Protokoll der Sitzung vom 22.06.2012

Herr Matthiesen, das ist das Problem, über das wir seit Monaten diskutieren. Sie haben eben juristisch und auch anhand der Zeitabläufe begründet, warum mit Fiskalpakt, ESM und allem, was sich darum herumrankt, eigentlich alles in Ordnung ist.

Das einzige Problem ist, dass die Menschen, die Europäerinnen und Europäer, das in vielen Bereichen nicht so verstanden haben, wie Sie es dargestellt haben. Anders ist es nicht zu erklären, dass die eine Hälfte der Strategie von Merkel und Sarkozy total abgewählt worden ist. Sarkozy ist weg, Hollande ist da. Die absolute Mehrheit im französischen Parlament ist ein Dokument, das beweist, dass europäische Politik offensichtlich brachial nicht durchsetzbar ist und es unbedingt notwendig war, das, was über Fiskalpakt und ESM längst festgelegt und dargestellt worden ist, um Dinge zu ergänzen, die Sie partout nicht haben wollten: Finanztransaktionssteuer, Wachstumspakt und die Punkte, die ich aufgezählt habe.

Insofern verstehe ich nicht, warum Sie, nachdem Ihre politischen Spitzen in Berlin zugestimmt haben, Probleme haben, vielleicht dem Änderungsantrag zuzustimmen.

(Beifall bei der SPD)

Herr Dr. Matthiesen möchte antworten. Sie haben die Gelegenheit dazu. Bitte schön!

Herr Kollege Sohn, es bestand doch überall in Deutschland Einverständnis, dass wir die Finanzkrise durch massive Investitionen bekämpfen. Das hat doch auch zu den Erfolgen geführt, die wir bewundern können, nämlich dass in Deutschland die Arbeitslosigkeit stark zurückgeht und die Wirtschaft super in Form ist.

Das wäre auch im Bereich eines Fiskalvertrages möglich. Der Fiskalvertrag sieht ja eine Feinsteuerung vor. Abgesehen davon zeigt das doch, dass wir jetzt bei neuen Schulden sehr vorsichtig sein müssen.

Das gesamte europäische Konjunkturprogramm als Folge der Finanzkrise macht rund 600 Milliarden Euro aus. Es ist klar, dass wir das nicht jedes Mal tun können und dass wir für Wachstumsprogramme, die wir jetzt auflegen, nicht wieder neue Schulden machen dürfen. Das ist gestern auch in Berlin Konsens gewesen.

Es ist klar, dass jetzt Schuldendisziplin herrschen muss. Deswegen muss mit dem Fiskalvertrag unbedingt die Grundlage gelegt werden, dass der Europäische Stabilitätsmechanismus funktioniert. Ich sagte gerade, dass es rund 300 Milliarden Euro sind.

(Glocke des Präsidenten)

Alle, die in Deutschland anpacken - Arbeitnehmer und Arbeitgeber -, sehen nicht ein, wenn Geld über den ESM bereitgestellt wird, ohne dass sich etwas ändert. Wir können nicht einfach so bis zum nächsten Knall weitermachen, sondern es muss etwas geschehen. Und dem dient dieser Fiskalvertrag.

Und noch ein Wort, Herr Aller:

Aber ganz kurz, bitte!

Jetzt nahezulegen, dass die CDU gegen eine Finanztransaktionssteuer gewesen wäre, ist nicht richtig. Es ist auch nicht richtig, dass die CDU etwas gegen Wachstum gehabt hätte. Sie hat vielmehr eine ganze Reihe von Wachstumsinitiativen vorgeschlagen. Das alles lässt sich in den Unterlagen des Europäischen Rats verfolgen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Dr. Matthiesen. - Als Nächster hat Herr Rickert das Wort für die FDP-Fraktion.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Ereignisse überschlagen sich in der Tat. Das hat seine Ursache sicherlich auch darin, dass sich die Finanzmärkte dynamisch verändern. Wir stellen fest, dass eine Reihe von europäischen Ländern finanziell am Abgrund steht. Alles das, was hier passiert, tun wir ja nicht nur, um den europäischen Gedanken aufrechtzuerhalten, sondern auch, um den Euro in seiner Stabilität zu bewahren. Das ist sicherlich nicht nur für Deutschland gut, sondern auch insbesondere für die deutsche Wirtschaft.

(Beifall bei der FDP)

Ich will die Entwicklung der vergangenen Monate nicht noch einmal Revue passieren lassen. Wer von Ihnen es in der Zeitung gelesen hat, weiß, wie dramatisch die Situation ist. Insofern war und ist Handeln geboten, und das nicht erst seit dem ESFS, sondern auch mit dem ESM und jetzt natürlich mit dem Fiskalpakt.

Deswegen hat sich die FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag auch nicht dem gemeinsamen Antrag der großen Fraktionen verschlossen. Der guten Ordnung halber möchte ich aber sagen: Wir sind nicht gegen die Finanztransaktionssteuer gewesen, sondern wir wollten erreichen, dass sie, wenn sie denn schon eingeführt wird, für die gesamte EU, d. h. für alle 27 Mitgliedstaaten des EU-Raumes, gilt. Das aber ist nicht erreichbar gewesen. Wir haben in dem Kompromiss erreicht, dass es mindestens neun Staaten sein müssen und dass die Sparer bzw. die Rentenversicherung keinerlei Belastung dadurch erfahren sollen.

Des Weiteren legen wir Wert auf den Wachstumsgedanken, der in dem Fiskalpakt ja auch seinen Ausdruck findet. Ferner legen wir Wert auf die

Feststellung, dass das nach Möglichkeit nicht aus zusätzlichen Schulden heraus finanziert werden soll.

(Beifall bei der FDP)

Wir wissen - das haben die Diskussionsbeiträge insbesondere der Opposition gezeigt -, dass der Fiskalvertrag noch nicht in trockenen Tüchern ist. Dennoch begrüßen wir - auch wenn es gelegentlich schwerfällt -, dass das Bundesverfassungsgericht der Bundesregierung aufgegeben hat, die Parlamente und insbesondere den Deutschen Bundestag mehr einzubinden, mehr Öffentlichkeit und Transparenz herzustellen. Diese Einbindung ist sicherlich richtig, obwohl diese Handlungen und Entscheidungen gelegentlich sehr schnell und zügig vonstatten gehen mussten. Aber das ist der Kompromiss, den wir hinnehmen müssen.

Wir begrüßen darüber hinaus, dass in unserem Antrag von CDU und FDP insbesondere der Gedanke festgehalten wird, dass das Budgetrecht des Niedersächsischen Landtags nicht beeinträchtigt wird und die Interessen der Länder aufrechterhalten bleiben.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Das können Sie gar nicht absichern!)

Der Fiskalpakt ist eine konstruierte Schuldenbremse; so will ich es einmal ausdrücken. Es ist im Prinzip nichts anderes als das, was CDU und FDP auf Landesebene schon vor vielen Monaten in die Diskussion gebracht haben. Sie wissen um den Diskussionsstand. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung ist es umso wichtiger, dass die Oppositionsfraktionen des Niedersächsischen Landtags über ihren Schatten springen und der Verankerung der Schuldenbremse in der Niedersächsischen Verfassung zustimmen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Da - das sage ich abschließend - der Fiskalpakt genauso richtig ist wie der ESM, wird die Niedersächsische Landesregierung ihm in Berlin zustimmen und sich für seine Ratifizierung stark machen. Das geschieht - ich sagte es bereits - im Sinne der gesamteuropäischen Verantwortung, aber insbesondere auch im Interesse der Wirtschaft, der Arbeitnehmer und aller Menschen, die in Europa arbeiten und leben.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Herr Klein von Bündnis 90/Die Grünen hat sich zu einer Kurzintervention auf diesen Beitrag gemeldet. Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Rickert, Sie selbst haben Ihren Beitrag mit dem Hinweis eingeführt, dass wir inzwischen eine völlig neue Situation haben. Daher verwundert es mich ein bisschen, dass Sie dafür plädieren, dass der alte gemeinsame Antrag von CDU und FDP heute in dieser Form zur Abstimmung kommt.

Man hat sich zwar über die Bundesdiskussion geeinigt. Aber die Verabschiedung steht nach wie vor unter dem Vorbehalt einer Einigung mit den Ländern - dazu gibt es noch keinerlei verbindliche Aussagen - und der Klärung, dass die Bundes- und Landesparlamente in demokratischer Form an diesem ganzen Prozess beteiligt werden und bleiben. Das sind zwei große offene Posten.

Dann kann man doch nicht dabei bleiben, einen Antrag zu verabschieden, der bedingungslos die Anerkennung und Ratifizierung des Fiskalpaktes fordert,

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

sondern man muss sich diese Forderung doch erst einmal zu eigen machen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Herr Kollege Rickert möchte antworten. Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Herr Klein, ich möchte auf das Antragswirrwarr jetzt nicht weiter eingehen. Wir wollen, dass heute beschlossen wird, was in unserem Antrag steht, damit die Landesregierung ein eindeutiges Mandat von diesem Landtag hat, dem Fiskalpakt zuzustimmen und das Budgetrecht des Landesparlaments zu berücksichtigen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Frau Flauger, Sie haben jetzt für die Fraktion DIE LINKE das Wort. Bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich komme zunächst zum ursprünglichen Antrag der SPD „Demokratie stärken in Europa“.

Die SPD kritisiert darin im Zusammenhang mit dem Fiskalpakt eine zunehmende Tendenz zum Intergouvernementalismus. Einfacher gesagt: Da werden Vereinbarungen zwischen einzelnen Regierungschefs ausgekungelt. - Das ist Frühstücksdemokratie à la CDU und FDP. Angela Merkel macht beim Arbeitsessen im ganz kleinen Kreis alles fest und stülpt es dann dem Rest mit entsprechendem Druck über. Gewählte Parlamente stören da nur.

Deshalb hat die SPD mit ihrer Kritik in ihrem Ursprungsantrag und den darin aufgezählten Forderungen recht. Aber in dem Änderungsantrag der SPD steht schon in der Überschrift etwas völlig Falsches. Der Fiskalpakt kann eben nicht zu einem Stabilitäts- und Wachstumspakt werden. Deswegen können wir dem nicht zustimmen.

(Beifall bei der LINKEN)

In Überleitung zum Antrag von CDU und FDP stelle ich fest, dass es auch beim Fiskalpakt und beim ESM um Demokratie geht. Als bei den BlockupyProtesten im Mai viele Tausend Menschen gegen Ihre eiskalten Pläne demonstrieren wollten, hat sich mit der Absperrung des Bankenviertels in Frankfurt gezeigt, in wessen Interessen hier Politik gemacht wird. Es geht um Großbankenrettungspakete und um die Interessen einiger weniger sehr Reicher. Darum machen Sie diesen Fiskalpaktunsinn. Es ist wirklich ein Trauerspiel, mit ansehen zu müssen, dass sich SPD und Grüne ihre Zustimmung für ein Linsengericht, für die vage Ankündigung einer Finanztransaktionssteuer

(Beifall bei der LINKEN)

und für ein Wachstumsetikett auf überwiegend ohnehin schon geplante Maßnahmen, haben abkaufen lassen.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)