Protokoll der Sitzung vom 10.04.2008

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN - Karl-Heinz Klare [CDU]: Ich bin immer aufmerksam!)

- Vielen Dank.

Ich fahre fort. Das Mädchen schreibt:

„Die Themen werden so schnell wie möglich durchgezogen, um das vorgeschriebene Pensum zu schaffen, und entsprechend viele Hausaufgaben fallen an …“

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Sie wissen, dass das nicht stimmt, was Sie sagen. „und selbst das, was dran war, wurde zu ungründlich erklärt, sodass viele nicht mehr mitkommen.“ (Karl-Heinz Klare [CDU]: Aber doch nicht so pauschal, wie Sie das sagen!)

So sieht es heute an den Gymnasien in Niedersachsen aus. Sie können in die Zeitungen gucken, wie viele Leserbriefe es dazu gibt. Doch die Landesregierung hat, wie ich hier entsetzt feststelle, weder Verständnis dafür noch ein Konzept.

(David McAllister [CDU]: Hören Sie doch auf mit Ihrer moralinsauren Er- klärung!)

Dabei war das, was heute an den Gymnasien passiert, Herr McAllister, seit Jahren absehbar. Schon 2004 haben wir darauf hingewiesen, dass das Turbo-Abi für die Schülerinnen und Schüler zu einer Wochenarbeitszeit von mehr als 40 Stunden führen wird. Wir haben deshalb gefordert, die Schulzeitverkürzung so lange auszusetzen, bis die notwendigen Voraussetzungen dafür geschaffen worden sind. Aber der damalige Kultusminister, Herr Busemann, sah in unserem Antrag - so wörtlich im Februar 2004 im Landtag - lediglich ein „weltfremdes, ja geradezu absurdes Ansinnen“. Er wollte unbedingt ganz vorn sein beim G8. Dabei war schon damals klar: Die Schulzeitverkürzung

kann nicht funktionieren, wenn man einfach nur die Stundentafeln komprimiert und den Arbeitsdruck auf die Schüler erhöht. Schüler sind keine Stopfgänse, meine Damen und Herren!

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Wir brauchen eine Schule, die Leistung, Lernerfolg und Chancengleichheit sichert und keine, die Kinder krank macht und ihnen Kindheit und Jugend raubt. Das Abitur kann ohne Qualitätsverlust schon nach zwölf Jahren abgelegt werden, wenn die Gymnasien hierfür ein neues pädagogisches Konzept entwickeln.

(Ursula Körtner [CDU]: Einheitsschu- le!)

Sie müssen zu echten Ganztagsschulen werden. Nur dann kann der Schultag so rhythmisiert werden, dass sich Phasen der Anspannung und der Entspannung abwechseln. Ein warmes Mittagessen gehört selbstverständlich dazu. An die Stelle der Hausaufgaben treten Phasen selbstständigen, aber von Pädagogen unterstützten Lernens und Übens. Spätestens um 16 Uhr müssen die Schülerinnen und Schüler dann frei haben.

Kurzfristig könnten die 45-Minuten-Stunden durch Doppelstundenkonzepte ersetzt werden. Heute haben die Schülerinnen und Schüler sieben bis acht verschiedene Unterrichtsfächer am Tag. Ist es da ein Wunder, wenn sie am Ende der achten Stunde kaum noch wissen, was sie morgens in der ersten eigentlich gemacht haben?

Der Stofffülle muss durch Konzepte exemplarischen Lernens begegnet werden. Es reicht nicht, einfach 10 % der Vorgaben zu streichen. Schüler müssen vor allem lernen, sich Themen selbst zu erschließen und Problemlösungen zu finden.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Glauben Sie, das machen unsere Schulen nicht?)

Neue Lernformen - Herr Klare, das wissen Sie - funktionieren aber nicht in überfüllten Klassen. Zuallererst muss deshalb Ihre Anhebung der Klassenfrequenzen auf 32 Schüler zurückgenommen werden, vor allem in der 10. Klasse, und zwar zum nächsten Schuljahr. Die 10. Klasse wird die Eingangsstufe der Oberstufe und soll 32 Schüler haben. Das ist eindeutig zu viel.

Meine Damen und Herren, wir wollen nicht das Rad zurückdrehen. Wir wollen das pädagogische Konzept der Gymnasien so verändern, dass ein qualitativ hochwertiges Abitur schon nach zwölf

Jahren möglich ist und die Schüler dabei Leistungsfreude und Lernbereitschaft behalten.

Warum muss denn die Schulzeit überhaupt so starr für alle Schüler gleich festgelegt werden? Kinder und Jugendliche entwickeln sich unterschiedlich schnell. Deshalb ist es richtig, die Schulzeit stärker zu individualisieren. Was bei uns in der Grundschule mit der flexiblen Eingangsstufe geht, muss auch in der Mittel- und Oberstufe möglich sein. Auch in der Sekundarstufe müssen altersgemischte Lerngruppen gebildet werden dürfen, die von den Schülern in unterschiedlicher Zeit durchlaufen werden können. Reformschulen haben - das wissen Sie hoffentlich genauso gut wie ich - sehr gute Ergebnisse mit diesem Konzept erzielt. So können wir die Zahl der Abiturientinnen und Abiturienten steigern.

Sagen Sie nicht, das gibt dann einen Flickenteppich von verschiedenen Abschlüssen! Den haben wir längst, was die Schulzeit bis zum Abitur betrifft. In den Gymnasien wird das Abitur nach Klasse 12 vergeben, an den Integrierten Gesamtschulen nach Klasse 13, an den Kooperativen Gesamtschulen in der Regel nach Klasse 12, an den Waldorfschulen nach Klasse 13 - das einfach nur zum Nachdenken.

Nicht nur Schülerinnen und Schüler entwickeln sich unterschiedlich schnell, auch die Schulen. Warum geben wir ihnen dann eigentlich nicht die Möglichkeit, im Rahmen der Eigenverantwortlichkeit und in Abstimmung mit dem Schulträger selbst zu entscheiden, ob sie in echten Ganztagsschulen das Abitur nach zwölf Jahren anbieten und wie schnell sie das wollen, ob sie flexible Möglichkeiten einräumen oder ob sie zunächst noch das Abitur nach Klasse 13 vergeben?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, der Ausbau der Gymnasien und auch der übrigen Schulen zu echten Ganztagsschulen ist natürlich nicht zum Nulltarif zu haben. Notwendig sind sowohl Investitionsmittel für den Bau von Mensen und Aufenthaltsräumen als auch ein zusätzliches Personalbudget. Diese Mittel sind nur von Land, Bund und Kommunen gemeinsam aufzubringen. Die frühere rot-grüne Bundesregierung hat mit ihrem Investitionsprogramm „Zukunft Bildung und Betreuung“ ganz erheblich zum Ausbau der Ganztagsschulen beigetragen.

(Ursula Körtner [CDU]: Ja, das stimmt!)

Jetzt sollte sich das Land beim Bund mit Nachdruck dafür einsetzen, dass dieses Investitionsprogramm fortgeführt wird.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Ganztagsschulen light ohne Personalbudget können pädagogisch nicht erfolgreich arbeiten.

(Ursula Körtner [CDU]: Die haben wir doch gar nicht mehr!)

Für den Ausbau aller Gymnasien zu echten Ganztagsschulen werden wir hochgerechnet etwa 80 Millionen Euro benötigen, wenn man nach dem Erlass für die Ganztagsschulen mit viertägigem Ganztagsbetrieb kalkuliert. Diese Mittel könnten nicht nur für Lehrkräfte, sondern auch für Fachkräfte mit anderen Qualifikationen ausgegeben werden. Damit Sie nicht wieder fragen, wie das finanziert werden soll, haben wir in die Haushaltsberatungen für das Jahr 2008 einen Antrag eingebracht, das Budget der Eigenverantwortlichen Schulen zunächst um 32,5 Millionen Euro zu erhöhen - ein Betrag, den man dann nach und nach erhöhen muss, weil ja nicht alle Schulen auf einmal anfangen.

Meine Damen und Herren, als die schwarz-gelbe Koalition vor vier Jahren die Verkürzung der Schulzeit bis zum Abitur beschlossen hat, hat sie vor allem volkswirtschaftlich argumentiert und die pädagogischen Probleme ignoriert. Die Schülerinnen und Schüler sollten schneller in die Sozialsysteme einzahlen können. Heute müssen wir dafür sorgen, die versäumte pädagogische Umgestaltung des Gymnasiums möglichst schnell nachzuholen. Meine Partei hat auf Bundesebene z. B. vorgeschlagen, den Solidaritätszuschlag in einen Bildungssoli umzuwandeln. Damit würden die notwendigen Mittel bereitgestellt, die wir brauchen, um unser Schulwesen insgesamt auf einen zeitgemäßen Stand zu bringen. Das wäre eine wirkliche Investition für die Zukunft.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Herzlichen Dank, Frau Korter. - Für die SPDFraktion haben Sie, Herr Kollege Poppe, das Wort. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Bild von den Versuchskaninchen ist über Jahrzehnte geradezu sprichwörtlich geworden. Zurzeit häufen sich Elternklagen, die Schülerinnen und Schüler der Gymnasien Niedersachsens, speziell die des jetzigen neunten Schuljahrgangs, würden als Versuchskaninchen missbraucht. Ich sage dazu: Versuchskaninchen haben es besser als unsere Schülerinnen und Schüler.

(Beifall bei der SPD)

Warum? - Weil in Niedersachsens Schulen unter der Regierung Wulff die Schulzeit bis zum Abitur ohne klare Definition der Bedingungen verkürzt wurde, ohne klare Vorstellungen von den Übergangsregelungen, ohne entsprechende rechtzeitige Änderung der Curricula, ohne rechtzeitige Einführung geänderter Lehrbücher, d. h. - um im Bild zu bleiben - ohne jede vernünftige Versuchsanordnung.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei der LINKEN)

Der Unmut, vor allem der Unmut der betroffenen Eltern, ist inzwischen so stark geworden, dass die Regierung zum Handeln gezwungen war. Doch was ist dabei herausgekommen? - 1,5 Stunden, die als Zusatzstunden ausgewiesen werden, also den Zeitdruck noch verstärken, statt sie für Doppelbesetzungen zu verwenden, und ein Gespräch am runden Tisch mit dem Ergebnis unverbindlicher Absichtserklärungen ohne Substanz.

(Beifall bei der SPD)

Angesichts dieser Lage haben die Grünen ihren Entschließungsantrag mit den Worten überschrieben: „Schule darf nicht krank machen - Druck aus dem Turbo-Gymnasium nehmen“. Dieser Antrag ist eine gute Grundlage für Beratungen im Ausschuss. Eines kann er aber nicht bieten: die große Alternative, eine Rettung vor dem Chaos. Denn wir alle können den betroffenen Schülerinnen und Schülern, die jetzt in die Klasse 10 kommen, nur zusagen, dass wir bereit sind, die schlimmsten Folgen des Umstellungsdesasters abzumildern.

(Editha Lorberg [CDU]: Sie machen nur Angst!)

Das aber, meine Damen und Herren, sollten wir gemeinsam tun.

(Beifall bei der SPD)

Ein generelles Zurück zum Abitur nach 13 Jahren fordert nicht einmal dieser Antrag.

(Dr. Manfred Sohn [LINKE]: Wäre aber auch nicht schlecht!)

Eine neue Flexibilität aber ist nur nach sorgfältiger Planung möglich.

Im Einzelnen: Die Reduzierung der erlaubten Klassengröße ist logisch und notwendig. Die Jahrgangsstufe 10 ist beim Abitur nach zwölf Jahren der erste Jahrgang der Sekundarstufe II, auch wenn ihm nach der verqueren Logik der letzten Gesetzesänderung eine Doppelfunktion zugewiesen worden ist. Es macht daher keinen Sinn und ist eine reine Sparmaßnahme auf Kosten der Schülerinnen und Schüler, hier mit Klassenstärken von über 30 zu hantieren. 26 wie bisher in Klasse 11 sind das absolute Maximum.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei der LINKEN - Karl-Heinz Klare [CDU]: Sie haben im Haushalt 200 Lehrer beantragt! 5 000 bräuchten Sie dafür!)

Eine zweite Forderung, Herr Klare, unterstützen wir ebenso nachdrücklich. Sie entspricht unseren Positionen und lautet - - -