Protokoll der Sitzung vom 20.02.2009

Vor allem aber nimmt die Teilnahmewahrscheinlichkeit dramatisch ab, je geringer die eigene Vorbildung und je höher das Alter ist. Hinzu kommt, dass wir nach wie vor einen viel zu hohen Anteil junger Menschen haben, die zwar die intellektuellen und formalen Voraussetzungen für eine höher qualifizierte Ausbildung erfüllen, aber sie für sich selbst nicht nutzen. Wir müssen also feststellen, dass es nicht reicht, die formalen Zugangskriterien zu senken, wenn wir unser Bildungssystem durchlässiger machen wollen.

Obwohl Niedersachsen - um einmal ein Beispiel zu nennen - viele Möglichkeiten bietet, um Facharbeitern, Fachangestellten und Meistern den Zugang zur Hochschule zu ermöglichen, machen diese Menschen an unseren Hochschulen gerade einmal 1 % aus. Ich glaube, das zeigt: Das Öffnen von Zugangswegen alleine reicht nicht. Lebenslanges Lernen bleibt ohne flankierende Maßnahmen vermutlich ausschließlich ein Privileg für ambitionierte Akademiker.

Dass viele Bildungschancen ungenutzt bleiben, liegt zum Teil daran, dass Menschen häufig einfach einerseits nicht durchschauen, was auf dem Bildungsmarkt angeboten wird, und vor allem andererseits, welche Angebote für sie selbst überhaupt infrage kämen. Genau hier bietet die trägerunabhängige Bildungsberatung Orientierungshilfen an. Das Konzept lebenslanges Lernen werden viele nicht als Chance begreifen, solange wir ihnen nicht eine Art Lotsensystem durch den Dschungel der Möglichkeiten anbieten. Das funktioniert nur, wenn Bildungsberatung mehr ist als eine reine Börse für Bildungsmaßnahmen. Denn sie muss Menschen in die Lage versetzen, selbstständig eine Entscheidung darüber zu treffen: Was wäre sinnvoll für mich zu lernen? Welche Voraussetzungen muss ich erfüllen? Mit welchen Methoden kann ich am besten lernen? Welche ist die richtige Maßnahme für mich, wo finde ich sie, und wie kann ich sie finanzieren?

Da eine so umfassende Bildungsberatung nur sinnvoll ist, wenn sie ausschließlich die Interessen der Ratsuchenden im Fokus hat, kann sie nur trägerunabhängig bzw. trägerübergreifend organisiert werden. Sie ist Teil der Daseinsvorsorge und muss öffentlich gefördert werden. Darin sind wir uns -

das darf ich an der Stelle festhalten - erfreulicherweise über alle Fraktionen hinweg einig.

Unser Antrag sah in der ursprünglichen Fassung zwar für die jetzt einzurichtenden Modellprojekte noch eine Aufstockung der Mittel von 400 000 Euro auf 1 Million Euro vor. Dafür haben wir im Ausschuss keine Mehrheit gefunden. Wofür wir im Ausschuss aber sehr wohl eine Mehrheit gefunden haben - und dieser Punkt war uns besonders wichtig -, ist die Festlegung klar definierter Qualitätskriterien, die die Antragsteller erfüllen müssen, wenn sie in die Projektförderung aufgenommen werden wollen. Das betrifft sowohl die Strukturen der Bildungsberatungsagenturen als auch die Qualifikation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Wir können hierbei in Niedersachsen vor allem auf die fundierte Vorarbeit der vom Bund geförderten Projekte „Lernende Regionen“ zurückgreifen, wollen aber auch neue Bundesprojekte, die ich im Einzelnen gar nicht anführen will, integrieren und - auch darin sind sich erfreulicherweise alle Fraktionen einig - im Anschluss an die Modellprojekte möglichst zeitnah ein flächendeckendes Angebot von Bildungsberatungsagenturen in ganz Niedersachsen schaffen und dessen Förderung im Erwachsenenbildungsgesetz entsprechend implementieren.

Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass wir in der Frage der Bildungsberatung ganz offensichtlich über alle Fraktionen hinweg an einem Strang ziehen. Aber erlauben Sie mir zum Schluss noch eine kleine Anmerkung zum Änderungsantrag der Fraktion der Linken, der - ich glaube, das darf ich sagen - nicht ganz freiwillig zustande gekommen ist: Es hat sich in der Erwachsenenbildung bisher immer ausgezahlt, wenn wir im Parlament parteipolitisches Kalkül hinter die Suche nach einem fraktionsübergreifenden Konsens zurückgestellt haben. Ich persönlich finde, wir sollten diese Tradition auch in Zukunft über alle Fraktionsgrenzen hinweg fortsetzen, zumal dies auch der immer wieder ausdrücklich formulierte Wunsch der in der Erwachsenenbildung Tätigen ist.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN und Zu- stimmung bei der CDU und bei der FDP)

Danke schön, Frau Dr. Heinen-Kljajić. - Für die CDU-Fraktion hat jetzt Frau Kollegin Prüssner das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Minister sagte vorhin, wenn alle Fraktionen ihre Argumente in eine Richtung hin ausgetauscht haben, kann es auch einen gemeinsamen Antrag geben. Für das Thema der Bildungsberatung haben wir einen gemeinsamen Antrag hinbekommen,

(Victor Perli [LINKE]: Das stimmt so nicht! - Kreszentia Flauger [LINKE]: Sie müssen bis fünf zählen!)

was ich sehr begrüße. Die Wege, Möglichkeiten und Angebote des Lernens und des Weiterlernens sind immens groß geworden. Gleichzeitig wächst auch die Notwendigkeit für jeden Einzelnen, die eigenen Bildungs- und Lernprozesse immer neu zu reflektieren und zu steuern.

Frau Kollegin Prüssner, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Flauger?

Nein. - Zu diesem wachsenden Angebot kommt ein wachsender Bedarf an passgenauer Berufsorientierung für Jugendliche, an Wiedereingliederung von Frauen in ihre Berufe, an Integration von Migrantinnen und Migranten und an Weiterbildung und Personalentwicklung von Angestellten in kleinen und mittleren Betrieben hinzu.

Gerade in den Betrieben stellen wir eine steigende Nachfrage nach Kompetenzentwicklungsberatung fest. Sowohl bei den Beschäftigten als auch bei den Personalverantwortlichen wird diese Beratung begrüßt. Die viel zitierte Finanzkrise und ihre Auswirkungen auf die Arbeitsmärkte erhöhen die Bedeutung von Qualifikation und Weiterbildung für jeden Einzelnen. Damit steigt auch die Bedeutung der Bildungsberatung als - wir haben es vorhin gehört - Lotsenfunktion - ich nenne es auch Navigation - durch die verwirrend vielfältigen Angebote der Aus- und Weiterbildung.

Da die Bildungsangebote immer umfassender und die Bildungswege immer vielfältiger werden und für den Einzelnen nicht mehr überschaubar sind, sind zielorientierte und kompetente Beratungsleistungen zwingend geboten. Das bedeutet, dass auch

die Anforderungen an die Beraterinnen und Berater größer und differenzierter werden. Eine verantwortungsbewusste Bildungsberatung kann nicht mehr zwischen Tür und Angel geleistet werden, sondern erfordert ein professionelles, qualitätsvolles und vor allen Dingen zielorientiertes Handeln. Bildungsberatung wird an vielen Stellen schon jetzt geleistet, z. B. in Einrichtungen der Erwachsenen- und Weiterbildung, in sozialpädagogischen Angeboten, in Agenturen für Arbeit, in Kammern und in Hochschulen. Hier wird Bildungsberatung als ein Teil des lebenslangen Lernens schon mit großem Erfolg eingesetzt.

Aber um die Leistungsfähigkeit unseres Bildungssystems zu verbessern und lebenslanges Lernen effektiv zu fördern, brauchen wir auch einheitliche Standards in der Beratung. Deshalb wollen wir mit dem gemeinsamen Antrag erreichen, dass erste Modellprojekte zum Ausbau eines niedersächsischen Netzwerkes regionaler, trägerunabhängiger Bildungsberatungsstellen aufgelegt werden. Dabei sollen die Beratungsstellen Schnittstellen sein. Ein Bildungsberater betreibt an diesen Schnittstellen Informations- und Qualitätsmanagement. Er muss gesellschaftliche Strömungen erkennen und einordnen können, wie sich Chancen und Risiken in diesem Metier verändern. Wer dort als Bildungsberater mitwirkt, braucht auch Kommunikations- und Prozesskompetenz, muss die Elemente aber auch mit der Weitergabe von Information verbinden können.

Bereits bestehende regionale Verbünde sollten die Beratungsangebote vor Ort eng aufeinander abstimmen. Das neu aufgelegte Programm „Lernen vor Ort“ will Kreise und kreisfreie Städte auf ihrem Weg zu einem ganzheitlichen Bildungswesen unterstützen, in dessen Mittelpunkt die Menschen und deren Bildungsbiografien stehen.

Um die Menschen zum lebenslangen Lernen zu motivieren und zu mobilisieren und damit auch guter Rat nicht teuer ist, hat die Bundesregierung mit der Bildungsprämie ein neues Finanzierungsmodell eingeführt. Die erste Komponente des Modells, der Prämiengutschein, ist seit dem 1. Dezember 2008 verfügbar. Die Bildungsprämie soll Anreize schaffen, in die eigene Bildung und Weiterbildung zu investieren.

Das Prinzip ist ganz einfach: Wer in seine Bildung investiert, wird dabei über staatliche Zuschüsse und Finanzierungsmöglichkeiten unterstützt. Um Parallelstrukturen in der Beratung zu vermeiden, sollen die in Niedersachsen einzurichtenden Bera

tungsstellen im Rahmen der Bildungsprämie perspektivisch in die Netze integriert werden.

Meine Damen und Herren, die Verwirklichung des Lernens im Lebenslauf ist entscheidend für die Perspektive jedes Einzelnen. Transparente Bildungsangebote und klare Rahmenbedingungen für mögliche Bildungswege ermöglichen den Menschen, sich zu orientieren und ihre Bildungsbiografie eigenverantwortlich zu gestalten. Lebenslanges Lernen braucht Beratung, damit die Lernenden zielgerichtet und nicht um des Lernens willen lernen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Danke schön, Frau Kollegin Prüssner. - Zu einer Kurzintervention auf die Ausführungen von Frau Prüssner hat jetzt Frau Flauger von der Fraktion DIE LINKE das Wort. Bitte schön, Sie haben anderthalb Minuten.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Kollegin Prüssner, nachdem Frau Dr. Heinen-Kljajić hier ausgeführt hatte, dass sie es für sinnvoll hielte, wenn bei Themen wie diesem über alle Fraktionen hinweg unter Zurückstellung parteipolitischen Kalküls eine Einigkeit erzielt würde, da wir alle uns inhaltlich ja einig sind, haben Sie leider gerade falsch ausgeführt, dass dieser Antrag von allen Fraktionen des Landtags gestellt wurde. Ich wüsste gerne von Ihnen, ob Ihnen möglicherweise entgangen ist, dass seit gut einem Jahr, und zwar genau seit dem 27. Januar 2008, fünf Fraktionen in diesem Landtag sind.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke schön. - Eine Antwort wird nicht gewünscht.

Als nächster Redner folgt von der SPD-Fraktion Herr Kollege Wulf. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Thema Beratung hat es in der Erwachsenen- und Weiterbildung schon immer gegeben. Bei der Einstufung von Interessenten für Fremdsprachenkurse gab es schon immer Einstufungstests, Beratung usw. Aber der Stellenwert der Beratung - das haben meine Kolleginnen und Kollegen gerade aus

geführt - hat sich in den letzten Jahren sehr geändert. Gerade vor dem Hintergrund der stetig steigenden Anforderungen an die Qualifikation in der Wirtschaft und an die berufliche Fähigkeit ist Weiterbildung ein Muss geworden. Angesichts dieses Tatbestandes ist es umso notwendiger, eine qualifizierte Beratung zu machen.

Gerade bei denjenigen, die nur gering qualifiziert sind, ist das entscheidend, weil sie bereits jetzt nur sehr wenig an Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen und natürlich noch weniger eine entsprechende Beratung wahrgenommen haben. Deswegen ist die Bildungsprämie, auf die Frau Prüssner gerade hingewiesen und die die Bundesregierung auf den Weg gebracht hat, eine sehr richtige Maßnahme.

Ich möchte das an dieser Stelle kurz erläutern, weil ich Sie, meine Kolleginnen und Kollegen, bitten möchte, in Ihrem Umfeld für diese Bildungsprämie zu werben; denn sie ist nach wie vor nicht sehr bekannt.

Diese Maßnahme gilt seit dem 1. Dezember 2008. Mit einem Prämiengutschein können Erwerbstätige, die als Ledige ein Einkommen von 17 900 Euro bzw. als gemeinsam Veranlagte von 35 800 Euro nicht überschreiten, diese Prämie in Höhe von maximal 145 Euro erhalten. Sie dient der Kofinanzierung von individueller beruflicher Weiterbildung, wenn sie einen Betrag in mindestens gleicher Höhe als Eigenanteil einbringen. Diese Förderung wird durch Bildungsberatungsstellen in den Bundesländern in Form eines Gutscheins ausgegeben. Hier in Niedersachsen haben wir inzwischen 17 Beratungsstellen. Es müssen noch ein paar mehr werden. Sie sind zum allergrößten Teil an Volkshochschulen angebunden, die das Land flächendeckend abbilden. Diejenigen, die dafür infrage kommen, können pro Person und pro Kalenderjahr einen Prämiengutschein bekommen und eine Prämienberatung erhalten.

Ich bitte Sie eindringlich: Machen Sie das den Menschen bekannt! Sorgen Sie dafür, dass das tatsächlich wahrgenommen wird! Denn das ist eine wichtige und gute Maßnahme.

Natürlich geht es nicht nur um Geringqualifizierte, sondern auch - das alles haben wir schon gehört - um Menschen, die in anderen Bereichen tätig sind und die eine Beratung benötigen. Gerade für die Zusammenarbeit der verschiedenen Bildungsbereiche ist das wichtig. Wenn wir mehr Menschen aus dem beruflichen Feld an die Hochschulen bekommen wollen, ist das ebenfalls notwendig.

Deswegen sind die in dem Ursprungsantrag benannten Bildungsberatungsagenturen richtig. Wir sind sehr dafür, dies in die Wege zu leiten. Natürlich ist die Zahl acht, die in dem Antrag steht, eigentlich nicht hinreichend. Auch die finanzielle Ausstattung ist nicht ausreichend, wenn wir in Niedersachsen wirklich eine flächendeckende Abdeckung erreichen möchten.

Ich als Vorsitzender des Ausschusses habe dennoch den Fraktionen vorgeschlagen, zu versuchen, in diesem Bereich zu einer gemeinsamen Beschlussempfehlung zu kommen. Dies ist gelungen; dies finde ich positiv. So hat man sich auf ein Maß geeinigt, das zumindest den Einstieg in diese Bildungsberatung gewährleistet. Dafür, dass es so weit gekommen ist, danke ich meinen Kolleginnen und Kollegen von den Fraktionen, die das gemacht haben. Ich möchte mich auch bei den Kolleginnen und Kollegen im Ministerium, an der Spitze Herrn Gehlenborg, bedanken, die uns in dieser Frage unterstützt haben. Dies ist sehr positiv.

Meine Damen und Herren, bis hierhin ist alles positiv gewesen, bis auf den einen Punkt, den Frau Heinen-Kljajić schon erwähnt hat, nämlich die Tatsache, dass es doch nicht gelungen ist, alle Fraktionen hinter diesen Antrag zu bringen. Dies lag nicht an der Fraktion der Linken, sondern dies lag einfach daran, dass die CDU-Fraktion der Anweisung ihrer Fraktionsführung gefolgt ist, keinen Antrag mit den Linken gemeinsam einzubringen. Ich bin der Auffassung, dass ein solches Verfahren wenig sinnvoll ist. Da hat Frau Heinen-Kljajić absolut recht. Wir haben in der Erwachsenenbildung eine ganz andere Tradition, nämlich fraktionsübergreifend und möglichst einstimmig zu agieren und gemeinsame Beschlüsse zu fassen. Deswegen bedauere ich, dass dies durch das kleinliche Verhalten der CDU-Fraktion nicht möglich gewesen ist.

Wir werden allerdings dem vorliegenden Änderungsantrag der Fraktion der Linken nicht zustimmen können, weil die Zahl von acht auf neun erhöht worden ist. Da besteht kein Konsens mehr. Aus diesem Grund ist die Orientierung klar: Wir werden der Beschlussempfehlung des Ausschusses folgen.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Herzlichen Dank, Herr Wulf. - Gerade noch rechtzeitig hat sich Herr Perli von der Fraktion DIE LINKE zu einer Kurzintervention gemeldet. Auch Sie haben eine Redezeit von anderthalb Minuten. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Herr Kollege Wulf, ich möchte nur kurz etwas richtigstellen, damit das bekannt wird: Wir hatten einen gleichlautenden Änderungsantrag eingebracht. Im Unterschied zum Bundestag, wo so etwas möglich ist, hat man uns von der Verwaltung mitgeteilt, dass dies hier so nicht möglich ist. Insofern mussten wir einige Nuancen verändern.

(Dr. Gabriele Andretta [SPD]: Aber mehr ist nicht immer besser!)

Das ist also nicht freiwillig passiert. Wir haben dies sozusagen machen müssen, um zu dokumentieren, dass auch wir hinter diesen Modellprojekten stehen. In dieser Sache gibt es keinen Dissens. Ich werde nachher inhaltlich noch etwas dazu ausführen. Weil wir die Erwachsenenbildung höher stellen als diese lächerliche Polemik der CDU-Fraktion, werden wir am Ende zustimmen. Aber dazu später noch mehr.

(Beifall bei der LINKEN - Jörg Hillmer [CDU]: Genau das ist Polemik!)