Protokoll der Sitzung vom 16.09.2008

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Herr Klein.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe an diesem Haushaltsplanentwurf 2009 fünf

Hauptkritikpunkte anzumerken, die ich Ihnen in fünf Thesen darstellen möchte.

Die These Nr. 1 lautet: Der 100-Tage-Fehlstart in die neue Wahlperiode hat bei der Landesregierung offensichtlich eine nachfolgende Schockstarre ausgelöst.

(Heiterkeit und Zustimmung von Dr. Manfred Sohn [LINKE])

Der Haushalt 2009 ist ein Dokument des Stillstands und des Rückschritts.

(Beifall bei den GRÜNEN - Dr. Bernd Althusmann [CDU]: Was ist das denn? Das sind ja Thesen!)

Meine Damen und Herren, manchmal ist die Ursache eines Fehlstarts ein besonders ambitioniertes Drängen nach vorn und zum Sieg. Dann konzentriert man sich beim zweiten Mal und startet durch. Manchmal ist die Ursache aber auch schlicht Erschöpfung. Darum handelt es sich offensichtlich bei dieser Landesregierung. Zumindest kann man diesen Eindruck bekommen, wenn man diesen vorliegenden Haushaltsentwurf in Verbindung mit dem dazugehörigen Nachtrag 2008 und der Mipla querliest.

(Dr. Bernd Althusmann [CDU]: Sie sollen ihn nicht nur querlesen!)

Recht vielversprechend war für den oberflächlichen Betrachter, Herr Kollege Althusmann, die Verbaleroberung der Klimaschutzpolitik durch die Union.

(Dr. Bernd Althusmann [CDU]: Ja- wohl!)

Sie, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der Union, wissen, dass der Höhepunkt dieses Vorgangs die Krönung Ihrer Klimaqueen in Berlin war. Aber, meine Damen und Herren, ich habe noch nie eine Monarchie so schnell wie diese zusammenbrechen sehen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie haben einfach nicht begriffen, dass die Krönung allein nicht ausreicht, sondern dass man auch entsprechend regieren muss oder schlicht und einfach das, worüber man spricht, tun muss.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir werden beobachten, ob die Regentschaft der Apfelkönigin im Alten Land ebenso kurz sein wird.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Wo ist denn die Apfelkönigin überhaupt, David McAllister?)

Meine Damen und Herren, der Haushalt 2009 ist kein Klimaschutzhaushalt. Aktive Klimaschutzmaßnahmen kommen darin nicht vor. Selbstverständlichkeiten werden angepriesen, eine Vorreiterrolle gibt es allerdings nicht. Die wenigen positiven Ansätze werden zigfach kompensiert durch überflüssige Kohlekraftwerks- und Autobahnpläne. Das ist so, als wenn jemand sein Wohnzimmer ganz stolz mit Energiesparlampen auskleidet und es anschließend mit einem elektrischen Heizlüfter auf eine Raumtemperatur von 30 Grad Celsius bringt.

(Beifall und Heiterkeit bei den GRÜ- NEN)

Meine Damen und Herren, im Bildungsbereich gibt es viele Ankündigungen, aber auf die drängendsten Probleme gibt es, wenn überhaupt, nur unzureichende Notlösungen. Im Kita-Bereich beschränkt sich die Landesregierung auf das vom Bund initiierte Pflichtprogramm. Es wird gekleckert statt, wie erforderlich, geklotzt.

(Dr. Bernd Althusmann [CDU]: Das stimmt doch nicht!)

In der Schule versickern weiterhin wichtige Ressourcen in den uneffektiven Strukturen eines gegliederten Schulsystems, und, Herr Althusmann, die Unterrichtsversorgung wird wieder schlechter. Wer will das bestreiten! Der Wechsel vom System des Aussortierens zu einer Strategie der individuellen Förderung kommt bei Ihnen einfach nicht voran. Das von allen erkennbare Problem des künftigen Lehrermangels wird mit der von Ihnen vorgelegten Sparversion nicht gelöst. Das bereitgestellte Geld ist viel zu wenig und wird noch durch den unnötigen Aufbau neuer Strukturen verschwendet.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, auch im Sozialbereich gibt es nicht nur Stillstand, sondern auch Rückschritt. Im Zuge der Debatte um die grassierende Kinderarmut waren in diesem Jahr zusätzliche Mittel z. B. für ein warmes Schulmittagessen zur Verfügung gestellt worden. Nicht einmal dieser wenig ambitionierte Sozialfonds hat den Sprung in das neue Haushaltsjahr geschafft.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der Einzelplan 20, der Haushalt für Investitionen, wird in Bezug auf neue Investitionen zur Wüstung,

während sich der Finanzminister im Landesliegenschaftsfonds und im Agrarstrukturfonds neue Juliustürme aufbaut. Meine Damen und Herren, nicht nur eine niedrige Nettoneuverschuldung, sondern auch die Investitionsquote im Land sagt etwas über die Qualität der Regierungspolitik aus.

(Dr. Bernd Althusmann [CDU]: Nen- nen Sie einmal die absolute Höhe!)

Seit Jahren unbearbeitet, Herr Althusmann, ist die implizite und drastisch steigende Verschuldung des Landes durch die Pensionsverpflichtungen. Bis zum Jahre 2030 werden die Ausgaben von heute knapp 10 % auf rund 14 % des Haushaltsvolumens steigen. Eine finanzielle Vorsorge wurde verschlafen und ignoriert. Minimierungsbemühungen durch den verstärkten Einsatz von Angestellten blieben aus - im Gegenteil! Der Versorgungsfonds der Landesregierung wird - wenn er tatsächlich 2010 kommt - zur Deckung der Ansprüche bereits Beschäftigter keinen Beitrag leisten. Hier gilt es, die jüngste beratende Äußerung des Landesrechnungshofes tabulos zu prüfen.

Meine Damen und Herren, dieser Haushaltsentwurf 2009 ist nicht zukunftsfähig. Kommen Sie - ich spreche Sie im Regierungslager an - in die Gänge! Für ein Sabbatjahr ist eine Wahlperiode einfach zu kurz!

(Beifall bei den GRÜNEN)

These Nr. 2 lautet: Die dogmatischen und symbolträchtigen Politikziele eines Haushaltes ohne Neuverschuldung in 2010 und eines angeblich konsequenten Schuldenaufnahmeverbotes provozieren bei der Landesregierung einen tiefen Griff in die Trickkiste. So wird der Haushaltsentwurf 2009 zu einem fragwürdigen Dokument von Selbstbetrug und Wählertäuschung. Das entwertet

(Unruhe bei der CDU)

- hören Sie zu! - die durchaus guten und anerkennenswerten Konsolidierungserfolge der Vergangenheit. Wir reden bei diesem Punkt über Vermögensverzehr, Schattenhaushalte und sogenannte Rücklagen, die nichts anderes als nicht aufgenommene Kredite sind.

Der Finanzminister weist immer wieder darauf hin, dass ein Landeshaushalt ebenso wie ein guter Privathaushalt geführt werden und mit seinem Einkommen auskommen muss. Wie würde - lassen Sie uns einmal das durchspielen - die Lösung, die uns die Landesregierung jetzt unterjubeln will, bei der Familie X - Vater X, Mutter X, Tochter X - aus

sehen: Familie X hat einige Jahre über ihre Verhältnisse gelebt und Schulden angehäuft. Sie will das jetzt ändern und in Zukunft mit null neuen Schulden auskommen. Das Dumme ist, dass sie errechnet hat, dass sie im nächsten Jahr dennoch 10 000 Euro mehr braucht, als sie einnimmt. In der Situation schlägt die Familie folgende Lösung vor: Vater X verkauft seine Krügerrand-Goldmünzen. Der Verkauf bringt 2 000 Euro. Außerdem verkauft die Familie X ihren Zweitwagen an Tochter X. Da sie kein Einkommen hat, nimmt sie dafür natürlich einen Kredit auf. Das sind 3 000 Euro. Dann kommt der Clou: Im letzten Jahr wollte die Familie in den Urlaub fahren und war klamm. Da hat ihr die Bank einen zusätzlichen Überziehungskredit von 5 000 Euro eingeräumt. Den hat sie aber nicht gebraucht, weil Mutter X im Spielcasino gewonnen hatte. Diese 5 000 Euro nimmt sie dann auch noch dazu. Also hat sie in diesem Jahr keine neuen Schulden gemacht. - So funktioniert das bei dieser Landesregierung.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie kommen jedenfalls zu diesem Ergebnis, wenn Sie an die Zahlen aus meinem Beispiel fünf Nullen anhängen.

Meine Damen und Herren, auch für den nicht unwahrscheinlichen Fall, dass das Problem im darauf folgenden Jahr wieder auftritt, hat Vater X übrigens schon eine Lösung. Dann nämlich verkauft Familie X ihr Eigenheim und mietet es vom Käufer wieder zurück. So lange kann sie dann auch noch mit der überfälligen Erneuerung der Heizungsanlage warten. Die braucht sie dann auch nicht zu bezahlen.

(Heinz Rolfes [CDU]: So einfach ist das aber nicht!)

Meine Damen und Herren, vor diesem Hintergrund kann man auch die Propaganda der Landesregierung um ein Schuldenaufnahmeverbot nicht mehr ernst nehmen. Das betrifft auch die Ablehnung eines konjunkturell atmenden Haushaltes im Rahmen einer Schuldenbremse. Obwohl wirksame Lösungen nur auf der Verfassungsebene möglich sind, verweigern Sie hier die Zusammenarbeit mit der Opposition. Ihr angekündigter Alleingang über die Landeshaushaltsordnung ist doch nur ein Papiertiger. Damit sollten Sie das Parlament möglichst gar nicht erst belästigen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nehmen wir doch einfach einmal die Mehreinnahmen von 2006 bis 2008 aufgrund des konjunkturel

len Anstiegs. Sie betrugen rund 5,7 Milliarden Euro. Wenn man diesen Betrag einmal als Spannbreite der Konjunkturkurve zugrunde legt, müsste die Landesregierung zu ihrem Handlungsbedarf von 1 Milliarde Euro von den Einnahmen 2008 noch einmal rund 2 Milliarden Euro zurücklegen, um für das nächste Konjunkturtal gerüstet zu sein, ganz zu schweigen von diversen Haushaltsrisiken, wie z. B. den absurden Steuersenkungsplänen der CSU.

Kommen wir zur These Nr. 3. Im Bestreben um die Konsolidierung des Landeshaushaltes vernachlässigt die Landesregierung die Struktur- und Finanzprobleme der Kommunen. Der Haushaltsentwurf 2009 ignoriert den kommunalpolitischen Handlungsbedarf; er löst die Zusagen der Regierungserklärung nicht ein.

Meine Damen und Herren, die Kommunen sind Teil des Landes und von ihm abhängig. Man kann erst von einer Konsolidierung des Landeshaushaltes reden, wenn das auch für die große Mehrheit der Kommunalhaushalte gilt. Trotz erheblicher konjunkturell bedingter Einnahmeverbesserungen dauert die kommunale Finanzkrise an. Mit 4,2 Milliarden Euro haben die niedersächsischen Kommunen bundesweit die zweithöchste unzulässige Verschuldung mit Kassenkrediten. Die Landesregierung aber tut nichts. In ihrem Konzept einer zweistufigen Landesverwaltung trägt sie im Grunde genommen den zwangsläufigen Folgen nicht Rechnung. Aufgabenoptimierungen, die sich dadurch ergeben,

(Dr. Bernd Althusmann [CDU]: Wel- che wären das denn?)

können nicht genutzt werden, Herr Althusmann, da die Struktur und die Leistungsmöglichkeit der kommunalen Ebene dies in vielen Fällen nicht hergeben. Sie haben kein Konzept, um diese Leistungsfähigkeit und die gesunden Strukturen umzusetzen. Das zeigt sich bei all dem Drum und Dran um die Hochzeitsprämie. Ohne eine Altschuldenhilfe wird es weitere Fusionen nicht geben. Die Prämie soll ja bekanntlich aus den Bedarfszuweisungen und damit aus dem kommunalen Topf gezahlt werden. Ansonsten sind lediglich ein paar Euro für Beratung vorgesehen.

Dann war da natürlich auch noch die Wunderwaffe Modellkommunen-Gesetz. Hier offenbart sich aus meiner Sicht ein meteorologisches Phänomen. Beim Unterschied zwischen gemessener und gefühlter Temperatur sprechen Experten von einem Windchill. Es ergibt sich jedenfalls ein Megachill,

wenn man den Wind, den das Regierungslager um dieses sogenannte Entbürokratisierungsgesetz gemacht hat, mit den tatsächlichen Ergebnissen vergleicht, die im Rahmen des wissenschaftlichen Statusberichtes im Juni vorgelegt worden sind.