Protokoll der Sitzung vom 28.08.2009

Nun kommt ein neuer Vorschlag - der im Grunde ein ganz alter ist - von den Linken dazu. Von wem sollte er denn wohl auch im Wahlkampf kommen? Herr Dr. Sohn, wir haben schon viele Arten von Steuern gehabt. Wenn Sie in die Geschichte von Steuern zurückgehen, dann werden Sie so tolle Steuerideen finden wie Fenstersteuer, Fahrradsteuer, Papiersteuer. Sie fordern immer die Vermögensteuer, und eben haben wir etwas vom Bildungssoli gehört. Es ist schon bald nicht mehr auszuhalten.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ihr Weltökonom Herr Lafontaine ist ja ein ganz Schlauer.

(Beifall bei der LINKEN)

Er ist ja schon grandios gescheitert.

(Zuruf von der CDU: Und weggelau- fen!)

- Und weggelaufen, genau. Jetzt will er ja wieder zurück.

(Pia-Beate Zimmermann [LINKE]: Er steht zu seinem Wort! - Heiterkeit - Reinhold Hilbers [CDU]: Deswegen ist er ja auch weggelaufen! - Weitere Zu- rufe)

- Ich weiß ja nicht, wie lange er denn das noch machen will. Aber das ist auch egal.

Er hat jedenfalls einmal ausgerechnet und auch lauthals verkündet, es ginge da sogar um 35 Milliarden Euro. Das hat er öffentlich plakatiert. Man ist immer wieder erstaunt. Ich glaube, wir müssen uns alle noch einmal zu Gemüte führen: Steuererhebung ist keine Geldzählmaschine. Die Länder innerhalb Europas haben alle erlebt, was man mit

der Einführung solcher Steuern im Grunde erreicht, nämlich dass sich das Geld benimmt wie ein scheues Reh. Die sind so schnell weg, so schnell können Sie gar nicht gucken. Ich sage einmal, in Ihrer roten Vergangenheit haben Sie ja auch so ein paar Finanzexperten gehabt, die Geld überwiesen haben. Ich weiß nicht, wohin und ob Sie es schon wiedergefunden haben.

(Heinrich Aller [SPD]: Franz Josef Strauß hat auch etwas überwiesen!)

Nichtsdestotrotz hat es ja Länder gegeben, die die Börsenumsatzsteuer eingeführt und wieder abgeschafft haben; denn sie haben erkannt, dass es nur dann, wenn man zu einer europäischen Regelung käme, einen Sinn machen würde. Dann könnte man wirklich zu einer Regelung kommen, bei der die europäischen Börsen gleichbehandelt werden.

(Zustimmung bei der CDU)

Ich habe das Gefühl, Herr Dr. Sohn: Ihr Antrag wird heute nicht gebraucht. Er wird so morgen nicht gebraucht.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Den hät- ten wir schon lange gebraucht!)

Sie werden ihn immer wieder stellen, und wir werden immer wieder zu Ihnen sagen müssen: So wird er nicht gebraucht.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, für die SPD-Fraktion hat sich Herr Aller gemeldet. Bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Vorredner haben ja schon einiges dazu beigetragen, um das Thema Steuern und Haushaltspolitik in Verbindung zu bringen, und haben deutlich gemacht, dass es wohl doch nicht so einfach geht, wie es der Antrag der Linken suggeriert.

Herr Kollege Schönecke, der Weltökonom Lafontaine hat nicht 35 Milliarden Euro in Aussicht gestellt, sondern nach der Begründung zu dem Antrag der Linken in Niedersachsen waren es 70 Milliarden.

Wenn wir nun alle zustimmen würden, hätten wir die Staatsverschuldung in zehn Jahren wahrscheinlich abgebaut, könnten die Probleme des

Landes Niedersachsen erledigen und gleichzeitig noch viel neues Gutes tun.

(Beifall bei der LINKEN - Kreszentia Flauger [LINKE]: Das ist so, wenn Sie unseren Vorschlägen folgen!)

Ich glaube, Herrn Dr. Sohn richtig verstanden zu haben. In dieser Frage hat er sich von Oskar Lafontaine deutlich distanziert, und er glaubt seinem Vorsitzenden nicht mehr. Wir machen das übrigens auch nicht, Herr Dr. Sohn.

(Björn Thümler [CDU]: Sie glauben Ih- rem Vorsitzenden auch nicht?)

Nun zu einzelnen Punkten.

Erster Punkt. Die Themen Steuerpolitik und Harmonisierung der Steuern in Europa sowie insbesondere das Thema Umsatzsteuer eignen sich nun überhaupt nicht für Schnellschüsse kurz vor der Wahl, wie die Beiträge hier gezeigt haben. Was die Linken aber ganz geschickt gemacht haben - das steht nicht im Antrag, sondern in der dreiseitigen Begründung -, ist, dass sie sich aus dem Internet herausgezogen haben, wann sich verschiedene Personen und Parteien zum Thema Umsatzsteuersenkung geäußert haben, und dann Bündnisse organisiert haben, nämlich einmal für die Arzneimittel, dann für die Babynahrung oder für die arbeitsintensiven Dienstleistungen. Wenn das alles funktionieren würde, Herr Dr. Sohn, hätten Sie bei fast jedem Punkt eine Koalitionsmehrheit. In dieser Hinsicht stimmt wieder das, was Herr Wenzel gesagt hat: Sie koalieren im Grunde genommen von ganz liberal - FDP - bis hin zu ganz links - Linke. Das wird nicht funktionieren.

Weil das so ist, will ich Ihnen unter Hinweis auf einige Beispiele sagen, dass Sie Dinge, die längst schon bekannt sind, überhaupt nicht mehr angesprochen haben. Im Hinblick auf die Umsatzsteuer in ihrer jetzigen Form - Sie haben ja diese IWDNachricht hoch gehalten - glauben 27 EU-Mitgliedstaaten, die richtige Regelung zu haben. 27 EU-Mitgliedstaaten haben völlig unterschiedliche Regelungen. Dort sind die Regelsteuersätze und die abgesenkten Steuersätze unterschiedlich hoch. Das ganze Umsatzsteuerpaket ist eingebaut in ein Steuersystem aus Einkommensteuer sowie direkten und indirekten Steuern, das insgesamt die Finanzierung der Staatsfinanzen und der Haushalte organisiert. Wenn man das in einen Zusammenhang stellt, kann man nicht mit so einem Antrag kommen, wie Sie ihn vorgelegt haben. Was Sie hier machen, ist Rosinenpickerei kurz vor der

Wahl, um kleine Signale an viele Interessengruppen zu geben in der klaren Gewissheit, dass es so nicht funktioniert. Das ist unseriös. Das tragen wir nicht mit. Deshalb sage ich Ihnen: Dieser Antrag wird auch keine Mehrheit finden.

Zweiter Punkt. Zum Thema arbeitsintensive Dienstleistungen - das müssten Sie wissen, allemal, und Leute, die schon länger im Landtag sind auch - ist auf europäischer Ebene eine abgestimmte Modellversuchsreihe durchgeführt worden, mit der geklärt worden ist, ob es einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Dienstleistungen, den Preisen für diese Dienstleistungen und der darauf liegenden Umsatzsteuer gibt. Die Auswertung hat ergeben, dass es kaum einen oder überhaupt keinen Zusammenhang zwischen der Höhe der Mehrwertsteuer im Verhältnis zur Schwarzarbeit gibt, und Beschäftigungseffekte gibt es auch nicht. Das ist nachgewiesen worden, und darüber ist im Deutschen Bundestag und auch hier bei uns schon diskutiert worden. Trotzdem kommt dieses Thema in Wahlkampfzeiten immer wieder hoch, weil es Scheinlösungen suggeriert, die in dieser Form gar nicht darstellbar sind.

Dritter Punkt. Zusammenhang mit den Haushalten. - Ich verstehe die FDP überhaupt nicht. Sie haben hier im Landtag zusammen mit der CDU die Mehrheit und müssen den gerade vorgelegten Haushalt zur Deckung bringen. Dieser Haushalt weist eine Rekordverschuldung aus, und der nächste erst recht.

(Reinhold Hilbers [CDU]: Eine Re- kordverschuldung hatten Sie!)

Nach der mittelfristigen Finanzplanung, Herr Kollege Hilbers, beläuft sich der Handlungsbedarf schon jetzt auf 3,2 Milliarden Euro. Dann erzählen Sie hier etwas von „Steuersenkungen“, die weit über das hinausgehen, was die 7 % bei der Mehrwertsteuer ausmacht. Das ist überhaupt nicht darstellbar. Deshalb sage ich Ihnen: Die Debatte, die wir führen werden, wird auch die Einnahmeseite mit umfassen müssen; auch über die Umsatzsteuer müssen wir diskutieren. Eine Erhöhung oder eine Absenkung kann nur im Rahmen eines Gesamtkonzepts diskutiert werden. Vor diesem Hintergrund sage ich Ihnen - das geht jetzt in Richtung der Linken als Antragsteller -: In der Tat ist die Börsenumsatzsteuer ein Instrument, das auch die Sozialdemokraten im Wahlprogramm stehen haben, und zwar aus guten Gründen. Die Diskussion hat in Deutschland deshalb ohne große Schwierigkeiten angefangen werden können, weil wir im

Rahmen der Maßnahmen zur Regulierung des Finanzmarktes gesagt haben: Eine Börsenumsatzsteuer hat zwei Funktionen.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Das ha- ben wir schon vor der Krise gesagt!)

Erstens kann sie helfen, Spekulationen abzudämpfen oder zu verhindern. Dieser eine Aspekt war vor einem halben Jahr noch völlig unstrittig. Inzwischen haben die ersten Spekulanten wieder Oberwasser und finden eine solche Steuer natürlich hinderlich, weil sie die Erträge aus Börsenumsätzen ganz massiv einschränken würde. Zweitens - damit muss man sich einmal gesellschaftspolitisch auseinandersetzen - stellt sich die Frage: Macht es eigentlich Sinn, dass ich mit dem Handel von Finanzprodukten mehr verdienen kann als mit der Anlage der Finanzen in der Realwirtschaft, womit Arbeitsplätze entstehen, industrielle Innovationen gefördert werden können und außerdem - was wir regionalpolitisch ja immer fordern - Kapital in die notleidenden Regionen gegeben wird.

Dann habe ich eine Einnahmequelle. Diese wird aber nicht zur Absenkung der Umsatzsteuer genutzt, wie Sie es vorschlagen, sondern sie steht zur Verfügung, um neue Aufgaben zur Überwindung der Krise zu erledigen.

Fasst man dies zusammen, meine Damen und Herren, bin ich mir ziemlich sicher, dass der Antrag der Linken in der vorliegenden Form überhaupt nicht ernst gemeint ist. Was er aber erreicht hat, ist, dass sich alle, die sich zur Absenkung der Umsatzsteuer schon einmal geäußert haben, irgendwann auch einmal zu zwei Begriffen verhalten müssen, die ich für zentral halte. Zum einen geht es um die Steuerharmonisierung auf europäischer Ebene. Wenn wir diese Harmonisierung nämlich nicht hinkriegen, dann macht es, Herr Schönecke, überhaupt keinen Sinn, Beispiele aus dem Grenzland heranzuziehen und einen Wettlauf um die Steuerabsenkung nach unten zu organisieren. Dann wäre die sauberste Lösung über alle 27 EU-Staaten hinweg die, überhaupt keine Steuern zu erheben. Das wäre doch eine ideale Sache; dann gäbe es auch keine Probleme mehr hinsichtlich der Vergleiche. Das wollen aber auch Sie nicht, wenn ich es richtig sehe.

Zum anderen ist Steuerharmonisierung aber nicht das alleinige Thema, weil die Systeme insgesamt immer noch zu komplex sind. Allein wir in Deutschland haben das Problem, dass die Sozialabgaben von einigen den Steuerabgaben zugeschlagen werden. Das ist völlig falsch. Wer keine Sozialge

setzgebung, keine sozialen Sicherungssysteme hat, der hat auch keine Probleme bei der Darstellung der kumulierten Wirkung von Steuern und Sozialabgaben gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern. Das ist eines unserer großen Probleme. Einen Teil dessen, was andere über Steuern finanzieren, finanzieren wir über Umlagesysteme im sozialpolitischen Bereich. Auch das macht die Sache komplizierter.

Damit will ich zum Ausdruck bringen, dass es vielleicht ganz sinnvoll wäre, sich im Zusammenhang mit der Umsatzsteuer, den Erträgen und der Gegenfinanzierung aus der Umsatzsteuer auch einmal mit der Steuerhinterziehung zu befassen.

(Beifall bei der SPD)

Darüber redet in diesem Zusammenhang überhaupt niemand mehr, und die läppischen 7 Milliarden Euro, die Sie hier angesprochen haben, werden von den Beträgen, die wir aus dem Bereich der Umsatzsteuerhinterziehung kennen, bei Weitem übertroffen. In diesem Bereich stehen 20 Milliarden Euro im Raum. Wenn wir uns darauf verständigen könnten, gemeinsam mit all den anderen europäischen Staaten um uns herum die Steuerhinterziehung in diesem Bereich einzudämmen, dann wäre das eine Aufgabe, auf die wir uns eher einigen könnten als auf Ihren Antrag, der auf der einen Seite ungerechtfertigte Steuersenkungen und auf der anderen Seite eine Gegenfinanzierung im Auge hat, die nur schwer und schon gar nicht kurzfristig zu realisieren ist. Im Ausschuss werden wir darüber noch ausführlicher diskutieren.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Wir kommen zur Ausschussüberweisung.

Der Ältestenrat empfiehlt Ihnen, den Ausschuss für Haushalt und Finanzen mit diesem Antrag zu beschäftigen. Wer so beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Das ist so beschlossen.

Meine Damen und Herren, ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 31 auf:

Erste Beratung: Weiterentwicklung der Pflegeausbildung - Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP - Drs. 16/1399