Protokoll der Sitzung vom 19.02.2009

Ich erteile der Kollegin Meißner von der FDP-Fraktion das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Ursprungsantrag ging es um einen Mindestlohn in der Pflege, im Änderungsantrag aber geht es generell um die Abstimmung im Bundesrat. Ich fange trotzdem mit dem Mindestlohn in der Pflege an.

Wir alle wissen, welch schwierige und körperlich anstrengende Arbeit in der Pflege geleistet wird. Wir alle wissen auch, dass die Bezahlung nicht so ist, wie sie sein sollte. Von daher müsste man sagen: Wir wollen einen Mindestlohn.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

- Nein, das habe ich nun gerade nicht gesagt. Ich bitte Sie, mir richtig zuzuhören. Das genau wollen wir nämlich nicht, weil wir Mindestlöhne für den falschen Weg halten.

(Oh! bei der SPD)

Im Moment bezahlt eine ganze Reihe von Anbietern sogar übertariflich. Wenn sie gezwungen wären, sich in ein starres Korsett einzuordnen, würde das einige vielleicht zur Aufgabe zwingen. Dann gäbe es weniger Wahlmöglichkeiten für die zu Pflegenden.

(Unruhe)

- Ich bitte Sie um etwas Ruhe oder darum, die Uhr anzuhalten. Ich möchte meine Ausführungen hierzu nämlich gern zu Ende führen.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Sohn?

Nein, jetzt bitte keine Zwischenfragen.

Schließlich werden aufgrund der Pflegereform 2008 vor Ort nur diejenigen Anbieter zugelassen, die ortsübliche Löhne zahlen. Es gibt für diesen Bereich also schon eine Art Mindestlohnregelung.

Es ist richtig, dass die FDP im Bundesrat ihre Zustimmung verweigert hat. Wir halten Mindestlöhne nämlich generell für den falschen Weg, um die Menschen aus der Arbeitslosigkeit herauszuholen und angemessen zu bezahlen. Man hat es ja bei dem Postzusteller PIN AG gesehen. Die Einfüh

rung des Mindestlohns hat dort zum Abbau von 6 000 Arbeitsplätzen geführt. Das heißt, von den insgesamt 11 500 Arbeitsplätzen ist mehr als die Hälfte verloren gegangen.

(Widerspruch bei der SPD)

Es gibt Berechnungen, nach denen ein Mindestlohn von 7,50 Euro in den Branchen, die neu in das Entsendegesetz hinzugenommen worden sind, dazu führen würde, dass im Niedriglohnbereich 620 000 Arbeitsplätze verloren gingen. Was bitte nützt einem Arbeitnehmer ein Mindestlohn, wenn er überhaupt keinen Arbeitsplatz mehr hat? - Von daher wäre das der falsche Weg.

(Beifall bei der FDP)

Wir müssen doch sehen, wie wir die Menschen aus der Arbeitslosigkeit herausholen und in Arbeit bringen können. Mindestlohn grenzt aus. Glauben Sie mir: Ich habe lange mit Langzeitarbeitslosen gearbeitet. Ich weiß, wie das die Menschen beeinträchtigt. Wir müssen jetzt sehen, welcher Weg der richtige ist, und dürfen nicht den falschen Weg beschreiten.

Noch ein weiterer Punkt, weshalb wir von der FDP der Meinung sind, dass Mindestlöhne nicht der richtige Weg sind. In Artikel 9 des Grundgesetzes ist die Tarifautonomie festgeschrieben worden.

(Ah! bei der SPD)

- Ja, das ist so. - Das heißt: Die Tarifpartner sollen frei aushandeln können. Das Grundgesetz schützt sogar die Art und Weise, in der sie die Löhne festlegen wollen. Im vorliegenden Fall wird der Staat zum Festleger von Löhnen. Das aber ist grundgesetzlich nicht gewollt. Von daher ist hier danach zu fragen, ob Mindestlöhne verfassungsrechtlich tragen. Unsere Bedenken dazu haben wir angemeldet. Das muss wirklich geprüft werden.

Außerdem: Soziale Marktwirtschaft beinhaltet das, was Sie jetzt wollen, auch nicht. Da passen die Mindestlöhne nicht hinein. Das wären ein Ausstieg aus der sozialen Marktwirtschaft und ein Einstieg in eine andere Wirtschaftsordnung. Auch das finden wir nicht richtig.

(Beifall bei der FDP)

Man muss also genau überlegen, wie man die Menschen angemessen bezahlen kann. Sie müssen so bezahlt werden, dass es verfassungsmäßig trägt. Darum haben wir dagegen gestimmt.

(Beifall bei der FDP)

Zu einer Kurzintervention erteile ich der Kollegin Flauger von der Fraktion DIE LINKE das Wort. Das Verfahren ist bekannt: anderthalb Minuten.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Meißner, mir ist nicht ganz klar, ob Sie das Wort „Mindestlöhne“ mathematisch korrekt verstanden haben. Ich weiß nicht, wie Sie darauf kommen, daraus ein Korsett abzuleiten. Das ist eine untere Grenze. Das heißt, es darf auch Löhne geben, die über diesem Wert liegen.

Außerdem frage ich mich, wie Sie in einer sozialen Marktwirtschaft den Ausdruck „Tarifautonomie“ so verstehen können, dass das die Legimitation dafür sein soll, Menschen für 3 oder 4 Euro pro Stunde zu beschäftigen, was an anderer Stelle von entsprechenden Gerichten schon als sittenwidrig verurteilt worden ist. Ich frage mich, wie Sie auf diese Idee kommen. Das hat mit sozialer Marktwirtschaft nichts zu tun.

„Tarifautonomie“ darf nach unserem Grundgesetz nicht als Freibrief für Dumpinglöhne und für die ausbeuterische Beschäftigung von Arbeitnehmern verstanden werden. Das wissen Sie ganz genau. Deshalb finde ich das, was Sie hier dargestellt haben, heuchlerisch. Das ist eine Verdrehung der Tatsachen.

(Beifall bei der LINKEN)

Zu einer weiteren Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Watermann von der SPD-Fraktion das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin, ich schätze Sie als Ausschussvorsitzende wirklich sehr. Wenn Sie den Mindestlohn und die Altenpflege aber so darstellen, wie Sie das hier eben getan haben, dann müssen Sie mir gelegentlich einmal erklären, wie es sein kann, dass die FDP die von denjenigen Menschen, über die wir hier reden, geleistete Arbeit auf der einen Seite öffentlich schätzt, auf der anderen Seite aber akzeptiert, dass die betreffenden Menschen von ihrem Lohn nicht leben können und der Staat, also letztlich wir alle, dies aufstocken müssen. Das ist mit der Verfassung und der sozialen Marktwirtschaft meiner Meinung nach überhaupt nicht in Einklang zu bringen.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben leider die Situation, dass Billiganbieter auch bei guten Privaten und auch bei anderen drücken. Wir müssen Einhalt gebieten, wenn Menschen, die eine wichtige Arbeit verrichten, ausgebeutet werden. Dazu besteht in dem in Rede stehenden Dienstleistungsbereich meines Erachtens aller Anlass. Dass Sie sich weggeduckt und dagegen gestimmt haben, die Union nach außen hin aber erzählt, dass sie das machen würde, ist unehrlich und unredlich.

(Beifall bei der SPD)

Ich frage die Kollegin Meißner, ob sie Stellung nehmen möchte. - Das ist der Fall. Ich erteile ihr das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte ausdrücklich sagen: Ich habe nicht von Löhnen von 3 Euro gesprochen. Die sind natürlich sittenwidrig und nicht in Ordnung; das ist völlig klar. Ich habe davon gesprochen, dass aufgrund der Pflegereform ortsübliche Löhne gezahlt werden müssen und dass das auch der Fall ist.

Was die Tarifautonomie angeht, habe ich auf Folgendes hingewiesen: Wir haben doch nicht umsonst das Grundgesetz. Wir prüfen doch auch sonst immer alles auf seine Verfassungsgemäßheit. Da in Artikel 9 des Grundgesetzes ganz klar festgelegt ist, dass die Tarifpartner die Löhne frei aushandeln können, ist es nicht in Ordnung, wenn wir staatlicherseits eingreifen. Das muss man auch sagen dürfen, und das habe ich getan. Ansonsten, Herr Watermann, will ich Ihnen, weil Sie zur Pflege gesprochen haben, sagen: Ich weiß, wie in der Pflege gearbeitet wird. Ich habe, seitdem ich im Landtag bin, so viele Tage Praktika in der Pflege absolviert, dass ich nicht mehr weiß, wie viele es sind. Ich wünschte mir, dass dort generell mehr gezahlt wird. Das ist aber eine Frage von Pflegesatzverhandlungen, von Pflegekassen und von Zuzahlungen, wie Sie ganz genau wissen. Das ist ein sehr kompliziertes Gefüge. Ich denke, auch da ist der Mindestlohn nicht der richtige Weg. Wir wollen generell keinen Mindestlohn, weil wir denken, man muss auf andere Art und Weise versuchen, die Menschen in Arbeit zu bringen und sie gut bezahlt sein zu lassen.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Fragen Sie einmal die Friseurinnen in Ost- deutschland! - Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Lassen Sie mich als Letztes sagen: Wir haben auf Bundesebene ein Konzept für ein Grundeinkommen entwickelt, das die Menschen über das Bürgergeld bekommen, weil wir wollen, dass die Menschen ihr Auskommen haben, und zwar auch ohne Arbeit und natürlich erst recht mit Arbeit.

(Beifall bei der FDP - Ursula Helmhold [GRÜNE]: Wollen Sie das von Steuer- senkungen bezahlen? - Kreszentia Flauger [LINKE]: Wer bezahlt denn die Dumpinglöhne? - Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Ich erteile Herrn Minister Dr. Rösler das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion haben es in der letzten Sitzung des Sozialausschusses mit Blick auf die Sitzung des Bundesrates am 13. Februar 2009 abgelehnt, diesen Antrag zurückzunehmen bzw. für erledigt zu erklären. Damals gab es den Hinweis, dass noch nicht ganz sicher sei, ob die Pflegebranche mit in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen wird. Das ist nun offensichtlich der Fall. Der Bundesrat hat ja beiden Mindestlohngesetzen zugestimmt. Das hat offensichtlich auch die SPD mitbekommen, und sie hat heute einen Änderungsantrag auf den Tisch gelegt. Dennoch ist auch der geänderte Antrag aus unserer Sicht nicht zustimmungsfähig.

Die Niedersächsische Landesregierung hat sich - das ist übrigens kein Geheimnis, Frau Helmhold - entsprechend der Koalitionsvereinbarung von CDU und FDP der Stimme enthalten; das will ich ausdrücklich erwähnen. Es gibt nur Zustimmung oder keine Zustimmung. Keine Zustimmung kann man eben auch durch Enthaltung signalisieren. So sind die Verfahren in Koalitionen übrigens überall, egal unter welchen Koalitionären. Herr Böhlke hat das Verfahren also eindeutig richtig geschildert.

Ich möchte an dieser Stelle auf die Gründe, die aus meiner Sicht zu dem Ergebnis geführt haben, kurz eingehen.

Mit dem vor allem im Arbeitnehmer-Entsendegesetz geregelten, letztlich aber auch dem Mindest

arbeitsbedingungsgesetz zu entnehmenden Vorrang staatlich festgesetzter Arbeitsentgelte vor tarifvertraglich vereinbarten Löhnen wird die Aushöhlung der jahrzehntelang bewährten Tarifautonomie in verfassungsrechtlich höchst bedenklicher Weise fortgesetzt.

(Zuruf von der FDP: So ist es!)

Mit den beiden Mindestlohngesetzen wird in Deutschland der Grundstein für ein staatliches Lohnfestsetzungsverfahren gelegt, und das lehnen wir ab.

(Beifall bei der FDP und Zustimmung bei der CDU)

Wir halten - das ist auch in diesem Hause der Unterschied - gesetzliche Mindestlöhne für beschäftigungspolitisch verfehlt. Sie sind ein Eingriff in das Wirtschafts- und Wettbewerbsgeschehen.