Protokoll der Sitzung vom 13.11.2008

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn die Politik gefordert ist, dann sind aber auch die Tarifpartner gefordert; denn auch sie sitzen immer mit am Tisch, wenn es um die Aushandlung von Lohn und Gerechtigkeit geht.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Aber auch die Frauen selbst müssen sich aktiv einbringen. Das heißt für mich, den Blick beim beruflichen Einstieg über enge Berufsbilder, über enge typische Frauenberufe hinaus zu erweitern.

Durch den Zukunftstag für Mädchen und Jungen und vor allen Dingen durch die vom Ministerpräsi

denten Wulff initiierte IdeenExpo soll das Berufswahlspektrum von Mädchen und Frauen erweitert und gerade Mädchen der Blick auf technische Berufe geschärft werden.

Meine Damen und Herren, es kann doch nicht sein, dass Frauen heute zwar so gut ausgebildet sind wie nie zuvor, aber trotzdem nur zu 17 % als Topentscheider in Unternehmen sitzen. Frauen können und wollen an die Spitze. Wir als Land wollen und werden alles dafür tun, um sie dabei zu unterstützen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass unsere Betriebe, die angesichts des demografischen Wandels vor einem gewaltigen Fachkräftemangel stehen, künftig auf unsere gut ausgebildeten Frauen verzichten können.

Meine Damen und Herren - insbesondere meine Herren! -, Frauen weisen die besseren Bildungsabschlüsse auf. Frauen stellen 57 % der Abiturienten. Immerhin schon 23 % der Habilitationen gehen an Frauen. Ich habe mich sehr darüber gefreut, in dem Bericht der Bundesregierung zu lesen, dass immerhin schon 47 % der Studierenden im Fach BWL Frauen sind. Im Fach Medizin sind es mehr als zwei Drittel.

Eine notwendige Voraussetzung für eine verstärkte und damit verbesserte Frauenerwerbstätigkeit ist die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Sie alle wissen, dass wir hier in Niedersachsen noch einen Nachholbedarf haben. Wir wollen die Kinderbetreuung in den nächsten Jahren bedarfsgerecht ausbauen. Landesregierung und Kommunen gehen hier enorm in Vorleistung. Land und Kommunen wollen, vorbehaltlich der Beschlussfassung des Landtages, des Haushaltsgesetzgebers, bis 2013 ein Betreuungsangebot für unter Dreijährige so ausbauen, dass Eltern ihre Kinder bedarfsgerecht in Krippen oder auch zu Tagespflegepersonen geben können.

Wir haben 19 Ko-Stellen, die Frauen gerade beim beruflichen Wiedereinstieg unterstützen, und das FIFA-Programm. Damit können wir hervorragend die Beratung und Qualifizierung von Frauen fördern.

Sie sehen, meine sehr geehrten Damen und Herren: Die Landesregierung fördert aktiv die Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Wir sind damit am Ende der Beratung.

Wir kommen zur Ausschussüberweisung. Zuständig soll der Ausschuss für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit sein. Wer dem zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Das war einstimmig und ist so beschlossen.

Die Fraktionen sind übereingekommen, jetzt die Tagesordnungspunkte 13 und 14 zu beraten. Dafür ist eine Beratungszeit von 43 Minuten vorgesehen. Nach der Mittagspause geht es um 15 Uhr mit dem Tagesordnungspunkt „Schülerdemonstration vor dem Landtag“ und dann in der festgelegten Reihenfolge weiter.

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 13 und 14 vereinbarungsgemäß zusammen auf:

Zweite Beratung: Städtekoalition gegen Rassismus unterstützen - Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drs. 16/502 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres, Sport und Integration - Drs. 16/574

Erste Beratung: Demokratieerfahrungen fördern, Partizipationsmöglichkeiten stärken, den Integrationsgedanken umsetzen und Menschenrechtsbildung ausbauen - Aktionsprogramm gegen Rechtsextremismus, Menschenfeindlichkeit und Antisemitismus - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 16/624

Die Beschlussempfehlung in der Drucksache 574 zu Tagesordnungspunkt 13 lautet auf Ablehnung. Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen.

Frau Leuschner und Frau Zimmermann haben sich geeinigt. Frau Leuschner wird jetzt für die SPDFraktion den Antrag unter dem Tagesordnungspunkt 14 einbringen. Frau Leuschner, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dem Antrag der Fraktion DIE LINKE „Städtekoalition gegen Rassismus unterstützen“ habe ich in der letzten Plenarsitzung die Position der SPDLandtagsfraktion dargestellt. Ich werde dem in der

heutigen Debatte nichts mehr hinzufügen. Wir halten den Antrag für sinnvoll und unterstützen ihn.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

An dieser Stelle, meine Damen und Herren, verwende ich meine Redezeit für unser Ihnen vorliegendes Aktionsprogramm gegen Rechtsextremismus, Menschenfeindlichkeit und Antisemitismus. Ich möchte darauf hinweisen, dass die SPD-Landtagsfraktion bereits in der letzten Wahlperiode zwei Entschließungsanträge vorgelegt und dadurch die Initiative ergriffen hat, unsere Position gegen Menschenfeindlichkeit, Rechtsextremismus und Antisemitismus darzulegen und Maßnahmen zur Bekämpfung zu initiieren.

Mit dem jetzt vorliegenden Antrag möchten wir ein Aktionsprogramm erarbeiten, welches umfangreich ist und durch interdisziplinäre Handlungsvorschläge versucht, sich der Thematik anzunehmen und die Ursachen von Rechtsextremismus in unserer Gesellschaft zu bekämpfen.

Neueste Erkenntnisse der empirischen Sozialforschung weisen eine Verfestigung fremdenfeindlicher Einstellungsmuster in einem nicht unerheblichen Maße bis hin zur Mitte der Gesellschaft aus. Dies sollte uns alle hier in diesem Haus Sorge bereiten. Die Zustimmung zu ausländerfeindlichen Aussagen ist in allen gesellschaftlichen Schichten und Altersgruppen in verstärktem Maße anzutreffen, leider im besonderen Maße bei Menschen mit Bildungsdefiziten und Menschen, die autoritäre Schulerfahrungen genossen haben.

Eine neue Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zeigt, dass die Notwendigkeit der politischen Bildungsarbeit bei Jugendlichen von zunehmender Bedeutung ist. Ein erschreckendes Ergebnis der oben genannten wissenschaftlichen Untersuchung zum Thema Rechtsextremismus ist, dass teilweise 40 % der Befragten ausländerfeindlichen Aussagen zustimmen. Ausländerfeindlichkeit als Einstiegsdroge für Rechtsextremismus ist also alles andere als eine Randerscheinung in unserer Gesellschaft. Der Politikwissenschaftler Richard Stöss führt in diesem Zusammenhang aus: Rechtsextremismus wird durch die sozialen, ökonomischen und kulturellen Verhältnisse erzeugt und nicht umgekehrt. In besonderem Maße - das habe ich eben schon gesagt - sind junge Menschen aus sozial schwächeren Familien, die an autoritäre Erziehungsmuster gewöhnt worden sind und auch Gewalterfahrung erlebt haben, für rechtsextremes Gedankengut anfällig. Das muss gesamtgesell

schaftlich insgesamt geändert werden. Dazu bedarf es mehrerer unterschiedlicher Ansätze.

Wer sich auf der gesellschaftlichen Erfolgsskala als Verlierer sieht, unterliegt einem höheren Risiko, sich auf andere Weise Anerkennung und Selbstbestätigung zu verschaffen, etwa in einer Gruppe, die sich über eine vermeintliche rassische Überlegenheit abzugrenzen versucht. Demzufolge sind Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus, Chauvinismus und Rassismus eine Gefahr für die Demokratie in unserem Land und für unsere politische Kultur in Deutschland. Wenn rechtsextreme Gruppierungen in Niedersachsen in den vergangenen Monaten verstärkt bei Kundgebungen und Demonstrationen öffentlich in Erscheinung getreten sind, wie beispielsweise in Braunschweig, Bad Nenndorf und am 9. November in Hildesheim, und wenn zunehmend bewusst Provokationen stattfinden, wie etwa die Anmeldung von Freien Nationalisten zu Demonstrationszügen und Kundgebungen am 1. Mai nächsten Jahres in Hannover, dann ist das für uns als Parlamentarierinnen und Parlamentarier nicht mehr hinnehmbar. Wir dürfen die Plätze und die Straßen nicht Rechten überlassen. Dagegen müssen wir uns insgesamt zur Wehr setzen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und Beifall bei den Grünen)

Für uns ist es deshalb wichtig, dass eine umfassende und gesamtgesellschaftliche inhaltliche Auseinandersetzung mit den Ursachen und Erscheinungsformen von Rechtsextremismus, Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus stattfindet. Wir haben deshalb unser Aktionsprogramm vorgelegt.

Herr Innenminister Schünemann, wir wollen nicht sagen, dass Sie nichts gegen Rechtsextremismus tun. Sie führen teilweise Maßnahmen, die wir während unserer Regierungszeit initiiert haben, weiter und bauen sie in vielen Bereichen aus. Es fehlt aber ein Gesamtkonzept. Sie unterbreiten teilweise Flickenangebote, Sie reagieren auf Aktionen. All dies ist aus unserer Sicht aber nicht in ein Gesamtkonzept eingebunden, das interdisziplinär auf allen gesellschaftlichen Feldern ansetzt und die Maßnahmen nachhaltig verstetigt.

(Beifall bei der SPD)

Der Ansatz in unserem Aktionsprogramm ist deshalb ein anderer. Die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass politische und gesellschaftliche Bekämpfungsansätze auf Stetigkeit ausge

richtet sein müssen. Strategien zur Bekämpfung von Rechtsextremismus müssen also von der Einsicht geleitet sein, dass es sich primär um ein politisches und gesellschaftliches Problem handelt. Wie ich schon erwähnt habe, ist ein integratives Konzept notwendig, das neben repressiven Maßnahmen sowohl sozialpolitische als auch bildungs- und integrationspolitische Maßnahmen einschließt und das darüber hinaus - das ist für uns besonders wichtig - auch zivilgesellschaftliche Aktivitäten initiiert und Menschen ermuntert, daran teilzunehmen, sich also offen zur Demokratie zu bekennen und rechtsextremistische Handlungen abzuwehren.

Hieraus folgt, dass auch mit den Mitteln der Wirtschafts- und Sozialpolitik ein wichtiger Beitrag zur Eindämmung rassistischer Erscheinungsformen geleistet werden muss. Appelle und Aufklärungsmaßnahmen sind zwar schnell konsensfähig, reichen aus unserer Sicht aber ohne sozialpolitische Flankierung nicht aus.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei den GRÜNEN)

So sinnvoll Aufklärungsmaßnahmen an Schulen sind, so richtig es ist, den Rechtsextremismus mit Zivilcourage entgegenzutreten, und so hilfreich Aussteigerprogramme in Einzelfällen auch sind - als isolierte Maßnahmen ohne Einbettung in ein Gesamtkonzept, das den gesellschaftlichen und sozialen Entstehungsbedingungen Rechnung trägt, verlieren diese Handlungsansätze leider ihre Wirkung. Darum geht es uns.

(Beifall bei der SPD)

Uns ist darüber hinaus bekannt, dass auch aus der unzulänglichen Integration von Menschen mit Migrationshintergrund soziale Probleme resultieren, auf die Rechtsextremisten mit fremdenfeindlichen Forderungen reagieren. Oft werden auch muslimfeindliche Stimmungen in der Bevölkerung von Rechten aufgegriffen. Deshalb ist es notwendig, dass wir uns auch mit dem Islam differenzierter auseinandersetzen, um eine islamophobe Grundstimmung nicht weiter anzuheizen.

Meine Damen und Herren, Ihnen ist bekannt, dass ein Unverständnis der Mitgestaltungsmöglichkeiten zu einer gefährlichen Geringschätzung unserer demokratischen Freiheiten führen kann. Uns geht es um verstärkte Demokratiebildung und um Menschenrechtsbildung in dieser Gesellschaft, welche wir mittels unterschiedlicher Bildungsinstitutionen weiter in den Vordergrund stellen wollen. Herr

Schünemann, wir sagen immer noch, dass es ein Nachteil war, dass Sie die Landeszentrale für politische Bildung aufgelöst haben.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Diese Institution war ein gutes Instrument, um nicht nur auf junge Menschen einzuwirken, sondern auch Multiplikatoren aus allen Schichten der Gesellschaft anzusprechen, die dann wiederum in ihren Gruppierungen tätig werden konnten. Wir wollen solche Möglichkeiten auch weiterhin nutzen.

Wir haben 17 Vorschläge erarbeitet. Ich möchte Ihnen hier nur einzelne Beispiele darstellen. Ansonsten wäre die Darstellung aus Zeitgründen zu umfangreich.

Wir wollen Demokratieerfahrung und Menschenrechtserziehung an Schulen fördern und auch im Rahmen einer Erweiterung der Erzieher- und Lehrerausbildung im Studium vermitteln. Darüber hinaus wollen wir natürlich auch interkulturelle Kompetenz vermitteln. Es ist notwendig, dass eine Bildungsoffensive gegen rechtsextremes Gedankengut gestartet und weiter fortgeführt wird, dass mehr Politikunterricht an Schulen angeboten wird und dass die öffentlich-rechtlichen Medien in Bezug auf ihren Bildungsauftrag stärker in die Pflicht genommen werden. Es kann und darf nicht sein, dass öffentlich-rechtliche Medien sich ihres Bildungsauftrages nicht mehr so ganz bewusst sind. Das sollten wir ändern.

Der demokratische Prozess muss wieder verstärkt gefördert werden. Ausgrenzung und Individualisierung im negativen Sinne ist entgegenzuwirken. Deswegen ist es auch notwendig, dass Menschen auch in ihrem betrieblichen Alltag die Möglichkeit haben, Demokratie und Teilhabe zu erfahren, etwa durch ihre Mitgliedschaft in Gewerkschaften und durch ihren Einsatz in Betriebs- und Personalräten. Es ist für uns ein ausgesprochen wichtiges Anliegen, dass für die Menschen wechselnde Demokratieerfahrungen erkennbar werden. Erst wenn man solche Erfahrungen gemacht hat, kann man das im Alltag und bei der Erziehung der Kinder umsetzen.

Menschen müssen in Politik und daneben in den Bildungseinrichtungen die Erfahrung machen können, dass sie durch Überwindung von Hindernissen am Ende ein bestimmtes Ziel tatsächlich erreichen können. Das aktive Mitgestalten in ihrer Lebens- und Arbeitswelt muss gefördert und verstärkt werden. Es ist wichtig, dass wir die Stellung der Menschenrechte in der Verfassung und den Um

gang mit ihnen in der Gesellschaft wieder verstärkt vermitteln. Das ist aus unserer Sicht eine Bildungsaufgabe, die einen sehr hohen Stellenwert hat. Diskurse, die eine Ungleichwertigkeit von Menschen behaupten, müssen unterlassen und gesellschaftlich geächtet werden.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Wissensdefiziten über den Aufbau des demokratischen Systems muss entgegengewirkt werden, und die Mitwirkungsmöglichkeiten des Einzelnen müssen umfassend dargestellt und auch praktisch geübt werden.

Eine sensible Erinnerungskultur bezüglich der nationalsozialistischen Vergangenheit - ich glaube, darüber besteht in diesem Haus eindeutig Konsens - muss gepflegt werden. Dies bedeutet: Von Deutschen begangene Verbrechen sind anzuerkennen. Ein emotionaler Zugang zur Vergangenheit ist zu eröffnen. Aus der Geschichte muss auch die Verantwortung wachsen und vermittelt werden.