Protokoll der Sitzung vom 20.07.2012

1. Wird die Landesregierung die Gewerbeaufsichtsämter auffordern, Filialen von Einzelhandelsdiscountern zu kontrollieren, deren Geschäftsleitungen Arbeitnehmerrechte wie die Arbeitsschutzgesetze und das Arbeitszeitgesetz missachten, und gegebenenfalls in welcher Weise?

2. Vor dem Hintergrund der bundesweiten Medienberichterstattung, dass von der NettoLeitung mit der Begründung, die Karrierechancen erhöhen zu wollen, bereits Azubis im ersten und zweiten Ausbildungsjahr Marktleitungen übernähmen, frage ich die Landesregierung: Wann setzt sie sich in welcher Weise mit der Industrie- und Handelskammer, der Leitung von Netto und der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di an einen runden Tisch, um diese Entwicklungen einstellen zu helfen?

3. In welcher Größenordnung gehen den Sozialversicherungsträgern und den Finanzämtern Einnahmen verloren, wenn man voraussetzt, dass von den ca. 15 000 in niedersächsischen Einzelhandelsdiscountern Beschäftigten bei etwa 10 000 täglich unentgeltlich 2 Stunden für Vor- und Nacharbeiten berechnen würden, die rechtlich als eine entgeltliche Arbeit zu betrachten wären?

Die Landesregierung hat bereits im Rahmen der Aktuellen Stunde der Sitzung des Niedersächsischen Landtags am 22. Februar 2012 zum Antrag der Fraktion DIE LINKE „ Prekäre Arbeitsverhältnisse bei Discountern - Was ist das Jobwunder in Niedersachsen wirklich wert?“ ausdrücklich betont, dass auch sie den Missbrauch flexibler Beschäftigungsformen zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und damit auch das sogenannte

Lohndumping ablehnt. Sie hat bei dieser Gelegenheit aber auch darauf hingewiesen, dass nach Auffassung der Fachleute nicht einfach jede Beschäftigungsform, die dem Normalarbeitsverhältnis hinsichtlich Dauer, Umfang oder Lohnhöhe nicht entspricht, als „atypisch“ und noch weniger - wie auch wieder in der vorliegenden Anfrage - als „prekär“ diskreditiert werden kann.

Die Firma Netto Marken-Discount AG & Co. KG ist nach Kenntnis der Landesregierung überdies tarifgebunden und insoweit verpflichtet, u. a. die Bestimmungen des am 8. Juni 2012 vom Handelsverband Niedersachsen-Bremen e. V. mit der Gewerkschaft ver.di abgeschlossenen Manteltarifvertrages, z. B. zum Ausbildungswesen (§ 2 a), zu Arbeitszeiten und Pausen (§ 5), zur Lohn- und Gehaltsregelung (§ 6) oder betreffend die Mehr-, Nach-, Sonn -und Feiertagsarbeit (§ 7 a) einzuhalten. Der Landesregierung ist nicht bekannt, dass Beschäftigte systematisch zu vom Tarif- oder Arbeitsvertrag nicht umfassten Arbeitsleistungen ohne Bezahlung genötigt werden. Sollte dies allerdings der Fall sein, könnten und müssten betroffene Beschäftigte tarifvertrags- bzw. arbeitsvertragswidrig vorenthaltene Arbeitsentgelte in letzter Konsequenz vor dem Arbeitsgericht einklagen.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen namens der Landesregierung wie folgt:

Zu 1: Die staatlichen Gewerbeaufsichtsämter gehen Beschwerden über Verstöße gegen das Arbeitsschutzrecht gemäß § 4 Abs. 6 der Dienstanweisung für die Staatlichen Gewerbeaufsichtsämter nach. Sie werden zudem auch eigeninitiativ tätig. Im vorliegenden Fall ist das Staatliche Gewerbeaufsichtsamt Göttingen aufgrund öffentlicher Proteste tätig geworden.

Zu 2: Den Industrie- und Handelskammern obliegt als zuständige Stelle nach § 71 Abs. 2 in Verbindung mit § 76 Abs. 1 Nr. 2 des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) die Überwachung der Durchführung der Berufsausbildung. Darüber hinaus fördert sie diese durch die Beratung der an der Berufsausbildung beteiligten Personen. Die Kammern als Körperschaften des öffentlichen Rechts führen diese Aufgaben im Rahmen des eigenen Wirkungskreises aus und unterliegen daher nur der Rechts- und nicht der Fachaufsicht des Landes. Die Überwachung der Durchführung der Berufsausbildung sowie die Beratung in allen Fragen der Ausbildung zählen zu den Kernkompetenzen der Kammern. Die Kammern haben für diese Aufgaben erfahrene Beraterinnen und Berater bestellt (§ 76 Abs. 1

Satz 2 BBiG). Im Rahmen der Überwachung und Beratung steht der Industrie- und Handelskammer ein rechtlich abgestuftes Instrumentarium zur Verfügung, um sicherzustellen, dass die Ausbildung ordnungsgemäß durchgeführt wird und die Ziele der Berufsausbildung erreicht werden.

Vor diesem Hintergrund ergibt sich für die Landesregierung kein Ansatzpunkt, im Rahmen der Rechtsaufsicht Maßnahmen zu veranlassen oder zu ergreifen.

Zu 3: Der Landesregierung ist es in der zur Beantwortung der Anfrage zur Verfügung stehenden nur kurzen Zeit zunächst trotz mehrfacher Versuche nicht gelungen, von der Netto-Discount AG & Co. KG eine Bestätigung der vom Fragesteller genannten Zahl von 15 000 in Niedersachsen beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu erhalten. Der Landesregierung ist nicht bekannt, ob 10 000 Beschäftigte 2 Überstunden pro Tag leisten mussten und, wenn ja, ob diese nicht dem in den Vorbemerkungen angesprochenen Tarifvertrag entsprechend - und insoweit rechtlich zulässig - durch Freizeit ausgeglichen worden sind.

Zu den Hypothesen des Fragestellers gilt folgendes:

Steuerrechtlich gilt das sogenannte Zuflussprinzip. Das bedeutet, dass Einnahmen grundsätzlich erst dann besteuert werden, wenn die Einnahmen dem Steuerpflichtigen zugeflossen sind. Ebenso setzt der Lohnsteuerabzug beim Arbeitgeber einen Zufluss von Arbeitslohn voraus. Werden beim Arbeitnehmer bestimmte Zeiten - aus welchen Gründen auch immer - nicht als Arbeitszeit anerkannt und damit auch nicht entlohnt, so fließt dem Arbeitnehmer insoweit kein Arbeitslohn zu, der lohnversteuert werden muss. Daher kann in diesen Fällen nicht von einem Einnahmeausfall bei den Finanzämtern gesprochen werden. Werden Arbeitnehmer höher entlohnt - sei es durch eine Gehaltserhöhung, oder sei es durch eine Anrechnung bestimmter Zeiten als Arbeitszeit -, so ist der höhere Arbeitslohn der Lohnversteuerung zugrunde zu legen. Die Höhe der Lohnsteuer hängt von den individuellen Lohnsteuerabzugsmerkmalen des Arbeitnehmers und der Höhe des Arbeitslohns insgesamt ab und ist daher nur im Einzelfall ermittelbar.

Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass eine Lohnerhöhung des Arbeitnehmers den Gewinn des Unternehmers schmälert, weil Arbeitslöhne als Betriebsausgaben abziehbar sind. Damit werden

die Steuermehreinnahmen durch eine Lohnerhöhung mindestens teilweise wieder kompensiert.

Sozialversicherungsbeiträge werden von den beitragspflichtigen Einnahmen der Versicherungspflichtigen erhoben. Grundsätzlich sind danach von dem Entgelt für jede geleistete Arbeitsstunde Sozialabgaben zu entrichten. Diese betragen zurzeit für die

gesetzliche Krankenversicherung 15,5 %,

gesetzliche Pflegeversicherung 1,95 % bzw. 2,2 % (für Kinderlose),

gesetzliche Rentenversicherung 19,9 %,

gesetzliche Arbeitslosenversicherung 3 %.

Vom beitragspflichtigen Einkommen sind demnach insgesamt grundsätzlich 40,35 % bzw. 40,6 % Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten.

Im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung erfolgt die Beitragsberechnung nach Gefahrklassen, die sich aus den in der jeweiligen Branche für Arbeitsunfälle aufgewendeten Leistungen zu den Arbeitsentgelten errechnen (§ 157 Abs. 3 de Sozi- algesetzbuches, Siebtes Buch (SGB VII). Eine unmittelbare Heranziehung zu Beiträgen nach geleisteten Arbeitsstunden erfolgt also nicht.

Anlage 3

Antwort

des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr auf die Frage 4 des Abg. Dirk Toepffer (CDU)

Welche Folgen hat der Bau eines Distributionszentrums von Netrada für den Arbeitsmarkt in Hannover?

Derzeit gibt es Pläne für die Ansiedlung eines Logistikunternehmens auf dem Messegelände in Hannover. Nachdem die Stadt Hannover ursprünglich Verhandlungen mit dem Internetversandhändler Amazon über eine Ansiedlung am Kronsberg geführt hatte, teilte die Stadt Hannover Anfang Juli mit, dass der Internetdienstleister Netrada den Vorzug erhalten würde. Der Kritik von Wirtschaftsminister Jörg Bode an der Ansiedlungspolitik der Stadt Hannover folgte die Aussage des Oberbürgermeisters der Stadt Hannover, Stephan Weil, in der Neuen Presse am 4. Juli 2012: „‚Der Minister sollte sich erstmal gründlich informieren und nicht Unfug erzählen’, kontert Weil. Der Internetversandhändler habe bis zu 1 000 feste Jobs zugesagt. (…)“. Im gleichen Presseartikel sagte der SPD-Politiker Stefan Schostok: „(…) Herr Bode glaubt, die erfolgreiche Ansiedlungspolitik Hannovers kritisieren zu dürfen!“

Die SPD-Fraktionschefin Christine Kastning weist in der Neuen Presse am 4. Juli 2012 darauf hin, sie halte die Ansiedlung von Netrada „für eine absolut gute Entscheidung. Das Unternehmen sei offensichtlich ein verlässlicher Partner, der sich klar zum Standort Hannover bekenne. Kastning begrüßt auch, dass es bei Netrada ein ver.di-Haustarif gibt“.

In einem Onlinebericht von NDR 1 Niedersachsen vom 29. August 2011 kritisierte die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, dass es zwar einen Haustarifvertrag bei Netrada gebe, dieser jedoch 2 Euro unter dem Stundenlohn liege, der in der Branche üblich sei. Jeder zweite Arbeitnehmer der Firma sei nach Angaben von ver.di ein Leiharbeiter. Für diese Beschäftigten gelte der Tarifvertrag nicht. „Ein Grund, dieses Unternehmen zu feiern, gebe es nicht“, sagte damals der zuständige ver.di-Sprecher Schilling laut Bericht des NDR.

Ich frage die Landesregierung:

1. Wie gestalteten sich die Verhandlungen um die Ansiedlung der Unternehmen Amazon bzw. Netrada auf dem Messegelände in Hannover aus Sicht der Landesregierung?

2. Hat die Landesregierung Kenntnis davon, dass viele Beschäftigte des Unternehmens Netrada untertariflich bezahlt werden, da sie nicht unter den Haustarifvertrag von ver.di fallen?

3. Ist der Landesregierung bekannt, dass ver.di derzeit in Verhandlungen mit dem Unternehmen Netrada hinsichtlich einer entsprechenden Anpassung der Lohnstruktur steht?

Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di hat mit Netrada bisher zwei Haustarifverträge abgeschlossen, nämlich einen Manteltarifvertrag für alle Beschäftigten und einen Lohntarifvertrag für die mehr als 1 000 Beschäftigten in der Unternehmenslogistik. Nach Auskunft von ver.di ist dies in der E-Commerce-„Branche“ jedenfalls unter den Großunternehmen wie Amazon oder Zalando der erste Tarifvertrag, den die Gewerkschaft überhaupt abschließen konnte.

Ein Vergleich mit anderen Branchentarifverträgen könnte irreführend sein, weil es die Branche „E-Commerce“ offiziell nicht gibt. Der ausgehandelte Lohn liegt zwischen den Löhnen in der Logistikbranche und denen in der Großhandelsbranche.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen namens der Landesregierung wie folgt:

Zu 1: Das Ansiedlungsvorhaben der Firma Amazon war aus Sicht der Landesregierung sehr konkret. Es bestand die einmalige Möglichkeit, einen internationalen Großkonzern in Niedersachsen anzusiedeln. Es ist nicht nachzuvollziehen, weshalb es der LH Hannover nicht gelungen ist, so

wohl die in der Region Hannover ansässige Firma Netrada als auch die Firma Amazon anzusiedeln. Flächen für beide Vorhaben waren bzw. sind vorhanden.

Nachdem Ende Juni 2011 die Firma Amazon in Kontakt mit der Landesgesellschaft NGlobal getreten ist, entwickelten sich die Verhandlungen gut. Im September 2011 erfolgte die Priorisierung Amazons für das in Rede stehenden Grundstück in Hannover - gegen erhebliche nationale Konkurrenz. Der Schlüssel zu diesem Erfolg waren die optimal geeigneten Flächen, die gezielt für die Bedürfnisse des Unternehmens erschlossen werden sollten.

Die weiteren Verhandlungen wurden in die Obhut der LH Hannover gelegt. Der Übergabevermerk wurde in Vertretung des Oberbürgermeisters der LH Hannover vom Wirtschaftsdezernten unterschrieben. Die LH Hannover sicherte dem Land in diesem Zusammenhang zu, die weiteren Verhandlungen mit der Firma Amazon mit dem Ziel der Ansiedlung zu führen. Ferner verpflichtete sich die Stadt, das Land regelmäßig zu informieren. Das Wirtschaftsministerium informierte die LH Hannover auch darüber, dass eine öffentliche Zusage der Firma Amazon zur Ansiedlung erst nach der Änderung des Bebauungsplanes erfolge. Die Begründung war der LH Hannover auch seit Beginn der Verhandlungen bekannt.

Das Land wurde durch den Wirtschaftsdezernten der LHH, Herrn Mönnighoff, erst am Tage der Presseinformation Anfang Juli von der veränderten Verkaufsabsicht an ein anderes Unternehmen in Kenntnis gesetzt.

Selbst als der Verkaufsvorgang in der Woche zuvor in den Gremien der Messe AG behandelt wurde, gab es seitens der Vertreter der LH Hannover keinen Hinweis auf eine veränderte Verhandlungslage.

Zu 2: Nach Auskunft der Gewerkschaft ver.di fallen heute über 90 % der ca. 1 500 Mitarbeiter unter die Tarifverträge, die ver.di mit Netrada abgeschlossen hat. Weniger als 10 % fallen auf eigenen Wunsch nicht darunter, weil sie aus unterschiedlichen Gründen an den vorher für sie bestehenden Regelungen festhalten wollten.

Zu 3: Der Landesregierung ist bekannt, dass ver.di zurzeit mit dem Unternehmen über den Abschluss eines Lohntarifvertrages für die ca. 500 Mitarbeiter in der Verwaltung verhandelt, für die derzeit nach Auskunft von ver.di eine Übergangsregelung gilt.

Anlage 4

Antwort

des Ministeriums für Wissenschaft und Kultur auf die Frage 5 der Abg. Dr. Gabriele Andretta, Daniela Bruns, Dr. Silke Lesemann, Matthias Möhle, Jutta Rübke, Wolfgang Jüttner und Wolfgang Wulf (SPD)

Abschneiden Niedersachsens im Exzellenzwettbewerb - Wie geht es weiter?

Am 15. Juni 2012 fielen die Entscheidungen in der zweiten Phase der Exzellenzinitiative: Wurden in der ersten Phase des Exzellenzwettbewerbs 85 Projekte (39 Graduiertenschulen, 37 Exzellenzcluster und 9 universitäre Zukunfts- konzepte) mit 1,9 Milliarden Euro gefördert, so wurden in der zweiten Runde 99 Projekte (45 Graduiertenschulen, 43 Exzellenzcluster und 11 Zukunftskonzepte) ausgewählt, die mit 2,7 Milliarden Euro gefördert werden.

Schon in der ersten Phase der Exzellenzinitiative erhielten nur sechs Anträge niedersächsischer Hochschulen - darunter das Zukunftskonzept der Universität Göttingen - eine Förderung. Die zweite Runde sollte ein besseres Ergebnis für Niedersachsen bringen. Neben Göttingen sollte mit der eigens von der Landesregierung zu diesem Zweck gegründeten Niedersächsischen Technischen Hochschule (NTH) eine zweite niedersächsische Hochschule den Exzellenzstatus erhalten und sollten weitere Graduiertenschulen und Exzellenzcluster neu in die Förderung aufgenommen werden. Doch von den dreizehn für die zweite Runde eingereichten Anträgen scheiterten bereits zehn in der Vorrunde. Gemeinsam mit den sechs Fortsetzungsanträgen der bisher geförderten Vorhaben - darunter auch das Zukunftskonzept der Universität Göttingen - war Niedersachsen mit insgesamt neun Anträgen in der Endrunde der zweiten Exzellenzinitiative vertreten. Davon konnten sich nur vier Projekte am Ende durchsetzen, darunter als einziger Neuantrag der hochschulübergreifende Exzellenzcluster „Hearing4all“ unter der Federführung der Universität Oldenburg und der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Die NTH dagegen wurde komplett nicht berücksichtigt. Göttingen konnte mit dem Zukunftskonzept nicht überzeugen und verlor seinen Status als Exzellenzuniversität, sodass der Hochschulstandort Niedersachsen nicht mehr in der Liga der Exzellenzuniversitäten vertreten ist. Das Ergebnis Niedersachsens bedeutet neben einem nationalen und internationalen Reputationsverlust für den Hochschulstandort Niedersachsen vor allem auch den Verzicht auf Hunderte Fördermillionen aus dem Topf der Exzellenzinitiative.