Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe mich mit dem Thüringer Modell der schwarz-roten Landesregierung beschäftigt und habe nach wie vor Vorbehalte gegen diese Lösung. In den mir zur Verfügung stehenden dreieinhalb Minuten will ich versuchen, den einen oder anderen Gegenaspekt aufzuzeigen.
Erstens. Wer garantiert denn eigentlich, dass auch bei einem noch zu bestimmenden Mindestlohn Arbeit zu diesen Bedingungen seitens der Unternehmen überhaupt noch nachgefragt und nicht mit einer Verlagerung ins Ausland oder sonst wohin geantwortet wird?
(Lachen bei der LINKEN - Hans- Henning Adler [LINKE]: Man lässt sich dann seine Haare im Ausland frisie- ren, oder wie?)
Wenn das passiert, meine sehr verehrten Damen und Herren, werden wir es in der Statistik nicht merken. Es wird allenfalls spürbar eine Zunahme des Schwarzarbeitsmarktes und der Scheinselbständigkeit zu registrieren sein. Wäre es dann nicht besser, die Arbeit zu subventionieren, um auf diese Weise möglichst viel Beschäftigung im ersten Arbeitsmarkt zu halten?
- Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir ein wenig zuhören wollten! Ich habe mir alle Mühe gegeben, einen sachlichen Beitrag zu leisten. Wir sind hier nicht auf einer Wahlkampfveranstaltung, sondern im Niedersächsischen Landtag.
Wir haben übrigens einmal das Modell eines Bürgergeldes entwickelt. Man kann darüber streiten, ob es zielführend ist. Aber das z. B. wäre ein Ansatz.
Sie bemängeln, dass auf diese Weise Unternehmen Gewinne auf Kosten des Steuerzahlers machen würden. Ich meine, dass man das durch entsprechende Kontrollmechanismen einschränken könnte. Alle Unternehmen unter einen Generalverdacht zu stellen, halte ich für abwegig.
Zweitens. Ein Mindestlohn oder eine Lohnuntergrenze, festgelegt durch den Gesetzgeber - auch das Ergebnis dieser Kommission wird in ein Gesetzgebungsverfahren einfließen; es bleibt also insgesamt gesehen bei einem gesetzlichen Mindestlohn -, wäre nicht nur Staatsbürokratie, sondern ein schleichender Prozess der Aushöhlung der Tarifautonomie.
Meine Damen und Herren, warum wollen Sie ein System aufs Spiel setzen, das der deutschen Wirtschaft sehr viel sozialen Frieden gebracht hat und damit einen wesentlichen Beitrag zu Wachstum und Wohlstand der deutschen Wirtschaft im Nachkriegsdeutschland geleistet hat?
Im Übrigen sehen wir doch, dass die Bereitschaft der Tarifvertragsparteien, über Lohnuntergrenzen zu verhandeln, zunimmt. Es gibt bereits elf Branchen mit 4 Millionen Beschäftigten, für die Mindestlöhne aufgrund von Tarifverträgen auch für tarifungebundene Unternehmen vorgeschrieben sind.
Drittens. Erreichen Sie mit dem Kriterienkatalog als Grundlage für die Definition der Lohnuntergrenze wirklich die Lösung des Problems? Ich habe da meine Zweifel. Die Schwierigkeiten bei der Festlegung eines Mindestlohns haben Sie selbst skizziert. Das wird auch in den Anträgen deutlich. Die SPD fordert 8,50 Euro, die Linken sind bereits bei 10 Euro angekommen.
Im Übrigen trifft dieses Konzept auch auf die Kritik der Arbeitgeber. Aber auch die Gewerkschaften stehen diesem Vorschlag skeptisch gegenüber.
Meine Damen und Herren, ich verweigere mich gerade bei dieser sehr, sehr schwierigen Problematik nicht einem vernünftigen Denkprozess. Aber ich wehre mich entschieden gegen einen zweigeteilten Arbeitsmarkt mit all seinen Schattenseiten
Meine Damen und Herren, was ich Herrn Nacke gesagt habe, gilt auch für alle weiteren Mitglieder dieses Parlaments.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Rickert, Sie haben eben zwei Argumente gegen einen gesetzlichen Mindestlohn vorgebracht: Er würde zu einer Bürokratie und dazu führen, dass Unternehmer mit ihren Dienstleistungen ins Ausland flüchten würden. - Das geht bei einigen aber nicht. Ich kann mir nämlich nicht vorstellen, dass ein Friseurbetrieb, der einen geringen Lohn zahlt, ins Ausland geht. Das ist absurd.
Gehen Sie doch aber bitte einmal das gesamte Arbeitsrecht durch! Nehmen Sie den Mutterschutz, nehmen Sie die Urlaubsgesetzgebung, nehmen Sie irgendetwas anderes, was wir in diesem Bereich haben, wie z. B. die Arbeitszeitordnung! Überall haben wir doch Mindestarbeitsbedingungen auf gesetzlicher Ebene.
Diese Mindestarbeitsbedingungen auf gesetzlicher Ebene können durch Tarifverträge zugunsten der Arbeitnehmer natürlich verbessert werden. Das heißt, wir haben ein doppeltes Schutzsystem, nämlich zum einen eine gesetzliche Mindestgrundlage und zum anderen Tarifverträge, die davon abhängen, wie stark die Gewerkschaften im Einzelnen sind und wie viel sie durchsetzen können. Dieses System können wir doch auch auf den Mindestlohn anwenden. Das hat mit Auslandsflucht und auch mit Bürokratie nichts zu tun. Das kennen wir doch vom Arbeitsrecht. Das ist doch nichts so schrecklich Neues.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Adler, Sie haben ja völlig recht. Es gibt ausreichende gesetzliche Grundlagen, Regelwerke etc. Warum wollen Sie dann ein solch gravierendes neues Rechtssystem hinzufügen?
Ich möchte noch eine weitere Anmerkung machen, was mir im Rahmen meines Redebeitrags vorhin nicht mehr möglich war. Aber was passiert denn, wenn wir eine durch den Gesetzgeber vorgegebene Lohnuntergrenze haben? - Dann werden sich doch viele Beschäftigte in den Betrieben fragen: Wozu brauche ich dann noch eine Gewerkschaft? - Gerade vor dem Hintergrund der durch den demografischen Wandel bedingten Zunahme des Facharbeitermangels wird die Tarifvertragspartei im Prinzip doch in Misskredit gebracht. Sie wird fast überflüssig, weil die Lohnverhandlungen durch den Gesetzgeber geführt werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, was hat das denn zur Folge? - Wir haben doch an anderer Stelle gemeinsam für das Prinzip „ein Tarif - ein Betrieb“ gestritten. Der hier vorgestellte Vorschlag würde die Bemühungen, dieses Prinzip aufrechtzuerhalten, meiner Ansicht nach ausfransen und beschädigen.
Vielen dank, Herr Kollege Rickert. - Der nächste Wortbeitrag kommt von Herrn Hagenah für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Bitte schön, Sie haben das Wort.
- Herr Hagenah, ich bitte Sie, noch nicht anzufangen. - Verehrte Kolleginnen und Kollegen, etwas mehr Aufmerksamkeit bitte! - Herr Hagenah, Sie haben jetzt das Wort.
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Rickert, Ihre Kritik am Mindestlohn wendet sich eigentlich gegen Ihre eigenen Argumente. Sie haben angeführt, es entstehe ein zweigeteilter Arbeitsmarkt. Den haben wir derzeit aber schon. Wir haben allein in Niedersachsen 490 000 Beschäftigte, die für weniger als 8,50 Euro arbeiten und vom Staat alimentiert werden müssen, damit sie von ihren Einkünften überhaupt leben
Und genau diese Gruppe stellt das Hauptproblem dar, weil wir dort keine tarifgebundenen Verträge und zum großen Teil keine Tarifpartner auf Augenhöhe haben. Deshalb sind die Löhne in diesem Bereich so extrem niedrig und zum Leben nicht auskömmlich. Daher wird die Tarifautonomie nicht ausgehöhlt, wenn bei uns in Deutschland durch eine Mindestlohnkommission ein allgemeingültiger gesetzlicher Mindestlohn als untere Grenze neu eingezogen wird, sondern damit wird eine Tarifautonomie auf sozial vertretbarem Niveau wiederhergestellt. Das ist aus unserer Sicht ein wichtiger Schritt, von dem wir meinen, dass wir ihn nicht irgendwie als deutsche Eingebung besonders sozial engagiert vorantreiben müssen, sondern Tatsache ist, dass wir ihn in Deutschland im Gegensatz zu unseren Nachbarländern noch nicht haben.
Vor diesem Hintergrund, Herr Toepffer, habe ich große Sorgen wegen Ihres Mindestlohns light, den Sie uns gerade ein bisschen genauer vorgestellt haben und der uns ein bisschen als Mindestlohn mit beschränkter Haftung erscheint.
Wenn es aufgrund Ihres Konzepts in denjenigen Branchen, in denen die Arbeitnehmer von ihren Arbeitgebern ordentlich unter Feuer gesetzt werden oder in denen auch aus unserer Sicht nicht wirklich tariffähige Minigewerkschaften irgendetwas verhandeln, plötzlich wieder zu Tarifen kommt, die unter diesem Mindestlohn liegen, dann haben wir den gleichen Salat wieder. Dann haben wir nämlich keinen gesetzlichen Mindestlohn mehr über die Mindestlohnkommission, sondern über dieses CDU-Modell kommen durch die kalte Küche wieder diese Minimaleinkommen, die wir schon jetzt zu beklagen haben.
An dieser Stelle ist das CDU-Konzept zu durchsichtig. Nicht nur dadurch, dass Sie dieses Konzept vor der Wahl nur verbal vorstellen und darüber hinaus heute mit uns auch nicht wirklich inhaltlich über diesen Antrag sprechen wollen, machen Sie sich ein Stück unglaubwürdig und lassen Zweifel daran aufkommen, dass Sie es wirklich ernst meinen, sondern auch Ihr Konzept selbst ist nicht tragfähig und lässt uns daran zweifeln, dass es als allgemeingültiger Mindestlohn gemeint ist.
Zu dem Beitrag von Herrn Hagenah hat sich Herr Kollege Rickert zu einer Kurzintervention gemeldet. Sie haben 90 Sekunden. Bitte schön, Herr Rickert!
Herzlichen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! An meinen Einlassungen werden Sie wahrscheinlich merken, dass mich dieses Thema nicht kalt lässt. Aber genau das, Herr Hagenah, ist mein Problem. Wenn Sie eine Lohnuntergrenze schaffen, zu der möglicherweise keine Arbeit mehr angeboten wird, dann werden diese Arbeitsplätze natürlich auch nicht mehr dargestellt, und dann werden alle diejenigen Arbeitsplätze, die es noch gibt - egal, zu welchen Bedingungen -, überhaupt nicht mehr stattfinden; es sei denn, auf dem Schwarzmarktsektor oder in der Schattenwirtschaft. Dann gibt es möglicherweise keinen zweiten Arbeitsmarkt mehr, weil er durch diese Untergrenze, so sage ich einmal, eliminiert worden ist. Das ist meine Sorge, die ich dabei habe.