volkswagen-Betriebsrat sind zuversichtlich, dass sich der Europäische Gerichtshof unseren guten Argumenten nicht verschließen wird. Es wäre ein gutes Signal, wenn sich auch der Nieder
Die dritte Anmerkung gilt der Koalitions- und Strukturpolitik. Meine Damen und Herren, die EUFörderprogramme der Landesregierung sind zur Halbzeit der Förderperiode durch unabhängige Experten im Rahmen einer Evaluierung untersucht und bewertet worden. Die Evaluatoren, zu denen Steria Mummert Consulting, die Prognos AG und das NIW gehören, haben der Landesregierung im Sommer 2010 ein positives Zeugnis ausgestellt.
Mit Blick auf die kommende Förderperiode hat sich die Landesregierung im Schulterschluss mit den anderen Ländern über die Ministerpräsidentenkonferenz, über die Europaministerkonferenz und über den Bundesrat sowie in zahlreichen bilateralen Kontakten zur Kommission aktiv und fortlaufend in die Diskussions- und Entscheidungsprozesse zur Zukunft der EU-Strukturpolitik eingebracht. Dadurch haben wir u. a. erreicht, dass auch nach 2014 eine flächendeckende Förderung aller Regionen in Niedersachsen - auch der stärker entwickelten - möglich bleibt. Dies war angesichts der vehementen Forderung vor allem der neuen Mitgliedstaaten, künftig nur noch Konvergenzregionen zu fördern, nicht selbstverständlich. Ein erster wichtiger Erfolg für uns in Niedersachsen!
Aktuell setzt sich die Landesregierung zusammen mit anderen Bundesländern für eine Änderung oder Ergänzung der Verordnungsvorschläge der Kommission ein. Dabei geht es um Fragen wie die thematische Konzentration der Fördermittel, die Einführung von Konditionalitäten oder die besondere Förderung des ehemaligen Regierungsbezirks Lüneburg.
Wie bei uns in Niedersachsen gibt es auch in Brandenburg und Sachsen Regionen, die bei der EU-Strukturförderung in dieselbe Kategorie wie unsere Region Lüneburg gehören. Ministerpräsident Platzeck, Ministerpräsident Tillich und ich haben uns gemeinsam bei der Bundeskanzlerin noch einmal ausdrücklich für die besondere Förderung dieser Regionen eingesetzt. Ich finde, die Antwort der Kanzlerin war ermutigend. Sie hat uns versichert, dass sich die Bundesregierung seit Beginn der Beratungen über die kommende För
derperiode in Brüssel für die Belange dieser Regionen eingesetzt hat. Und das wird sie auch weiterhin tun. Meine Damen und Herren, nun gilt es, bei dieser für das Hamburger Umland ganz wichtigen Frage weiterhin am Ball zu bleiben.
Unabhängig davon stellt die Landesregierung die Weichen für die Umsetzung der künftigen Förderprogramme bei uns in Niedersachsen. Die Ressorts haben zum Jahreswechsel 2011/2012 ihre Gespräche zur Programmaufstellung mit allen relevanten Wirtschafts- und Sozialpartnern sowie den Interessenverbänden begonnen. Darüber hinaus hat die Landesregierung im Januar dieses Jahres unter Federführung der Staatskanzlei einen intensiven Dialog mit den Kommunen zur Frage der künftigen Ausgestaltung der Förderprogramme begonnen. Am 24. April - also vor zwei Wochen - hat das Kabinett die wesentlichen Eckpunkte der künftigen operativen Programme festgelegt.
Meine Damen und Herren, ich will ausdrücklich hervorheben: Die EU-Strukturförderung war und ist für Niedersachsen nicht nur segensreich, sie macht die Europäische Union bei uns in Niedersachsen auch sichtbar. Damit trägt sie zur Identifikation der Menschen in Niedersachsen mit der EU bei. Die Landesregierung wird alles daransetzen, dass dieses auch in Zukunft so bleibt.
Schließlich eine vierte Anmerkung zur Agrarpolitik: Es gilt als sicher, dass die gemeinsame Agrarpolitik auch künftig zwei Säulen hat: die Direktzahlungen für die landwirtschaftlichen Betriebe und die Förderung des ländlichen Raums über den ELER. Dies begrüßt die Landesregierung; denn damit sind insbesondere die für die wirtschaftliche Existenz der landwirtschaftlichen Betriebe so wichtigen Direktzahlungen grundsätzlich gesichert.
Im Hinblick auf die absehbaren Umverteilungen von Mitteln für Direktzahlungen zwischen den Mitgliedstaaten und im Hinblick auf das sogenannte Greening kommen auf die niedersächsischen Landwirtschaftsbetriebe aber zwangsläufig Kürzungen bei den Direktzahlungen zu. Die Landesregierung unterstützt grundsätzlich den Vorschlag der Kommission zur moderaten Umverteilung der Agrarmittel; denn die Unterschiede bei der Direktzahlung pro Hektar sind zwischen den Mitglied
staaten in der Tat eklatant groß. Einigen Mitgliedstaaten geht dieser Vorschlag der Kommission allerdings nicht weit genug. Einheitliche Zahlungen innerhalb von ganz Europa sind aber mit unserer Landesregierung nicht zu machen. Dafür ist das jeweilige wirtschaftliche Umfeld für die Landwirte in den einzelnen Mitgliedstaaten einfach noch zu unterschiedlich.
Meine Damen und Herren, ähnlich verhält es sich beim Greening. Grundsätzlich steht die Landesregierung diesem Instrument positiv gegenüber. Die niedersächsischen Landwirte erbringen allerdings bereits sehr viele freiwillige und auflagenbedingte Umweltleistungen. Diese Leistungen müssen bei der anstehenden Reform anerkannt werden. Um es deutlich zu sagen: Es darf nicht zu einer QuasiStilllegung von 7 % wertvoller landwirtschaftlicher Nutzfläche kommen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe mir heute vier ausgewählte europapolitische Themen vorgenommen. Über viele andere Themen können Sie in Ruhe in unserem Europapolitischen Konzept nachlesen. Ich würde mich freuen, wenn wir auch die Möglichkeit hätten, hier im Hohen Haus intensiv über die Themen zu diskutieren.
Meine Auffassung ist: Die Bilanz der Landesregierung im Konzept 2012 kann sich sehen lassen. Wir haben viel getan. Wir haben viel erreicht für Europa in Niedersachsen und für Niedersachsen in Europa.
Meine Damen und Herren, die Landesregierung begrüßt alle Aktivitäten des Landtages und der Fraktionen zum Thema Europa, beispielsweise auch die vom Landtagspräsidenten organisierte Veranstaltungsreihe „Niedersachsen in Europa“. Lassen Sie uns partei- und fraktionsübergreifend gemeinsam dafür sorgen, dass die europäische Idee auch weiterhin ihre Anziehungskraft behält - auch und gerade, wenn einmal mehr Krisen- oder Katerstimmung herrscht!
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich stelle fest, dass die Regierungserklärung 23 Minuten gedauert hat. Das Verfahren habe ich vorhin bereits erläutert. Es ergeben sich also folgende Redezeiten: Die Fraktionen der CDU und der SPD erhalten je 23 Minuten, die anderen Fraktionen jeweils 11,5 Minuten.
Wir treten jetzt in die Besprechung ein. Ich erteile zunächst der Kollegin Emmerich-Kopatsch das Wort.
Herzlichen Dank. - Herr Präsident! Werter Herr Ministerpräsident McAllister! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Am heutigen Tag eine Regierungserklärung zum Thema Europa abzugeben, halten wir angesichts des Europatages für richtig. Was Sie, Herr McAllister, heute jedoch erklärt haben, ist von der Realität in Europa bereits überholt.
Im Wesentlichen bleiben Sie im Vagen, ja fast im Nichtssagenden. In Wahrheit mögen sich Ihre Ausführungen zum Fiskalpakt als Solidaritätsbekundung an die Kanzlerin richten, die Sie ja, wie Sie sagen, voll umfänglich unterstützen. - Übrigens eine sehr schöne Zeugnissprache. - Durchsetzbar werden sie in der Realität nicht mehr sein; denn Europa hat - wie Sie vielleicht festgestellt haben - gewählt. In Griechenland sind die etablierten Parteien marginalisiert worden, extremistische, ja auch faschistische Gruppierungen - und das ist besonders schlimm - sind gestärkt worden. Eine deutliche Europafeindlichkeit ist bereits jetzt erkennbar. Eine erste Regierungsbildung ist nach wenigen Stunden gescheitert.
In Frankreich wurde das Paar Merkozy zwangsgeschieden, und in den Niederlanden löste sich die Regierung gleich selbst auf. Auf dieser Grundlage ist es mehr als zweifelhaft, ob es Sinn macht, allen den Willen der Kanzlerin überzustülpen.
In den südeuropäischen Ländern haben die Verhandlungen zum Fiskalpakt noch mehr Hoffnungslosigkeit, Perspektivlosigkeit und Angst vor der Zukunft entstehen lassen. Das ist kein Wunder bei einer Arbeitslosigkeit von mehr als 20 % und einer Jugendarbeitslosigkeit von mehr als 50 %. Davon haben Sie aber kein Wort gesagt, Herr McAllister.
Viele junge Menschen wollen daher ihr Heimatland verlassen. Es gibt das Gefühl, Europa habe seine Kinder im Stich gelassen.