Protokoll der Sitzung vom 14.01.2009

Wir könnten den Soli in einen Bildungssoli umwandeln und die Lasten in der Bildungsfinanzierung deutlich verschieben, zugunsten unserer Kinder, zugunsten einer Bildungsoffensive, die die Kreativität unserer Kinder in all ihren Facetten fördert. Hier liegt die zweite zentrale Herausforderung unseres Landes. Das verlangt von unseren Schulen viel. Das verlangt auch von unseren Lehrerinnen und Lehrern sehr viel. Aber ich bin sicher: Sie würden am Ende mitmachen. Kreativität und Fantasie sind die wichtigste Ressource unserer Kinder. Das ist der Stoff, aus dem die Träume und die Visionen sind. Das ist der Stoff, den wir brauchen, um Grenzen zu überwinden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Hier braucht es endlich Impulse und neuen Mut.

Meine Damen und Herren, diese Krise ist mehr als ein üblicher konjunktureller Abschwung. Sie stellt am Ende auch unseren Lebensstil und unser Konsummodell in Frage. Unsere Kinder werden fragen: Wann habt ihr denn erkannt, dass man Geld nicht

essen kann? - Unsere Kinder werden fragen, was wir getan haben, um das menschliche Maß wiederzufinden und die natürlichen Lebensgrundlagen zu bewahren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wenn ich in diesen Tagen von „Krise als Chance“ rede - das tue ich ausdrücklich -, dann meine ich damit ausdrücklich diese Chance zur Besinnung und diese Chance zur Neuorientierung. Wir haben über den aktuellen Stand der Landesregierung schon viel gesprochen. Wir haben diesen Zustand der Landesregierung mit einer Schlaftablette verglichen, weil sie keinerlei Handlungsbereitschaft erkennen ließ. Darüber hinaus haben wir vom Ministerpräsidenten und seinem Kabinett hier zum Teil sehr widersprüchliche Aussagen zu der Situation gehört, in der wir uns befinden. Nur ein Beispiel: Vor kurzem behauptete Finanzminister Hartmut Möllring noch in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung, dass das Gerede von der Kreditklemme Humbug sei. In eindrucksvollem Kontrast dazu der Ministerpräsident einen Tag später in der Wirtschaftswoche: Es ist ungeheuerlich, dass permanent von den Banken wiederholt wird, es gebe keine Kreditklemme. - In einer solch fundamentalen Frage sind Finanzminister und Ministerpräsident völlig gegensätzlicher Auffassung.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Planlos!)

Angesichts dieser verfahrenen Lage konnte man zum Jahresbeginn fast von Hoffnung sprechen. Wirtschaftsminister Hirche kündigte seinen umgehenden Rückzug an.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, das gab der Fantasie endlich Raum: Gibt es eine Kabinettsumbildung? Nutzt der Ministerpräsident diesen Rücktritt zu einem personellen Neuanfang? Setzt sich das neue Kabinett Ziele im Kampf gegen Wirtschaftskrise, Klimawandel, Verschuldung der Kommunen, Belastung der demografischen Entwicklung und die hohe Zahl der Schulabbrecher? - Stattdessen - meine Damen und Herren, Sie kennen die Geschichte - gab es nur eine Nominierung. Für den Wiederbelebungsversuch wird jetzt nur der Stabsarzt Rösler an den Kabinettstisch geholt.

(David McAllister [CDU]: Sehr gut!)

Herr Hirche macht sich offenbar noch rechtzeitig aus dem Staub, bevor die Konjunktur noch weiter absackt und die Arbeitslosenzahlen noch weiter sinken. Sie, Herr Rösler, haben rechtzeitig Ihre Handpuppe Willi verkauft. Jetzt werden Sie wahrscheinlich mit Herrn Bode das Bauchreden üben. Wir sind gespannt, ob Ihre Fraktion hier in Zukunft wie Fähnlein Fieselschweif in der Versenkung verschwindet oder ob das gelingt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Wulff, Sie sind wirklich mit einer bemerkenswerten Truppe unterwegs. Ihr Finanzminister gibt sich hin und wieder als Kampfbomber, Ihr Innenminister als Fernsehkoch und der Wissenschaftsminister als Schirmherr beim Schönheitswettbewerb. Wer wundert sich eigentlich noch darüber angesichts der allgegenwärtigen Showpräsenz des Ministerpräsidenten selbst? - Für alle, die es verpasst haben: Neulich war Herr Wulff sogar bei Herrn Plasberg im Ersten zu bewundern, wie er bei einem Fotoquiz quasi mit verbundenen Augen innerhalb weniger Sekunden das Dekolleté von Frau Kanzlerin Merkel erkannte. Wirklich eine Glanzleistung, meine Damen und Herren! Aber deshalb haben Sie wahrscheinlich auch den besonderen Preis der Bunte für die beste Inszenierung des Privatlebens als Soap, als Seifenoper, gewonnen. In diesem Metier ist diese Landesregierung wirklich spitze. In diesem Metier ist der Wissenschaftsminister genauso gut wie der Chef der Staatskanzlei und einige andere in diesem Haus auch.

Aber, meine Damen und Herren: Verantwortliche Politik sieht in diesen Zeiten der Krise anders aus. Verantwortliche Politik muss in diesen Zeiten der Krise entschlossen dem entgegentreten, was jetzt notwendig ist. Mit dem Sammelsurium des Konjunkturpakets II geschieht das nicht. Im Gegenteil: In der Glosse einer Tageszeitung wird heute die ganze Armut, die ganze Erbärmlichkeit der Gesellschaftsphilosophie und des Staatsverständnisses der Großen Koalition wie folgt zusammengefasst. 2 500 Euro für ein neun Jahre altes Auto, 100 Euro für ein neun Jahre altes Kind. - Das heißt: Familien mit 25 Kindern bekommen so viel Geld wie Kinderlose mit einem Auto.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das ist, kurz zusammengefasst, die Essenz Ihres Programms.

Zukunft ist ein Kind der Gegenwart, heißt es in einem Merksatz. Ihre Politik der Gegenwart lässt für die Zukunft leider wenig hoffen.

Herzlichen Dank.

(Starker, anhaltender Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, als nächsten Redner rufe ich Herrn Dr. Sohn von der Fraktion DIE LINKE auf. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige Debatte macht mir viel Spaß. Sie ist interessant, stellenweise ist sie sogar amüsant. Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass Herr McAllister hier das Vier-Punkte-Sündenregister vorgelesen hat. Sie haben dabei aber ein bisschen unterschlagen, dass die CDU damals keinen Mucks gegen diesen Deregulierungskatalog gesagt hat.

(Beifall bei der LINKEN)

So kennen wir ihn aber. Er hätte das am liebsten noch verschärft.

Herr Wulff hat sich heute abermals als der Ministerpräsident der Selbstbeweihräucherung bewährt. Die Hälfte der Regierungserklärung war nach hinten gerichtet. Im Portugiesischen gibt es den schönen Spruch: Die Sonne von gestern wärmt nicht mehr. - Dieser Satz gilt umso mehr, als es im Jahre 2008 ja weniger Sonne, sondern eher einen permanenten politischen Nieselregen von oben gab. Dieser wärmt erst recht keinen mehr.

(Dr. Bernd Althusmann [CDU]: Je tie- fer die Sonne steht, desto größer die Schatten! Dies gilt gerade für Ihren Schatten, Herr Kollege!)

Die FDP - auf ihren Beitrag bin ich jetzt natürlich gespannt - ist in der amüsanten Lage, auf Bundesebene tatsächlich herzerfrischend gegen das halbherzige sogenannte Konjunkturpaket II zu Felde zu ziehen, hier aber den kooperativen Juniorkoch in dieser Garküche des Unsinns mimen zu müssen. Auf diese Figur freuen wir uns jetzt alle gemeinsam.

(Beifall bei der LINKEN)

Die SPD - auch das muss natürlich gesagt werden - möchte draufhauen, darf es aber nicht so recht, weil sie sich auf Bundesebene in die baby

lonische Zwangsehe mit der entzückenden Frau Merkel begeben hat.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Das Leben ist immer wieder hart!)

In diesem Vakuum zwischen Selbstbeweihräucherung und Dauerlähmung gedeiht die schwerste Krise seit 1945. Wir kennen die Zahlen alle. Der Export ist um 11,8 % eingebrochen. Es ist zu befürchten, dass die Zahl der Arbeitslosen in diesem Jahr auf 4 Millionen steigt. Was Niedersachsen betrifft, gibt es im Moment sorgenvolle Diskussionen im gesamten VW-Werk, nicht nur in der Unternehmensspitze, sondern vor allen Dingen bei den Betriebsräten und Mitarbeitern.

Herr Wulff, beim Stahlwerk gibt es auch andere Positionen als die von Ihnen gepriesene Situation. Ich war gestern Abend in Peine. Es ist eben so, dass die reale Produktion im Dezember und Januar um 30 % zurückgegangen ist. Es gibt dort die Streichung einer Fülle von Schichten, insbesondere von Nacht- und Wochenendschichten. Die Lohneinbußen, die dadurch bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern entstehen, machen übrigens ein Vielfaches dessen aus, was im Rahmen des Konjunkturpakets II an Steuerwohltaten ausgeschüttet wird. Insofern wird dieses Paket auch nicht sehr viel nützen. Die Autozulieferer diskutieren inzwischen nicht nur über Kurzarbeit, sondern auch darüber, wie sie in der Perspektive die Durststrecke, wenn es denn eine Durststrecke bleibt, überhaupt überstehen sollen. Auch die Umschlagzahlen in den Häfen gehen zurück.

Die Kurzarbeit, von der Sie gesprochen haben, ist gewissermaßen ein Wechsel auf die Hoffnung für die Zukunft. Heute Morgen war der Presse zu entnehmen, dass die Zahl der angemeldeten Kurzarbeiter in der Bundesrepublik 800 000 beträgt. Vor einem Jahr waren es 10 000. Das sind die Dimensionen, mit denen wir es hier zu tun haben.

Herr Wulff, Ihr erster Satz in der Regierungserklärung beinhaltete das Wort Konjunkturkrise. Dies ist meines Erachtens ein weiterer Beleg dafür, dass Sie die Tiefe des Bruchs, vor dem wir stehen, noch nicht begriffen haben oder noch nicht auf den Begriff gebracht haben. Herr Wenzel hat völlig recht: Das, was wir erleben, ist nicht eine Konjunkturkrise und auch nicht mit Verbesserungen im Bereich der Kurzarbeit zu lösen. Eine solche Strategie wäre nur dann richtig, wenn man davon ausgehen könnte, dass im Sommer alles wieder gut wird. Ich prophezeie Ihnen: Im Sommer wird nicht alles wieder gut.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Wir wollen hier nicht das wiederholen, was wir in der Haushaltsdebatte gesagt haben. Weder der Haushalt noch die jetzt beschlossenen Maßnahmen sind eine angemessene Reaktion auf die Krise.

Ich möchte hier zu vier Aspekten Stellung nehmen. Erstens möchte ich einem Wunsch von Herrn Wenzel folgend - er hat den Saal leider gerade verlassen - auf die Frage der Krisenverantwortlichkeit zu sprechen kommen, wobei ich Herrn Wulff ausdrücklich in Schutz nehmen möchte. Der Vorwurf, Herr Wulff wäre im Vorruhestand, hört sich rhetorisch ja nicht schlecht an. Ich hoffe, dass Herr Wulff - ich selber habe einmal für alle drei Kinder Erziehungsurlaub genommen - im Moment ein bisschen Erziehungsurlaub übt und dass er dies sogar noch intensiver tun wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Zweitens möchte ich etwas zu den jetzt notwendigen Sofortmaßnahmen auf Bundes- und Landesebene sagen. Drittens möchte ich auf die spezifischen landespolitischen Aufgaben eingehen, die fast völlig fehlen. Im Wesentlichen handelt es sich ja um ein Herunterbrechen des Bundesprogramms auf das Land Niedersachsen. Viertens möchte ich etwas zu den weiteren Lehren sagen, die struktur- und systempolitisch aus der Krise zu ziehen sind.

Zum ersten Punkt. Wir hatten gestern in Frankfurt eine Zusammenkunft der Fraktionsvorsitzenden, bei der uns Tina Flauger vertreten hat. Die Wahl des Tagungsortes war nicht zufällig; denn wir werden in Hessen am nächsten Sonntag ja unseren nächsten Wahlerfolg feiern.

(Beifall bei der LINKEN - David McAl- lister [CDU]: Den Anfang vom Ende!)

- Ja, Sie werden das sehen.

Herr Wulff hat sich am Schluss seiner Regierungserklärung immer deutlicher als eine Art Christian I. dargestellt, der angesichts der Krise keine Parteien mehr, sondern nur noch Niedersachsen kennt. Ich möchte an dieser Stelle aber doch einmal festhalten, was festgehalten werden muss, nämlich wer für diese Krise verantwortlich ist. Herr McAllister hat ja schon einen sinnvollen Beitrag dazu geleistet, den ich ergänzen möchte. Ich möchte hier aus der Frankfurter Erklärung, die wir gestern verabschiedet haben, zitieren:

„Die Regierungen Schröder und Merkel haben mit der sogenannten Libe

ralisierung des Kapitalverkehrs den Spekulanten das Casino namens Finanzmarkt gebaut. Und sie haben den Spekulanten das Geld zum Zocken verschafft: Steuern für Reiche und Konzerne wurden gesenkt, Löhne wurden mit Hartz unter Druck gesetzt, die gesetzliche Rente wurde weitgehend zerstört. Das hat den Unternehmen, Versicherungen und MegaReichen viel Geld in die Taschen gespült - für Spekulation, Paläste und Luxusjachten.“

(Beifall bei der LINKEN)

„Auch in der Krise wechseln CDU/CSU und SPD ihren Kurs nicht. Rettung maroder Banken ohne Gegenleistung, kein Verbot von spekulativen Geschäften, keine Verpflichtung der Banken auf die Kreditversorgung der Wirtschaft und kein Schutzschirm für Arbeitsplätze - das ist die Lage.“

Herr Wulff, vielleicht noch drei Anmerkungen zu dem, was Sie eben beklagt haben. Sie haben sich erstens darüber beklagt, dass die Wirtschaftsweisen doch so schlechte Ratschläge gegeben hätten. Das mag natürlich auch daran liegen, dass man sich die falschen Weisen aussucht. Wenn man immer nur vor allen Dingen auf den unsäglichen Professor Unsinn hört, darf man sich nicht darüber beklagen, dass die Ratschläge nicht richtig passen. Es gibt die Memorandumsgruppe. Herrn Stratmann hatte ich schon einmal empfohlen, doch darüber nachzudenken, ob es nicht falsch gewesen ist, die marxistischen Frühwarnsysteme aus den Hochschulen wegzuschießen. Ich freue mich darüber, dass bei der nächsten Haushaltsausschusssitzung - Herr Dr. Althusmann, ich empfehle Ihnen gerade diesen Part der Haushaltsausschusssitzung - Lucas Zeise dabei sein wird, von dem wir viel lernen können und der Ihnen schon früher hätte sagen können, was jetzt auf Sie zugekommen ist.

(Beifall bei der LINKEN)