Protokoll der Sitzung vom 25.03.2009

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Sohn, dass Sie mehr Demokratie fordern, finde ich im Prinzip ganz gut. Aber wenn man einmal die Demokratie wirklich intensiv betrachtet, dann stellt

man fest, dass das eine Grundregel ist, die man hat. Gerade in der Demokratie muss man sich vor den einfachen Antworten auf komplexe Sachverhalte in Acht nehmen.

(Zustimmung von Christian Dürr [FDP])

Das, was wir heute gehört haben, waren einfache Antworten.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Sie ha- ben gar keine!)

Meine Damen und Herren, natürlich kann man Entwicklungen bei einzelnen Unternehmen - so, wie es Herr Jüttner gesagt hat - kritisieren, wenn sie Arbeitsplätze abbauen und Produktionsabläufe verändern. Die soziale Marktwirtschaft ist aber eine Konstruktion, die keine einfachen Antworten bietet. Die soziale Marktwirtschaft sagt, dass jemand ein Produkt anbieten kann, dass er einen Abnehmer dafür suchen muss und dass dadurch der Wirtschaftskreislauf in Gang gehalten wird. Was Sie heute hier ausgeführt haben, war exakt das Gegenteil dessen, was beispielsweise die Bundeskanzlerin oder auch der Bundesaußenminister als erste Antwort auf die Wirtschaftskrise gesagt haben. Beide haben sofort und völlig zu Recht gesagt: Eines darf auf gar keinen Fall passieren: Wir dürfen nicht in Protektionismus verfallen; denn das würde Deutschland von allen Staaten am meisten belasten.

(Beifall bei der FDP)

Herr Jüttner, das, was Sie heute unter dem Begriff „Wennemer-Kapitalismus“ gesagt haben, war nichts anderes als der Aufruf zum Protektionismus.

(Enno Hagenah [GRÜNE]: Das stimmt nicht!)

Sie haben gesagt, dass innerhalb der Europäischen Union, innerhalb des gleichen Marktes nicht der Preis, die Produktionskosten und die Wettbewerbsfähigkeit eines Produktes das Entscheidende sind, sondern die Standortfrage eines Nationalstaates und einer Region.

Herr Bode, entschuldigen Sie! Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Sohn?

In diesem Zusammenhang nicht.

Gut.

Da sind wir aber auf einem ganz schmalen Grat, wo es Deutschland insgesamt sehr schaden könnte.

Meine Damen und Herren, deshalb muss man die Antworten der sozialen Marktwirtschaft ernst nehmen und die soziale Marktwirtschaft tatsächlich umsetzen. Eine Voraussetzung dabei ist, dass sowohl der Arbeitgeber als auch die Arbeitnehmer gemeinsam für ihr Unternehmen kämpfen, für ihr Unternehmen eintreten und versuchen, ihr Produkt wettbewerbsfähig zu machen, Abnehmer für ihr Produkt zu finden und auf diese Weise industrielle Produktion in Deutschland sicherzustellen.

Herr Jüttner, ich bin ganz bei Ihnen, wenn Sie sagen: Wir brauchen hier in Niedersachsen, in Deutschland industrielle Produktion. - Das brauchen wir unbedingt!

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Keinen Pro- tektionismus!)

Deshalb müssen wir gemeinsam unbedingt dafür sorgen, dass in Deutschland wettbewerbsfähig produziert werden kann, auch im Vergleich zu anderen Ländern. Wir sind in vielen Bereichen ganz weit vorne. Innovationen sind die Basis dafür.

Meine Damen und Herren, dann erwarte ich aber auch, dass man über alle Politikfelder hinweg gemeinsam die richtige Linie vertritt. Es ist schwierig, wenn man, wie Herr Hagenah, auf der einen Seite bei einem anderen Tagesordnungspunkt Ökoauflagen, die Mautverschärfung sowie die Verlagerung von der Straße auf die Schiene nach vorne stellt, auf der anderen Seite aber kritisiert, wenn die Auswirkungen dessen Arbeitsplätze kosten. Wir müssen da schon konsequent sein!

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, allein die Mauterhöhung kostet weit mehr Arbeitsplätze, als bei Opel und Continental zusammen jetzt verloren zu gehen drohen. Da muss man doch einmal sagen: Welche Politik macht man über den Tag und über diesen Tagesordnungspunkt hinaus?

Wir sind sehr zufrieden damit, dass es gelungen ist, in Gespräche zwischen Geschäftsführung und Arbeitnehmervertreter einzutreten. Wir finden, dass dies der richtige Weg ist. Sowohl die Arbeitgeber- als auch die Arbeitnehmerseite müssen gemein

sam versuchen, industrielle Produktion am Standort Hannover möglich und auch wettbewerbsfähig zu machen; denn der Grundsatz der sozialen Marktwirtschaft ist, dass sowohl der Arbeitgeber als auch die Arbeitnehmer für ihr Unternehmen kämpfen und gemeinsam versuchen, die Arbeitsplätze zu erhalten und das Produkt wettbewerbsfähig zu machen. Wir sind der Meinung, dass die Politik dies, soweit wir können, befördern muss. Protektionismus müssen wir allerdings ablehnen. Darunter würden Deutschland und Niedersachsen leiden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, der für mich erkennbar letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist Herr Minister Dr. Rösler.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Jüttner, ich möchte Ihnen zuallererst sagen, wovon wir überzeugt sind, was die Menschen vor Ort brauchen: Sie brauchen eine Landesregierung, die versucht, für die Betroffenen in den Unternehmen etwas in der Sache zu erreichen. Was sie nicht brauchen, sind Politiker, die versuchen, sich hier öffentlichkeitswirksam in Solidaritätsadressen zu erschöpfen, und ansonsten nicht viel bewegen können.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Ich möchte an dieser Stelle festhalten, dass wir aus meiner Sicht die soziale Marktwirtschaft nicht neu erfinden müssen. Die Regeln, die es schon jetzt in der sozialen Marktwirtschaft gibt, reichen aus, um über dieses Problem gemeinsam und vielleicht auch erfolgreich diskutieren zu können.

Wir können festhalten, dass es besser ist, sich mit den Betroffenen zu unterhalten, anstatt sich öffentlich nur zu positionieren. Ich bin deswegen allen Beteiligten dankbar dafür - daran waren ja fast alle Fraktionen beteiligt -, dass sie sich zunächst einmal mit den betroffenen Betriebsräten getroffen haben.

Das Gleiche hat die Niedersächsische Landesregierung am 18. März bei uns im Wirtschaftsministerium gemacht. Dabei haben wir einen wesentlichen Kritikpunkt zur Kenntnis nehmen müssen,

nämlich dass es bisher, obwohl der Betriebsrat und die Belegschaft mit eigenen Vorschlägen in Vorleistung gegangen sind, auch in Bezug auf Einschnitte, offensichtlich keine Diskussionsebene gegeben hat, um über diese Vorschläge gemeinsam mit dem Konzernvorstand zu diskutieren. Es ist Teil der sozialen Marktwirtschaft - schon im bestehenden System; dies muss man nicht noch ergänzen -, dass sich Konzernleitung und Betriebsrat über solche wesentlichen und wichtigen Fragen austauschen. Diese Gesprächsebene hat es nicht gegeben. Deswegen hat die Landesregierung zu Recht gesagt: Wir wollen diese Gespräche vermitteln. - Der Ministerpräsident und der Wirtschaftsminister haben das in persönlichen Gesprächen mit der Konzernleitung vermittelt.

Gestern hat das erste Gespräch zwischen dem Vorstand und dem betroffenen Betriebsrat stattgefunden. Man hat sich darauf verständigt - über die Frage der Eckpunkte konnte ja keine Einigkeit erzielt werden und weil die Begründung des Vorstands dem Betriebsrat nicht ausgereicht hat -, dass der Betriebsrat seine Kritikpunkte an der Begründung des Vorstands noch einmal schriftlich formuliert und dem Vorstand bis 27. März vorlegt. Aufgrund der Antworten des Vorstands wird dann ein neuerliches Konzept erarbeitet, über das man wiederum diskutiert, um den Standort für die Nutzfahrzeugproduktion von Conti in Stöcken womöglich erhalten zu können. So weit sind wir aber noch nicht. Vielmehr brauchen wir erst einmal das gemeinsame Konzept und die Beantwortung der Fragen. Ich meine aber, dass wir uns an dieser Stelle auf einem guten Weg befinden.

Was allerdings nicht funktionieren kann, ist, einfach per Gesetz zu beschließen oder vonseiten des Landes vorzugeben, dass die Arbeitsplätze erhalten werden müssen. Das kann am Ende nicht funktionieren, wenn das wirtschaftliche Konzept, das dahinterstehen soll, nicht tragfähig ist.

Wir als Landesregierung können solche Entscheidungen nicht treffen. Derjenige, der solche Entscheidungen zu treffen hat, ist am Ende der Konzern selbst. Was wir als Landesregierung aber machen können - dies sehen wir sehr wohl als unsere Aufgabe an -, ist, alles dafür zu tun, dass der Konzern, wenn er schon die Entscheidung zu treffen hat, möglichst die richtige Entscheidung trifft. Das heißt, erst einmal müssen alle vorgelegten Argumente - nicht nur die Argumente des Konzerns und die Zahlen der Controller, sondern auch die Gegenargumente seitens des Betriebsrats - abgewogen werden.

Im Übrigen sind auch wir der Auffassung, dass es richtig ist, alle vorhandenen Instrumente auszuschöpfen, bevor man an das letzte Mittel, nämlich an Kündigung, denkt. Gewerkschaften, Arbeitgeber, die Bundesagentur für Arbeit und die Landesregierung laufen seit mehreren Wochen durch die Lande und weisen zu Recht auf die Möglichkeit der Kurzarbeit hin. Es wäre deswegen ein falsches Signal, wenn ein großer Industriebetrieb nicht zuerst das Instrument der Kurzarbeit intensiv ausnutzt, sondern gleich in die Kündigung geht. Ich hoffe, dass auch das Gegenstand der folgenden Gespräche sein wird. Das, was in ihren Möglichkeiten steht, tut die Landesregierung, ohne sich, wie gesagt, in öffentlich zur Schau gestellten Solidaritätsadressen zu erschöpfen. Man kann aber bestimmte Dinge nicht per Gesetz beschließen. Man kann allerdings sehr wohl das tun, was die vorhandenen Möglichkeiten erlauben. Das tut die Landesregierung im Interesse der Belegschaften und im Interesse des Standortes vor Ort.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Zu Tagesordnungspunkt 1 c liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 1 d auf:

Keine Blockade zulasten von Langzeitarbeitslosen - Arbeitsverwaltung jetzt zukunftsfähig machen und kommunale Verantwortung stärken! - Antrag der Fraktion der FDP - Drs. 16/1085

Herr Bode hat sich für die Fraktion der FDP zu Wort gemeldet.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Dezember 2007 hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende die bekannte Organisationsform der ARGEn eine unzulässige Mischverwaltung darstellt. Seit nunmehr 15 Monaten ist somit klar: Eine zukunftsfähige Arbeitsverwaltung und auch eine optimale Förderung von Langzeitarbeitslosen benötigen eine neue und gesicherte rechtliche Grundlage.

Was ist in diesen 15 Monaten in Berlin passiert? - Die Vorschläge von Olaf Scholz, dem zuständigen Minister, sahen ein klares Übergewicht des Bun

des vor und haben damit Widerspruch insbesondere bei der kommunalen Seite ausgelöst. Wir müssen die Frage des Umgangs zwischen der Bundesverwaltung, der Arbeitsverwaltung und den entsprechenden Stellen auf kommunaler Seite in den Vordergrund stellen. Wie geht man eigentlich miteinander um, wenn man gemeinsam eine Aufgabe zugunsten der Menschen mit Langzeitarbeitslosigkeit und anderen Problemen bewältigen will? Das eindeutige Übergewicht zugunsten der einen Seite und zulasten der kommunalen Seite hat uns alle - egal, wo wir auf Länder- oder auf Bundesebene stehen - in eine Sackgasse geführt. Wir sind in einer Blockadesituation, die sehr schwierig aufzulösen ist. Die Leidtragenden sind nicht politische Parteien, sondern die Menschen, die Hilfe benötigen.

Die liberale Sicht ist, dass sich die kommunale Verantwortung gerade in den Optionskommunen bewährt hat und den optimalen Weg darstellt. Die Kommunen sind näher an den Betroffenen dran. Sie haben die Möglichkeit, einzelne Wege flexibler zu gehen. Das ist gerade für Langzeitarbeitslose und auch für Menschen mit Vermittlungshemmnissen ganz wichtig. Denn sie können in diesem Bereich andere soziale Angebote besser schaffen und vernetzen, beispielsweise Kinderbetreuungsangebote, die für die Arbeitsaufnahme ganz wichtig sind. Ich nenne auch die Schuldenberatung, die man ebenfalls braucht, sowie die Suchthilfe.

Wir respektieren deshalb, dass insbesondere viele Kommunen die gemeinsame Aufgabenwahrnehmung mit der Bundesagentur für Arbeit fortsetzen wollen. Damit ist die Wahlfreiheit angesprochen. Es gibt ja Modelle, bei denen sich die gemeinsame Arbeit bewährt hat. Wir alle waren uns hier im Landtag in dieser Hinsicht einig. Herr Jüttner, es ist ja etwas Besonderes, wenn sich vier Fraktionen im Landtag in einer Frage einig sind. Wenn beispielsweise SPD-Landräte wie Herr Reuter von CDULandräten in die kommunale Verwaltung eingeladen werden, um ihre Erfolge darzustellen und nach Vorträgen eines politisch eigentlich Andersdenkenden zu gemeinsamen Beschlüssen in den Kreistagen zu kommen, dann ist das eine besondere Situation, in der man die Parteicouleur ein wenig zurückgefahren hat und die Probleme und Notwendigkeiten der Menschen in den Vordergrund gestellt hat. Angesichts dieser Einigkeit über die Parteigrenzen hinweg ist es erstaunlich, wie es eigentlich passieren konnte, dass wir in eine Sackgasse geraten sind, die am Ende nicht den Politikern, wohl aber den Betroffenen schadet.

Meine Damen und Herren, wenn hier Einigkeit besteht, dann dürfen wir diese Einigkeit nicht nur hier im Plenarsaal pflegen, sondern dann müssen wir sie auch pflegen, wenn wir den Plenarsaal verlassen. Wir müssen dann auch in unseren Gremien dafür sorgen, dass diese Einigkeit erreicht wird. Deshalb richte ich auch heute noch einmal meinen Appell an alle, die hier sitzen, insbesondere auch an Sie, Herr Jüttner: Reden Sie auch mit Herrn Scholz, der sozusagen die Verantwortung, die Federführung in dieser Angelegenheit hat!

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Der Kom- promiss liegt auf dem Tisch!)

- Natürlich liegt etwas auf dem Tisch. Haben Sie aber einmal die Vorschläge von Herrn Scholz gelesen?

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Alle 16 Mi- nisterpräsidenten haben zugestimmt!)