Protokoll der Sitzung vom 23.09.2009

und zwar bei allen Kindern in allen Schulen jeden Tag aufs Neue, überall im Land, von der Küste bis zum Harz. Nicht allein auf die Spitze, sondern auf die Breite kommt es nämlich an.

(Beifall bei der SPD)

Bleibt aber alles, wie es ist - das scheint ja nach den Aussagen von Herrn Klare so zu sein -, dann ist die IdeenExpo nichts weiter als ein Strohfeuer, das alle zwei Jahre in der Finsternis der niedersächsischen Bildungslandschaft kurz aufleuchtet. Ihnen mag das genügen, uns nicht. Zukunft gestaltet man anders!

(Lebhafter Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Ich erteile der Kollegin Dr. Heinen-Kljajić das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die IdeenExpo war, gemessen an den Teilnehmerzahlen, zweifelsohne ein Erfolg. Die Verve, mit der Sie, Herr Ministerpräsident Wulff, die IdeenExpo, keine Öffentlichkeit scheuend, beworben haben und dort täglich anwesend waren, war beeindruckend, vor allem deshalb, weil Sie sich ansonsten eher in vornehmer Zurückhaltung üben, sobald niedersächsische Bildungspolitik in die Schlagzeilen der Landespresse gerät.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN - Wider- spruch von Björn Thümler [CDU])

In der laufenden Pannenserie der Bildungspolitik soll diese Aktuelle Stunde, weil sie ja auch unter einen so euphorischen Titel gestellt ist - „Riesenerfolg für das Zukunftsland Niedersachsen!“ -, vermutlich einfach nur die Moral in der Truppe heben, um zumindest für einen kurzen Augenblick aus dem Tal der Tränen auftauchen zu können.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Aber auch in Sachen Bekämpfung des Fachkräftemangels, meine sehr geehrten Damen und Herren von CDU und FDP, sieht Ihre Bilanz düster aus. Darüber kann auch ein kurz aufflackernder Glanz eines einwöchigen Technikshow-Events nicht hinwegtäuschen.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Ich glaube, Sie waren nicht da!)

Ich will nur einige Beispiele nennen.

Bei der Studienanfängerquote liegt Niedersachsen seit Jahren weit abgeschlagen auf Platz 12. Wir erreichen gerade einmal 26,9 %. Angestrebt sind auch ausweislich der Verlautbarungen dieser Landesregierung 40 %.

Während sich andere Bundesländer dieser Marge Schritt um Schritt nähern, kommt Niedersachsen hier nicht vom Fleck. Trotz Hochschulpakt steigt die Quote der Studienanfänger immer noch langsamer als die Quote der Hochschulzugangsberechtigten.

Das heißt, bei der Steigerung der Studienanfängerquote liegen wir im Bundesvergleich sogar noch zwei Plätze schlechter, nämlich auf Platz 14. Nach dem radikalen Abbau von Studienplätzen, den Sie,

werte Kollegen von CDU und FDP, seinerzeit nach Regierungsantritt durchgeführt haben, haben wir heute trotz zwei Runden Hochschulpakt immer noch 10 % weniger Studienplätze als bei Ihrem Regierungsantritt.

Hinzu kommt, dass Niedersachsen - die jüngsten Zahlen haben es einmal wieder belegt - immer noch den höchsten Exportsaldo hat. 28 000 in Niedersachsen benötigte Fachkräfte verlieren wir pro Jahrgang an andere Bundesländer. So, lieber Herr Klare, sieht Ihre Bilanz in Sachen Fachkräftemangel aus!

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Karl-Heinz Klare [CDU]: Das hat man Ihnen schon 20-mal erklärt! - Björn Thümler [CDU]: Das haben Sie bis heute nicht verstanden!)

Die Abbrecherquoten in den technischen und naturwissenschaftlichen Fächern sind immens. Umfragen - zugegebenermaßen bundesweit - ergeben hier Zahlen von zum Teil über 30 %.

Die jüngste Studie des Hochschulinformationssystems belegt auch die Ursachen. Sie ist spannend und wert, dass man sie sich einmal anschaut. Da sind Maschinenbauingenieure befragt worden. Dabei ist herausgekommen: Zwei Drittel der Studienbewerber scheitern aufgrund mangelnder Studienbedingungen an den Anforderungen des Studiums. Das heißt, hier ist eine bessere Betreuung der Studierenden gefragt.

Ein Fünftel der Studierenden sagt, sie haben das Studium abgebrochen, weil sie es schlicht nicht finanzieren konnten. Werte Kollegen, Ihre Studiengebühren konterkarieren an dieser Stelle jede noch so ambitionierte Anwerbeaktion!

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Die Frage, ob es angesichts dieser verheerenden Ergebnisse sinnvoll ist, 2,5 Millionen Euro ausgerechnet in eine prestigeträchtige Werbeveranstaltung für technische Berufe zu stecken, muss schon einmal erlaubt sein.

Ebenso muss die Frage erlaubt sein, wie viel Sinn es eigentlich macht, Schülerinnen und Schülern alle zwei Jahre einen Tag lang klarzumachen, dass Technik Spaß machen kann, wenn in der Schule der naturwissenschaftliche Unterricht zum großen Teil ausfällt, also nicht stattfindet.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Meine Damen und Herren, die genannten Punkte machen es, so glaube ich, deutlich: Der Erfolg der IdeenExpo ist gemessen an dem wahrhaft riesigen Handlungsbedarf in Sachen Fachkräftemangel bescheiden. Deshalb: Widmen Sie endlich den Hochschulen und den Schulen das Engagement, das Sie der IdeenExpo haben zuteil werden lassen. Mit einem einmaligen Show-Event jedenfalls ist es nicht getan!

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Ich erteile der Kollegin Flauger von der Fraktion DIE LINKE das Wort.

(Bernhard Busemann [CDU]: Nun lo- ben Sie wenigstens mal ehrlich!)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich lobe, wie gerade gewünscht: IdeenExpo 2009, 5. bis 13. September. Ziel war, Schülerinnen und Schüler aus Niedersachsen und angrenzenden Ländern für Naturwissenschaft und Technik zu begeistern. Das Interesse an Technik sollte wachsen, damit sich mehr junge Menschen für solche Berufe entscheiden. Die Veranstalter hatten erwartet, dass 200 000 Besucherinnen und Besucher kommen. Es sind 283 000 geworden. Das sind deutlich mehr als 2007, als es immerhin auch schon 162 000 waren. Mehr als 350 Exponate, mehr als 100 Workshops - das sind stolze Zahlen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Björn Thümler [CDU]: Sehr gut!)

Es hat hinterher schöne Zeitungsartikel gegeben. Alle Erwartungen sind übertroffen worden, lautete die Überschrift. Aus VW-Kreisen verlautet: Wir alle sind sehr zufrieden. Allein VW hat 50 Exponate ausgestellt. 430 VW-Mitarbeiter haben mitgemacht, die IdeenExpo zu organisieren. - Tolle Meldungen über die Erfolgsstory IdeenExpo.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Freuen Sie sich doch mal!)

Ich bin über das Gelände gegangen und hatte einen sehr guten Eindruck. Die Tochter meines Nachbarn kam begeistert zu mir: Tina, ich war auf der IdeenExpo.

(Clemens Große Macke [CDU]: Ha- ben Sie es wieder miesmachen kön- nen?)

Ich fragte: Wie war es denn? Wie hat es dir denn gefallen? War es denn schön? - Sie hat mir begeistert von den Experimenten, die sie da mitgemacht hat, berichtet. Wunderbar! Sie hat sich gefreut. Sie hat aber bedauert, dass sie mit der Schulklasse nur drei Stunden und nicht zwei Tage dableiben konnte. Sie sagte, so lange hätte sie sich dort gerne aufhalten können. Das Mädchen ist zehn Jahre alt und war von dieser Veranstaltung begeistert.

(Beifall bei der CDU - David McAllister [CDU]: Ein tolles Lob für den Minister- präsidenten!)

Ich lobe - Sie haben es sich gewünscht -; das war unbestreitbar eine gelungene Veranstaltung.

(Zurufe von der CDU: Aber!)

Das wird auch von vielen Menschen so wahrgenommen. Sie ziehen den Schluss: Diese Landesregierung tut etwas, um Potenzial der jungen Menschen zu entfalten, sie kümmert sich um diese Frage. Ohne Zweifel war es Ziel dieser Veranstaltung, genau diesen Eindruck zu erzeugen.

(Clemens Große Macke [CDU]: Ma- chen Sie jetzt einfach mal Schluss!)

Aber was sehen wir beim Blick hinter diese glitzernde, schillernde Show-Kulisse? Was tut diese Landesregierung wirklich für junge Leute, die einen naturwissenschaftlichen oder technischen Beruf ergreifen wollen?

(Bernhard Busemann [CDU]: Jetzt müssen Sie dialektisch aber die Kurve kriegen!)

- Ja, ich muss da schon ein bisschen Wasser in den Wein gießen, den Sie vorher gerne getrunken hätten. Den Wein nämlich gibt es nicht.

Machen neun Tage IdeenExpo wirklich schon mehr Chemikerinnen? Es lohnt sich wie so oft, einmal ein bisschen genauer hinzusehen. Heute steht in der Hannoverschen Allgemeinen, nicht unbedingt linkspropagandaverdächtigt, auf Seite 2: „Keine Lust auf Studium“. Während sich von 2003 auf 2008 20 % mehr junge Menschen mit Abitur oder Fachhochschulreife die Zugangsberechtigung zu Hochschulen erworben haben, stieg die Zahl der Studienanfänger nur um 2,4 %. Als Gründe dafür werden unsichere Berufsperspektiven, Unklarheiten über die Studienfinanzierung und Angst vor Schulden und Studiengebühren genannt. Vor allem Abiturienten aus ärmeren und bildungsfernen Elternhäusern verzichten weitaus häufiger als

Gleichaltrige auf ein Studium als solche aus Akademikerfamilien.

(Dr. Manfred Sohn [LINKE]: Hört, hört!)

Das ist ein klarer Beleg dafür, dass Ihre Studiengebühren insbesondere Kinder aus ärmeren Elternhäusern vom Studium abhalten.

(Beifall bei der LINKEN)

Diese Hinderungsgründe räumen Sie auch nicht mit einer IdeenExpo aus dem Weg.

Was die Hochschullaufbahn angeht, so wissen Sie genau, dass man mit einem Chemie-Bachelor am Arbeitsmarkt ein Nichts ist. Ihre Noten- und Quotenregelungen für den Zugang zum Masterstudium sind eine weitere Hürde auf dem Weg zu einem qualifizierenden Hochschulabschluss.