Protokoll der Sitzung vom 18.06.2009

Da muss man nachbessern, wenn man guten Willens ist. Wenn man andere Motive hat, schließt sich das natürlich aus.

(Beifall bei der LINKEN und Zustim- mung bei den GRÜNEN)

Herr Wiese möchte erwidern. Bitte schön!

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Sagen Sie einmal etwas zu Ihren Motiven!)

Ich kann jetzt schlecht eine zweite Rede hinterher halten, sondern ich möchte auf das antworten, was Herr Kollege Adler hier gesagt hat. Ich habe in meinem Redebeitrag deutlich gemacht, dass es natürlich von entscheidender Bedeutung ist, wie man sich als Mensch, der in unser Land gekommen ist und hier geduldet wird - so heißt das rechtliche Instrument nun einmal, egal ob man es gut findet oder nicht -, in diese Gesellschaft einführt. Dazu gehört auch die Bereitschaft, nicht nur staatliche Leistungen in Anspruch zu nehmen, sondern sich auch um Arbeit zu bemühen.

(Filiz Polat [GRÜNE]: Wie sieht denn die Realität aus?)

Ich habe nicht gesagt, dass dies das einzige Kriterium ist. Ich habe Ihnen hier sehr deutlich vorgetragen, dass es sich immer um eine auf den Einzelfall bezogene Abwägung handelt. Sie werden gerade für Niedersachsen nicht belegen können, dass die Situation hier anders gehandhabt wird, dass hier restriktiver vorgegangen wird, als wir es beispielsweise unter Rot-Rot in Berlin tagtäglich erleben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Jetzt hat sich Herr Bachmann von der SPDFraktion zu Wort gemeldet. Bitte schön!

(Zuruf von der CDU: Jetzt kommt ein sachlicher Beitrag!)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Niemand hat vor, eine massenweise Zuwanderung in die Sozialsysteme zu organisieren. Aber wir unterscheiden uns von Ihnen, indem wir bereit sind, in einem gewissen Umfang unserer humanitären Verpflichtung gegenüber älteren, kinderreichen und kranken Menschen nachzukommen und sie nicht nur deswegen abzuschieben, weil sie ergänzende Sozialleistungen beanspruchen müssen.

(Beifall bei der SPD)

Das ist nun einmal die unterschiedliche Sichtweise und Anwendung des Humanitätsbegriffs.

Herr Wiese, wenn Sie hier unterstellen, dieser Innenminister sei doch der freundlichste Minister an dieser Stelle, dann muss ich auch heute wieder in Erinnerung rufen, dass sich hier der Integrationsminister als Wolf im Schafpelz verkleidet.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN - Widerspruch bei der CDU)

Er ist derjenige, der zugegebenermaßen neuerdings geschickterweise erkannt hat, dass Integrationspolitik offensiv betrieben und unterstützt werden sollte, weil der gesamtgesellschaftliche Konsens gegenüber Menschen mit Status und mit Niederlassungserlaubnis vorhanden ist. Herr Schünemann, wenn das wirklich Ihre Überzeugung ist, sind wir an Ihrer Seite. Aber das war bei Ihnen jahrelang anders. Aber Sie sind der gleiche Minister mit den zwei Gesichtern, der, wenn wir nicht im Sinne des Antrags der Grünen nachbessern, demnächst wieder massenweise Abschiebungen organisieren und Kommunen anweisen wird, dies rigoros zu tun. Da, Herr Schünemann, müssen Sie gegenüber den Menschen Ihr Glaubwürdigkeitsproblem als Minister mit den zwei Gesichtern ausräumen.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Deswegen ist es erforderlich, in Berlin nachzujustieren.

Liebe Kollegin Polat, wir sind uns wie immer hier im Niedersächsischen Landtag in dieser Frage grundsätzlich einig. Da hilft es auch nicht - was ich aus der Sicht der Grünen allerdings verstehen kann; wir sind kurz vor einer Bundestagswahl -, den Begriff der Großen Koalition zu nehmen und darauf einzuprügeln. Stellen Sie sich doch einmal vor, was für eine Flüchtlings- und Zuwanderungspolitik in Berlin gemacht würde, wenn sie nur von Frau Merkel oder nur von Herrn Schäuble zu verantworten wäre!

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei der GRÜNEN und bei der LIN- KEN)

Fakt ist doch, dass man in einer Großen Koalition nur so viel erreichen kann, wie der andere Partner zu akzeptieren bereit ist. Da haben wir sehr viel erreicht. Wir müssen feststellen, dass jetzt an einigen Stellen nachzujustieren ist. Jetzt vergessen Sie doch einmal, wenn Sie damit solche Probleme haben, all das, was hier in der Entschließung im ersten Absatz steht, und vergessen Sie doch einmal die Begründung, wenn Sie damit solche Probleme haben. Befassen Sie sich doch einmal mit den tatsächlichen Beschlussforderungen. Das sind die letzten drei Spiegelstriche auf der ersten Seite. Dort heißt es: „Die Fristen der gesetzlichen Altfallregelung müssen um mindestens zwei Jahre verlängert werden.“ Das ist richtig; denn wir können die Probleme nicht allein mit Petitions- und Härtefallverfahren lösen,

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

weil wir dann genau die Situation bekommen, die hier eben im Einzelfall beschrieben worden ist. Wir brauchen grundsätzliche Kriterien. Wir brauchen mehr Zeit. Das vertreten auch die sozialdemokratischen Innenpolitiker im Bund.

Auch dabei, dass wir humanitäre Gesichtspunkte im Rahmen einer Sozialklausel angemessen berücksichtigen wollen, gibt es überhaupt keinen Dissens zwischen der SPD im Bund und in Niedersachsen. Im Gegenteil. Wir haben hier bei den vielen Beratungen - da haben Sie ja recht, Herr Wiese; aber dieser Minister zwingt uns dazu, dass wir dieses Thema immer wieder auf die Tagesordnung bringen -

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

in den letzten Jahren auch gesagt, wie wir uns diesen sozialen Kriterienkatalog vorstellen. Ich will

nur einige Punkte nennen: Ein langfristiger Aufenthalt der Betroffenen ohne Status und das Erreichen eines hohen Integrationsgrades müssen ebenso berücksichtigt werden wie in Deutschland geborene und sozialisierte Kinder, die das Land ihrer Eltern überhaupt nicht kennen. Wir wollen keine Trennung von Familien. Wir wollen keine Sippenhaft in den Entscheidungen der Ausländerbehörden sehen. Wir wollen auch ergänzende Sozialleistungen akzeptieren, wenn Kinder der Grund dieser Zahlungen sind. Das ist hier eben von den anderen Rednern der Opposition gesagt worden; das muss ich nicht wiederholen. Wir wollen sie auch dann akzeptieren, wenn aus humanitären Gesichtspunkten traumatisierte, ältere, kranke Menschen ansonsten von der Abschiebung bedroht sind.

Was wir auch erreichen wollen - das ist der dritte Spiegelstrich des Antrags der Grünen -: Wir brauchen gleiche Handlungsweisen in den 16 Bundesländern. Meine Kollegin Lesemann hat hier vor einiger Zeit in der Debatte über die Große Anfrage zur niedersächsischen Bleiberechtspraxis detailliert herausarbeiten können, dass sich dieser Minister im Vergleich zu anderen Bundesländern wirklich nicht mit Ruhm bekleckert.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Deshalb ist es sinnvoll, die allgemeinen Verwaltungsvorschriften zu vereinheitlichen; das sagen auch die Grünen.

Wir müssen insbesondere das Ziel erreichen, die Kettenduldungen zu beenden. Das haben wir wirklich nicht erreicht. Das war die Absicht des Bundesgesetzgebers. Das ist in der Realität nicht eingetreten. Deswegen besteht Handlungsbedarf. Das sehen wir genauso. Deswegen werden wir nicht nur konstruktiv mitberaten, sondern ich hoffe, dass es auch zu einem entsprechenden Parlamentsbeschluss kommen wird.

Herr Minister Schünemann, ich habe es Ihnen schon einmal gesagt: Machen Sie sich einmal an dieser Stelle bundesweit einen Namen und nicht nur, indem Sie mit vorgetäuschtem Engagement die Integrationsleistung Dritter in diesem Lande sozusagen geschickt verkaufen. Das ist die Leistung gesellschaftlicher Kräfte, der Akteure im Land. Diese Leistungen verkaufen Sie geschickt. Verkaufen Sie sich auch einmal positiv als ein Minister, der weiß, was Humanität heißt.

(Lebhafter Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Angelika Jahns [CDU] meldet sich zu einer Kurzintervention)

Das habe ich gerade noch rechtzeitig gesehen, Frau Kollegin. Eine Kurzintervention. Bitte schön!

Herr Kollege Bachmann, Sie haben eben angeführt, dass Sie Familien nicht trennen wollen. Wie beurteilen Sie denn die Situation, wenn Eltern von sich aus z. B. ihre Töchter mit Erreichen des schulpflichtigen Alters wieder zurückschicken, z. B. nach Tunesien, sie dort zur Schule gehen lassen und sie dann mit 16 oder 18 wieder nach Deutschland zurückholen? Werden die Familien dann nicht getrennt aus eigenem Interesse heraus? Wie beurteilen Sie das?

(Beifall bei der CDU)

Frau Jahns, vielen Dank. - Herr Bachmann, wollen Sie antworten?

Liebe Frau Kollegin Jahns, es gibt auch begüterte deutsche Eltern, die ihr Kind ins Ausland aufs Internat schicken.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Wenn in der Familie in diesen Fragen ohne Druck, weil sie ein Bleiberecht, eine Niederlassungserlaubnis haben, Entscheidungen möglich sind, bestimmte Zeiten ihres Lebens bei Eltern oder Großeltern auch an anderen Standorten zu verbringen, so ist das auf der ganzen Welt Praxis. Worum es uns geht: Bei der drohenden Abschiebung soll sozusagen kein Keil in die Familie geschlagen werden, indem Teile der Familie abgeschoben werden, wodurch es zu einer Zwangstrennung von Familien kommt. Das ist etwas vollkommen anderes.

(Lebhafter Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, für die FDP-Fraktion hat sich jetzt Herr Oetjen zu Wort gemeldet. Bitte!

(Zuruf: Die hilfsbereiten Liberalen!)

Ganz herzlichen Dank. - Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir sollten schon versuchen - sowohl auf der einen wie auf der anderen Seite -, mit dem Thema möglichst sachlich umzugehen. Das möchte ich hier deutlich sagen.

Herr Kollege Bachmann, wenn Eltern ihr Mädchen in ein arabisches Land schicken, um es nicht in Deutschland weltoffen erziehen zu lassen, dann sollten auch Sie sagen, dass das in unserer Gesellschaft ein Problem ist.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Bachmann?

Nein. Ich fange gerade erst an. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben 2006 eine Bleiberechtsregelung bekommen, die bis zum 30. September 2007 befristet war. Im August 2007 hat man sich für die heute geltende Altfallregelung entschieden, um beispielsweise den Menschen, die schon lange hier sind, eine Aufenthaltserlaubnis oder eine Aufenthaltserlaubnis auf Probe zu geben. Diese Aufenthaltserlaubnis auf Probe soll Ende 2009 überprüft werden. Ziel war es, gut integrierten Ausländern eine dauerhafte Perspektive zu geben, hier bei uns in Deutschland zu bleiben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir als FDP haben sehr dafür gestritten, ihnen eine solche Perspektive zu eröffnen.

Von dieser Altfallregelung wurden in Niedersachsen knapp 4 000 Menschen erfasst. Davon haben 80 %, also etwa 3 200 Personen, einen Aufenthalt auf Probe bekommen. Um diese 3 200 Menschen, deren Aufenthaltserlaubnis auf Probe Ende des Jahres ausläuft und bei denen es dann darum geht, ob sie ihre wirtschaftlichen Verhältnisse ordnungsgemäß nachweisen können, geht es.

Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD und von den Grünen, auch uns geht es um diese einzelnen Menschen. Sie sagen pauschal, alles das, was die Landesregierung mache, sei böse, und der Innenminister sei, wie Herr Bachmann sagte, ohnehin der Wolf im Schafspelz. Das entspricht einfach nicht der Wahrheit; denn wenn man sich die Zahlen anschaut, erkennt man, dass wir in Niedersachsen im Jahre 2006 22 000 Duldungen hatten. Heute sind wir - Frau Kollegin Polat

sprach soeben von 14 000, ich habe hier stehen: unter 15 000 Duldungen - im Durchschnitt der Bundesländer. Das heißt, Niedersachsen agiert hier nicht schärfer als andere Bundesländer. Das, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist die Wahrheit, und die sollten Sie auch zur Kenntnis nehmen.