Ich komme zur Tagesordnung: Wir beginnen die heutige Sitzung mit Tagesordnungspunkt 15, den Dringlichen Anfragen. Anschließend setzen wir die Beratungen in der Reihenfolge der Tagesordnung fort. Die heutige Sitzung soll gegen 19.05 Uhr enden.
An die rechtzeitige Rückgabe der Reden an den Stenografischen Dienst bis spätestens morgen Mittag, 12 Uhr, wird erinnert.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es haben sich für heute entschuldigt: von der Landesregierung der Ministerpräsident, Herr Wulff, und der Minister für Wissenschaft und Kultur, Herr Stratmann, von der Fraktion der SPD Herr Brinkmann und von der FDP-Fraktion Herr Rickert ab 17.30 Uhr.
Es liegen drei Dringliche Anfragen vor. Bevor ich die einzelnen Fragen aufrufe, möchte ich daran erinnern, dass für die Behandlung Dringlicher Anfragen nach der im April 2008 beschlossenen Änderung der Geschäftsordnung folgende Regeln gelten:
Jede Fraktion kann bis zu vier Zusatzfragen stellen. Das fraktionslose Mitglied des Landtages kann bei der Behandlung der Dringlichen Anfragen in einem Tagungsabschnitt insgesamt eine Zusatzfrage stellen.
Zusatzfragen dürfen nicht verlesen werden. Sie müssen zur Sache gehören und dürfen die ursprüngliche Frage auch nicht auf andere Gegenstände ausdehnen. Die Zusatzfragen müssen knapp und sachlich sagen, worüber Auskunft gewünscht wird. Anfragen, durch deren Inhalt der Tatbestand einer strafbaren Handlung begründet wird oder die Werturteile oder parlamentarisch unzulässige Wendungen enthalten, sind unzulässig.
Ich weise besonders darauf hin, dass einleitende Bemerkungen zu den Zusatzfragen nach der jetzigen Regelung nicht mehr zulässig sind.
Um dem Präsidium den Überblick zu erleichtern, bitte ich Sie, dass Sie sich schriftlich zu Wort melden, wenn Sie eine Zusatzfrage stellen möchten.
Vor dem Bildungsgipfel - Was können wir von der Landesregierung erwarten? - Anfrage der Fraktion DIE LINKE - Drs. 16/523
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundeskanzlerin trifft sich am 22. Oktober 2008 in Dresden mit den Ministerpräsidenten der Länder zum Bildungsgipfel. Agenturmeldungen zufolge sollen dort Maßnahmen verabredet werden, die verschiedene Bildungsbereiche betreffen. So garantieren danach die Länder, dass die durch sinkende Schülerzahlen frei werdenden Mittel im Bildungsbereich verbleiben, während der Bund wiederum weiterhin Exzellenzwettbewerbe und Hochschulpakte fördert. Das Sprachvermögen soll besonders im frühen Alter gefördert und die Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern verbessert werden. Maßnahmen des Bundes im Bereich der Förderung von Altbewerberinnen und -bewerbern auf dem Ausbildungsmarkt sollen fortgesetzt werden. Die Studierendenanfängerquote soll auf 40 % steigen.
Bei der frühkindlichen Bildung hat Niedersachsen mit 6,9 % die niedrigste Betreuungsrate der unter Dreijährigen, bei den Kindern zwischen drei und sechs Jahren liegt Niedersachsen auf Platz 15 im Ländervergleich. Im schulischen Bereich klagen Eltern, Lehrer und Schüler über Unterrichtsausfall und fehlende Lehrer trotz der Beteuerung vonseiten der Landesregierung, dass es eine 100prozentige Unterrichtsversorgung gebe. Nach Auskunft der Landesregierung sind zum Ende des letzten Schuljahres Unterrichtsstunden im Umfang von 409 Stellen weggefallen. Nach diesem Schuljahr werden es weitere 789 Stellen sein. Nach Einschätzung vieler steht das Land vor einer großen Herausforderung beim Lehrernachwuchs. Dem Land steht aufgrund der Altersstruktur der Lehrkräfte eine Pensionierungswelle in den kommenden zehn Jahren bevor. Von 68 000 Lehrerinnen und Lehrern in Niedersachsen sind 37 000 50 Jahre alt und älter. Die anderen Länder befinden sich in einer vergleichbaren Situation.
zieren - in diesem Schuljahr nicht besser: Die Lernmittelfreiheit wird nicht wieder eingeführt, die Zuschüsse für Schülerinnen und Schüler in besonderen Notlagen sollen im nächsten Haushaltsjahr vollständig wegfallen. Niedersachsen hat nach einschlägigen Studien mit 5 % den bundesweit schlechtesten Wert bei der Integration von Schülerinnen und Schülern mit besonderem Förderbedarf. Die Schulabbrecherquote liegt bei ausländischen Jugendlichen bei 24,9 %. Gleichzeitig wird das längere gemeinsame Lernen auch nach der letzten Schulgesetznovelle weiterhin - und das trotz deutlich steigender Anmeldezahlen an den Integrierten Gesamtschulen in ganz Niedersachsen - erschwert.
Seit dem 1. Oktober 2007 haben sich laut Arbeitsagentur mehr als 60 000 Bewerberinnen und Bewerber um eine Ausbildung bemüht. Nur ca. 21 000 haben einen Ausbildungsplatz erhalten. Nur 68 % der in Niedersachsen lebenden Menschen bis zu 24 Jahre verfügen über einen Abschluss auf dem Niveau der Sekundarstufe II. Das Ziel der Europäischen Union, diese Quote auf 85 % zu heben, wird somit verfehlt. Die Studienanfängerquote liegt in Niedersachsen bei 27,2 %. Das ist weniger als die Hälfte des OECDDurchschnitts. Die Hochschulen selber klagen über mangelnde Investitionsmittel allein für den Erhalt der vorhandenen Infrastruktur. Nach Auskunft der Landesregierung kann „der Werterhalt der Bausubstanz … seit geraumer Zeit nicht mehr in dem erforderlichen Umfange gewährleistet werden“ (Drs. 16/370). Der Investitionsbedarf beläuft sich auf 233 Millionen Euro.
Mit der sogenannten Föderalismusreform I kam es zu einer teilweisen Entflechtung der Aufgabenaufteilung zwischen Bund und Ländern. Im Bildungsbereich wurden wesentliche Aufgaben, die vormals gemeinschaftlich von Bund und Ländern getragen wurden - wie etwa der Hochschulbau oder die Bildungsplanung -, in die Alleinzuständigkeit der Länder übergeben. Dem Bund verbleiben Kooperationsmöglichkeiten im Bereich der Forschung und der vergleichenden Bildungsforschung. Die im Entflechtungsgesetz fest vereinbarten Zuweisungen für den Hochschulbau enden im Jahr 2013. Die nachfolgenden Geldmittel bis zum Jahre 2019 sind noch nicht festgelegt. Fördermaßnahmen vonseiten des Bundes im Schulbereich, wie etwa das Investitionsprogramm „Zukunft Bildung und Betreuung“ (IZBB), laufen zum 31. Dezember 2008 aus. Durch das IZBB hatte Niedersachsen Anspruch auf 395 Millionen Euro, um Ganztagsschu
len zu fördern. Bundesbildungsministerin Schavan hat den Versuch angekündigt, die Länder zu überzeugen, das IZBB in geänderter Form weiterlaufen zu lassen. In welcher Form und auf welcher Rechtsgrundlage, ist derzeit unklar.
1. Welche Vorschläge zur Verbesserung des Bildungssystems und zu dessen Finanzierung wird die Landesregierung auf dem Bildungsgipfel unterbreiten?
2. Wird sich das Land an Initiativen beteiligen, die das Ziel verfolgen, das IZBB zu erhalten und dahin gehend auszubauen, dass zukünftig nicht nur Investitionen, sondern auch Personalmittel - z. B. für Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter an den Schulen - gefördert werden können?
3. Wird die Landesregierung eine Initiative für einen „Nationalen Bildungspakt“ unterstützen, der das Ziel verfolgt, eine Gemeinschaftsaufgabe Bildung in das Grundgesetz aufzunehmen, damit entsprechende Bund-Länder-Förderprojekte ebenso ermöglicht werden wie verbindliche bundesweite Rahmenbedingungen im Bereich Bildungszugang, Mobilität und soziale Absicherung, und der Bund und Länder in die Pflicht nimmt, jährlich öffentliche Ausgaben in Höhe von 7 % des Bruttoinlandsprodukts für den Bildungsbereich zu tätigen?
Vielen Dank. - Für die Landesregierung nimmt Frau Kultusministerin Heister-Neumann Stellung. Ich erteile ihr das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Zu allererst möchte ich der Fraktion der Linken ausdrücklich für diese Dringliche Anfrage heute danken, weil mit ihr wieder einmal ihr Staatsverständnis zum Ausdruck kommt, das meines Erachtens mit dem verfassten Föderalismus unserer Gesellschaft nichts zu tun hat.
Ihre Anfrage atmet Zentralismus. Wir dagegen denken den Staat von unten her. Wir denken ihn von dem einzelnen Menschen, von der Familie her, dann von der Stadt, dann vom Land und dann erst vom Bund her. Meine Damen und Herren, wir denken diesen Staat so im Vertrauen auf die Fähigkeit
und die Kraft der einzelnen Menschen. Ich bin der festen Überzeugung - das zeigt auch die Geschichte -, dass zentralisiert geführte Staaten dazu neigen, den Menschen ans Gängelband zu nehmen und Unfreiheit zu schaffen. Das ist nicht unsere Auffassung vom Staat.
Zu den Grundsatzfragen habe ich mich, meine sehr geehrten Damen und Herren, bereits gestern in der Aktuellen Stunde geäußert. Ich möchte an dieser Stelle deshalb nur kurz auf einiges erneut eingehen, nämlich darauf, dass die Qualifizierungsinitiative für Deutschland am 19. Dezember letzten Jahres von der Bundeskanzlerin und allen Ministerpräsidenten gemeinsam auf den Weg gebracht wurde. Ich möchte das hier noch einmal betonen. Der Qualifizierungsgipfel, der am 22. Oktober in Dresden stattfinden wird, wurde bis Anfang September in einem breiten Konsens zwischen dem Bund und allen Ländern vorbereitet. Dabei hat sich herausgestellt, dass Niedersachsen bereits gut aufgestellt ist, jedenfalls um Längen besser, als es die Opposition glauben machen will.
Wir haben eine Vorbildfunktion, die wir in vielen Bereichen in die Beratungen und Verhandlungen eingebracht haben, nämlich bei der frühkindlichen Bildung, der inhaltlichen Gestaltung der frühkindlichen Bildung, der Sprachförderung vor der Einschulung, der Durchlässigkeit zwischen beruflicher und Hochschulbildung, der Umsetzung des Hochschulpaktes, dem lebenslangen Lernen und auch der offenen Hochschule. Wir gehen davon aus, dass vieles davon gemeinsame Grundlage der Schlussberatung zwischen Bund und Ländern werden wird; denn die Verhandlungen - das wissen Sie alle - sind ja noch nicht abgeschlossen.
Im Übrigen werden wir in Niedersachsen weitere konkrete Schritte gehen, die in dieser Präzision im Rahmen der Verhandlungen zur Qualifizierungsinitiative mit den anderen Ländern und mit dem Bund nicht bundesweit durchsetzbar waren. Dazu zählt die Erklärung, bis zum Jahr 2013 beitragsfreie Kindergartenplätze zu schaffen. Dazu zählt die Ansage der Senkung des Anteils der Schulabbrecher von 2003 auf weniger als die Hälfte bis 2012. Dazu zählt auch die Ansage zur deutlichen Senkung des Anteils der Schulabbrecher mit Migrationshintergrund auf weniger als die Hälfte. Das sind nur einige Punkte.
Zu Frage 1: Die Landesregierung hat ihre Vorstellung zur Verbesserung des Bildungssystems und dessen Finanzierung in die Vorbereitungen des Qualifizierungsgipfels seit März dieses Jahres, wie in den Vorbemerkungen und auch gestern schon dargestellt, eingebracht.
Zu Frage 2: Der Bund hat dem Land Niedersachsen im Rahmen des Investitionsprogramms „Zukunft Bildung und Betreuung“ 2003 bis 2007 (IZBB) aus dem Jahr 2003 Mittel im Umfang von rund 395 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Mit diesen Mitteln sollte die Schaffung einer modernen Infrastruktur im Ganztagsschulbereich unterstützt und der Anstoß für ein bedarfsorientiertes Angebot in allen Regionen gegeben werden. Parallel zu dem Investitionsprogramm hat der Bund ein Begleitprogramm initiiert und zum größten Teil auch finanziert. Ein Teil des Begleitprogramms sind die Serviceagenturen „Ganztätig lernen“ zur Unterstützung der Qualitätsentwicklung in der Ganztagsschule. Auch in Niedersachsen arbeitet eine Serviceagentur, die je zur Hälfte mit Bundesmitteln durch die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung und durch das Land Niedersachsen finanziert wird.
Auf dem Ganztagskongress in Berlin hat die Bundesministerin für Bildung und Forschung angekündigt, sich für die Fortsetzung des Begleitprogramms einzusetzen. Sollte der Bund den Ländern auf dem Bildungsgipfel weitere Finanzmittel mit der Zweckbestimmung des Ausbaus von Bereichen des schulischen Bildungswesens anbieten, werden wir selbstverständlich diese Angebote vor dem Hintergrund der fachlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen prüfen und dann auch entscheiden. Ein solches Angebot liegt uns aber derzeit noch nicht vor.
Zu Frage 3: Der Landesregierung ist eine Initiative des Bundes oder eines Landes für einen nationalen Bildungspakt mit dem Ziel der Verankerung einer Gemeinschaftsaufgabe Bildung im Grundgesetz nicht bekannt. Sie würde eine solche Initiative angesichts der kürzlich beschlossenen Föderalismusreform I und der laufenden Verhandlungen zur Föderalismusreform II aus grundsätzlichen staatspolitischen Gründen auch nicht unterstützen, wie ich in den Vorbemerkungen bereits dargestellt habe. Ich gehe auch davon aus, dass vonseiten der Bundesregierung keine Initiative hierzu gestartet wird, weil sowohl die Bundeskanzlerin als auch die Bundesbildungsministerin dargelegt haben,
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor dem Hintergrund, dass sich Ministerpräsident Wulff gegen eine direkte Beteiligung des Bundes an Schulprojekten und Schulprogrammen ausgesprochen hat, aber nicht auf das Geld des Bundes verzichten will, schlägt er eine Schulstiftung vor. Kann die Landesregierung uns erläutern, was Sinn, Zweck und Aufgaben dieser Schulstiftung sind und in welcher Höhe sich das Land Niedersachsen an dieser Schulstiftung beteiligen wird?
Sehr geehrte Frau Andretta, Herr Ministerpräsident Wulff hat hier einen Vorschlag vor dem Hintergrund des sicherlich gemeinsamen Bewusstseins unterbreitet, dass wir im Bereich der Bildung und deren Stärkung in den nächsten Jahren vor riesigen Herausforderungen stehen und wir alle gemeinsam zusätzliche Mittel sehr gut gebrauchen können. Deshalb ist es eine Idee neben anderen Vorschlägen, die auch Thema gewesen sind, mit einer solchen Stiftung zusätzliche Mittel für das Bildungssystem zu akquirieren. Dieser Vorschlag ist nicht ausdiskutiert, sondern es war ein Vorschlag, der in die Diskussion eingebracht worden ist. Ich glaube, wir sollten dankbar sein; denn jeder zusätzliche Euro kann uns in unserem Bildungssystem unabhängig von Zuständigkeiten nur nützlich sein.