Protokoll der Sitzung vom 18.06.2009

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, ich möchte dies noch einmal betonen: Wir alle gemeinsam haben diese Politik vor Ort in unseren Wahlkreisen zu vertreten. Sie wissen das. Sie müssen auch für die Menschen einstehen, die dort seit 10, 15 oder 20 Jahren leben, auch wenn sie dort nur geduldet sind.

(Reinhold Coenen [CDU]: Das tun wir!)

Sie selber haben - das weiß ich von vielen Kolleginnen und Kollegen - geplante Abschiebungen teilweise miterlebt. Vor Ort haben sich viele Menschen für die Betroffenen eingesetzt und Abschiebungen teilweise auch verhindern können. Sie müssen diese Politik vertreten, die viele Menschen betrifft, die oft schon seit 15 oder 20 Jahren vor Ort leben und deren Kinder vor Ort auch schon viele Freunde gefunden haben.

Wir brauchen mehr Humanität im Bleiberecht, damit das Problem der Kettenduldung endlich gelöst wird und Integrationschancen genutzt werden können.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustim- mung von Pia-Beate Zimmermann [LINKE])

Mit dem Auslaufen der Bleiberechtsregelung oder Altfallregelung zum Ende dieses Jahres werden unter den gegenwärtigen Umständen nur ca. 10 bis 20 % der Betroffenen einen gesicherten Aufenthaltsstatus bekommen. In Niedersachsen haben durch die gesetzliche Altfallregelung nur etwa 800 Personen von den Ende 2006 22 000 geduldeten Personen einen gesicherten Aufenthaltsstatus erhalten. Diejenigen mit einer Aufenthaltserlaubnis auf Probe - ich will im Detail nicht darauf eingehen - werden es aufgrund der aktuellen Wirtschaftskrise und der restriktiven Bestimmungen schwer haben, dies zu erreichen. Diejenigen, die scheitern werden - das wissen wir heute; das ha

ben auch die Ausländerbehörden bestätigt -, werden überwiegend Familien mit Kindern sein. Es drohen Massenabschiebungen. Schon jetzt werden entsprechende Ankündigungen ausgesprochen, insbesondere für Roma aus dem Kosovo sowie Kurden aus dem Libanon und aus Syrien.

Ich möchte Sie an dieser Stelle auf die aktuelle Aktion „Kettenduldung beenden - Humanitäres Bleiberecht sichern“ der evangelischen und katholischen Kirchen aufmerksam machen. Die Forderungen im Rahmen dieser Aktion entsprechen den Forderungen in unserem Antrag. Eine menschliche Politik, wie sie hier gefordert wird, braucht Mut zum genauen Hinschauen. Es geht um menschliche Schicksale. Wir tragen hier eine Verantwortung. Deshalb ist aus unserer Sicht zweierlei erforderlich. Ich hoffe, dass wir im Ausschuss darüber wirklich sachlich und intensiv beraten können. Es geht in erster Linie um das Problem, der Kettenduldung zu begegnen. Zum einen brauchen wir eine großzügige Altfallregelung mit Bedingungen - das wird in den ersten beiden Punkten unseres Antrags deutlich -, die der Großteil der Geduldeten tatsächlich erfüllen kann. Herr McAllister, zum anderen brauchen wir grundsätzlich Verbesserungen bei der Ermöglichung des Aufenthalts aus humanitären Gründen, damit auch in Zukunft jenseits von Stichtagen der Übergang von der Duldung zur Aufenthaltserlaubnis erreicht werden kann. Wir sprechen hier über Personen in Niedersachsen - im Moment sind es 14 000 Geduldete; die Zahl wird Ende 2009 wieder steigen -, von denen über 50 % länger als acht Jahre in Deutschland sind und von denen fast zwei Drittel jünger als 25 Jahre sind. Ich bitte Sie um Zustimmung zu unserem Antrag oder wenigstens dazu, dass wir darüber beraten, wie wir das Problem lösen können.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN - Beifall bei der SPD - Zustimmung von Kreszentia Flauger [LINKE])

Die nächste Rednerin ist Frau Zimmermann von der Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für uns ist die Beendigung der sogenannten Kettenduldung eine wesentliche innenpolitische Forderung. Einen hierfür geeigneten Gesetzentwurf hat die

Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag bereits zu Beginn der Wahlperiode vorgelegt. Danach soll die Erteilung eines Aufenthaltstitels allein von der bisherigen Aufenthaltsdauer abhängig sein. Die Entwicklung der Zahl der Geduldeten und insbesondere der langjährig Geduldeten zeigt, dass das Problem mit der aktuellen Altfallregelung nur kurzfristig gelindert werden konnte. Die Zahl derjenigen, die seit mehr als sechs Jahren lediglich geduldet werden, stagniert seit über einem Jahr. Sie wird aber wieder steigen. Wir benötigen gesetzliche Regelungen, die die Entstehung von Kettenduldung dauerhaft verhindern und bestehende Kettenduldungen endgültig beenden.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Innenministerkonferenz und der Deutsche Bundestag entschieden sich aber für eine völlig ungenügende und vor allem hartherzige Regelung. Wir haben schon damals die sogenannte Härtefallregelung kritisiert, an die der Bundestag eine ganze Reihe von Bedingungen geknüpft hat. Wer eine Aufenthaltserlaubnis beantragt, muss gesetzestreu gewesen sein, darf keine Verbindung zu vermeintlichen Extremisten haben und soll immer mit der Ausländerbehörde kooperiert haben. Die schwierigste Hürde ist der eigenständige Lebensunterhalt. 80 % derjenigen, die das Bleiberecht beantragt haben, sind nur im Besitz einer sogenannten Aufenthaltserlaubnis auf Probe. Können sie zum 31. Dezember dieses Jahres nicht nachweisen, vom eigenen Gehalt leben zu können, droht der Rückfall in die Duldung und in einigen Fällen - das will ich hier auch ganz klar sagen - die sofortige Abschiebung.

Die Wirtschaftskrise fördert nunmehr auch noch diese Entwicklung. Migrantinnen und Migranten in Beschäftigungssektoren mit geringeren Qualifikationsanforderungen werden am härtesten getroffen. Es ist naheliegend, dass gerade die ehemals Geduldeten in besonderem Maße von dieser Entwicklung betroffen sind. Für Familien mit mehreren Kindern, in denen nur ein Elternteil erwerbstätig ist oder sein kann, wird unter diesen Gegebenheiten eine geradezu unüberwindliche Hürde geschaffen. Hier muss gegengesteuert werden, um nicht ausgerechnet die Familien faktisch von der Bleiberechtsregelung auszuschließen.

Wir fordern deshalb, dass bei der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis auf das Erfordernis des eigenständigen Unterhalts verzichtet wird. Dies muss selbstverständlich auch im Falle der auf Probe erteilten Aufenthaltserlaubnisse gelten. Der

Antrag der Grünen geht für uns jedenfalls in die richtige Richtung.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, nächster Redner ist Herr Wiese von der CDU-Fraktion.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen kommt nicht überraschend. Das Thema Bleiberecht hat das Haus schon länger beschäftigt. Wer die Diskussion in den vergangenen Jahren wahrgenommen hat, wusste auch, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis wir uns mit diesem Thema auch in Form eines Entschließungsantrages wieder beschäftigen.

Es ist Mut zum genauen Hinsehen gefordert worden. Das ist allerdings schwer, wenn man eine selektive Wahrnehmung hat. Das darf ich an dieser Stelle feststellen, gerade im Hinblick auf die Diskussion, die wir eben über Petitionen geführt haben. Wenn man Einzelbeispiele heranzieht, besteht immer die Gefahr, dass man nur das liest, was zur eigenen Position passt, und das andere verschweigt. Wenn wir auf dieser Ebene weiter diskutieren, werden wir uns sachlich nicht annähern können.

(Zustimmung von Reinhold Coenen [CDU])

Man kann an der gesetzlichen Altfallregelung manches kritisieren. Wenn Sie den Erfolg an Zahlen festmachen, können Sie feststellen, dass immerhin mehrere 10 000 Menschen einen abgesicherten Aufenthaltsstatus bekommen haben. Sie werden im Vergleich mit anderen Ländern auch feststellen, dass der deutsche Staat Integrationsleistungen von Ausländern sehr weitgehend anerkennt, auch wenn über deren eigentliche Pflicht zur Ausreise rechtlich bereits abschließend entschieden wurde.

Ich will die niedersächsischen Behörden ausdrücklich gegen den Vorwurf in Schutz nehmen, dass sie nicht sachgerecht entscheiden. So liest es sich in dem Antrag, und so ist es eben noch einmal dargestellt worden. Dies entspricht nicht unserer Wahrnehmung. Im Übrigen müssten Sie, Frau Kollegin Polat, Ihr Bleiberechts-Logbuch noch ein wenig nacharbeiten. Wenn Sie 40 Ausländerbe

hörden besucht haben, dann ist zunächst festzustellen, dass Sie nur zu 16 festgehalten haben, was Sie dort erfahren haben. Im Übrigen haben Sie die Ausländerbehörden im Regelfall gelobt. Von den angeblichen 24 weiteren Besuchen können wir dort nichts lesen. Das wäre aber vielleicht ganz hilfreich.

Natürlich suchen auch wir den Kontakt. Für uns ist es wichtig, die Sache selbst in den Mittelpunkt zu stellen und nicht Statistiken. Natürlich lässt sich mit Ablehnungsquoten immer schön argumentieren. Wenn wir das tun, sollten wir aber auch erwähnen, dass Niedersachsen beileibe nicht an der Spitze liegt. Ich schaue da nach ganz links in diesem Hause. Die hehren Worte haben wir wohl gehört. In Berlin ist die Linkspartei ja an der Regierung beteiligt. Vielleicht sollten Sie noch weitere Gespräche führen, wie es dort vor Ort aussieht.

Meine Damen und Herren, es geht immer um eine Abwägung. Wir haben rechtskräftig entschiedene Verfahren. Die Diskussion teilt sich dann in verschiedene Punkte: Es gibt diejenigen, deren Aufenthaltsberechtigung sehr schnell anerkannt wird, es gibt diejenigen, deren Aufenthaltsberechtigung nachweislich nicht besteht und die dann mit ihren Familien freiwillig in ihre Herkunftsländer zurückkehren, und es gibt diejenigen, deren Aufenthaltsberechtigung ebenfalls nicht besteht, die aber aus ganz unterschiedlichen Gründen dieses Land trotzdem nicht verlassen. An dieser Stelle ist mir schon wichtig, für die CDU-Fraktion deutlich zu machen, dass wir uns einem schrankenlosen Bleiberecht deutlich widersetzen. Wir akzeptieren eine massenhafte Zuwanderung in die deutschen Sozialsysteme nicht. Wir vertreten damit den überwiegenden Teil der Bevölkerung. Wir werden auch die Implementierung einer allgemeinen Bleiberechtsregelung ohne größere Integrationsleistungen nicht unterstützen. Wer dauerhaft in diesem Land bleiben möchte, der muss dafür auch Leistungen erbringen, so wie der deutsche Staat selbstverständlich auch Leistungen für den Einzelnen erbringt.

(Beifall bei der CDU)

Natürlich muss sich das auch an Anforderungen orientieren. Natürlich kann man über einzelne Anforderungen diskutieren. Aber klar muss sein: Es ist von Vorteil, wenn jemand sich und seine Familie hier ernähren kann, wenn die Kinder erfolgreich und regelmäßig zur Schule geschickt werden, wenn die Eingliederung aktiv betrieben wird und wenn man schon lange Zeit hier lebt. Das steigert

die Chancen, hier bleiben zu können. Umgekehrt gehört aber auch dazu: Wer sich am Verfahren nicht aktiv beteiligt, wer Verfahren verzögert oder falsche Angaben macht, kriminell wird, sich nicht um Arbeit bemüht und dessen Leben überwiegend aus Sozialleistungen finanziert wird, der vermindert seine Chance, hier bleiben zu können.

(Beifall bei der CDU)

Alles andere wäre all jenen gegenüber ungerecht, die ich vorhin genannt habe, die sich nämlich den rechtsstaatlichen Grundsätzen und den Urteilen unterworfen haben, die nach abgeschlossenem Verfahren freiwillig in ihre Herkunftsländer zurückgekehrt sind und sich dort etwa dem Wiederaufbau widmen. Das ist die Grundlage, auf der wir über diese Frage reden.

Herr Wiese - - -

Vielen Dank, keine Zwischenfragen. - Hinter jedem Altfall steckt natürlich ein einzelnes Schicksal. Das macht die Sache so schwierig. Gerade auch deshalb sind alle Beteiligten verpflichtet, den Einzelfall gewissenhaft und nach rechtsstaatlichen Grundsätzen genau zu prüfen. Natürlich muss zu gegebener Zeit auch darüber entschieden werden, ob und, wenn ja, in welcher Form die Fristen der gesetzlichen Altfallregelung verlängert werden müssen. Derzeit ist das allerdings überhaupt nicht übersehbar. Der Arbeitslosenstand auch in Niedersachsen ist immer noch niedriger als zum Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Altfallregelung. Damals ist eine Frist gesetzt worden. Die Situation auf dem Arbeitsmarkt hat sich insgesamt gesehen verbessert. Jetzt begründet man eine scheinbar notwendige Verlängerung mit der sich verschlechternden Situation. Das passt nicht zusammen, und das macht schon deutlich, dass es so einfach nicht werden wird. Ihr Antrag hat in Wahrheit ja auch einen anderen Hintergrund. Es geht nicht um die Wirtschaftskrise, sondern Sie waren von vornherein mit dem Bleiberechtskompromiss nicht einverstanden. Nun haben Sie einen neuen Grund gefunden, mit dem Sie meinen, diesen noch weiter aufweichen zu können.

Niemand kann sagen, wie sich die Diskussion in den nächsten Monaten weiter entwickeln wird. Richtig ist jedenfalls: Humanität erfordert auch Flexibilität. Diese ist hinreichend gegeben. Wenn es wirklich notwendig werden sollte, könnte eine

Verlängerung sehr schnell erfolgen. Es ist aber überhaupt nicht erforderlich, jetzt in vorauseilendem Gehorsam so etwas von Niedersachsen aus im Bundesrat herbeizuführen.

Abschließend möchte ich Ihnen sagen, dass ich es als - vorsichtig gesagt - nicht hilfreich empfinde, wie Sie diesen Antrag formulieren und die Begründung des Antrages vortragen. Sie werden der Ernsthaftigkeit des Themas nicht gerecht, weil Sie das Ganze auf Schlagworte reduzieren. Wenn Sie in diesem Antrag unterstellen, dass die Regelung in Deutschland und in Niedersachsen inhuman ist, dann weise ich das für die CDU-Fraktion deutlich zurück.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wir haben ein weitgehendes Asyl- und Ausländerrecht. Dieses Land leistet viel im Bereich der Integration. Seitdem man sich in Berlin von diesen Multikultitheorien einer rot-grünen Bundesregierung langsam zur pragmatischen Integration entschlossen hat, kommen wir vorwärts. Hier in Niedersachsen haben wir eine höchst erfolgreiche Integrationsbilanz. Wir verbitten uns daher diese schwer zu ertragenden Belehrungen, die permanenten Unterstellungen und diese Angriffe auf unseren Innenminister, der seine Arbeit gerade in diesem Bereich hervorragend macht.

(Beifall bei der CDU)

Wenn Sie meinen, dass Sie mit der schnellen politischen Schlagzeile bei diesem Thema denjenigen gerecht werden, die betroffen sind, dann irren Sie sich. Wir werden diesen Antrag ausführlich und fair beraten. Eine Zustimmung der CDU zu Ihrem Antrag kann ich Ihnen allerdings nicht in Aussicht stellen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Ursula Helmhold [GRÜNE]: Was soll dann noch die Beratung? - Helge Limburg [GRÜNE]: Sie haben das Er- gebnis vorweggenommen!)

Meine Damen und Herren, zu einer Kurzintervention hat sich Herr Adler von der Fraktion DIE LINKE gemeldet. Bitte!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Wiese, Sie haben eben die

Formulierung gebraucht: Wer sich nicht um Arbeit bemüht - - - Ich will Ihnen Folgendes sagen: Vergleichen Sie einmal die Anforderungen im Unterhaltsrecht mit den Anforderungen, die es dazu im Ausländerrecht gibt! Wenn jemand im Unterhaltsrecht nachweisen kann, dass er sich um Arbeit bemüht, z. B. entsprechende Bewerbungsmappen vorlegt, behält er seinen Unterhaltsanspruch. Wenn sich aber ein betroffener Ausländer, der unter die vorläufige Bleiberechtsregelung fällt, erfolglos bemüht und das auch nachweisen kann, nützt ihm das nach der bestehenden Rechtslage nichts. Deshalb trifft das nicht den Punkt, den Sie eben genannt haben. Da besteht nach wie vor eine Lücke.

(Beifall bei der LINKEN)

Da muss man nachbessern, wenn man guten Willens ist. Wenn man andere Motive hat, schließt sich das natürlich aus.