Der zweite Schwerpunkt der Koalitionsvereinbarung ist unter dem Punkt „Privatisierung der Risiken und Ausstieg aus der Solidargemeinschaft“ zusammenzufassen. Es soll umverteilt werden. Das haben wir alle zur Kenntnis genommen, meine Damen und Herren. Insbesondere in der Arbeitsgruppe, die die Koalitionsvereinbarung vorbereitet hat, in der Niedersachsen-Gang, wenn man so will, in der Frau von der Leyen und Herr Rösler unterwegs waren, ist das in besonders prägnanter Weise entwickelt worden. Begünstigt sind die Ärzte und Zahnärzte. Begünstigt ist die Pharmaindustrie; denn die Kosten-Nutzen-Prüfung bei neuen Medikamenten wird ausgehöhlt. Begünstigt wird die private Versicherungsbranche; denn die Pflichtversicherung bei der Pflege kommt ja. Da reiben sich schon einige kräftig die Hände. Begünstigt wird die Industrie; denn die Deckelung der Versicherungsbeiträge kommt bei denen gut an. Die Verlierer der Veranstaltung sind die Versicherten in Deutschland, und zwar durch die Bank, meine Damen und Herren.
Ob es nun „Kopfprämie“ genannt wird oder nicht - das Modell ist so ausgestaltet, dass der Beitrag für die einkommensunabhängige Versicherungsleistung in Zukunft so erbracht werden soll, dass die paritätische Finanzierung auf der Strecke bleibt. Das ist nicht nur ein zentraler Angriff auf die Versicherten, meine Damen und Herren. Das ist auch ein zentraler Angriff auf die Gewährleistung der Krankenversorgung in Niedersachsen. Fragen Sie einmal bei der AOK, welche Nachteile gerade in Niedersachsen durch diese Art der Ausgestaltung der Krankenversorgung in Zukunft entstehen! Wenn Sie das hören, dann gehen Ihnen die Augen auf, meine Damen und Herren.
Das Hauptziel dieser Koalitionsvereinbarung ist das FDP-Motto „Steuersenkung“. Alleinstellungsmerkmal: „Mehr Netto vom Brutto.“ Meine Damen und Herren, an zwei Beispielen sollten wir gucken, was das im Einzelnen heißt. Das eine - Herr Wulff hat ja auch auf Kinder- und Familienfreundlichkeit hingewiesen - ist, dass Sie zum 1. Januar des nächsten Jahres einen Vorstoß unternehmen, das Kindergeld zu erhöhen und die Freibeträge zu verändern. Das Problem dahinter - das sollten wir allen einmal deutlich sagen - ist, dass die, die wenig Geld haben, etwas mehr Kindergeld bekommen, und die, die gut verdienen, doppelt und dreifach von dieser Regelung profitieren.
Bei uns gilt der Satz: Jedes Kind ist uns gleich viel wert. Bei Ihnen gilt der Satz: Wer mehr verdient, bekommt auch mehr für sein Kind. - Das muss in dieser Gesellschaft auch einmal geändert werden!
Hinzu kommt die Einführung des Betreuungsgeldes, was auch Frau von der Leyen, wie ich finde, aus guten Gründen für politischen Schwachsinn hält.
So deutlich hat sie es, glaube ich, gesagt. Diese Maßnahme bedeutet in der Konsequenz, dass immer mehr Gelder individualisiert werden und die Finanzierung der öffentlichen Infrastruktur systematisch zurückgefahren wird. Was meinen Sie, was allein diese Regelung in den nächsten Jahren
Das Zweite ist dieser begnadete Stufentarif, den die FDP seit Jahren vor sich her trägt. 50 % der Deutschen zahlen keine Steuern: die einen, weil sie noch nicht arbeiten, die anderen, weil sie so wenig verdienen, dass sie nicht veranschlagt werden. Diese 50 % haben von Ihrem Stufentarif erst einmal gar nichts; das sollten wir schon einmal deutlich sagen. Aber richtig Freude an Ihrem Stufentarif haben diejenigen, die bisher im Spitzensteuersatz waren, der ja nach Ihren Planungen auf 35 % gesenkt werden soll. Was heißt das? Hier werden öffentliche Mindereinnahmen bewusst in Kauf genommen, die die Spreizung bei Einkommen in Deutschland noch einmal dramatisch verschärfen. Das ist ein Angriff auf die Sozialstaatlichkeit in Deutschland, den Sie hier über das Steuerrecht organisieren.
Deshalb sage ich: 24 Milliarden Euro Steuerentlastung sind finanzpolitischer Blindflug. Damit hat Herr Wulff bei seinem spontanen, wenngleich doch publizistisch gut vorbereiteten Wutausbruch in Berlin absolut recht gehabt. Herr Wulff, heute haben Sie allerdings vergessen, hier vorzutragen, dass Sie diese Einwände haben.
Aber ich will auch auf Folgendes hinweisen: Der gleiche Christian Wulff hat Anfang dieses Monats - - -
denn Frau Merkel - ich nehme sie einmal als Zeugin - hat in der letzten Woche auch gesagt, es gebe zwei Wulffs: der eine ihr Stellvertreter und der andere dahinten aus diesem Flächenland.
Ich sage Ihnen nur, Herr Wulff: Wer Anfang Oktober noch eine große Steuerreform mit drastischen Steuersenkungen fordert, der kann sich solche Sachen nur begrenzt erlauben. Wer im Übrigen heute auch noch diesen Landtag veranlasst, einen verfassungswidrigen Haushalt zu beschließen, der
Meine Damen und Herren, man kann nicht in Berlin den Biedermann geben und hier als Brandstifter unterwegs sein. Diese Nummer geht auf Dauer nicht, weil es auch bemerkt wird.
Nun komme ich zu der Frage, wer diese 24 Milliarden Euro bezahlt. Darum geht es doch in diesen Tagen. Natürlich die Versicherten - ich habe darauf hingewiesen -, die Beschäftigten und im Übrigen die Enkel in Deutschland; denn im Jahr 2010 dürfte die Neuverschuldung auf Bundesebene zwischen 90 und 100 Milliarden Euro liegen. Das ist nicht wenig; außerdem geht es über das hinaus, was Frau Merkel und Herr Steinbrück vor wenigen Wochen als gemeinsamen Haushaltsentwurf eingebracht haben.
Aber uns interessieren noch zwei andere Dinge. Was heißt dies eigentlich für die Länder? Herr Wenzel hat schon darauf hingewiesen, dass hier etwas auf uns zukommt. In der letzten Woche habe ich prognostiziert, dass es in den Spitzenzeiten 1,5 Milliarden Euro im Jahr sein dürften. Daraufhin hat Herr Wulff erklärt, das sei dummes Zeug, das sei alles Unsinn. - Herr Wulff, wenn Sie wissen, dass das Unsinn ist, warum legen Sie dann die Zahlen nicht auf den Tisch? Dann könnten wir einmal abgleichen, wie es tatsächlich aussieht.
(Beifall bei der SPD sowie Zustim- mung von Stefan Wenzel [GRÜNE] und von Kreszentia Flauger [LINKE])
Ich glaube, dass die Zahlen im Jahre 2010 zwischen 300 und 400 Millionen Euro liegen werden und sie ab 2011 mit 1,4 bis 1,5 Milliarden Euro richtig berechnet sind. Das ist der normale Schlüssel bei 24 Milliarden Euro Mindereinnahmen. Dies weiß jeder, der hier im Haushaltsausschuss sitzt; da brauchen wir uns gar nichts vorzumachen.
Dann müssen Sie uns sagen, wie Sie das einarbeiten, Herr Möllring. Eine massive Neuverschuldung ist ja ausgeschlossen, abgesehen von den 2,3 Milliarden Euro, die wir schon haben. Ein Verkauf von Landesvermögen ist hier im Mai von der Regierung ausgeschlossen worden; er brächte auch nur einmal etwas. Dann bleibt die Streichung bei Sozialem, Bildung, Infrastruktur. Der Termin für die Klausur im Januar steht. Meine Damen und Herren im Kabinett, ziehen Sie sich schon einmal warm an angesichts dessen, was Herr Wulff und Herr Möll
ring Ihnen aus der Tasche ziehen werden - mit weitreichenden Konsequenzen für die niedersächsische Bevölkerung.
Deshalb kann ich Ihnen nur raten: Lehnen Sie diese Vorstöße im Bundesrat ab, wie es die anderen Landesregierungen tun, die ja inzwischen auch hellhörig geworden sind. Gucken Sie einmal in die Zeitungen von gestern und heute. Sie rechnen das gerade durch, egal, ob SPD- oder CDU-geführt, und merken, dass es ihren Haushalten den letzten Rest gibt.
Dies geht weiter bis zu den niedersächsischen Kommunen. Schon heute wissen wir, dass es im nächsten Jahr fast überall keine ausgeglichenen Haushalte mehr geben wird; das ist die Einschätzung von allen. Wir wissen heute auch schon, dass es eine dramatische Zunahme der Unterhaltskosten nach SGB II geben wird. Darüber werden wir in dieser Woche hier noch diskutieren. Wie Herr Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, gestern erklärt hat, rechnet er mit 3,6 Milliarden Euro an zusätzlichen Belastungen für die Kommunen. Er hat gesagt: Diese Pläne nehmen uns die Luft zum Atmen. - Recht hat Herr Landsberg; da ist keine Luft mehr für kommunale Selbstverwaltung.
Die niedersächsischen Kommunen können diese Koalitionsvereinbarung nicht verarbeiten. Sie als Landesregierung haben es in der Hand, dies zu verhindern, weil es im Bundesrat Zustimmung finden muss. Es darf im Bundesrat keine Zustimmung finden, meine Damen und Herren; wir können es uns nicht leisten.
Beim Thema Kommunen kommen noch zwei Dinge hinzu: Die Gewerbesteuer wird wieder auf den Prüfstand gestellt. Ich sage Ihnen: Hände weg von der Gewerbesteuer! Diese Debatte hatten wir; das ist durchgeprüft. Den Kommunen die Gewerbesteuer zu nehmen, heißt, ihnen ihre Ansprüche aus der Verfassung zu zerschlagen. Alles andere ist schwer vorstellbar, und die Kommunen sehen das genauso. Die Art und Weise, wie Sie mit veränderten Mehrwertsteuersätzen die Wettbewerbsbedingungen der kommunalen Unternehmen verschlechtern wollen, trifft auch auf große Vorbehalte und auf den entschiedenen Widerstand aller niedersächsischen Kommunen. Dies hat in der letzten
Woche die Debatte im Städtetag schon einmal in aller Deutlichkeit gezeigt. Ziehen Sie sich an dieser Stelle warm an!
Meine Damen und Herren, die Parteitage am Wochenende waren spannend. Die FDP war schier aus dem Häuschen, und ihr Vorsitzender war vor Nassforschheit und Aufgeblasenheit kaum noch auf dem Boden zu halten. Die CDU war besorgter, bei ihr war die Stimmung gedämpfter. Ich glaube, sie fühlt sich über den Tisch gezogen.
Aber sie sollte mehr Vertrauen in ihre Kanzlerin haben. Wie sie es mit dem Personalpaket gemacht hat, das war klasse: Oettinger internationalisieren, Schäuble als Bollwerk einsetzen, das Küchenkabinett ordentlich drapieren, die Überfliegerin von der Leyen neutralisieren und die Shootingstars Rösler und Guttenberg in Ressorts schicken, in denen sie sich blaue Äuglein holen. Das war, wie ich finde, elegant gemacht; davor habe ich wirklich Respekt.
Frau Merkel hat auch noch einen guten inhaltlichen Satz untergebracht, nämlich einen Finanzierungsvorbehalt in der Koalitionsvereinbarung. Er ist eine Chance für uns alle: für Kommunalpolitiker und Landespolitiker ebenso wie für Mitglieder in den kommunalen Spitzenverbänden und den Landesregierungen. Wir sollten dafür sorgen, dass von diesem Finanzierungsvorbehalt in den nächsten vier Jahren massiv Gebrauch gemacht wird. Denn das wird unsere Arbeitsbedingungen retten. Dafür sollten wir kämpfen. Das wäre ein Beitrag.
Bei Ihnen gibt es so manchen, der die Republik umbauen will, und zwar so, dass wir sie nicht wiedererkennen. Aber ich sage Ihnen: In dieser Republik gibt es ganz viele, die das überhaupt nicht wollen.
Hier gibt es gesellschaftliche Mehrheiten für Lernfreiheit, Atomausstieg, Mindestlohn und sozialen Ausgleich. Ich verspreche Ihnen: Ihre Pläne werden in der Politik und in der Gesellschaft zu massiver Gegenwehr führen. Es wird heftige Auseinandersetzungen darüber geben. Stellen Sie sich darauf ein. Selbstgefälligkeit können Sie sich sparen. Das, was Sie sich vorgenommen haben, wird in