Protokoll der Sitzung vom 09.04.2008

Drittens. Was auch immer passiert ist, eines sollten wir - vielleicht sogar im Konsens - feststellen: Der Vollzug mit mehreren Gefangenen in einer Zelle, vor allem mit drei Gefangenen in einer Zelle, ist etwas höchst Gefährliches, weil immer zumindest die Gefahr der Konstellation „Zwei gegen einen“ besteht. Der Vollzug mit mehreren Gefangenen in einer Zelle sollte die absolute Ausnahme bleiben. Das hat auch der Justizminister im Ausschuss zugesagt. Ich hoffe, dass es dabei bleibt und dass wir dahin kommen, die Mehrfachbelegungen nach und nach wirklich zu reduzieren. Am besten sollten sie überhaupt nicht mehr bzw. nur noch in begründeten Ausnahmefällen praktiziert werden, dann aber nur mit zwei Personen in einer Zelle und nicht mehr mit drei; das muss man überwinden.

Viertens. Herr McAllister, Sie haben hier Erfolge des Strafvollzuges erwähnt. Sie würden das, was Sie positiv erwähnt haben, völlig gefährden, wenn Sie auch nur auf die Idee kämen, den Strafvollzug oder auch nur Teile des Strafvollzugs zu privatisieren. Wenn das eintritt, dann wird Ihnen der Sturm der Fachwelt und der Öffentlichkeit entgegenwehen; das kann ich Ihnen versichern.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN und Zustim- mung bei der SPD)

Ich erteile dem Abgeordneten Limburg von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr McAllister, ich habe mich sehr gefreut und ich freue mich noch immer, dass Sie hier offensichtlich Ihre Lernfähigkeit unter Beweis gestellt haben und dass Sie im Gegensatz zu dem, was Sie in Ihrer Oppositionszeit - also bis zum Jahr 2003 - gesagt haben, in der Sie die SPDRegierung immer und immer wieder kritisiert haben, jetzt anerkennen: Der SPD-Justizminister Professor Dr. Christian Pfeiffer hat eine gute bis sehr gute Arbeit geleistet.

(Beifall bei der SPD)

Er war es, der die neuen Haftanstalten in Sehnde und Rosdorf in Auftrag gegeben hat. Das wissen

Sie. Nur weil Frau Heister-Neumann zufällig das Bändchen zur Einweihung durchschneiden durfte, ist das noch längst nicht ihr Erfolg im Strafvollzug.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Aber, Herr McAllister, es gibt noch mehr Sachen, die Sie lernen können, auch z. B. von Herrn Pfeiffer, auch von anderen Kriminologen. Sie wissen so gut wie ich, dass in Niedersachsen immer noch Zellen mehrfach belegt werden. Wir haben drei Gefangene in einer Zelle, wir haben zum Teil auch vier Gefangene in einer Zelle. Siegburg und auch andere Vorfälle haben gezeigt, wie gefährlich das ist, wie dramatisch das werden kann. Daher fordern viele Kriminologen und auch wir Grünen völlig zu Recht: Wir müssen die Mehrfachbelegung von Zellen in Niedersachsen zur absoluten Ausnahme machen. Wir dürfen es gar nicht erst so weit wie in Siegburg kommen lassen. Daher bitte ich Sie: Erkennen Sie an, dass in diesem Bereich Nachbesserungsbedarf besteht! Bessern Sie das nach, und sorgen Sie dafür, dass maximal zwei Gefangene in einer Zelle sind, damit wir nicht über solch einen Fall wie in Siegburg diskutieren müssen!

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Ein weiterer Punkt ist bei Ihrer Lobhudelei über die aktuelle Gefängnissituation etwas untergegangen, Herr McAllister: Niedersachsen hat nicht nur die drei Justizvollzugsanstalten Sehnde, Rosdorf und Oldenburg. Niedersachsen hat auch die Justizvollzugsanstalten Braunschweig, Celle-Salinenmoor, Wolfenbüttel und noch viele andere Anstalten, in denen Gefangene zum Teil in Bauten aus dem Jahr 1900 - teilweise sind sie noch älter - untergebracht sind, in Zellen, deren Kubikmeterzahl sogar größer ist als die der neuen Zellen, aber leider nicht in der Grundfläche, weil die alten Zellen 4 m hoch sind. Auch das ist die Haftsituation in Niedersachsen, auch das ist Realität, auch das ist Fakt. Ich bitte Sie, auch das anzuerkennen. Hier besteht noch viel Nachbesserungsbedarf für die Landesregierung. Hier ist die Lage nicht so rosig, wie Sie sie darstellen. Ich bitte Sie, auch diesen Bereich nicht zu vernachlässigen. Auch dort sind Menschen, die in unsere Gesellschaft reintegriert und resozialisiert werden müssen.

(Beifall bei den GRÜNEN - David McAllister [CDU]: Sie stellen dann entsprechende Haushaltsanträge?)

- Ich soll den Haushaltsantrag stellen?

(David McAllister [CDU]: Mit Ihrer Fraktion!)

Herrn Möllring.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Der wird dazu aus Casinos oder diversen anderen Haushalten einiges machen. Herr McAllister, wenn Sie sich die Bilanz angucken, wie viele Haushaltsvorschläge von der Opposition gekommen sind und wie viele Sie davon übernommen haben, dann werden Sie verstehen, dass wir uns nicht noch einmal die Mühe machen, sinnvolle Anträge zu stellen, die Sie dann ungelesen einfach in den Papierkorb schmeißen. Diese Mühe machen wir uns nicht.

(Zustimmung von Kreszentia Flauger [LINKE])

Wir fordern: Es ist die Aufgabe der Regierung - - -

(Zurufe von der CDU: Jetzt wird es aber spannend! - Jetzt kommt’s! - Ur- sula Helmhold [GRÜNE]: 3:20!)

- Alles klar. - Angesichts der großen Pöbelstimmung, die hier auf Ihrer Seite herrscht, beende ich jetzt die Rede. Ich hoffe, dass wir auf der Sachebene in diesem Bereich weiterkommen. Natürlich kostet das auch Geld. Aber ich meine, das Geld sollte es uns wert sein, um Fälle wie in Siegburg hier in Niedersachsen unmöglich zu machen.

Danke schön, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Ich erteile dem Abgeordneten der FDP-Fraktion Herrn Professor Zielke das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben in Niedersachsen einen hervorragenden Strafvollzug mit hoch motivierten Mitarbeitern.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Mit unserem Strafvollzug brauchen wir uns in keiner Hinsicht zu verstecken. Unser Strafvollzug ist sicher, und er ist human. Wir haben in den Haftanstalten eine Personalausstattung, die sowohl bezogen auf die Zahl der Haftplätze als auch bezogen auf die tatsächliche Belegung im Länderver

gleich weit überdurchschnittlich ist. Die Zahl der Entweichungen aus unseren Haftanstalten ist auf einem historischen, nicht mehr unterbietbaren Tiefstand, nämlich null. Sicherer geht es nicht!

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Herr Kollege McAllister hat es schon gesagt: 78 % aller männlichen Gefangenen haben einen Einzelraum nur für sich allein. Auch das hat es in Niedersachsen noch nie gegeben. Unter der Ägide des SPD-Justizministers Pfeiffer, der neulich eine 100-prozentige Einzelbelegung der Hafträume gefordert hat, war es gerade einmal die Hälfte. Wer sich ein bisschen an die Entstehungsgeschichte des Niedersächsischen Justizvollzugsgesetzes zurückerinnert, dem wird bekannt sein, dass die FDP nun wirklich nicht zu den Fans der Mehrfachbelegung von Hafträumen gehört.

(Beifall bei der FDP)

Für uns war es immer das Ziel und der anzustrebende Regelfall, dass alle Gefangene einzeln untergebracht werden können. Eine Mehrfachbelegung gegen den Willen von Gefangenen lehnen wir strikt ab; sie darf es nur in extremen Sondersituationen wie höherer Gewalt geben.

(Beifall bei der FDP)

Im Fall Salinenmoor, der in den letzten Wochen die Öffentlichkeit beschäftigt hat und auf den ich gleich noch komme, war die gemeinschaftliche Unterbringung auf Wunsch des späteren Opfers erfolgt. Aber jetzt aufgrund dieses Vorfalls eine strikte Einzelunterbringung aller Gefangenen zu fordern, schießt doch weit über das Ziel hinaus.

Natürlich ist es Aufgabe des Staates, gerade die Bürger, die sich in seiner zwangsweisen Obhut befinden, vor Schäden an Leib und Leben zu schützen. Aber andererseits: Würden wir bei einem Totalverbot der Mehrfachbelegung nicht vom Ziel eines humanen Strafvollzugs abweichen? Würde dann nicht schnell der Vorwurf der Isolationshaft, ja der Isolationsfolter erhoben werden? Der soziale Umgang der Gefangenen würde verkümmern, und ihre sozialen Kompetenzen würden nicht gestärkt werden. Auch Gefangene sind Menschen.

Der Unterausschuss „Justizvollzug und Straffälligenhilfe“ dieses Landtags hat vor genau einer Woche die Haftanstalt Sehnde besucht. Dort sind, ähnlich wie in ganz Niedersachsen, mehr als drei Viertel der Gefangenen in Einzelräumen untergebracht. Wir haben die Anstaltsleitung gefragt, warum nicht auch die übrigen einzeln untergebracht

seien. Darauf sagte man uns, die Mehrfachbelegung von Zellen könne aus vielen Gründen sinnvoll sein, etwa wenn jemand suizidgefährdet sei oder wenn jemand gebrechlich sei, vielleicht gehbehindert oder herzkrank sei und von der Hilfe oder Anwesenheit eines anderen Gefangenen profitieren könnte, aber auch, wenn es sich um zwei Brüder handele - den Fall gibt es dort -, oder auch, wenn die beiden einzigen Gefangenen einer anderen Nationalität zusammen untergebracht werden, die sich mit niemandem sonst sprachlich verständigen können. Das ist nicht aus der Luft gegriffen. In Sehnde sitzen gegenwärtig Gefangene aus 35 Nationen ein.

Mein Fazit lautet: Auch wenn Gewalt unter Häftlingen nie ganz auszuschließen ist, gibt es gute Gründe dafür, der Anstaltsleitung zu ermöglichen, vom Regelfall der Einzelbelegung in flexibler Weise zum Wohl der Gefangenen abzuweichen - natürlich nur mit ihrer Zustimmung.

Jetzt zu Herrn Haase und Salinenmoor. In der Tat war zu dem Zeitpunkt, als das Justizministerium den Ministerpräsidenten in einer E-Mail unterrichtet und den Landtag nicht unterrichtet hat, dieser Vorfall ein belangloser Vorfall. Das geht schon aus dem Wortlaut der E-Mail hervor, der auch in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung vom 3. April veröffentlicht worden ist. Darin heißt es nämlich - das war die Information, die an dem Tag dem Justizministerium zur Verfügung stand und die es an den Ministerpräsidenten weitergegeben hat -:

„Der Anstaltsarzt hat lediglich leichte Hämatome im Gesicht festgestellt.“

Da war von „lebensgefährlich“ oder „potenziell lebensbedrohlich“ überhaupt noch nicht die Rede. Das konnte auch gar nicht sein. Das ist erst viel später erfolgt.

In der E-Mail heißt es weiter:

„Die Sexualstraftat erscheint nach der derzeitigen Einschätzung wenig plausibel.“

Das sieht auch der Anstaltspsychologe so, der mit dem mutmaßlichen Opfer gesprochen hat. Insbesondere sei der mutmaßliche Haupttäter dem Gefangenen auch körperlich unterlegen. - Einige andere Dinge, auf die ich nicht weiter eingehen will, machen die Sache noch dubioser.

Damals war das ein belangloser Vorfall. Erst durch das rechtsmedizinische Gutachten, das am 6. Februar dem Justizministerium zur Kenntnis ge

kommen ist, hat sich die Sachlage anders dargestellt.

(Stefan Wenzel [GRÜNE]: Das glau- ben Sie doch selber nicht! Warum ist dann der Ministerpräsident vorab in- formiert worden?)

Dann war es auch nach den für das Verhältnis zwischen dem Justizministerium und dem Unterausschuss vereinbarten Regeln Pflicht des Justizministeriums, den Landtag zu informieren, und das hat es auch sofort an dem Tag getan.