Protokoll der Sitzung vom 14.01.2009

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Wulff, Sie haben zweitens darauf hingewiesen, dass die Exportorientierung jetzt natürlich ein Problem sei. Mein Gott, seit 15 Jahren haben die Gewerkschafter landauf, landab darauf hingewiesen, dass man sich nicht zu sehr auf den Export fixieren darf, sondern auch die Binnennachfrage stärken muss, dass die Vernachlässigung der Binnennachfrage aufhören muss. Sie haben diese

Ratschläge in den Wind geschlagen. Jetzt soll die Bevölkerung dafür den Sturm ernten. Das ist Ihre Politik.

Drittens muss man natürlich noch einmal betonen, dass es sich um mehr als eine Konjunkturkrise handelt. Insofern brauchen wir auch energischere Maßnahmen.

Damit komme ich zu dem zweiten Aspekt. Was brauchen wir in der jetzigen Lage? - Ausgehend von der Tatsache, dass Investitionsvorhaben, wie wir alle wissen, in der Regel einen Vorlauf brauchen, brauchen wir jetzt natürlich Maßnahmen, die sofort wirken. Wir haben - dies hätte man schon im Oktober verabschieden können - die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von 8,71 Euro wie in Frankreich vorgeschlagen. Eine Erhöhung des Hartz-IV-Regelsatzes auf 435 Euro wäre sofort nachfragewirksam gewesen und wäre dies noch immer. Die Rentner wiederum müssen die ihr von der Bundesregierung vorenthaltenen Rentenerhöhungen von 3 % endlich nachgezahlt bekommen. Auch das würde die Nachfrage markant steigern helfen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Maßnahmenpaket, das Sie jetzt geschnürt haben, wird die soziale Schieflage in diesem Lande aber nicht beheben, sondern verstärken. Es bleibt weiterhin bei der Entlastung für Großunternehmen, Reiche und Vermögende. Normalverdiener werden lächerlich entlastet. Herr Westerwelle hat, was diesen Punkt angeht, mit seiner Auflistung dessen, was für den Normalverdiener herausgekommen ist, völlig recht. Manchmal hat auch die Bild-Zeitung, selbst wenn sie Unsinn schreibt, die richtigen Fragestellungen. Die Fragestellung der Bild-Zeitung von heute ist natürlich richtig: Ist das gerecht: 2 500 Euro für ein altes Auto, aber nur 100 Euro für ein Kind? Die Antwort ist: Nein, das ist nicht gerecht.

(Beifall bei der LINKEN)

Auch Ulrich Schneider, der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtverbandes, hat recht, der gestern erklärt hat: Leider hat die Bundesregierung die historische Chance vertan, Konjunkturmaßnahmen mit einer wirksamen Bekämpfung der Armut zu verbinden. - Diese Chance haben Sie gemeinsam mit der SPD tatsächlich vertan.

Die soziale Schieflage wird auch bei der Frage deutlich, wer die jetzt beschlossenen Maßnahmen eigentlich bezahlt. Das Erstaunliche bei der Debatte heute und auch bei der Haushaltsdebatte ist,

dass real nur noch die Linke in diesem Hause und im Bundestag ein Konzept für die Bezahlung der Krisendämpfungsmaßnahmen hat.

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Bernd Althusmann [CDU]: Das Konzept ken- nen wir aus dem real existierenden Sozialismus!)

Das Konzept lautet in seinem Kernpunkt: 5 % auf alle Geld- und Anlagevermögen von über 1 Million Euro. Das brächte 80 bis 100 Milliarden Euro. Ansonsten haben sie alle gemeinsam nur das Konzept „Schulden machen auf Kosten der kleinen Leute“. Das sind übrigens vielfach die Leistungsträger, Herr McAllister.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Krise wird sich - das prophezeie ich Ihnen - durch Ihre Maßnahmen nicht besonders beeindrucken lassen. Sie wird weiter wuchern. Wer jetzt darauf setzt, im Sommer sei alles wieder gut, der wird sich geschnitten haben. Ich prognostiziere außerdem: Wer heute nicht den Mut hat, über die Verteilungsfrage zu reden, der wird sich morgen der Eigentumsfrage stellen müssen.

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Bernd Althusmann [CDU]: Die haben Sie doch schon vorher geklärt!)

Aber die Monate seit Oktober haben uns hinsichtlich der Beweglichkeit der Politik - sogar der CDU - natürlich auch Mut gemacht; denn im Oktober haben wir gesagt, es droht eine Wirtschaftskrise. Sie gemeinsam haben gesagt - das war nicht nur Herr Möllring -, man solle die Wirtschaftskrise doch nicht herbeireden. Als ob wir eine Krise herbeireden könnten. Wer sind wir denn?

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Genau! So war’s!)

Sie sagten, das sei nur eine Vertrauenskrise. Da müsse man halt Geld in den Bankenkreislauf pumpen, und alles wird wieder gut.

Da war von Wirtschaftskrise noch nicht die Rede. Wir waren fast die Einzigen, die gesagt haben: Das, was jetzt anfängt, ist nicht nur eine Banken- oder Finanzkrise, sondern ist der Beginn einer großen Krise, die nur mit der von 1929 vergleichbar ist. - Das haben Sie damals noch abgestritten.

Jetzt aber ist das alles Asche. Jetzt gibt es auch von Ihrer Seite Forderungen nach Konjunkturpaketen, nach schnellen Maßnahmen. Sie sind zwar hektisch, halbherzig, unsozial und falsch. Aber

immerhin kommt Bewegung sogar in die CDU. Wunder sind immer noch möglich.

(Beifall bei der LINKEN - David McAl- lister [CDU]: Wir sind auch eine wun- derbare Partei!)

- Eine wundersame, würde ich eher sagen.

Nun besteht die Aufgabe der Landespolitik nicht nur darin, Bundesprogramme auf Landesebene herunterzubrechen; vielmehr besteht die Aufgabe auch darin - da ist die Kritik von Herrn Wenzel an einer gewissen Trägheit der Staatskanzlei richtig -, das Spezifische der Landespolitik herauszuarbeiten. Es geht also nicht nur darum, die Bundespolitik in Schlüsseln nach unten durchzureichen. Das, was hier großspurig als niedersächsisches Konjunkturprogramm verkündet wurde, ist allein das Herunterbrechen von Bundeszahlen auf das Land. Wir regen an, mindestens zwei Dinge zusätzlich zu tun.

Ich lese, Herr Hirche, mit großer Begeisterung die Berichte der NBank. Die NBank schreibt Ihnen in ihrem Wohnungsmarktbeobachtungspapier von 2008 etwas ins Stammbuch, was z. B. ein spezifisch niedersächsischer Ansatzpunkt wäre. Sie sagt nämlich, wir hätten es in Niedersachsen zunehmend mit höheren Mieten und steigenden Baukosten zu tun. Es wird dann ausgeführt - ich zitiere wörtlich -:

„Entsprechend den gestiegenen Mieten wird insbesondere das Angebot der günstigen Wohnungen geringer. So sagen die Experten, dass der Markt für günstigen Wohnraum nicht mehr ausgewogen ist und sich im Jahre 2009 weiter anspannen wird.“

Wenn das keine Aufforderung zu einem landesspezifischen Handeln ist, was denn dann, frage ich mich.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich kündige an, dass unsere Fraktion eine entsprechende Gesetzesinitiative vorlegen wird. Da können Sie uns gerne überholen, egal, ob rechts oder links.

Der zweite Bereich, in dem Sie landesspezifische Schwerpunkte zu setzen haben, ist der der Bildung. Natürlich ist es, Frau Heister-Neumann, gut, wenn Schulen renoviert und gestrichen werden, wenn Gebäude energetisch saniert werden. Aber das Herz der Bildung - das wissen wir alle - sind nicht die Gebäude, sondern das Herz der Bildung

sind die Lehrkräfte, die Lehrer. Die Hans-BöcklerStiftung hat diese Woche darauf hingewiesen, dass bundesweit vor allem bei der personellen Ausstattung der Schulen ungefähr 30 Milliarden Euro fehlen. Das ist der Bereich, in dem Landesmittel investiert werden müssen. Diesbezüglich ist bei dem sogenannten niedersächsischen Konjunkturprogramm völlige Fehlanzeige.

(Beifall bei der LINKEN)

Ergänzend müsste - wir werden es am Freitag noch intensiver diskutieren; Herr Jüttner hat das angesprochen - auf die Frage der Umsetzung dieser Maßnahmen auf kommunaler Ebene hingewiesen werden. Die Maßnahmen dürfen nicht so umgesetzt werden, dass die leistungsstarken und die finanzschwachen Kommunen weiter auseinanderdriften. Wir müssen gemeinsam darauf achten, dass sie zusammengeführt werden. So, wie es sich bei dem Projekt bisher anhört, besteht die Gefahr, dass die ärmeren Kommunen in Relation zu den anderen noch ärmer werden. Auch das wäre ein weiterer Beitrag zu der unsozialen Politik, die diese Landesregierung leider zu ihrem Markenzeichen gemacht hat.

Ich möchte als Letztes eine Bemerkung zur Perspektive machen. Wir haben gemeinsam die Aufgabe, die Auswirkungen der Krise auf die Bevölkerung zu dämpfen. Was aber lernen wir strukturpolitisch? - Es gibt in der Tat eine erstaunliche Entwicklung, auch was die Diskussionen in diesem Lande angeht; darauf ist hingewiesen worden. Zur VEB NORD/LB gesellt sich jetzt zu 25 % die VEB Commerzbank. Das sind erstaunliche Vorgänge. Ich hätte mir so etwas nie träumen lassen.

Mitte 2008 noch hat meine liebe Kollegin Tina Flauger hier im Landtag öffentliche Hilfe für die Breitbandversorgung im Land Niedersachsen angemahnt. Herr Hirche hat darauf geantwortet, das müsse der Markt regeln; man dürfe in den Markt nicht eingreifen. Jetzt aber steht es im Programm. Links wirkt. Das sind erstaunliche Vorgänge.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich habe bereits auf die Frankfurter Erklärung hingewiesen. Ich möchte Ihnen den Abschnitt, der sich mit den weiteren Perspektiven, die wir politisch anzugehen haben, befasst, nicht vorenthalten:

„Die Versorgung der Wirtschaft mit Geld kann nicht der Willkür privater Banken überlassen werden. Sie liegt im öffentlichen Interesse und ist des

halb in öffentlicher Hand zu organisieren. Die Banken haben sich in den letzten Jahren immer mehr auf die Spekulation verlegt“

- das wird ja kaum noch bestritten -

„und damit das Finanzsystem ruiniert. Jetzt sind sie dabei, auch die Realwirtschaft zu zerstören.“

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

„Der Geldverleih zwischen den Banken und die Kreditvergabe an Unternehmen stockt. Die Vergesellschaftung der Banken ist das Gebot der Stunde.“

(Beifall bei der LINKEN)

Wir sagen dann weiter, sozusagen in Anmahnung an das schon Gesagte:

„Hedgefonds, Verbriefungen, Zweckgesellschaften und andere Spekulationsinstrumente müssen verboten werden.“

Auch davon ist auf Bundesebene nichts zu sehen.

Herr Dr. Sohn, entschuldigen Sie! - Meine Damen und Herren, ich bitte doch darum, dass dem Redner wie allen anderen zugehört wird und die Audienzen an der Regierungsbank jetzt eingestellt werden.

Darüber hinaus ist, was die weitere Perspektive anlangt, natürlich auch das Verhältnis zwischen Markt und Staat neu zu tarieren. Das bedeutet, dass wir die öffentlichen Einrichtungen ausbauen und die Privatisierung stoppen müssen. Wir sagen in der Erklärung, aus der ich eben vorgelesen habe, weiter:

„Durch Privatisierung wird die öffentliche Daseinsvorsorge der demokratischen Kontrolle und Gestaltung entzogen, und Gewinne werden privatisiert. Mehr und bessere öffentliche Einrichtungen bedeuten mehr soziale Gerechtigkeit und demokratische Teilhabe. Deshalb muss der Börsengang der Bahn endgültig gestoppt werden. Die Stromnetze gehören in öffentliche Hände.“