Protokoll der Sitzung vom 12.05.2009

reicht: kein Abschluss ohne Anschluss. Alle Schülerinnen und Schüler, die erfolgreich eine Hauptschule, eine Realschule oder eine Haupt- und Realschule verlassen, haben damit unmittelbaren Anschluss an die Bildungsgänge in den berufsbildenden Schulen. Sie können dort gleitend alle Abschlüsse erreichen und natürlich, wenn sie es wollen, auch einen direkten Zugang zu einer Universität oder zu einer Hochschule erlangen.

Wir wollen auch, dass Integrierte Gesamtschulen das Abitur nach zwölf Jahren vermitteln. Es gilt hier der Gleichheitsgrundsatz: Alle allgemeinbildenden Schulen, die die gleichen Abschlüsse vermitteln, müssen dies in der gleichen Zeit tun können. Wir garantieren, dass die Strukturen der Integrierten Gesamtschule erhalten bleiben, und wir haben die nötige Zeit, um mit den Integrierten Gesamtschulen sowie den Eltern und Elternvertretern über die Ausgestaltung auf dem Erlasswege zu reden. Die Grundlagen für die Erhaltung der Struktur der Integrierten Gesamtschule sind übrigens ausdrücklich im Gesetz genannt. Wir nehmen die Proteste der Eltern sehr ernst. Ich hoffe, dass wir uns auch in einer emotional sehr aufgeladenen Zeit wieder gegenseitig zuhören. Aber auch bei allen Protesten traue ich unseren Gesamtschulen zu, dass sie es genauso schaffen wie unsere Gymnasien. Alle integrierten Schulsysteme in ganz Europa - darauf weise ich schon jetzt, also bei der Einbringung dieses Gesetzentwurfes, hin - vermitteln das Abitur nach zwölf Jahren; ich nenne dazu das PISASiegerland Finnland.

Die Vollen Halbtagsschulen werden in Verlässliche Grundschulen umgewandelt. Auch hier geht es um die Schaffung gleicher Bedingungen an den Grundschulen. Schon 93 % aller Grundschulen sind verlässlich. Natürlich werden die Bedingungen verändert. Aber um bereits an dieser Stelle zur Versachlichung der Diskussion beizutragen: Unterricht und Förderunterricht für unsere Kinder werden selbstverständlich weiterhin durch Lehrkräfte erteilt. Die Betreuungsangebote werden nach der Umwandlung in Verlässliche Grundschulen von pädagogischen Mitarbeitern gestaltet. Ich bin davon überzeugt - mit Blick auf PISA-Siegerländer mehr denn je -, dass es richtig und wichtig ist, neben den Lehrkräften auch anders ausgebildete Personen an der Bildung unserer Kinder zu beteiligen. Auch dies können wir mit Sicherheit aus Finnland lernen.

Meine Damen und Herren, über die Schulzeit in den IGSen und in den Vollen Halbtagsschulen wird zurzeit massiv öffentlich gestritten; wir werden dies

sicherlich auch heute erleben. Ich kann aber auch feststellen, dass zu dem anderen wichtigen Kern des neuen Schulgesetzes größte Zustimmung signalisiert wird: Die Erweiterung des Bildungsauftrages von Hauptschulen, Realschulen und Haupt- und Realschulen, die erweiterte Zusammenarbeit von Haupt- und Realschulen, die stärkere Verzahnung von allgemeinbildenden Schulen und berufsbildenden Schulen sowie die erweiterten Gestaltungsspielräume für Schulträger und Schulen werden in besonderer Weise gelobt und unterstützt.

Noch einen Satz zum Zeitablauf, weil auch er schon zu Diskussionen geführt hat: Der Gesetzentwurf ist kurz und überschaubar, sodass er in kürzester Zeit und trotzdem intensiv und ausführlich beraten werden kann, selbstverständlich mit einer großen Anhörung aller Verbände.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Klare. - Nächste Rednerin ist Frau Korter von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Bitte, Frau Korter!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Schulgesetzentwurf, den Sie uns heute vorlegen, ist wirklich ein getreues Abbild Ihrer Schulpolitik: in großer Hektik zusammengeschustert, nicht zu Ende gedacht, statt Visionen bildungspolitische Sackgassen. Von zunehmender Panik getrieben, wollen Sie diesen Gesetzentwurf jetzt in aller Eile durch den Landtag peitschen, weil Sie fürchten, dass Ihnen Ihre eigenen Leute von der Fahne gehen; das ist ja in Hannover schon passiert. Der von Ihnen vorgelegte Entwurf ist so überhaupt nicht beratungsfähig. Es ist nicht erkennbar, wie er umgesetzt werden soll. Herr Klare, Sie haben recht: Er ist kurz. - Da fehlt aber eine Menge.

Für die Gesamtschulen heißt es im Gesetzentwurf lediglich:

„In der Gesamtschule werden Schülerinnen und Schüler des 5. bis 12. Jahrgangs unterrichtet.“

Sie wollen damit auch den Gesamtschulen das Turboabitur nach dem Motto aufzwingen: Wenn wir das G 8 an den Gymnasien schon nicht hinkriegen, dann sollen auch die Gesamtschulen diesen Fehler machen, da sie ansonsten als Alternative zu attraktiv würden. - Für diese dreiste Politik, meine

Damen und Herren von CDU und FDP, haben Sie am Samstag die Quittung bekommen, als über 10 000 Eltern, Schüler und Lehrkräfte in Hannover demonstriert haben.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Um zu beschwichtigen, ziehen jetzt einige CDUPolitiker durchs Land und erklären, das Abi könne auch künftig an den Gesamtschulen noch nach 13 Jahren abgelegt werden.

(David McAllister [CDU]: Das ist doch so!)

Wie das gehen soll, wissen Sie aber offenbar selbst nicht.

(David McAllister [CDU]: Doch!)

Heute Morgen hat Ihr neu gewählter schulpolitischer Sprecher hier erklärt, die IGS List habe sich schon auf den Weg gemacht und bereits Springerklassen ab Klasse 9 eingerichtet. Das ist falsch. Es gibt dort lediglich einen Springerkurs, der es einzelnen, besonders schnell lernenden Schülerinnen und Schülern ab Klasse 9 ermöglichen soll, das Abi bereits nach zwölf Jahren abzulegen. Die Schülerinnen und Schüler bleiben jedoch im integrativen Klassenverband.

(Zurufe von der CDU)

- So weit dazu, Herr von Danwitz. Man sollte hier schon bei der Wahrheit bleiben!

Meine Damen und Herren, eine ernsthafte Beratung Ihres Gesetzentwurfs ist erst möglich, wenn Sie uns sagen, wie Sie den Erlass zur Arbeit in der Gesamtschule ändern wollen. Oder soll das Parlament die Katze im Sack beschließen?

Das Gleiche gilt für die geplanten Änderungen an den Haupt- und Realschulen, die in Ihrem Gesetzentwurf enthalten sind. Über die Hauptschule und das Neustädter Modell haben wir bereits heute Morgen diskutiert. Aber auch Ihr Konzept für die Realschulen ist bisher recht unklar. Der Verband der Realschullehrer spricht von einer „Quadratur des Kreises“. Einerseits soll eine berufsorientierende Schwerpunktbildung in den Bereichen Wirtschaft, Technik, Gesundheit und Soziales gestärkt, andererseits der Übergang auf die gymnasiale Oberstufe erleichtert werden. Einerseits sollen Haupt- und Realschulen schärfer gegeneinander profiliert, andererseits soll für Haupt- und Realschulen mehr gemeinsamer Unterricht ermöglicht

werden. Können Sie dem Haus erklären, wie das gehen soll? - Im Gesetzentwurf steht es nicht.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Das gehört auch nicht ins Gesetz!)

Meine Damen und Herren von CDU und FDP, bevor Sie am 24. Februar Ihr unausgegorenes Schulkonzept vorgelegt haben, haben wir noch gehofft, Sie würden eine neue, zukunftsfähige Schulstruktur wenigstens in kleinen Schritten auf den Weg bringen. Aber Sie haben sich nicht getraut. Herr Wulff und Frau Heister-Neumann, Sie haben sich einfach nicht getraut. Wir haben es bereits heute Morgen gesagt: Zu groß ist die Angst vor der mächtigen Gymnasiallobby, deren willfähriges Sprachrohr Sie allmählich nur noch sind. Damit machen Sie sich langsam bundesweit zum Narren.

(Zustimmung bei den GRÜNEN - Da- vid McAllister [CDU]: Wie reden Sie denn?)

Sie haben uns einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem Sie vor allem den Gesamtschulen weitere Schikanen in den Weg legen wollen. Das ist Ihre Absicht. Und dabei wollen Sie uns noch glauben machen, andere Bundesländer würden diesen Weg mit Erfolg gehen. Ja welche denn? - Ich bin gespannt. In den meisten anderen Bundesländern wird das Abi an der IGS nach Klasse 13 absolviert. In einigen Ländern kann die Oberstufe in unterschiedlichen Zeiten durchlaufen werden. Das finde ich ausdrücklich richtig. Aber das wollen Sie nicht. Sie wollen die integrative Arbeit der Sekundarstufe kaputt machen. Das ist etwas ganz anderes.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Sie reden immer wieder von der Eigenverantwortlichen Schule. Aber Sie wollen den Schulen jedes Detail vorschreiben. Mit der Abschaffung der Vollen Halbtagsschulen setzen Sie jetzt noch eins drauf. Was haben Sie hier im Parlament doch vor einigen Jahren für dicke Backen gemacht, als die SPD damals die Vollen Halbtagsschulen zugunsten der Verlässlichen Grundschule abschaffen wollte! Davon wollen Sie heute wohl nichts mehr wissen. Um ganze 90 Stellen für eine bessere Versorgung der Gymnasien zusammenzukratzen, machen Sie dieses Reformkonzept kaputt. Nein, Herr Wulff, Frau Heister-Neumann, so geht das wirklich nicht.

Herr Wulff, seit Sie den Ministertausch vorgenommen haben, ständig mit Ihren lächerlichen und

peinlichen basta-politischen Machtworten dazwischenfunken und die Schulpolitik aus der Staatskanzlei heraus machen, ist es noch schlimmer geworden, als es unter Herrn Busemann war.

(Zustimmung bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN - La- chen bei der CDU)

Sie machen einfach alles falsch: Sie kriegen die Unterrichtsversorgung nicht in den Griff - das werden wir morgen noch im Detail hören. Dann lachen Sie vielleicht nicht mehr, Herr McAllister. - Sie trauen sich nicht, den nötigen Kurswechsel in der Schulpolitik vorzunehmen. Im Gegenteil: Sie zerstören erfolgreiche, bundesweit ausgezeichnete Reformkonzepte unserer Integrierten Gesamtschulen.

Als Christian der Zauderer, denke ich, werden Sie einmal in die niedersächsische Landesgeschichte eingehen; denn Sie, Herr Wulff, werden das gegliederte Schulsystem noch vergöttern, wenn Sie längst abgewählt worden sind -

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

abgewählt, weil Sie den niedersächsischen Landeskindern die ihnen zustehenden Bildungschancen vermasselt und verweigert haben.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN sowie Zu- stimmung bei der SPD und bei der LINKEN - David McAllister [CDU]: Das ist doch absurd! Da klatscht ja nicht mal Jüttner!)

Vielen Dank, Frau Korter. - Die nächste Rednerin ist Frau Reichwaldt von der Fraktion DIE LINKE. Bitte!

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Das wird jetzt auch nicht besser!)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dieser Schulgesetznovelle sollen drei wesentliche Einschnitte in die bestehende Schullandschaft vorgenommen werden. Im Grunde genommen haben wir heute Vormittag bereits über alle Maßnahmen gesprochen. Die Debatte über die konkrete Gesetzesvorlage gibt mir aber die Möglichkeit, die Kritik meiner Fraktion und die Ablehnung dieser Gesetzesnovelle etwas ausführlicher darzustellen.

CDU und FDP schaffen mit dieser Novelle erstens die Vollen Halbtagsgrundschulen ab. Zweitens wollen Sie mit der Novelle de facto die Gesamtschulen abschaffen. Drittens, da Sie gerade einmal dabei sind, einen schulpolitischen Kahlschlag zu organisieren, wollen Sie die Durchlässigkeit und Mobilität in unserem Schulsystem generell abschaffen.

(Beifall bei der LINKEN)

Mir wäre es, ehrlich gesagt, lieber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir würden anstelle der Vollen Halbtagsschulen, der Gesamtschulen und der Aufstiegschancen von Haupt- und Realschülern diese Gesetzesvorlage abschaffen.

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Manfred Sohn [LINKE]: Sehr gut!)

Mit der stärkeren beruflichen Orientierung von Haupt- und Realschulen erwarten Sie, dass sich die Schülerinnen und Schüler früh in der Schule und je nach örtlichem Angebot für eine berufliche Richtung entscheiden und diese im Rahmen des Unterrichts schwerpunktmäßig verfolgen. Um es klar zu sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Ich habe nichts gegen Praxisbezug im Unterricht und gegen Lernformen, die vom Frontalunterricht abweichen - ganz im Gegenteil. Ich habe aber etwas dagegen, dass Hauptschulen de facto zu Berufsschulen werden. Ich habe auch etwas dagegen, wenn durch die Profilbildung an einer Schule und die Kooperation mit außerschulischen Partnern die Mobilität der Kinder und damit auch der Eltern eingeschränkt wird und für die Schülerinnen und Schüler ein Wechsel der Schulform nahezu unmöglich wird. Aber genau diese Tendenzen befördern Sie mit Ihrer Vorlage. Deshalb lehnen wir Ihren Vorschlag ab.

(Beifall bei der LINKEN)

Der zweite Punkt ist die Abschaffung der Vollen Halbtagsgrundschulen. In der Vorstellung Ihres Maßnahmenpaketes zur Sicherung der Unterrichtsversorgung hieß es noch, Sie wollten damit 90 Stellen einsparen, um diese an weiterführenden Schulen wieder einsetzen zu können. Das ist wirklich eine absurde Idee. Sie, Frau HeisterNeumann, sagen selbst, dass wir zum 1. August 2009 1 500 zusätzliche Lehrkräfte brauchen. Insbesondere sei bis 2011 mit einem erhöhten Lehrkräftebedarf zu rechnen. Danach werde sich die Lage wegen sinkender Schülerzahlen und des Ausscheidens des doppelten Abiturjahrgangs entspannen. Die Abschaffung der Vollen Halbtags

grundschulen ist ein Jahr nach hinten verschoben worden und soll nun zum 1. August 2010 erfolgen. Sie wollen die Vollen Halbtagsgrundschulen also für immer und ewig abschaffen, nur weil Sie ein einziges kritisches Jahr prognostizieren, in dem die 90 frei werdenden Stellen den Bedarf von weit über 1 500 Lehrern auffangen sollen. Diese Argumentation ist wirklich haarsträubend.