Protokoll der Sitzung vom 20.02.2009

Zu Tagesordnungspunkt 31 wird empfohlen, den Ausschuss für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit zu beauftragen. Wer das beschließen möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Das ist auch so beschlossen.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 32 auf:

Zweite Beratung: Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Durchlässigkeit von Bachelorstudiengängen in Masterstudiengänge an Niedersachsens Hochschulen - Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE - Drs. 16/415 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wissenschaft und Kultur - Drs. 16/878 - Schriftlicher Bericht - Drs. 16/943

Die Beschlussempfehlung des Ausschusses lautet auf Ablehnung.

Eine mündliche Berichterstattung ist nicht vorgesehen.

Ich eröffne die Beratung. Für die Fraktion DIE LINKE hat sich Herr Perli zu Wort gemeldet. Bitte!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf meiner Fraktion soll erreicht werden, dass alle Studierenden in Niedersachsen die Möglichkeit haben, ihre Hochschule mit einem Masterabschluss zu verlassen.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Gesetzentwurf ist damit eine erste präventive Reaktion auf eine Vielzahl von Alarmsignalen, die aus den Hochschulen und aus Studien an die Öffentlichkeit dringen. Die Einführung des zweistufigen Studiensystems mit den Abschlüssen Bache

lor und Master sollte das Studium flexibler machen und neue Bildungswege ermöglichen. Doch anstatt einen offenen Übergang vom Bachelor- in den konsekutiven Masterstudiengang zu gewährleisten, werden den Studierenden heute neue Bildungshürden in den Weg gestellt.

(Beifall bei der LINKEN)

Unter dem Deckmantel des Bologna-Prozesses werden unzählige Verschlechterungen für die Studierenden durchgesetzt, die mit der Schaffung eines europäischen Hochschulraumes beim besten Willen nichts zu tun haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Inzwischen wird immer deutlicher, dass in wenigen Jahren ein Großteil der Studierenden nach nur sechs Semestern die Hochschule verlassen muss, weil sie den vorgegebenen Notenschnitt nicht erreichen oder weil es im Bereich der Masterstudiengänge an Kapazitäten mangeln wird. Auch Studiengebühren halten weitere Bachelorabsolventen vom Übergang in einen Masterstudiengang ab. Das ist eine Politik der elitären Abschottung.

(Beifall bei der LINKEN)

Für Absolventen, die die Hochschule mit dem Bachelor verlassen, sind hiermit nach wie vor unklare Berufsperspektiven und absehbar deutliche tarifliche Einbußen verbunden. Darauf weist auch eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln Consult GmbH hin. Außerdem meinten demnach zu Beginn der Reform 35 % der Studierenden, dass der Bachelorabschluss ohne Master zu Studierenden und Absolventen zweiter Klasse führt. Im Jahr 2007 waren es bereits 49 %. Inzwischen hören, sehen und lesen wir im Wochentakt, wie belastend die Realität von Bachelor und Master schon heute für viele Studierende ist.

Am 29. Dezember 2008 meinte die Süddeutsche Zeitung unter der Überschrift „Die Leistungsfalle“:

„Prüfungsangst, Lernblockaden, Stressattacken - gerade ehrgeizige Studenten geraten durch den Bachelor unter Druck.“

Die linksliberale Wochenzeitung Jungle World titelte im Januar: „Burnout mit 21“. Ich zitiere aus dem Artikel:

„Der Zusammenbruch kam im zweiten Semester, nach einer verpatzten Klausur in Mathematik: Weinkrämpfe, Kraftlosigkeit, Schlafstörungen. Betti

na ist 21 und will Biologie- und Mathematiklehrerin am Gymnasium werden. Das kann sie nur, wenn ihre Bachelorabschlussnote nicht schlechter als 2,5 ist und sie einen der wenigen Masterplätze ergattert. Da ab der ersten Klausur alle Leistungen für den Abschluss zählen, ist die Anspannung von Beginn an hoch.“

Anschließend wird der Leiter der Psychosozialen Beratungsstelle der Universität und des Studentenwerks Oldenburg zitiert, der darauf hinweist, dass schon heute 20 bis 25 % der Studierenden unter psychischen Schwierigkeiten litten und die Nachfrage nach psychologischer Begleitung zunehme. Immer häufiger kämen Studenten schon am Anfang des Studiums in Beratungsstellen. So seien in Oldenburg ein Jahr nach der Einführung von Bachelor und Master zum ersten Mal die Erstsemester die am stärksten vertretene Gruppe bei den Neuanmeldungen gewesen. Sie kommen mit dem Stress und dem Leistungsdruck nicht zurecht. Das sind die Auswirkungen der Fast-Food-Kultur im Bildungswesen, für die Sie die Verantwortung tragen.

(Beifall bei der LINKEN)

In der taz vom 2. Februar heißt es: „Studiert heißt nicht qualifiziert“. Damit verbunden war ein Interview mit der Aufforderung: „Macht bloß einen Master!“

Spiegel online überschreibt am 9. Februar einen Artikel mit „Wenn der Bachelor zur Sackgasse wird“. Darin wird auch behauptet, dass das Wissenschaftsministerium in Niedersachsen den Hochschulen als Planungsgröße für die Kapazitäten im Masterbereich eine Übergangsquote von 50 % vorgebe. Nur 50 %!

(Dr. Gabriele Andretta [SPD]: Wir würden uns freuen, wenn die ausge- schöpft würden!)

Am 14. Februar legte Spiegel online noch einmal nach und titelte: „Studium Bolognese. Bachelorstudenten verzweifeln am Leistungsdruck“.

(Beifall bei der LINKEN)

An unseren Hochschulen gibt es die ersten Protestaktionen gegen diese Zustände. In Göttingen demonstrierten am 25. November 2008 vormittags 500 Studierende gegen Verschulung und Leistungsdruck und für ein selbstbestimmtes Studium. Als ich dort vor einigen Wochen zur Hochschulpoli

tik referieren durfte, haben mir die Organisatoren das Mobilisierungsplakat überreicht.

(Der Redner zeigt ein Plakat)

Ich darf einmal zitieren: Steckst auch du in der Bachelorpresse? Verschulung, oberflächliche Lehre, Anwesenheitspflicht, Leistungsdruck, FlexNow, Klausurenstress, soziale Selektion, Versagensangst, Burn-out.

Auch unser Gesetzentwurf ist selbstverständlich keine Patentlösung für die Vielzahl dieser genannten Probleme. Sicherlich ist auch der GEW zuzustimmen, die ein bundesweites Hochschulzulassungsgesetz ohne zusätzliche Hürden für das Masterstudium für dringend geboten hält. Dennoch kann und muss die Landespolitik von sich aus aktiv werden. Wir haben hier einen gleichermaßen innovativen wie auch pragmatischen Vorschlag gemacht

(Glocke des Präsidenten)

und dafür viel Beifall bekommen.

(Beifall bei der LINKEN)

Bei den Beratungen hier im Plenum sowie im Ausschuss kam ich mir hingegen phasenweise wie ein irdischer Student unter vielen Außerirdischen vor. Deshalb will ich mit dem ersten Menschen auf dem Mond, Neil Armstrong, noch einmal unterstreichen: Diese Gesetzesinitiative ist nur ein kleiner Schritt für Hochschulen, aber ein großer Sprung für alle Studierenden.

(Beifall bei der LINKEN - Jens Nacke [CDU]: Das hat Neil Armstrong nie gesagt!)

Herr Perli, das war doch ein gutes Schlusswort; denn Ihre Redezeit ist jetzt abgelaufen.

Für die Linke bleibt auf der Tagesordnung: Wer den Bachelor erworben hat, muss auch einen Master machen dürfen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, nächster Redner ist Herr Wulf für die SPD-Fraktion.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf der Linken bestätigt wieder einmal den Satz: Gut gemeint ist leider häufig nicht gut gemacht.

(Zustimmung von Jens Nacke [CDU] und Christian Grascha [FDP])

Der Beitrag von Herrn Perli hat das gerade wieder einmal deutlich unter Beweis gestellt.

Natürlich ist die derzeitige Situation für die Studierenden an den niedersächsischen Hochschulen im Rahmen des Bologna-Prozesses nicht besonders positiv. Das ist in der Tat so, wenn ich nur an die Bestrebungen der Hochschulen denke, sich gegenseitig die Studienleistungen anzuerkennen, was bisher sehr schwierig ist. Versuchen Sie einmal, liebe Kolleginnen und Kollegen, als Student oder als Studentin von Osnabrück nach Göttingen zu wechseln und dort den Verwaltungsaufwand für die Anerkennung der Studienleistungen zu meistern. Das ist nicht einfach und mit Sicherheit auch nicht vergnügungssteuerpflichtig.

Auch das Argument, die Studierenden sollten sich durch die Zahlung der von Ihnen verlangten und eingeführten Studiengebühren an den Hochschulen als Kunden fühlen und eine schlechte Studiensituation nicht mehr hinnehmen, sondern dann wechseln, ist natürlich vor dem Hintergrund der beschriebenen Situation eine Farce.

(Zustimmung von Dr. Gabriele Andretta [SPD] und Christian Grascha [FDP])

Herr Perli, das eigentliche Problem der Bachelorstudierenden und -absolventen ist aber nicht eine Limitierung der Masterplätze, sondern vielmehr die Tatsache, dass das Bachelorstudium in der öffentlichen Wahrnehmung vielfach noch als Schmalspurstudium angesehen wird. Der Bachelor gilt bei vielen häufig als besseres Vordiplom oder als ein nicht vollwertiger Abschluss. In der Tat ist er jedoch ein vollwertiger Abschluss, und deshalb müssen wir in dieser Frage tatsächlich noch ein bisschen Überzeugungsarbeit leisten, auch bei Ihnen, Herr Perli.