Protokoll der Sitzung vom 21.06.2012

(Dr. Gabriele Andretta [SPD]: Das ist ein Fortschritt für die CDU!)

Aber auch hier belassen Sie es, ehrlich gesagt, bei lapidaren Sätzen. Sie sagen, die Landesregierung möge einen Maßnahmenkatalog entwickeln und vorlegen. Der eigentliche Schlüssel für die Lösung des Fachkräftemangels im MINT-Bereich ist es, die Zielgruppe der Frauen anzusprechen. Das bedeutet, Mädchen schon in der Kita oder in der Schule für Mathematik und Naturwissenschaften zu begeistern. Die Konzepte dafür, wie man das schafft, liegen eigentlich schon längst auf dem Tisch. Deshalb fordern wir, bei der fachdidaktischen Aus- und Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern in den MINT-Fächern die neuesten Erkenntnisse der Geschlechterlehr- und -lernforschung einfließen zu lassen. Es geht nämlich nicht nur um eine stärkere Praxisorientierung, sondern natürlich auch darum, im Unterricht die Alltagserfahrungen und Interessen von Mädchen stärker zu berücksichtigen.

Weiterhin schlagen wir vor, den Hochschulen für bestimmte Projekte wie Kinder-Unis oder SommerUnis, die Schülerinnen und Schüler für Naturwissenschaften begeistern sollen, eine Quotierung der Plätze zu empfehlen. Denn damit wären die Hochschulen verpflichtet, auch nach Kandidatinnen zu suchen. Damit haben Universitäten, wie beispielsweise die in Aachen, durchaus gute Erfahrungen gemacht.

Bei der Umsetzung von Lehrstühlen müssen wir auch nach dem Auslaufen des Bund-LänderProfessorinnenprogramms verstärkt nach Frauen suchen, weil sie positive Vorbildfunktionen für Studienanfängerinnen übernehmen können. Wir fordern, dass wir statt eines MINT-Bildungsberichtes endlich einmal Datenmaterial über die Studienabbrüche bekommen. Vor allen Dingen muss abgefragt werden, was denn die Gründe für den Abbruch sind. Im Laufe eines Studiums verlieren wir etwa jede dritte Studierende bzw. jeden dritten Studierenden. Das geschieht meistens, weil die Leistungsansprüche zu hoch waren und wichtige Klausuren - häufig im Fach Mathematik - nicht bestanden wurden.

(Zuruf: Weil sie da nicht hingehören!)

- Was heißt „weil sie da nicht hingehören“? Ich weiß nicht, wer gerade den Zwischenruf gemacht hat. Ich würde sagen: Das zeigt eher, dass da in der Schule offenbar etwas schief läuft.

(Beifall bei der SPD)

Vor allen Dingen ist es äußerst bedauerlich, dass die Kollegen von CDU und FDP den Vorschlag der IHK Braunschweig nicht aufgegriffen haben, den

Mathematikunterricht auf den Prüfstand zu stellen. Wir halten es für einen klugen Vorschlag, die Lerninhalte im Fach Mathematik unter Beteiligung von Kammern und Hochschulen auf ihre Relevanz für die spätere Ausbildung zu überprüfen und den Unterricht entsprechend anzupassen. Hier wird überhaupt nichts gemacht. Seit drei Jahren laufen Gespräche mit dem Kultusministerium und dem MWK. Jetzt wäre endlich einmal Gelegenheit gewesen, Farbe zu bekennen. Aber leider passen Sie auch jetzt wie immer.

(Zurufe von der CDU)

- Das wird nicht gemacht. Sagen Sie mir einmal, wo es gemacht wird, und dann hören Sie sich die Kommentierungen der IHK an, die schwer enttäuscht ist!

Fazit: Sie haben zwar eingesehen, dass Ihr Ursprungsantrag allzu schlicht war, aber auch der Änderungsantrag ist nicht zustimmungsfähig, weil er immer noch falsche Schwerpunkte setzt

(Dr. Gabriele Andretta [SPD]: Sie können es nicht!)

und dort kneift, wo konkrete Vorschläge eigentlich schon längst auf dem Tisch liegen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Ich erteile jetzt der Kollegin Frau Dr. Lesemann das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Glückwunsch an die Regierungskoalition! Nach einer mehr als halbjährigen Beratung haben jetzt auch Sie erkannt, dass besonders der Frauenanteil in den MINT-Studiengängen gesteigert werden muss. Aus den anfänglich acht Maßnahmen in Ihrem Ursprungsantrag sind jetzt achtzehn Maßnahmen geworden - immerhin. Ein Erkenntnisfortschritt ist durchaus festzustellen - das konstatiere ich auch positiv -, und dazu möchte ich gratulieren.

Etliche dieser Maßnahmen konnten CDU und FDP aber aus unserem Antrag abschreiben. Auch die durchgeführte Anhörung war ein durchaus sinnvoller Nachhilfeunterricht für unsere Regierungskoalitionäre.

Herzlichen Dank nochmals an alle, die daran mitgewirkt haben! Denn immerhin konnten Verbände, Organisationen, Hochschulen und Projekte die ganze Bandbreite Ihrer bisherigen Ideen und Bemühungen vorstellen, die sie bisher schon in MINT investiert haben. Schauen wir einmal, ob sich die Erkenntnisse auch in Handlungen umsetzen lassen!

In der Anhörung wurde unisono der Handlungsbedarf für die MINT-Fächer, also die Fächer Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik, betont. Der Fachkräftemangel im MINT-Bereich ist vor allem aber auch ein Mangel an Frauen in diesem Bereich. Eine sehr interessante Zahl wurde vom Kompetenzzentrum Technik-DiversityChancengleichheit genannt. Demnach sind ca. 40 % der studienberechtigten Frauen prinzipiell daran interessiert, ein Studium in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften oder Technik aufzunehmen. Warum aber studieren nur so wenige Frauen Elektrotechnik, Physik oder Informatik? - Das Image der MINT-Berufe muss vor allem bei Frauen deutlich verbessert werden. Diese Zielgruppe muss wesentlich stärker als bisher über die Vielfalt, die Voraussetzungen sowie die diesen Berufen innewohnenden Chancen informiert werden.

(Vizepräsidentin Astrid Vockert übernimmt den Vorsitz)

Technikinteresse ja oder nein - das hat ursächlich nichts mit dem Geschlecht zu tun. Denn wie sonst könnte man erklären, dass gerade Länder, die wie die BRICS-Staaten - Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika - erst neu in den Technologiesektor eingetreten sind, die Frauen in den Bereichen Forschung, Entwicklung und Technologie gut erreichen? - Auf den hinteren Plätzen dagegen befinden sich die Niederlande, Deutschland und auch Japan.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, deutlich gestiegen sind die Studierendenzahlen im Maschinenbau, aber auch in der Chemie. Biologie und Architektur sind ohnehin gut ausgelastet. Die Elektrotechnik verzeichnet zwar Zuwächse, die Nachfrage könnte aber noch deutlich besser sein.

Kreative Projekte in MINT-Fächern werden vor allem auf Betreiben der Gleichstellungsbüros als Instrument der Frauenförderung seit mehr als zehn Jahren an niedersächsischen Hochschulen durchgeführt. Ich nenne hier stellvertretend für andere die Projekte StepIn, emento und fiMINT, die Schülerinnen, Abiturientinnen und Studentinnen, aber

auch Wissenschaftlerinnen auf unterschiedlichen Karrierestufen ansprechen. Das ist wichtig, wenn man das erreichen will, was meine Vorrednerin schon ausgeführt hat, nämlich Frauen als Rollenbeispiele in diesen Fächern zu halten. Trotz dieser vielfältigen Initiativen bleiben die Frauenanteile aber deutlich steigerungsfähig. Sie liegen seit Jahren gleichbleibend bei ca. 10 bis 12 %.

Für sehr bedenkenswert halte ich in diesem Zusammenhang eine Anregung von Frau Professor Schwarze von der Hochschule Osnabrück aus der Anhörung. Viel stärker als bisher muss nach dem Erfolg von Maßnahmen gefragt werden. Was hat Erfolg bei welcher Zielgruppe, und warum funktioniert es? - Informationsveranstaltungen und bunte Broschüren allein schaffen keine Ingenieurinnen und Ingenieure, meine Damen und Herren.

Übereinstimmend wurde in der Anhörung betont, dass die Motivation für ein Studium der MINTFächer sehr früh ansetzen muss. Das gilt natürlich für beide Geschlechter, also für Jungen wie für Mädchen. In den letzten beiden Jahren vor dem Schulabschluss erfolgt zwar eine bewusstere Berufsorientierung. Ganz grundlegende Interessen werden aber wesentlich früher geweckt. Am besten kann man diese Interessen in der Kindertagesstätte oder spätestens in der Grundschule wecken und fördern.

Deshalb sind Projekte wie die von der Stiftung NiedersachsenMetall richtig, die Erzieherinnen in den Kitas fortbilden, weil hier Grundlagen geschaffen werden. Einige Hochschulen gehen auf Kinder und Schüler mit eigenen Angeboten zu: mit Schülerlaboren wie dem Agnes-Pockels-Labor an der TU Braunschweig, mit dem Haus der kleinen Forscher und mit Kinder-Unis. Das sind sehr lobenswerte Ideen.

Aber: Mit diesen Angeboten - auch das wurde in der Anhörung deutlich - erreicht man vor allem Kinder aus bildungsnahen Schichten oder solche, die in der Nähe eines Hochschulstandortes leben. Damit wird Bildungsgerechtigkeit auch zunehmend eine Frage nicht nur des Elternhauses, sondern auch des Wohnortes.

Meine Damen und Herren, damit sich diese Entwicklung nicht verfestigt, bedarf es eines systematischen Ansatzes. Wichtig sind Geduld und ein langer Atem. Das Interesse an MINT-Fächern braucht Verstetigung. Auch das Interesse an der Förderung von MINT-Fächern braucht Verstetigung. Die Projekte dürfen nicht nur kurzfristig angelegt sein. Mädchen brauchen bei der MINT-För

derung eine andere Ansprache als Jungen. Geschlechtergerechte Didaktik heißt hier das Stichwort. Es gilt, Beratungskräfte in den Hochschulen, bei der Bundesagentur für Arbeit, aber auch die Lehrkräfte an Schule und Hochschule für die Gender-Thematik zu sensibilisieren und zu schulen. Und auch der Übergang Schule/Beruf muss früher starten.

Das Thema Didaktik ist äußerst wichtig; es ist in diesem Zusammenhang ein Schlüsselthema. Mathematisch-naturwissenschaftlicher Unterricht muss deutlich praxisnäher, lebensnäher und insgesamt attraktiver werden. Er muss vor allem auf die veränderte Zusammensetzung der Schülerschaft eingehen und mehr Handlungsorientierung liefern.

(Glocke der Präsidentin)

Darin bestand Einigkeit. Weiterhin müssen Maßnahmen ergriffen werden, die dazu dienen, Studienabbrüchen vorzubeugen. Aus einer aktuellen Studie des HIS vom Mai geht hervor, dass fast jeder zweite Studierende sein MINT-Studium abbricht. Das ist natürlich eine riesige Ressourcenverschwendung. Hier brauchen wir eine bessere Betreuung und eine bessere Beratung, und auch die Qualität der Lehre muss mehr im Mittelpunkt stehen.

(Victor Perli [LINKE]: Das Recht auf den Master!)

Vorschläge hierzu können Sie dem SPD-Antrag entnehmen.

Ingenieure kommen traditionell aus kleinen Verhältnissen. Sie stammen häufig aus nicht akademischen Elternhäusern und sind oft die ersten aus einer Familie, die den Schritt an die Uni wagen. Hier liegt ein steigerungsfähiges Potenzial. Wer MINT-Fächer studieren will, darf nicht durch finanzielle Hürden ausgebremst werden.

(Glocke der Präsidentin)

Auch deshalb haben wir in diesem Antrag unsere Forderung nach Abschaffung der Studiengebühren erneuert.

(Victor Perli [LINKE]: Aber nicht aller Gebühren!)

Einen letzten Satz gestatte ich Ihnen noch.

Wir werden den CDU/FDP-Antrag auch deshalb ablehnen, weil er keine soziale Sensibilität erkennen lässt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Danke schön, Frau Dr. Lesemann. - Für die FDPFraktion hat sich Frau von Below-Neufeldt zu Wort gemeldet. Bitte schön, Sie haben das Wort.

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit MINT ist es so wie mit den Schiffen: Wer gute Schiffe bauen will, der muss die Sehnsucht nach dem Meer wecken. Genauso ist es auch mit diesem Antrag. Wir haben es gemacht. Wir haben Ihr Interesse geweckt, und darüber bin ich froh.

(Lachen bei der SPD)

Alle Fraktionen haben reagiert. Ihre Reaktion zeigt dies wieder. Ich freue mich darüber, dass Sie alle sich auch für die MINT-Fächer engagieren.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Es war unsere Initiative; das noch einmal in aller Deutlichkeit. Technik und Naturwissenschaften sind nämlich ganz wesentlich und sind aus unserem Alltag und aus unserer Zukunft gar nicht wegzudenken. Fahrzeuge können sicherer werden, die ältere Generation kann sicher und selbstbestimmt länger in den eigenen vier Wänden leben. Wir haben beste Kommunikationsmittel und können viele Alltagsfragen ganz wunderbar regeln und natürlich auch im Beruf wirken.