Protokoll der Sitzung vom 16.09.2008

(Beifall bei der LINKEN)

Der sogenannte einheitliche Beitragssatz ist eine Mogelpackung; denn bereits ab 2010 kann eine Zusatzprämie erhoben werden, natürlich wieder nur zulasten der GKV-Versicherten und bei gleichzeitiger Entlastung der Arbeitgeber. Wenn hier auch von einer Kopfpauschale gesprochen wird, so ist damit gemeint, dass Geringverdiener im Verhältnis höher belastet werden. Das wollen wir nicht hinnehmen. Der Gesetzgeber will weiterhin vorschreiben, dass bei Preissteigerungen erst bei einem Deckungsgrad von weniger als 95 % mit einer Anpassung reagiert wird. Damit ist bereits jetzt eine Unterfinanzierung spätestens für das Jahr 2010 vorprogrammiert. Im Ergebnis wird das dazu führen, dass die GKV-Kassen Zusatzprämien erheben werden, die wiederum zulasten der Versicherten gehen.

Was den krankheitsorientierten Risikoausgleich angeht, so fordern wir Linke bereits seit Langem einen entsprechenden Ausgleich. Leider ist das Modell der Bundesregierung dafür aber unzureichend.

(Beifall bei der LINKEN)

Es werden nur 80 Krankheiten berücksichtigt, was zu einer Verschärfung des Wettbewerbs zwischen den Kassen führen wird, der wiederum gerade die Allgemeinen Ortskrankenkassen besonders treffen wird, während die anderen Kassen die sogenannten Gesunden und die Leistungsfähigen umwerben.

In diesem Kontext verliere ich ein paar Worte zu den Wahltarifen, die sich gerade an die letztgenannte Klientel richten. Mit Sparangeboten und mehr gehen - so will ich es einmal formulieren - dem Sozialtopf der GKV zwangsläufig bedeutende Mittel verloren. Damit wird ein ähnlicher Effekt erzielt werden, wie er bereits seit Langem bei privat Versicherten zu beobachten ist. Das ist nichts weiter als ein Schritt in Richtung einer Zweiklassenmedizin. Das lehnen wir Linke ab.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte die Konvergenzklausel als größten Skandal im Gesundheitsfonds 2009 bezeichnen. Durch die Begrenzung auf maximal 100 Millionen Euro pro Bundesland gehen die weit höheren Arzthonorare in Bayern und Baden-Württemberg beispielsweise zulasten der Länder Thüringen und Sachsen. Unser Bundesland Niedersachsen liegt im Mittelfeld der Bundesländer. An dieser Stelle ist zu fragen, für wie lange die Landesregierung meint, der durch die Manifestierung dieser Zustände verursachten zunehmenden Landflucht von Ärzten und den damit verbundenen Folgen auch für unser Bundesland Einhalt gebieten zu können. Das ist eine der zentralen Fragen. Dieser Verantwortung müssen wir uns stellen, gerade auch die Landesregierung.

Der von der Großen Koalition forcierte Wettbewerb der Kassen führt zu einem Sterben derjenigen Kassen, denen es nicht gelingen wird, die Leistungsstarken und Gesunden als Versicherte zu gewinnen oder zu akquirieren, und die gleichzeitig unter der sogenannten Last der chronisch Kranken leiden. Ist das die Vorstellung der anderen Parteien?

Zu guter Letzt - damit möchte ich gleich schließen - noch einmal einen Dank an die FDP und ihren Vorsitzenden Guido Westerwelle. Er hat jüngst ein Drohszenario in Sachen Gesundheitsfinanzierung gezeichnet und von einer „Zwangs-AOK“ gesprochen. Ich sage Ihnen: Ja. Wenn Sie es so wollen, so wollen wir Linke genau dies erreichen. Wir wollen das Solidarprinzip, von dem Sie Abstand nehmen, in eine solidarische Bürgerinnen- und Bür

gerversicherung retten - nicht mehr und nicht weniger.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich erteile der Kollegin Helmhold von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dass dieser Gesundheitsfonds keines der Probleme im Gesundheitswesen löst, ist bekannt. Dass er aber immer noch neue Probleme schaffen wird, verschweigen die Berliner Koalitionäre im Moment gern.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Dieser Gesundheitsfonds war ja nichts weiter als ein Notkompromiss zur Gesichtswahrung einer zerrissenen Koalition. Die SPD bekam die Einkommensabhängigkeit der Beiträge, und die CDU bekam den Einstieg in die Kopfpauschale. Die Zeche für diesen unsäglichen Kompromiss zahlen die Bürgerinnen und Bürger, d. h. die Beitragszahler.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Am 1. November werden wohl viele eine böse Überraschung erleben. Dann wird nämlich der einheitliche Beitragssatz festgelegt und wird das Motto gelten: wenn schon keine Steigerung des Wettbewerbs, dann doch wenigstens eine der Beiträge. - Denn durch diese zentrale Festsetzung - Frau Meißner hat bereits darauf hingewiesen - wird es nur teurer, schon allein wegen der notwendigen Liquiditätsreserve in Höhe von 3 Milliarden Euro. Diese Diskussion wird uns einen heißen politischen Herbst bescheren; denn die Kassen haben ihre Beiträge ja schon zum Jahresbeginn um durchschnittlich 0,6 % erhöht. Das heißt, die Beitragszahler sind schon einmal kräftig zur Kasse gebeten worden. Weitere Steigerungen sind absehbar: Arznei- und Heilmittelkosten werden steigen. Die niedergelassenen Ärzte haben jüngst Milliarden-Zusagen bekommen. Ferner werden die Kosten für die stationäre Versorgung mit Sicherheit steigen. Das alles muss finanziell abgebildet werden.

Dieser Gesundheitsfonds, meine Damen und Herren, wird zu einer aufwendigen bürokratischen und völlig nutzlosen Veränderung der Finanzströme

führen und zu einer nachhaltigen Finanzierung des Gesundheitswesens nichts, aber auch wirklich gar nichts beitragen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Weder werden privat Versicherte einbezogen, noch wird die Bemessungsgrundlage verbreitert. Der Solidarausgleich soll nur zwischen Geringverdienern und denen, die ein bisschen mehr verdienen, stattfinden, aber keinesfalls bei irgendjemandem, der darüber liegt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wenn der Einheitsbeitrag nicht reicht, werden Zusatzbeiträge fällig. Die allerdings müssen allein die Arbeitnehmer bezahlen. Die Arbeitgeber bleiben schön außen vor. Als gerecht und solidarisch kann ich das nicht empfinden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wir hätten der Koalition so viel Staatsdirigismus überhaupt nicht zugetraut. Da war ich wirklich erstaunt. Die Bundesregierung will jetzt jedes Jahr den Beitragssatz festlegen, und den Preiswettbewerb sollen die Kassen über den Zusatzbeitrag betreiben. Die Höhe wird abhängen vom Einkommen der Menschen, die bei den Kassen versichert sind, vom Gesundheitszustand - d. h. die Höhe ist auch an das Alter gekoppelt - und von der Kinderzahl. Wenn die Zusatzbeiträge steigen, werden das die besser Verdienenden bezahlen müssen. Die werden diese Kasse natürlich fluchtartig verlassen und in Kassen mit einer günstigeren Mitgliederstruktur eintreten. Das nenne ich nicht Wettbewerb, sondern Wettbewerbsverzerrung und das Gegenteil von Solidarität.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Was also bringt der Gesundheitsfonds? - Keine nachhaltige Finanzierung, höhere Beiträge, extrem viel Bürokratie. Es bleibt bei der Privilegierung höherer Einkommen und der Vermögenseinkommen. Das ganze Ding ist Merkel-Murks. Offensichtlich wollte sie wenigstens etwas von den Leipziger Beschlüssen in die Koalition hinüberretten.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung von Kreszentia Flauger [LINKE])

Nötig ist etwas anderes: Vor allem mehr Solidarität, meine Damen und Herren. Gesetzliche und private Krankenkassen müssen in der Bürgerversicherung zusammengeführt werden. Alle Bevölkerungsgruppen und alle Einkommen müssen am

Solidarausgleich beteiligt werden. Das würde eine sichere finanzielle Grundlage geben. Das wäre zukunftsweisend und gerecht.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich erteile dem Kollegen Schwarz von der SPDFraktion das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Meißner, Sie haben nicht recht, wenn Sie sagen, das werde hinter vorgehaltener Hand fast überall so gesagt. Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich ähnlich wie Sie den Gesundheitsfonds für falsch halte und dass dieser Gesundheitsfonds nach meiner Überzeugung in der Tat keine Probleme löst. Allerdings verbaut er auch keine Lösungen. Dieser Gesundheitsfonds ist ein Kompromiss in einer Großen Koalition, bei dem es um die Frage geht: Wird zukünftig der Weg über die Kopfpauschale eingeschlagen, oder wird künftig der Weg über eine Bürgerversicherung eingeschlagen? - Ich hoffe, dass das Wahlergebnis nach der nächsten Bundestagswahl so klar sein wird, dass der Weg der Bürgerversicherung eingeschlagen wird.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich möchte auch deutlich machen, dass dieser Gesundheitsfonds das Element einer großen Gesundheitsreform ist. Vielleicht sollten wir einmal darauf hinweisen, was diese Gesundheitsreform alles beinhaltet. Sie hat aufgenommen seit Jahren geforderte neue Leistungen wie die Finanzierung von Hospizeinrichtungen, die finanzielle Unterstützung im Bereich der Palliativmedizin, die erstmalige Einführung von Vater-und-Kind-Kuren. Sie hat die Versicherungspflicht für alle Menschen in dieser Republik hergestellt. Mehr als 300 000 Menschen hatten hier keinen Versicherungsschutz. Ich sage Ihnen: Ich bin stolz darauf, dass Ulla Schmidt das endlich durchgesetzt hat.

(Beifall bei der SPD)

Wenn es um die Debatte über den einheitlichen Krankenversicherungsbeitrag geht, sage ich Ihnen: Ich bin sehr für einen einheitlichen Krankenkassenbeitrag, weil keinem Menschen erklärt werden kann, dass er trotz gleicher Leistungsansprüche nur deshalb höhere Beiträge zahlen muss, weil er

in einem strukturschwachen Gebiet wohnt. Das ist der einzige Grund. Deshalb wäre nichts fairer als ein einheitlicher Beitragssatz auch in der gesetzlichen Krankenversicherung, wie es ihn schon in der Renten- oder in der Arbeitslosenversicherung gibt.

Was mich allerdings einmal interessieren würde - darauf sind Sie mit keinem Satz eingegangen -, wäre die Alternative der FDP. Diese sollten Sie uns bitte nicht verheimlichen. Die FDP will die komplette Abschaffung der solidarischen gesetzlichen Krankenversicherung.

(Gesine Meißner [FDP]: Das stimmt doch gar nicht!)

Sie will stattdessen eine Privatversicherung für alle mit Mindestleistungen. „Für alle“ bedeutet: Sie müssen genug Geld haben, sie müssen jung sein, und sie müssen möglichst ledig sein. Denn sonst kommen Sie bei diesem System ganz schnell ins kurze Gras, meine Damen und Herren.

Mich würde auch interessieren, was die FDP unter „Mindestumsetzung“ und „Mindestleistung“ überhaupt versteht. Dazu wird nämlich an keiner Stelle klar Position bezogen. Was heißt das für den Zahnersatz? Was heißt das für kieferorthopädische Behandlungen? Was heißt das für den Krankenhausstandard? Was heißt das für Reha-Maßnahmen? - Sagen Sie uns das bitte einmal! Ich sage Ihnen: Dieses Gesundheitssystem gibt 150 Milliarden Euro pro Jahr aus. 80 % davon werden ausschließlich für die Behandlung von chronisch Kranken, von Hochbetagten und von Schwerstkranken im Endstadium ausgegeben. Diese Personen, meine Damen und Herren, brauchen keinen Basistarif, sondern eine optimale, anständige medizinische Betreuung, ohne Millionäre sein zu müssen.

(Beifall bei der SPD)

Was Mindestleistungen bedeuten, hat diese Koalition am Beispiel der Altenpflege in Niedersachsen vorgemacht. Sie hat den alten Menschen die finanziellen Mittel für die stationären Einrichtungen gestrichen. Das Ergebnis ist: Über deren Mindeststandard entscheiden heute die Kreise und kreisfreien Städte. Sie entscheiden darüber, ob sie im Einbett-, Zweibett- oder Dreibettzimmer sind. Ich möchte nicht solche Verhältnisse in der gesetzlichen Krankenversicherung, sodass man nur noch davon abhängig ist, ob der eigene Finanzbeutel stimmt, und ansonsten jede Privat- und Intimsphäre aufgegeben wird. Insofern ist dies ein Parade

beispiel dafür, worauf wir uns einstellen könnten, wenn Sie sich inhaltlich damit durchsetzen sollten.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben andere Probleme im Gesundheitswesen: massive Verteilungskämpfe zwischen den Leistungserbringern, nach wie vor starre Kostenabgrenzungsbereiche, keine sektoral überschreitende Finanzierung. All dies sind die hinlänglich bekannten Probleme.

Lassen Sie mich Ihnen noch etwas zum System der FDP sagen, Frau Meißner.