Protokoll der Sitzung vom 28.08.2009

(Beifall bei der LINKEN)

Denn niemand kann ernsthaft und glaubhaft behaupten, dass dieser eklatante Unterschied allein auf die angebliche Begabung eines Kindes zurückzuführen ist. Ihre These, Herr Wulff und Frau Heister-Neumann, dass gewährleistet sei, dass die Schülerinnen und Schüler allein aufgrund ihrer Begabung auf die unterschiedlichen Schulformen verteilt würden, zeigt wieder einmal, wie blind Sie gegenüber der Realität in diesem Land sind.

(Beifall bei der LINKEN)

Das lässt mich noch einmal auf die Art und Weise der Beantwortung dieser Anfrage zurückkommen. Trotz aller Sorgfalt der Recherche in Teilbereichen habe ich viel zu oft gelesen, Daten lägen nicht vor oder es gebe keine Untersuchungen. Das ist sehr bedauerlich. Deshalb meine Aufforderung an Sie aufseiten der Regierungskoalition: Nehmen Sie endlich die Scheuklappen ab! Unser Schulsystem in Niedersachsen ist ungerecht, und Chancengleichheit existiert nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Das zeigt auch die Antwort auf unsere Anfrage „Schule muss man sich leisten können“.

Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, nach unserer Geschäftsordnung ist jetzt die Landesregierung an der Reihe. Frau Ministerin, Sie haben das Wort!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Keiner darf verlorengehen, und Bildungsgerechtigkeit heißt für uns Chancengerechtigkeit für jedes Kind, für jede Schülerin und für jeden Schüler in unserem Land, gleich welcher sozialen oder ethnischen Herkunft. Die individuelle Förderung jedes einzelnen Kindes steht dabei für uns im Vordergrund.

(Beifall bei der CDU)

Das gilt für die gesamte Bildungsbiografie, angefangen bei der frühkindlichen Bildung über die weiterführenden Schulen bis hin zur universitären Ausbildung. Dafür hat dieses Land Niedersachsen eine Menge Anstrengungen unternommen. Denn in keinen Bereich hat das Land so stark investiert wie in den Kultusbereich. Frau Reichwaldt hat die Zahlen dazu dargestellt. Von 3,75 Milliarden Euro sind wir mittlerweile bei 4,45 Milliarden Euro angelangt. Dass das auch etwas gebracht hat, meine Damen und Herren, brauchen wir nicht nur zu sagen, sondern das wird uns auch bestätigt, weil die Zahl der Zurückstellungen vom Unterricht und von der Schule sehr stark reduziert wurde und weil sich die Abschlussquote kontinuierlich erhöht. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass wir auf einem sehr guten Weg sind, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU und Zustimmung von Jörg Bode [FDP])

Wenn Sie von Scheuklappen sprechen, dann würde ich Ihnen empfehlen, die Scheuklappen einmal wegzunehmen und die Erfolge einfach einmal anzuerkennen.

(Beifall bei der CDU und Zustimmung von Jörg Bode [FDP])

Bund und Land haben aber auch gemeinsam vielfältige Maßnahmen ergriffen, um Kinder und Jugendliche aus Familien, die ihren Lebensunterhalt nicht oder nicht vollständig aus eigenen Kräften und Mitteln bestreiten können, besonders zu fördern. So hat der Bundesrat - ich bitte Sie, auch dabei genau zuzuhören - auf Initiative von Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen mit Beschluss vom 23. Mai 2008 die Bundesregierung aufgefordert, die Regelleistungen und Regelsätze für Kinder unverzüglich neu zu bemessen. Als Grundlage dafür sollte eine spezielle Erfassung des Kinderbedarfs vorgesehen werden. Seitdem hat sich die Situation der betroffenen Familien und Kinder bei der Finanzierung der Aufwendungen für Schule

und Bildung durch zwei gesetzliche Neuerungen spürbar und nachhaltig verbessert.

Erstens. Seit Beginn dieses Schuljahres erhalten einkommensschwache Familien zur Förderung der schulischen Bildung von Kindern und Jugendlichen im Rahmen des Familienleistungsgesetzes eine zusätzliche Leistung von 100 Euro. Die pauschale Leistung umfasst insbesondere die erforderliche Ausstattung am Schuljahresbeginn. Dazu gehören Ausrüstungsgegenstände, persönliche Ausstattungsgegenstände wie z. B. Beihilfen für Turnzeug, Blockflöte, Schulranzen, für Schreib-, Rechen- und Zeichenmaterial.

Ich freue mich darüber, dass der Bundestag noch rechtzeitig vor dem Schuljahresbeginn eine Ausweitung der 100-Euro-Starterpakete beschlossen hat. Meine Damen und Herren, diese Starterpakete kommen unseren Schülerinnen und Schülern von der ersten Klasse bis zur Abschlussklasse zugute. Sie gelten auch für die Berufsschülerinnen und -schüler, die nicht in der dualen Ausbildung sind, also keine Ausbildungsvergütung bekommen.

Zweitens. Mit dem Gesetz zur Sicherung von Beschäftigung und Stabilität in Deutschland vom 2. März 2009 hat der Bundesgesetzgeber die Regelleistungen im Sozialgesetzbuch für Sechs- bis Dreizehnjährige ab dem 1. Juli 2009 auf 70 % der maßgeblichen Regelleistungen angehoben. Darüber hinaus fördert die Landesstiftung „Familie in Not“ im Rahmen des Sonderfonds „DabeiSein!“ Bildungs- und Freizeitmaßnahmen für Kinder aus finanziell benachteiligten Familien durch nicht rückzahlbare Zuschüsse in Höhe von bis zu 100 Euro pro Kind. Die Zuschüsse werden bis zum Abschluss der allgemeinbildenden Schule u. a. für Nachhilfeunterricht, für Schulfahrten oder Fahrtkosten für Oberstufenschülerinnen und Oberstufenschüler gewährt, soweit sie nicht von anderen Leistungsträgern übernommen werden.

Neben diesen Maßnahmen gibt es weitere staatliche Hilfen. Ich möchte an dieser Stelle nur drei Beispiele nennen:

Erstens. Nach dem Modell der entgeltlichen Ausleihe von Lernmitteln sind Leistungsberechtigte nach dem Sozialgesetzbuch und dem Asylbewerberleistungsgesetz von dem Entgelt für die Lernmittelausleihe vollständig befreit.

(Vizepräsidentin Astrid Vockert über- nimmt den Vorsitz)

Das Land Niedersachsen stellt hierfür in diesem Jahr als freiwillige Leistung 3,39 Millionen Euro zur Verfügung.

Ich möchte einen weiteren Bereich ansprechen, nämlich den Bereich der Ganztagsschulen. Auch hier unterstützt die Landesregierung einkommensschwache Familien beim Kauf des Mittagessens. Wir haben für das Haushaltsjahr 2009 wiederum 1,5 Millionen Euro für Zuschüsse zum Erwerb eines Mittagessens in der Ganztagsschule zur Verfügung gestellt. Liebe Frau Reichwaldt, wenn Sie sagen, das reiche nicht aus, das müsse sehr viel mehr sein, dann möchte ich doch darauf hinweisen, dass die Dinge, die wir bisher zur Verfügung gestellt haben, tatsächlich nicht voll ausgeschöpft wurden. Wir stellen die Mittel nach dem jeweiligen Bedarf ein. Ich glaube, auch hierbei sind wir gut aufgestellt.

(Beifall bei der CDU)

Ich bin davon überzeugt, es gibt keinen Bereich, in dem man nicht tatsächlich vieles besser machen kann, noch mehr Einsatz bringen kann. Aber wir müssen das alles in eine Relation setzen. Ich denke, wir haben während unserer Regierungszeit sehr viel auf den Weg gebracht, um denjenigen zu helfen, die tatsächlich zusätzlicher finanzieller Unterstützung bedürfen.

Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall bei der CDU)

Herzlichen Dank, Frau Ministerin. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sich Frau Korter zu Wort gemeldet. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich danke Christa Reichwaldt von der Fraktion der Linken ausdrücklich für diese ausführliche Große Anfrage zu der Situation und den Kosten, die die Eltern heute für den Schulbesuch ihrer Kinder zu tragen haben.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Meine Damen und Herren, es ist ein wesentlicher Anspruch unseres Sozialstaates, dass alle Kinder unabhängig vom Einkommen ihrer Eltern gleichen Bildungszugang haben sollen. Das Schulgeld ist abgeschafft worden. Die Kosten, die trotzdem von den Eltern getragen werden müssen, sind jedoch

enorm hoch. Einige Antworten der Landesregierung belegen dies. Ich will nur einige herausgreifen.

Schon bei der Einschulung müssen die Eltern ca. 250 Euro für die Erstausstattung ihres Kindes zahlen. Für Schulbücher müssen sie im Jahr durchschnittlich 40,88 Euro ausgeben; an einzelnen Schulen kann dieser Betrag glatt doppelt so hoch ausfallen. Dazu kommen Kosten für Lernmittel, z. B. für grafikfähige Taschenrechner - ab 90 Euro aufwärts.

In den Laptopklassen müssen die Eltern jeden Monat 20 bis 30 Euro aufbringen. Das sind im Jahr 240 bis 360 Euro. Armen Familien wird maximal die Hälfte davon erstattet.

In der Sekundarstufe II - das hat Frau Reichwaldt bereits angesprochen - tragen die Eltern dazu auch noch ausschließlich und allein die Kosten für die Busbeförderung oder die Bahnfahrkarte zur Schule, mit Ausnahme des minimalen Anrechnungsbetrages im Regelsatz.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Das wollt ihr alles ändern? Jedem Schüler einen Laptop, und das finanziert ihr?)

Das kann z. B. im Landkreis Hildesheim - wir hatten früher schon einmal eine Petition dazu - bis zu 1 320 Euro im Jahr kosten. Ist das wirklich noch Schulgeldfreiheit?

Auf viele Fragen - das muss ich bestätigen - hat diese Landesregierung gar keine Antworten. Sie weiß nicht, wie viele Schulen den Mindestbetrag und wie viele Schulen den Höchstbetrag für Lernmittel verlangen. Sie weiß nicht, wie viele Schulen eine eigene Schulbibliothek haben. Sie weiß nicht - das finde ich skandalös -, wie viele Schulen ein Mittagessen anbieten und wie viel es eigentlich kostet. Sie weiß auch nicht, wie viel Geld in Schulen für Kopierkosten erhoben wird und welche Pauschalen für Internetnutzung verlangt werden.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Wenn sie das alles fragen würde, dann hätten die Schulen keine Zeit mehr, Unter- richt zu machen! Sonst sind Sie doch immer gegen Schnüffelei! Mein Gott, soll das alles abgefragt werden? Die haben noch etwas anderes zu tun, als auf solche Fragen zu antworten!)

Wenn man das alles zusammenrechnen würde, würden wir auf eine unglaubliche Belastung der

Eltern kommen, und es würde endlich einmal offengelegt, welche Kosten zu tragen sind.

Wie gering das Interesse der Landesregierung an der Kostenbelastung der Eltern ist, zeigt sich auf Seite 22 der Antwort. Hier sind die Fragen 5.4 und 6.2 nicht einmal richtig wiedergegeben, sondern ist versehentlich die Frage 5.2 wiederholt worden. Wie genau wird eigentlich in diesem Ministerium gearbeitet, wenn das überhaupt keinem aufgefallen ist?

(Zustimmung bei der LINKEN - Karl- Heinz Klare [CDU]: Sie wären die Ers- ten, die sofort protestieren würden, wenn die Landesregierung da herum- schnüffeln würde!)

Meine Damen und Herren, Bildungsbenachteiligung aufgrund materieller Armut ist eines der schwerwiegendsten Probleme in unserem Land, in Niedersachsen und in der Bundesrepublik. Aber Sie, Frau Ministerin, kennen nicht einmal das Ausmaß, offensichtlich weil es sie schlicht und einfach nicht interessiert. - Herr Klare bestätigt das gerade noch.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Das zeigt deutlich die soziale Ignoranz dieser Landesregierung und der sie tragenden Fraktionen. Es ist abenteuerlich, wie sich die Ministerin hier gerade mit angeblichen Erfolgen herausgeredet hat. Das ist nicht mehr lächerlich, das ist nur noch peinlich für die Eltern, die davon betroffen sind, das zahlen zu sollen und nie zu wissen, wie sie es bezahlen sollen.

(Lachen von Karl-Heinz Klare [CDU])

Meine Damen und Herren, in der vorigen Woche haben einige Mitglieder meiner Fraktion Schulen und Kindergärten in Finnland besucht. Dort herrschen in dieser Frage wahrlich paradiesische Verhältnisse, wenn man sie mit Niedersachsen vergleicht.

(Glocke der Präsidentin)