Protokoll der Sitzung vom 13.05.2009

Bewirken wird sie - das ist nüchtern zuzugeben - vor der Wahl wohl nichts mehr. Gleichwohl sollten wir unseren gemeinsamen Willen hier noch einmal bekräftigen.

(David McAllister [CDU]: Erstaunliche Erkenntnis!)

Ich bin sicher, wir werden spätestens nach der Bundestagswahl noch einige Überraschungen erleben. Ich bin bereit, mit meiner Fraktion den niedersächsischen Weg weiterzuführen. Wir wollen eine vernünftige Lösung für die Argen und für die optierenden Kommunen

(Norbert Böhlke [CDU]: Wir ebenfalls!)

und werden deshalb diesen gemeinsamen Beschlussvorschlag mittragen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Jetzt hat Herr Dr. Matthiesen für die CDU-Fraktion das Wort. Bitte!

Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Im Februar haben Bundesarbeitsminister Scholz und die Ministerpräsidenten Rüttgers und Beck einen Vorschlag zur Neuordnung der Grundsicherung für Arbeitssuchende vorgelegt. Im Kern sollte die grundgesetzliche Absicherung einer einfachgesetzlich geregelten Mischverwaltung aus Bundesagentur und Kommunen in ZAGs, den Zentren für Arbeit und Grundsicherung, erfolgen. Dem hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion im März nicht zugestimmt. Dafür kann sie gute Gründe ins Feld führen. Dies verkennen SPD und Grüne mit ihren hier vorgelegten Anträgen. Aber die Uhr tickt, lieber Uwe Schwarz.

(Uwe Schwarz [SPD]: Ich habe doch gar nichts gesagt!)

Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist nur bis Ende nächsten Jahres Zeit, die

Trägerschaft der Grundsicherung für Arbeitssuchende grundgesetzkonform neu zu regeln. Das betrifft über sechs Millionen Menschen und ein Finanzvolumen von rund 50 Milliarden Euro jährlich.

Deshalb ist es nicht hoch genug einzuschätzen, dass CDU, FDP, Grüne und SPD mit der vorliegenden Beschlussempfehlung erneut einen Anlauf unternehmen, den gordischen Knoten zu durchschlagen. Wir empfehlen Bund und Ländern als Ausweg aus dem Dilemma die Wahlfreiheit für die Kommunen: Entweder können sie dauerhaft eigenverantwortlich die Aufgabe der Grundsicherung für Arbeitssuchende übernehmen oder sich für eine Neuauflage der bisherigen Arbeitsgemeinschaften in geeigneter Form entscheiden. Alle niedersächsischen kommunalen Spitzenverbände haben dem zugestimmt. Auf dieser Grundlage sollten die Gespräche in Bund und Ländern möglichst zügig wiederaufgenommen und fortgeführt werden.

Dabei muss aus dem Scheitern des Kompromissvorschlags gelernt werden. Ich nenne nur drei Punkte - die Kollegin Helmhold hat einen Punkt bereits angesprochen -: Im Gegensatz zum niedersächsischen Modell der Wahlfreiheit sollten nur die ZAGs als Anstalten des öffentlichen Rechts, nicht aber die bestehenden 69 Optionskommunen - geschweige denn zusätzliche kommunale Träger - grundgesetzlich abgesichert werden. Die bestehenden Optionskommunen sollten einfach gesetzlich entfristet werden.

Es bestehen allerdings sehr starke verfassungsrechtliche Zweifel, ob die Bestandssicherung und Ausdehnung der Optionskommunen ohne grundgesetzliche Verankerung möglich sind. Erstens. Der Beschluss der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zeigt: Es rächt sich, wenn jemand versucht, seine Interessen einseitig durchzusetzen. So war aber die Marschrichtung von Bundesarbeitsminister Scholz und seinem Staatssekretär Scheele, den ich Ende vergangenen Jahres live erlebt habe. Damals wollte das BMAS die Grundgesetzänderung so gestalten, dass neue Optionskommunen dauerhaft nicht zugelassen werden sollten. Das war ein Tritt vor das Schienbein vieler Kommunen, die optieren wollten und wollen. Wir können keine Grundgesetzänderung akzeptieren, die die Wahlfreiheit torpediert, weil sie zusätzliche Optionskommunen verbietet.

Zweitens. Das BMAS selbst hatte noch im September vergangenen Jahres in einem Eckpunkte

papier die Einführung von 370 ZAGs als kleinteilige selbstständige Behörden abgelehnt.

Drittens. Die Gewerkschaft ver.di hatte den Aufbau der neuen Bürokratie in Gestalt der ZAGs im Februar ebenfalls scharf kritisiert. Denn der Kompromissentwurf sieht neben der Einrichtung dieser ZAGs auch noch die Einrichtung einer neuen Bundesbehörde, von Kooperationsausschüssen, Beiräten und einem Bund-Länder-Ausschuss vor. Außerdem ist vorgesehen, dass die Träger Bundesagentur und Kommunen in ihrem jeweiligen Bereich ein Weisungsrecht erhalten. Das ist ein Kuddelmuddel, das nicht zu einer vernünftigen Arbeit führen würde. Das können wir am Beispiel des JobCenters Region Hannover beobachten. Dort will die Bundesagentur den Geschäftsführer herausklagen, der von der kommunalen Seite gestellt wird. Jetzt will die Bundesagentur mit Statistiken ein Versagen des JobCenters Region Hannover bei der Arbeitsvermittlung belegen. Schlimmer geht es nicht. Das zeigt, dass auch bei dem ZAGEntwurf noch einiges nachzubessern ist. In einer künftigen Mischverwaltung muss es insbesondere eine klar geregelte Verantwortlichkeit geben.

Die Kollegen haben in den Beratungen die Befürchtung geäußert, dass die Blockade auf Bundesebene zu Abwanderungsbewegungen in den bestehenden Jobcentern führt. Das ist aber in Niedersachsen zurzeit nicht der Fall. Anfang der Woche hat in Loccum eine Geschäftsführertagung der Arbeitsgemeinschaften stattgefunden. Dort herrschte eindeutig die Meinung vor, dass es diese Abwanderungsbewegungen nicht gibt. Dafür bestehen andere Probleme: Zum Beispiel gehen Menschen wieder in die Herkunftskommunen zurück - allerdings deshalb, weil sie dort gute Arbeitsplätze gefunden haben und zum Teil kritisch mit Blick auf die Arbeitsbedingungen sind, die jetzt in den Jobcentern herrschen, weil starre Vorgaben der Bundesagentur bestehen, die nicht ausreichend Freiheit geben, um vernünftig zu arbeiten. Diese sehr zentralistisch geführte Verwaltungsführung ist ein Manko.

Festzuhalten ist, dass es dringend an der Zeit ist, die Neuordnung anzugehen. Dafür wirbt unser Antrag. Wir bitten die Landesregierung sehr um Unterstützung, damit die folgenden drei Eckpunkte bis Ende nächsten Jahres durchgesetzt werden können: erstens die Bestandsicherung der bisherigen 69 Optionskommunen, zweitens zusätzliche Optionskommunen und drittens eine geeignete Organisation der Mischverwaltung aus Bundesagentur und Kommunen. Dazu, wie das umgesetzt

werden könnte, liegt der Vorschlag bzw. das Gutachten von Professor Wieland vor, wie ein neuer Artikel 91 c des Grundgesetzes aussehen könnte. Frau Ministerin Ross-Luttmann hat das auf den Weg gebracht. Damit könnten wir arbeiten. Wir bitten noch einmal um Unterstützung und hoffen, dass noch etwas daraus wird.

Danke schön.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Jetzt hat sich Herr Humke-Focks von der Fraktion DIE LINKE zu Wort gemeldet. Bitte!

(Silva Seeler [SPD]: Fragen Sie mal, wo die Landesregierung ist! - Gegen- ruf von Roland Riese [FDP]: Die sitzt auf der Regierungsbank!)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die uns vorliegende Beschlussempfehlung ist der erneute gemeinsame Versuch der Fraktionen von CDU, FDP, Grünen und SPD, von den Auswirkungen ihres gemeinsam umgesetzten SGB II abzulenken. Dazu kann es keine Zustimmung der Linksfraktion im Landtag geben.

(Beifall bei der LINKEN)

Dieser Versuch wird Ihnen nicht gelingen; denn das, was Sie vorgeben zu wollen, ist leider nachweislich schon gescheitert: nämlich eine Sicherung des Optionsmodells - notfalls mit einer Grundgesetzänderung -, z. B. um lokale Jobcenter und ihre Beschäftigen zu retten, die Betreuung aus einer Hand, die passgenaue Vermittlung und Qualifizierung zu organisieren oder Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt aufzuzeigen. Ich hätte mir gewünscht, dass Ihr SGB II - und damit Hartz IV - funktioniert hätte. Dann müssten wir - insbesondere ich - Ihnen das hier im Landtag nicht immer wieder vorhalten. Dieser Ablenkungsversuch ist nicht mitzutragen.

(Zustimmung von Dr. Manfred Sohn [LINKE])

Das alles ist nichts weiter als Schall und Rauch, wie die Realität bewiesen hat. Sie haben mit Ihrem Gesetz versagt. Sie haben damit Menschen in die Armut getrieben. Vor allem viele Kinder stehen vor dem Nichts. Das SGB II - besser gesagt: Hartz IV - eröffnet keine Perspektiven.

Der Verweis auf die kommunale Ebene und die Sicherung der Optionsvariante oder die Ausgestaltung von sogenannten Zentren für Arbeit und Grundsicherung sind keine Lösung. Sie garantieren mit Ihrem Gesetz derzeit noch nicht einmal eine Rechtssicherheit für die betroffenen Leistungsempfängerinnen und -empfänger. Nein, Sie sorgen nicht einmal dafür, dass es einheitliche Umsetzungskriterien für das SGB II gibt.

Das beste Beispiel hierfür ist die Auseinandersetzung innerhalb der Optionskommune Landkreis Göttingen. Die Stadt Göttingen liegt als Oberzentrum inmitten des Landkreises. Es gibt ein spezielles Gesetz, in dem geregelt ist, dass über den übertragenen Wirkungskreis Aufgaben abgegeben werden können - z. B. an die Stadt Göttingen. Hier prallen diesseits und jenseits der Reinhäuser Landstraße - auf der einen Straßenseite befindet sich die Landkreisverwaltung und auf der anderen das Rathaus der Stadt Göttingen - Philosophien der Umsetzung aufeinander.

Auf der einen Seite, bei der Stadt Göttingen - übrigens von SPD und Grünen regiert -, wird genau das versucht, was Sie wollen. Es wird versucht, eine passgenaue Vermittlung und Qualifizierung umzusetzen. Dort wird nicht in erster Linie auf EinEuro-Jobs gesetzt, sondern dort wird ernsthaft der Versuch unternommen, das Beste für die Betroffenen zu tun.

Auf der anderen Seite, im Landkreis Göttingen - dort gibt es seit Jahren schwarz-grüne Mehrheiten -, wird auf Ein-Euro-Jobs gesetzt. Dort wurden als erste Reaktion auf die Einführung von Hartz IV Juristinnen und Juristen eingestellt, um gegen die Klagen vorzugehen. Erst auf Antrag von uns wurden die Kriterien des Landkreises zur Umsetzung des SGB II veröffentlicht und transparent gemacht. Das war an sich schon ein Skandal. Sie sehen also, es funktioniert noch nicht einmal in diesem Mikrobereich.

Wir als Linke streiten stattdessen für eine bedarfsdeckende Grundsicherung - Sie kennen unsere Papiere. Sie lehnen - wie Sie es heute schon getan haben - alternative Konzepte zur Arbeitsförderung, wie die Einführung eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors, ab.

(Glocke des Präsidenten)

- Ich komme zum Schluss. - Wir wollen mindestens eine einheitliche Umsetzung des SGB II erreichen. Das müsste im Fokus Ihres Antrages stehen. Erst dann dürften wir uns darüber unterhalten, auf wel

che Art und Weise und mit welcher Art von Verwaltung wir dies umsetzen wollen. Ihre Prioritätensetzung ist aus unserer Sicht falsch.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Der nächste Redner ist Herr Riese von der FDPFraktion. Bitte!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist eigentlich schön, dass bei dieser Thematik die meisten Kräfte des Niedersächsischen Landtages einig miteinander bleiben und einen Weg gehen, der von den Spitzenverbänden der Kommunen in Niedersachsen einhellig mitgetragen wird.

Wir haben jetzt eben gerade den Geist gehört, der stets verneint und der auch keine wirklichen Alternativen zu dieser Thematik aufgezeigt hat.

Wir wollen - ich darf das an dieser Stelle noch einmal betonen - den Kommunen dabei helfen, den Weg fortzusetzen, den sie in den letzten fünf Jahren erfolgreich eingeschlagen haben, nämlich die dezentrale Arbeitsvermittlung und Gewährung von Sozialleistungen. Die Kommunen können das deswegen besser als eine zentrale Verwaltung, weil sie näher am Menschen sind. Sie kennen am besten die regionalen, die individuellen Bedingungen, und sie kennen die Menschen, die zu ihnen kommen, sogar höchstpersönlich, sodass sie ihnen ziel- und passgenau weiterhelfen können.

Wer nicht sieht, dass das in Wirklichkeit ein Erfolgsmodell ist, der ist in den letzten fünf Jahren in Deutschland nicht unterwegs gewesen.

(Patrick-Marc Humke-Focks [LINKE]: Ich habe sogar in diesem Bereich ge- arbeitet!)

Infolge der entsprechenden Gesetzgebung sind die Arbeitslosenzahlen erstmals drastisch gesunken. Diesen Weg müssen wir natürlich fortsetzen.

Es ist für uns alle eine Katastrophe gewesen, dass die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kommunen vom Bundesverfassungsgericht infrage gestellt wurde. Es ist sehr tragisch, dass der Bundestag bislang keinen Weg gefunden hat, hier den gordischen Knoten zu durchschlagen. Darauf hat dankenswerterweise die Kollegin Helmhold hingewiesen. Diesen Stillstand können wir als Niedersäch

sischer Landtag natürlich nicht tolerieren. Denn unsere Bürgerinnen und Bürger, soweit sie Kunden dieser Sozialverwaltung sind, haben natürlich ein Recht darauf, zu wissen, wie es weitergeht - und es kann nur so weitergehen, dass die entsprechenden Lösungen dezentral angeboten werden.

Daher bitte ich Sie alle, die vorliegende Beschlussempfehlung zu unterstützen. Die darin enthaltene Entschließung bekräftigt die bisherige Positionierung des Niedersächsischen Landtags in dieser Frage und fordert den Bundestag zum Handeln auf. Da darf die nahende Bundestagswahl nicht im Wege stehen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)