Protokoll der Sitzung vom 12.05.2009

grundschulen ist ein Jahr nach hinten verschoben worden und soll nun zum 1. August 2010 erfolgen. Sie wollen die Vollen Halbtagsgrundschulen also für immer und ewig abschaffen, nur weil Sie ein einziges kritisches Jahr prognostizieren, in dem die 90 frei werdenden Stellen den Bedarf von weit über 1 500 Lehrern auffangen sollen. Diese Argumentation ist wirklich haarsträubend.

(Beifall bei der LINKEN)

Inzwischen haben Sie das offensichtlich selbst bemerkt, da nun die vorrangige Argumentation für die Abschaffung heißt, dass Sie alle Grundschulen gleich behandeln wollen. Damit erklären Sie aber mit keinem Wort, warum Sie sich nicht bemühen, alle Grundschulen in Niedersachsen zu Vollen Halbtagsschulen auszubauen. Ihr Schulsystem teilt Kinder im Alter von zehn Jahren in verschiedene Schulformen auf. Umso mehr Bedeutung kommt den Grundschulen zu, die jede nur erdenkliche, voll ausgebildete pädagogische Kraft brauchen.

Ich komme zum dritten Punkt: zum Turboabitur an Gesamtschulen. Herr Wulff, Frau HeisterNeumann, liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie haben es heute Vormittag zum wiederholten Male gehört und am Samstag aus 10 000 Kehlen vernehmen können: Sie zerstören mit dem Turboabitur die Kernidee der Gesamtschulen.

(Beifall bei der LINKEN sowie Zu- stimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Längeres gemeinsames Lernen aller Schülerinnen und Schüler wird nicht mehr möglich sein, wenn die Abiturwilligen in Z-Kurse gesteckt werden, damit sie das Abitur nach zwölf Jahren erreichen.

Alle Integrierten Gesamtschulen Niedersachsens haben seit 2004 die Möglichkeit, das Abitur nach zwölf Jahren anzubieten. Aber wie viele haben von diesem Recht Gebrauch gemacht? - Null, nicht eine einzige.

(Zustimmung bei der LINKEN - Dr. Bernd Althusmann [CDU]: Es kommt auf das gemeinsame Lernen an!)

Denn damit wäre das integrative Moment der Gesamtschule hinüber. Man kann an den Gymnasien sehr deutlich sehen, wie viel Stress das Turboabitur für alle Betroffenen mit sich bringt. Wir sind deswegen eindeutig gegen das Turboabitur. Nach 13 Schuljahren und im Alter von 19 Lebensjahren

ist niemand zu alt für eine Ausbildung oder ein Studium.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir wollen Zeit zum Lernen, zum Ausprobieren, zum Schule Gestalten zur Verfügung stellen. Deshalb lehnen wir Ihren Gesetzentwurf ab.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Sie begründen Ihren Gesetzentwurf mit der angeblichen Gleichbehandlung von Schulen. Es geht aber nicht um Schulen, es geht um Schülerinnen und Schüler. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie können aber nicht alle Schülerinnen und Schüler gleich behandeln, weil nicht alle Jugendlichen über die gleichen Startvoraussetzungen verfügen. Wir brauchen Schulen, die ihre Schüler dort abholen, wo sie stehen, und keine Schulen, die erwarten, dass alle aufspringen und mitrennen können.

Ich fasse zusammen: Sie schaffen die Vollen Halbtagsgrundschulen ab, Sie schaffen die Durchlässigkeit ab, Sie schaffen de facto die Gesamtschulen ab. Ich sage Ihnen, was Sie damit erschaffen werden: einen noch größeren Proteststurm bis zum Juni und darüber hinaus.

Lassen Sie mich zum Abschluss sagen: Ich finde, es ist ein Unding, dass Sie solche weitreichenden Änderungen innerhalb von nur fünf Wochen durch das Parlament peitschen wollen.

(Beifall bei der LINKEN sowie Zu- stimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wahrscheinlich wollen Sie das, weil Sie größere Proteste unmittelbar vor den Bundestagswahlen im September vermeiden wollen. Damit werden Sie aber keinen Erfolg haben. Die 11 000 Lehrer im vergangenen Mai waren der Auftakt, der vergangene Samstag war die Fortführung der Proteste.

(Glocke des Präsidenten)

- Ich komme zum Ende. - Wenn Sie so weitermachen, Herr Wulff, werden Sie das Finale am Wahltag im Jahr 2013 erleben, und das dann völlig zu Recht.

(Beifall bei der LINKEN und Zustim- mung bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Reichwaldt. - Meine Damen und Herren, der nächste Redner ist Herr Försterling von der FDP-Fraktion.

Im Übrigen möchte ich zu diesem gegenseitigen Lauern auf die Wortmeldungen mitteilen: Der Präsident könnte das völlig anders einteilen. Es kommt nicht darauf an, dass die Reihenfolge eingehalten wird, sondern darauf, dass überhaupt Wortmeldezettel vorliegen. Wenn keine Wortmeldezettel vorliegen, wird die Beratung geschlossen.

Herr Försterling, bitte!

Herr Präsident, es ist ja völlig in Ordnung, dass Frau Heiligenstadt die Chance erhält, auf meinen Beitrag zu antworten.

(Heiner Bartling [SPD]: Das lohnt sich nicht!)

- Ja, es lohnt nicht. Frau Heiligenstadt, Sie werden gerade von der eigenen Fraktion aufgefordert, nicht zu reden. Na ja, damit muss eben jeder selber zurechtkommen.

(Heiner Bartling [SPD]: Wir reden zur Sache und nicht zu Herrn Försterling!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Fraktionen von CDU und FDP haben eine Änderung des Schulgesetzes vorgestellt bzw. eingereicht, die im Wesentlichen vier Schwerpunkte hat. Der Kollege Klare hat das schon ausgeführt. Einer dieser Schwerpunkte ist die Umwandlung der verbliebenen Vollen Halbtagsschulen in Verlässliche Grundschulen. Sie können sich sicher sein - das war auch den Medien zu entnehmen -, dass das keinem einzigen Abgeordneten von CDU und FDP leicht fällt. Aber in der Verantwortung zur Sicherstellung der Unterrichtsversorgung müssen wir auch diese Maßnahme ergreifen. Wir tragen eine Gesamtverantwortung gegenüber den Schülerinnen und Schülern in Niedersachsen und wollen diese auch wahrnehmen.

Darüber hinaus geht es im Wesentlichen darum, das Schulwesen in Niedersachsen weiterzuentwickeln. Heute Morgen wurde über den Hauptschulzweig der Kooperativen Gesamtschule Neustadt gesprochen und von den Regierungsfraktionen ausdrücklich gesagt, welche positiven Erfolge dieses Modell gehabt hat.

Ich hätte mir schon gewünscht, dass man auch vonseiten der Opposition sagt: Ja, das Projekt war erfolgreich. Es macht Sinn, dieses Projekt landesweit einzuführen und den Hauptschulen die Möglichkeit zu geben, noch enger mit den Berufsschulen und mit der Wirtschaft zusammenzuarbeiten. - Denn eines ist doch klar: Das Wohl der Kinder und

Jugendlichen steht im Mittelpunkt unseres Handelns. Deshalb ist es wichtig, dafür zu sorgen, dass sie motiviert werden, die Schule abzuschließen, und zwar erfolgreich. In dem Modellversuch wurde bewiesen, dass genau diese Praxisanteile diese Motivation schaffen können. In diesen Genuss sollen alle Schülerinnen und Schüler in Niedersachsen kommen. Wenn man darüber hinaus nachweisen kann, dass man, wenn man sich auf den Ausbildungsmarkt begibt, grundlegende Kenntnisse in einem Berufsbild hat, dann ist das hilfreich und zerstört keineswegs, wie von Ihnen dargestellt, die Allgemeinbildung und wertet in keiner Weise die Abschlüsse, die erreicht werden, ab, sondern es wertet den Schüler, den einzelnen Menschen auf, weil er etwas vorweisen kann, wenn er sich bewirbt.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Ganz ähnlich ist es auch im Realschulbereich vorgesehen. Die Realschule hat die Aufgabe, Jugendliche auf eine spätere Berufsausbildung vorzubereiten, aber möglicherweise auch Grundlage dafür zu sein, das Abitur nach 13 Jahren zu erreichen, egal was man nach der 10. Klasse anschließt, sei es die gymnasiale Oberstufe eines allgemeinbildenden Gymnasiums, sei es ein Fachgymnasium.

Diese beiden Aufgaben hat die Realschule. Von daher ist es aus unserer Sicht sinnvoll, zu sagen, dass im 9. und 10. Schuljahrgang diese beiden erstrebenswerten Ziele von der Schule durch die Profilierung unterstützt werden, indem man verschiedene berufliche Profile - Wirtschaft, Technik, Soziales - oder auch die Vertiefung im Fremdsprachenbereich hat.

Herr Kollege Försterling, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Korter?

Nein, das können wir in den Beratungen klären. Ich weiß auch nicht, ob das wirklich zum Ziel führen würde. Schon die Verständnisbereitschaft ist da nicht gegeben. Das ist spürbar.

(Olaf Lies [SPD]: Bei Ihnen nicht! Das haben wir schon gemerkt!)

Von daher werden entsprechende Abschlüsse vermittelt und nach Abschluss der 10. Klasse auch ausgegeben, egal welches Profil im Wahlpflichtbereich der 9. und 10. Klasse gewählt wird. Natürlich gibt es weiterhin die Möglichkeit, dass jemand, der

im Wahlpflichtbereich das berufliche Profil gewählt hat, nachdem er nach der 10. Klasse den erweiterten Sekundarabschluss I erreicht hat, sagt:

(Stefan Wenzel [GRÜNE]: Pfeifen im Walde, Herr Försterling!)

Ich möchte noch das Abitur aufsatteln. - Der hat natürlich dieselben Chancen wie alle anderen auch.

Das Abitur wird dadurch in Zukunft noch mehr als bisher in zwei Geschwindigkeiten möglich sein, zum einen über den Weg Realschule nach 13 Jahren und zum anderen im Gymnasium nach 12 Jahren.

Die Integrierten Gesamtschulen als Abbild des gegliederten Schulwesens werden ihren Schülern in Zukunft ebenfalls die Möglichkeit bieten, das Abitur nach 13 Jahren oder nach 12 Jahren abzulegen.

Wenn man den Elternwillen wirklich ernst nimmt und sagt „Wir wollen mehr Integrierte Gesamtschulen in Niedersachsen, und wir wollen die Integrierten Gesamtschulen anständig auf dem Markt der Schulen positionieren“, dann muss es für die Eltern auch die Möglichkeit geben, sich für das integrierte System und für das Abitur nach zwölf Jahren zu entscheiden.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Diese Freiheit wollen Sie den Eltern doch nicht absprechen.

Die Eltern, die sich für das integrierte System und für das Abitur nach zwölf Jahren entscheiden, sollen sich auch darauf verlassen können, dass ihre Kinder dieselbe Stundenzahl erhalten wie andere Kinder. Das ist derzeit bei dem Modell der IGS List nicht gegeben. Dort werden die Schüler im 10. Schuljahrgang im Nachmittagsunterricht sozusagen fit gemacht, worauf die Klassenkonferenz das Überspringen des 11. Jahrgangs beschließt, sodass die Stundenzahl am Ende natürlich nicht erreicht wird. Wir sagen jetzt: Wenn es an den Integrierten Gesamtschulen Schüler gibt, die in der Lage sind, das Abitur auch ohne die entsprechende Stundenzahl zu erreichen, dann wird es doch erst recht möglich sein, dass dieselben Schülerinnen und Schüler das Abitur nach zwölf Jahren mit der erhöhten Stundenzahl schaffen.

Natürlich wird das auch dazu führen, dass in dem Konzept der Einführung des Abiturs nach zwölf Jahren - das muss hier offen gesagt werden - auch Beschlüsse der SPD umgesetzt werden. Wir ver

stellen uns Ihren Ideen ja nicht. Im Januar haben Sie vorgestellt, wie man an einer Gemeinschaftsschule auf drei Leistungsebenen differenzieren kann, genau so, wie es bei dem Modell von CDU und FDP, also nach zwölf Jahren das Abitur, der Fall ist.

(David McAllister [CDU]: Wer hat das gemacht? Die SPD?)