Protokoll der Sitzung vom 09.05.2012

In der Aufgeregtheit der Debatte wird sehr oft vergessen, dass es im Kern um die bestmögliche Bildung, die bestmögliche Erziehung und die bestmögliche Betreuung für unsere Kinder geht.

(Zustimmung bei der CDU)

Ich darf auch darauf hinweisen, dass es diese Landesregierung war, die seit 2003 die frühkindliche Bildung und die frühkindliche Betreuung in unserem Land aus dieser „Gedönsecke“, wie es andere bezeichnet haben, herausgeholt und zu einem der wichtigsten Themen der niedersächsischen Landespolitik gemacht hat.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Frage des Betreuungsgeldes mit dem Krippenausbau zu verknüpfen, ist nicht sachgerecht. Schließlich haben wir hier erhebliche finanzielle Anstrengungen unternommen. Es ist bereits darauf hingewiesen worden, dass Niedersachsen nur 0,9 % unter dem Durchschnitt der westdeutschen Länder liegt. Der Vergleich mit den ostdeutschen Ländern verbietet sich, weil die zum Teil bei 50 % plus X gestartet sind. Wir haben 31 400 neue Krippenplätze

geschaffen, davon 20 300 allein seit 2008. Außerdem stehen uns noch 55 Millionen Euro aus dem RIK-Programm zur Verfügung. Wir haben den Anteil der frühkindlichen Bildung von ca. 160 Millionen Euro zu Ihrer Regierungszeit auf 420 Millionen Euro im Jahr 2011 gesteigert. Das soll uns erst mal einer nachmachen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, dank des Landtages und dank der die Regierung tragenden Fraktionen haben wir jetzt ein 40 Millionen-Euro-Programm auf den Weg gebracht. Inzwischen liegen schon Anträge in einem Volumen von 27,5 Millionen Euro vor. Die Kommunen werden die ersten Bescheide in diesen Tagen, quasi in diesen Stunden herausgeben. Wir werden versuchen, die Richtzahl von 35 % zu erreichen.

Zum Schluss möchte ich noch einige Zahlen nennen. In Göttingen und Hannover liegt die Quote laut einer Umfrage von dpa bereits heute bei 44 %.

(Andrea Schröder-Ehlers [SPD]: Un- sere Arbeit vor Ort!)

In Osnabrück liegt sie bei 40 %, in Lüneburg und Celle bei 32 % - wobei Lüneburg noch in diesem Jahr durch unser Landesprogramm auf 36,5 % kommen wird - und in Braunschweig, Wolfsburg, Salzgitter und Oldenburg bei rund 30 %.

Dass wir im bundesweiten Vergleich weiter hinten liegen, hängt übrigens auch damit zusammen, dass die Quote in einem Landkreis wie Aurich nur bei 9,4 % und in einem Landkreis wie Cloppenburg nur bei 11,2 % liegt. Dort hat sie sich in den letzten Jahren auch nicht großartig erhöht. Und warum nicht? - Weil die Nachfrage dort nicht besteht, weil die Eltern dort bewusst ein anderes Familienbild leben wollen, weil sie - wie im Übrigen 60 % der Eltern in Deutschland - in den ersten Lebensjahren ihre Kinder nicht in eine Krippe geben wollen! Das ist doch auch die Realität.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, ich finde, wir sollten bei der Frage des Krippenausbaus die Ankündigung ernst nehmen, die Bundesfamilienministerin Schröder gestern beim Deutschen Fürsorgetag gemacht hat. Dort hat sie wiederholt, dass sie bereit ist, die Länder zu unterstützen, die ein entsprechendes Handlungsvolumen nachweisen können. Genau diese Chance werden wir ergreifen. Wir stehen in engen Verhandlungen mit dem Bund, und ich gehe davon aus, dass er uns hierbei un

terstützt, damit wir zum Wohle bester Rahmenbedingungen in Niedersachsen - auch im Krippenbereich -, damit wir zum Wohle Niedersachsens insgesamt eine gute Politik in Sachen frühkindlicher Bildung für unsere Kinder machen können.

Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Es liegen keine weiteren Wortmeldungen zu diesem Tagesordnungspunkt mehr vor. Ich stelle fest, dass der Tagesordnungspunkt 14 e erledigt ist. Damit sind wir auch am Ende der Aktuellen Stunde angelangt.

Wir gehen zum Tagesordnungspunkt 15 über:

Besprechung: Neonazismus in Niedersachsen - Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE - Drs. 16/4304 - Antwort der Landesregierung - Drs. 16/4711

Das Prozedere bei Großen Anfragen muss ich Ihnen nicht weiter erläutern. Zunächst erhält der Fragesteller das Wort, dann spricht der zuständige Minister der Landesregierung, und anschließend kommen die weiteren Wortmeldungen zum Zuge.

Erste Rednerin ist Frau Zimmermann. Bitte schön!

Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorweg: Ich habe mit Erstaunen zur Kenntnis genommen, dass die Landesregierung im einleitenden Teil der Antwort darauf einging, dass Neonazismus nicht mit Rechtsextremismus gleichzusetzen ist. Das ist natürlich richtig. Aber diese sachliche Differenzierung würden wir uns auch wünschen, wenn wieder einmal der Rechts- und der angebliche Linksterrorismus in einen Topf geworfen werden, so als wären das zwei Seiten der gleichen Medaille.

(Beifall bei der LINKEN)

Solange hier notorisch am unsinnigen Extremismuskonzept festgehalten wird, scheinen weitere Differenzierungen in der Sache wohl weiter auf sich warten zu lassen.

Nun aber, meine Damen und Herren, zum eigentlichen Thema „Neonazismus in Niedersachsen“. Für das Jahr 2011 hat meine Fraktion eine Große An

frage zum Thema gestellt, um die spärliche Informationsgrundlage der Landesregierung zu erweitern und einen Überblick über Potenziale, Strategien, Aktionsformen, personelle und organisatorische Zusammenhänge und vieles Weitere zu erhalten.

Doch wie zu erwarten, enthält die aktuelle Antwort etliche Widersprüche, blinde Flecken, deutliche Anzeichen von grober Unwissenheit und zeugt nicht gerade von Auskunftsfreudigkeit. Ich möchte Ihnen dafür ein kurzes, aber prägnantes Beispiel nennen:

In der Anfrage wird nach der Zahl der in Niedersachsen aktiven neonazistischen Kameradschaften sowie deren führenden Protagonisten gefragt. Die Landesregierung bezifferte zwar die Zahl der Neonazigruppen auf etwa 30 - was deutlich mehr ist als noch in 2009 -, aber auf die Frage nach den Protagonisten konnten lediglich fünf Personen genannt werden. Als Erklärung für die mehr als dürftige Antwort werden Gründe der operativen Sicherheit sowie der Schutz Dritter angeführt. Das ist in dem Sinne erstaunlich, als dass viele Protagonisten schlicht durch einfache Internetrecherche herauszufinden sind.

Meine Damen und Herren, trotz zahlreicher Mängel geht doch aus der Antwort hervor, dass es in Niedersachsen weiterhin eine feste neonazistische Struktur gibt. Neben der NPD als Bewegungspartei des neonazistischen Spektrums und den Kameradschaften als ihre militanten Aktionsgruppen haben sich zahlreiche subkulturelle Bereiche herausgebildet, die vor allem für junge Menschen eine besondere Anziehungskraft besitzen und strafrechtlich nicht immer gleich zu fassen sind. So besteht eine eigene gewerbliche Infrastruktur, wo szenetypische Bekleidung, aber auch rassistische und gewaltverherrlichende Musik und allerlei andere Utensilien vertrieben werden.

Spannend an dieser Stelle ist die Erklärung der Landesregierung, dass die Unternehmen für den Rechtsextremismus nur eine untergeordnete Rolle spielen würden. Dies ist ziemlich überraschend, da beispielsweise in Tostedt der von dem verurteilten Totschläger und bis heute führenden Nazikader Stefan Silar betriebene Laden „Streetwear Tostedt“ zu den größten Szenegeschäften Norddeutschlands zählt und nicht nur Besucher aus Bremen, Hamburg oder Schleswig-Holstein anzieht, sondern zum zentralen Anlaufpunkt der regionalen Neonaziszene in der Nordheide avanciert ist.

Ich erinnere daran, dass gerade auch Tostedt als Schwerpunkt der militanten Neonaziszene geführt wird und ein Verfahren gegen Stefan Silar wegen schweren Landfriedensbruchs kürzlich erst aufgrund von peinlichen Verfahrensfehlern eingestellt wurde. Silar durchbrach mit einem gezogenen Messer eine Polizeikette, stürmte auf flüchtende Gegendemonstranten los und konnte von der Polizei schließlich nur mit gezogener Schusswaffe aufgehalten werden. Der Freispruch für Silar ist ein weiterer Schlag ins Gesicht für alle Bürgerinnen und Bürger, die sich antifaschistisch und zivilgesellschaftlich gegen Neonazis engagieren, und ein fatales Signal an die militante Szene.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, ich möchte hier aber heute allein nicht nur über die Ergebnisse der Anfrage sprechen. Diese ist lediglich Teil einer Gesamtauseinandersetzung mit dem Neonazismus in Niedersachsen. Und wie defizitär diese immer noch verläuft, beweist ein Blick auf die Schwerpunktsetzung des kürzlich vorgestellten Verfassungsschutzberichtes. Während man sich beinahe auf die Schulter klopft, weil das Personenpotenzial der Rechtsextremen in Niedersachsen rückläufig sei und man relativ grob über Strukturen und Strategie berichtet, lässt sich das Landesamt für Verfassungsschutz bei seinem Lieblingsthema Linksextremismus mal wieder so richtig aus. Da werden friedliche zivilgesellschaftliche Initiativen stigmatisiert und in eine Reihe mit etwaigen Krawallmachern gestellt. Was friedlicher und ziviler Ungehorsam im Zusammenhang mit den Castortransporten, mit der Beseitigung des Grundgesetzes oder gar der gewaltsamen Errichtung einer anarchistischen Gesellschaftsordnung zu tun haben soll, erschließt sich weder auf den zweiten noch auf den dritten Blick.

(Beifall bei der LINKEN)

Und noch hanebüchener wird es, wenn als Beleg für eine etwaige Radikalisierung der Linken insgesamt Autobrände aus anderen Bundesländern herangezogen werden.

Sehr geehrter Herr Innenminister, was ist denn hier los? - Stellen meine Fraktion und ich z. B. Anfragen zu Aktivitäten niedersächsischer Neonazis in anderen Bundesländern, heißt es immer: Darüber kann man keine Informationen geben, weil das eben andere Bundesländer sind. Und nun basteln Sie sich gerade einen ganzen Bericht zusammen, der sich in seinem Fazit ausdrücklich auf Informationen aus anderen Ländern bezieht, ganz abge

sehen davon, dass Ihnen nicht entgangen sein dürfte, dass nur die wenigsten Taten auch tatsächlich einen linkspolitischen Hintergrund besaßen.

(Beifall bei der LINKEN - Jan- Christoph Oetjen [FDP]: Warum reden Sie nicht zum Rechtsextremismus?)

Aber wenn Sie schon Berlin oder Hamburg als Belege für die vermeintliche Bedrohung durch linke Gewalt in Niedersachsen anführen: Warum führen Sie dann nicht auch Oschatz in Sachsen an, wo der 50-Jährige André K. am 27. Mai 2011 von drei Neonazis so schwer misshandelt wurde, dass er wenige Tage später im Krankenhaus verstarb? Oder warum führen Sie nicht Neuss in NordrheinWestfalen an, wo der Obdachlose Duy Doan Pham von zwei Neonazis am 27. März 2011 totgeschlagen wurde? Wären das nicht folgerichtig ebenfalls Belege für eine konkrete Bedrohung durch rechte Gewalt?

(Beifall bei der LINKEN)

Ihrer Kreativität bei der Konstruktion von Bedrohungen und Feindbildern scheinen schlicht enge Grenzen gesetzt zu sein, und zwar ausschließlich ideologische Grenzen.

Meine Damen und Herren, an die Ergebnisse der Großen Anfrage meiner Fraktion sowie an die Ergebnisse des aktuellen Verfassungsschutzberichts knüpfen sich selbstverständlich die Fragen an, wie man mit Daten umgeht und wie sich konkret eine handlungsfähige und Erfolg versprechende Gesamtstrategie gegen Neonazismus, aber auch gegen Formen des Rassismus oder Antisemitismus erarbeiten ließe.

Herr Schünemann war so fleißig, Anfang Januar ein Gesamtkonzept im Kampf gegen Rechts zu präsentieren. Aber leider war und ist dieses schlichtweg ungenügend. Hauptgrund hierfür ist die sture Fokussierung auf die Arbeit der sogenannten V-Leute. Der Verfassungsschutz, meine Damen und Herren, war nicht in der Lage, ein annähernd adäquates Lagebild zur neonazistischen Gefahrenlage zu erstellen, und konnte die Menschen nicht vor terroristischen Taten wie denen des NSU schützen. Nun wird aber gerade dieses Konzept nicht infrage gestellt, wie man meinen sollte, sondern - nein - es wird sogar noch intensiviert. Es ist völlig unverständlich, dass Herr Schünemann weiterhin darauf setzt und es sogar zu einer tragenden Säulen in seinem Gesamtkonzept macht.

Wir fordern schon lange, im Kampf gegen Rechts auf die Kräfte der Zivilgesellschaft zu setzen. Doch genau diese werden geschwächt. So weigert sich die Landesregierung bis heute, eine Landeszentrale für politische Bildung wiedereinzurichten oder zivilgesellschaftliche Organisationen, die in diesem Bereich tätig sind, institutionell zu fördern. Stattdessen schickt sie Mitarbeiter des Inlandsgeheimdienstes mit mehr als fragwürdigen Konzepten in Schulen. Spezifische Angebote und Bildungsangebote für Lehrkräfte werden von Verfassungsschutzbehörden angeboten. Aussteigerhilfen werden ebenfalls vom Verfassungsschutz durchgeführt, was allerdings alles andere als konstruktiv sein kann und eher abschreckt als beispielsweise solche Angebote, die niedrigschwellig sind, wie beispielsweise die von Exit oder anderen.

Auch die Initiativen auf Bundesebene wie die Verbunddatei Rechtsextremismus sind eine Farce. Nicht die Geheimdienste gehören gestärkt, sondern neben der Zivilgesellschaft auch die Ermittlungsbehörden. Das, was bis heute getan worden ist, ist schön klingender Aktionismus mit wenig Substanz.

Meine Damen und Herren, die Beantwortung unserer Großen Anfrage ist fahrig und unvollständig, und letztendlich wird eindeutig, wie groß der Handlungsbedarf noch ist. Da muss noch ordentlich nachgearbeitet werden.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Frau Jahns hat sich zu Wort gemeldet.

(Minister Uwe Schünemann: Ich hatte mich gemeldet!)