Protokoll der Sitzung vom 09.04.2008

(David McAllister [CDU]: Was?)

Hier brechen Sie Ihr Wort, diesen Initiativen vor Ort zu helfen und Gesamtschulen zuzulassen. Sie werden wortbrüchig! Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen - im Interesse der Kinder und der Chancengleichheit unserer Kinder.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Frau Ministerin Heister-Neumann, in Ihrer ziemlich verunglückten Antrittsrede beim Schulleitungsverband Niedersachsen in der vorletzten Woche haben Sie gesagt: Wir müssen die Langsamkeit neu entdecken.

(Heiterkeit bei der SPD - Wolfgang Jüttner [SPD]: Da ist sie ja eigentlich auf einem guten Wege!)

Ich kann nur sagen: Auf diese neue Langsamkeit können die betroffenen Gesamtschulinitiativen und Tausende von Kindern und ihre Eltern sowie engagierte Lehrerinnen und Lehrer, Schulträger und auch viele örtliche CDU-Kommunalpolitikerinnen und -kommunalpolitiker - nicht wahr, Frau Körtner? - getrost verzichten. Hier ist Handeln angesagt. Sie hatten lange genug Zeit dazu.

(Starker, anhaltender Beifall bei der SPD und bei der LINKNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, für die SPDFraktion hat sich jetzt Herr Kollege Lies zu Wort gemeldet. Bitte schön, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Ich ärgere mich, dass alles so spät kommt.“ - Man könnte meinen, das hätte ich gesagt. Die Worte wären sicherlich anders gewesen. Vielmehr zitiere ich den schulpolitischen Experten der CDU Karl-Heinz Klare, der damit seinem Unmut Luft macht.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN - Karl-Heinz Klare [CDU]: Wo war das denn?)

- Das steht heute in der Zeitung. Es tut mir leid, wenn Sie so wiedergegeben werden. - Grundsätzlich aber seien bei der Gesetzgebung keine Schwierigkeiten zu erwarten. Die Mehrheiten stünden fest. - Zu merken ist davon leider nichts.

Initiativen in ganz Niedersachsen sind seit dem Herbst letzten Jahres aktiv und machen deutlich, wo der Elternwille liegt, dass sie für neue Gesamt

schulen in ihren Regionen sind. Wir haben gehört: Mehr als 4 000 Ablehnungen erwarten wir dieses Jahr. Es werden mehr werden - davon bin ich fest überzeugt -, weil die Eltern den Weg zu den Gesamtschulen suchen. Viele Eltern fragen sich jetzt: Was kommt denn? Wie kann ich eine Entscheidung treffen?

Um es einmal deutlich zu machen, möchte ich ganz kurz die Situation vor Ort schildern. Kinder und Eltern, die ihre Bewerbung abgegeben haben, gehen jetzt täglich zum Briefkasten, weil sie einen kleinen oder einen großen Umschlag erwarten. Der kleine Umschlag enthält eine Zusage für die Gesamtschule, der große eine Ablehnung. Es ist schlimm und erschreckend sowohl für die Eltern als auch für die Kinder, dass Sie das in dieser Weise zulassen.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Herr Ministerpräsident, Sie waren es, der die Eltern überhaupt vorangebracht hat, der dafür gesorgt hat, dass sich in großer Zahl Initiativen vor Ort gründeten. Sie haben im Oktober letzten Jahres geradezu dazu aufgefordert: Sorgen Sie als Eltern dafür. Bekunden Sie, wo der Wille vorhanden ist, neue Gesamtschulen zu gründen. - Jetzt kommt natürlich auch vonseiten der Eltern die Frage: Können wir den Worten nicht glauben?

(Zuruf von der LINKEN: Nein!)

Sie können sich vorstellen, wie schwierig es auch für einen Abgeordneten des Landtages ist, den Eltern gegenüber erklären zu müssen, welche Entscheidungen hier getroffen werden, während vor Ort an ganz vielen Stellen gerade auch CDU und FDP dieses Anliegen mitgetragen haben. Im Landkreis Friesland haben wir über alle Fraktionen hinweg einen einstimmigen Beschluss gefasst, dass wir zeitnah und schnell eine Gesamtschule einrichten wollen.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Für mich erschreckend konnten wir heute feststellen, wohin Ihre Bildungspolitik führt. Man könnte sie vielleicht noch als Wirtschaftsförderung bezeichnen; denn heute wurde bekannt, dass ungefähr 1 Milliarde Euro für Nachhilfe ausgegeben werden. Grund ist eine verfehlte Schulpolitik, nichts anderes. Problematisch ist, dass es auch noch zu sozialer Ungerechtigkeit führt, weil sich möglicherweise nicht jeder Nachhilfe leisten kann. Deshalb

muss dringend etwas passieren, und deshalb sind Sie gefragt.

(Zuruf von Reinhold Hilbers [CDU])

431 Kinder in Friesland möchten in diesem Jahr eine Gesamtschule besuchen. Das ist nicht leistbar. Für 180 Kinder hätten wir eine Lösung gefunden. 180 Kinder hätten die Chance gehabt, in die Schule zu gehen, die ihnen und ihren Eltern gerecht wird. Das haben Sie verhindert, völlig unnötig. Man hätte gemeinsam eine Lösung finden können, aber Sie hatten überhaupt kein Interesse an einer gemeinsamen Lösung. Ich finde das erschreckend, und ich finde es schwierig, das den Eltern zu erklären.

„Ich ärgere mich, dass alles so spät kommt“, haben Sie gesagt, Herr Klare.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Wo steht das denn?)

Nein. In Wirklichkeit ist es viel schlimmer. Es ist schlimm und erschreckend, dass wir den Eltern die jetzige Situation erklären müssen. Ich zweifle, ehrlich gesagt, auch daran, dass es besser wird, und ich hoffe - so war es ja zu lesen -, dass Sie sich nicht von Ihrem Fraktionsvorsitzenden bremsen lassen; denn ob das der ausgewiesene Experte für Bildungspolitik ist, wage ich doch zu bezweifeln. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Starker Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Beifall bei der LIN- KEN)

Herzlichen Dank. Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Frau Kollegin Korter das Wort. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Ministerpräsident Wulff, schon bei der ersten Nagelprobe auf die Glaubwürdigkeit Ihrer Wahlversprechen versagen Sie.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

„Nichts als die Wahrheit“ - so haben Sie Ihr Buch betitelt, Herr Wulff. Aber wie sieht die Wahrheit bei Ihnen aus?

(Dr. Gabriele Andretta [SPD]: Mal so, mal so!)

Tricksen, verzögern, hinhalten. Im September 2007 haben Sie persönlich unter großem Druck vor der Landtagswahl die Lockerung des Gesamtschulneugründungsverbots angekündigt. Wir von den Grünen und die SPD haben umgehend Gesetzentwürfe vorgelegt und am 17. Oktober hier beraten. Denen wollten Sie nicht zustimmen. Sie haben die Menschen in Niedersachsen mit dem Versprechen vertröstet, gleich nach der Wahl werde ein Gesetz vorgelegt. So Karl-Heinz Klare am 12. Dezember; Frau Heiligenstadt hat es ja schon zitiert. Die Aussage dazu sei ziemlich einfach, hat Herr Klare uns hier erzählt. Das Gesetz werde im Februar oder März so schnell wie möglich eingebracht, es werde ordentlich beraten, und dann gebe es neue Gesamtschulen in Niedersachsen. - Schön wär’s gewesen.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: So wird es ja auch sein!)

Zwischenzeitlich hatte Herr Busemann, der damalige Kultusminister, per Erlass verboten, den Bedarf der Eltern nach Gründung einer Gesamtschule zu ermitteln. Aber auch er hat am 12. Dezember 2007 ausweislich des Protokolls hier erklärt - ich zitiere mit Genehmigung der Präsidentin -:

„Sie werden sich noch wundern. Wir werden das Neugründungsverbot aus dem Gesetz streichen. Wir werden die Bedarfsregelung klären, und das wird 2008 ganz zügig gehen.“

(Ursula Körtner [CDU]: Das machen wir doch auch!)

Inzwischen ist es mehr als sechs Monate her, dass der Ministerpräsident diese Ankündigung gemacht hat, und bis heute liegt kein Gesetzentwurf vor.

(David McAllister [CDU]: Gedulden Sie sich doch bis Mai!)

Wollen Sie uns erzählen, Herr McAllister, Sie hätten es in sechs Monaten mit dem ganzen Knowhow des Ministeriums nicht geschafft, ein so schlichtes Gesetz vorzulegen, in dem man nur einen Satz zu streichen braucht?

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN - David McAllister [CDU]: Dazwischen war doch die Wahl! - Karl-Heinz Klare [CDU]: Es ist nicht so schlicht, wie Sie es machen!)

Das nenne ich nicht nur peinlich. Das ist Wortbruch.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Herr Ministerpräsident Wulff, in dieser Frage stehen Sie ganz persönlich in der Verantwortung.

(Zurufe von der CDU)

- Regen Sie sich doch nicht so auf. Sie können es ja gleich dementieren und sagen, wie schnell Sie dieses Jahr doch noch sein wollen. - Wie man jetzt sieht, war es tatsächlich nur ein wahltaktisches Manöver, neue Gesamtschulen anzukündigen. Jetzt spielen Sie mit allen möglichen Tricks auf Zeit, damit es nur ja keine neue Gesamtschule schafft, noch in diesem Jahr an den Start zu gehen, und das, obwohl Sie wissen, dass die Schulträger in Schaumburg, in Friesland und in vielen anderen Landkreisen ihre Vorbereitungen abgeschlossen, den Bedarf ermittelt und Beschlüsse gefasst haben und dass Pädagogenteams schon an Konzepten arbeiten. Man wartet nur auf das grüne Licht aus dem Landtag in Hannover.

Meine Damen und Herren, es geht hier nicht um eine Glaubensdebatte. Nein, es geht um die Bildungschancen Tausender von Kindern in Niedersachsen.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Die wollen alle dahin!)

Weil Sie sich nicht trauen, Herr Wulff, weil Sie in der CDU heillos zerstritten sind, weil Ihr ach so liberaler Koalitionspartner auf die Bremse tritt, verzögern Sie die Aufhebung des Neugründungsverbots. Sie tragen Ihre parteiinternen Machtspielchen und die Machtspielchen in der Koalition auf dem Rücken der Kinder in Niedersachsen aus.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN - David McAllister [CDU]: Sie haben eine ge- störte Wahrnehmung!)

Weil Sie Angst vor einer Entscheidung haben, bleibt in vielen Kreisen eine weitere Schülergeneration vom Besuch einer Gesamtschule ausgeschlossen, können die Schulträger nicht loslegen.