Protokoll der Sitzung vom 07.05.2008

Damals war Papier noch kein wertvoller Rohstoff, sondern nur Abfall. Vielfach wurde das Papier noch in der Restmülltonne entsorgt. Erst zaghaft begannen Vereine und Verbände, das Papier zu sammeln, um es dann zu verkaufen und damit ihre Vereinskasse aufzubessern. An den Einkaufszentren standen damals große Sammelcontainer, in denen die Bürgerinnen und Bürger vor dem nächsten Einkauf Papier, Pappe und Glas loswerden

konnten. Wenn man Glück hatte, waren die Papierbündel bei der Fahrt zum Container ordentlich zusammen geblieben; wenn man Pech hatte, dann hatte sich das Altpapier im gesamten Kofferraum verteilt, musste mühsam zusammengeklaubt und in den Container gewuchtet werden. Wohl dem, der damals in einer Gemeinde wohnte, in der Mitglieder eines Vereins regelmäßig an der Haustür vorbeikamen und das Papier zum Nutzen der Vereinskasse sammelten.

Bürgerinnen und Bürger konnten damals froh sein, wenn sie ihr Altpapier entsorgen konnten, und für viele Abfallwirtschaftsbetriebe der Kommunen war die Entsorgung des Altpapiers ein Zuschussgeschäft. Die Kosten für das Einsammeln des Papiers überstiegen damals deutlich die damit zu erzielenden Erlöse, und die Gebührenkalkulation der Kommunen war in hohem Maße von der Preisentwicklung beim Altpapier abhängig. Diejenigen von Ihnen, meine Damen und Herren hier im Landtag, die auch ein kommunales Mandat haben, werden sich an diese Zeiten noch erinnern.

Seit den Zeiten von „Truck Stop“ hat sich die Welt aber deutlich verändert. Nicht nur in der Musik, auch in der Entsorgungsbranche gebraucht man heute andere Töne. Der Preis für die Tonne Altpapier liegt heute bei knapp 100 Euro, und auf einmal rechnet sich das Einsammeln des Papiers auch für die privaten Entsorger, die diesen Rohstoff bislang wenig beachtet haben. In vielen Städten, Gemeinden und Landkreisen ist ein Kampf um den Rohstoff Altpapier entbrannt, der auch in den Medien seinen Niederschlag gefunden hat. „Häuserkampf“, „Kampf um jede Tonne“ oder „Die faire Tonne ist die richtige“ lauten die Überschriften in den Schlagzeilen. Die einfachen Schlagzeilen teilen die Welt in Gut und Böse.

Je nach Betrachtungswinkel fühlen sich kommunale und private Entsorger bei ihrem Tun im Recht. Die einen verweisen auf den gebührendämpfenden Effekt der Altpapiersammlung, die anderen auf die freie Marktwirtschaft und das Recht, gewerbliche Sammlungen durchzuführen. Ich halte es aber für sinnvoll, dass wir uns nicht dazu verleiten lassen, den einfachen Botschaften hinterherzulaufen, sondern dass wir uns die Zeit nehmen, die Situation differenziert zu betrachten.

Blaue Tonnen - dies klang vorhin schon an - werden zurzeit in den Kommunen aufgestellt, wo die Altpapierentsorgung bislang über die Sammlung von Vereinen und Verbänden oder zentrale Container vorgenommen wurde. Wenn jetzt private

Anbieter den Bürgerinnen und Bürgern entgegenkommen und ihnen eine blaue Tonne vor die Tür stellen, dann ist das Kundenservice, der zu begrüßen ist. Öffentliche Entsorger, die sich darüber beklagen, dass dies passiert, müssen sich ernsthafterweise fragen lassen, ob nicht auch sie diesen Weg schon längst hätten gehen können.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es gibt Landkreise in Niedersachsen, in denen die öffentlichen Papiertonnen schon seit vielen Jahren auf dem Grundstück des Bürgers stehen. Andere öffentliche Entsorger hätten also Zeit und Gelegenheit gehabt, sich diese Landkreise zum Vorbild zu nehmen.

Weniger begrüßenswert ist allerdings, wenn der Bürger von mehreren privaten Entsorgern - und dies auch noch ungefragt - eine Papiertonne vor die Tür gestellt bekommt. Hier müssen wir die Frage stellen, ob das nicht in der Tat mit Zuständen wie im Wilden Westen zu tun hat, wo die Goldgräber ihre Claims abgesteckt und auch vor Handgreiflichkeiten nicht zurückgeschreckt haben. Bei den Tonnen scheint es in einigen Landkreisen ähnlich zu geschehen. Dort landet die Papiertonne des Konkurrenten schon einmal im Graben. Auch bei den Tonnen scheint das Faustrecht zu gelten. Das, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist nicht in Ordnung und hat mit wirtschaftlicher Betätigung nichts zu tun.

(Zustimmung von Klaus Rickert [FDP])

Ich persönlich stelle mir zudem die Frage, was der Bürger davon hat, wenn drei Papiertonnen auf seinem Grundstück stehen, drei Müllfahrzeuge von drei verschiedenen privaten Entsorgern durch die Siedlungen fahren und dabei dreimal Diesel verbrauchen, obwohl das Altpapier des Bürgers nur einmal eingesammelt werden kann. Mit einem aktiven Beitrag zum Klimaschutz, meine sehr geehrten Damen und Herren, hat das auf jeden Fall nichts zu tun.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Aber jenseits der Frage, wie viel Papiertonnen ein Grundstück verträgt, hat der Kampf um den Rohstoff Altpapier eine andere Dimension. Das Altpapier gehört ja im Prinzip dem Bürger. Wenn er es der örtlichen Kolpingsfamilie oder dem Sportverein gibt, dann unterstützt er damit den Verein vor Ort und sorgt damit dafür, dass die durch den Rohstoff zu erzielende Wertschöpfung im Ort bleibt. Ähnlich ist das beim Einwurf des Altpapiers in die Papier

tonne oder in den zentralen Container des öffentlichen Entsorgers. Auch dieser kann damit Erlöse erzielen, die in der momentanen Situation mithelfen, das Gebührenniveau der Müllabfuhr insgesamt niedrig zu halten. Solange die Entsorgung des Restmülls und die anderen kommunalen Entsorgungsangebote für den kommunalen Entsorger noch mit Kosten verbunden sind, helfen die Erlöse aus dem Verkauf des Altpapiers mit, diese Kosten niedrig zu halten. Meine sehr geehrten Damen und Herren, das dient dem Bürger, der ja bei aller Politik, die wir machen, im Mittelpunkt steht.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die Erlöse eines privaten Entsorgers, meine sehr geehrten Damen und Herren, haben in der Regel aber keinen regionalen Effekt, sofern dieser nicht aus der Heimatregion des Bürgers kommt. In vielen Landkreisen gibt es übrigens sehr sinnvolle Kooperationen zwischen öffentlichen Entsorgern und privaten Abfallbetrieben. Der private Entsorger sammelt das Papier im Auftrag der Kommune ein, und der öffentliche Entsorger erzielt damit für die Bürgerinnen und Bürger Vorteile aus dem Verkauf des Rohstoffs. Dagegen, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist überhaupt nichts einzuwenden.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Reinhold Coenen [CDU]: So ist es!)

Damit Sie mich hier heute nicht falsch verstehen: Wir sind nicht gegen Wettbewerb; denn das ist ein zentraler Bestandteil der sozialen Marktwirtschaft. Unsere Kritik richtet sich aber ganz deutlich gegen die Auswüchse beim Aufstellen neuer Tonnen und gegen die Mentalität, die damit verbunden zu sein scheint.

(Beifall bei der CDU - Reinhold Coe- nen [CDU]: Das ist richtig!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir meinen, es kann nicht richtig sein, dass Verluste immer nur sozialisiert und Gewinne privatisiert werden.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN - Heiner Bartling [SPD]: Bravo! - Kreszentia Flauger [LINKE]: Was ist das denn jetzt?)

Gerade der Bereich der Müllentsorgung, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist ein sehr sensibler Bereich der Daseinsvorsorge des Staates. Es wird nicht hinnehmbar sein, wenn sich private Unternehmen lukrative Teile aus dem Ge

samtpaket der Müllabfuhr herauspicken und der Staat - in diesem Fall die kommunalen Entsorgungsbetriebe - für die unlukrativen Abfallstoffe und die unlukrativen Regionen zuständig ist.

(Karl-Heinrich Langspecht [CDU]: Das ist der Punkt!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluss noch auf das Abfallgesetz eingehen, das wir heute unter diesem Tagesordnungspunkt mitbehandeln. Die dort vorgesehenen Änderungen sind völlig unspektakulär. Das haben die Beratungen im Ausschuss für Umwelt und Klimaschutz gezeigt. Dort haben alle Fraktionen mit Ausnahme der Linken zugestimmt. Ich freue mich darüber, dass wir den Entwurf des Gesetzes so geschlossen und zügig beraten haben und dass das Gesetz deshalb so zeitnah in Kraft treten kann. Das dient auch den Unternehmen, die in diesem Bereich tätig sind. Wir leisten damit einen kleinen Beitrag zum Bürokratieabbau.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die CDUFraktion wird diesem Gesetzentwurf deshalb heute im Plenum zustimmen.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herzlichen Dank. - Für die Fraktion DIE LINKE hat Herr Kollege Herzog das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kollege Bäumer, das ist gar nicht einfach: Was soll ein Sozialist nach einer solchen Rede noch sagen, was darüber hinausgeht?

(Beifall bei der LINKEN)

Das Interessante ist - ich bin dankbar dafür, dass wir diese beiden Themen zusammen behandeln -, dass wir in einem Bereich sozusagen die Deregulierung haben und in dem anderen Bereich offensichtlich gemeinsam die Regulierung fordern.

Wenn man sich das einmal ein bisschen eingehender anguckt, dann sieht man, dass bei dem Entwurf der Landesregierung zum Abfallgesetz beispielsweise ursprünglich durchaus vorgesehen war, eine verbindliche Verordnung mit dem Ziel von Transparenz und Vergleichbarkeit bei der Gebührenentwicklung und dem Zugrundeliegenden zu entwickeln. Die Landesregierung hat den Entwurf vorgelegt. Dann gab es die Verbandsbeteili

gung, die ja durchaus ein uneinheitliches Bild abgab; daran darf ich einmal erinnern. Da gab es interessante Phänomene. Dass der DGB letztendlich unserer Meinung näher kam, war klar. Dass aber auch die IHK Lüneburg-Wolfsburg dafür war, eine Verordnung einzuführen, fand ich erstaunlich. Erst recht erstaunlich fand ich, dass die privaten Entsorger gesagt haben: Wir sehen das ganz locker, im Gegenteil: Wir fordern Transparenz. - Das fand ich klasse.

Die Unternehmerverbände Niedersachsen allerdings wollten sich gegen Transparenz der Kosten wehren. Das ist interessant. Insofern sieht man schon: Die Interessenslage ist durchaus geteilt.

Der ausgehandelte Kompromiss ist aus unserer Sicht aber unzureichend. Es fehlt ihm an Differenzierung. Deswegen ist die Transparenz eben nur sehr mangelhaft, besonders in dem Punkt „Behandlung der Abfälle“.

Auch der Ausschluss von Quersubventionen ist aus unserer Sicht nicht überall so transparent zu sehen und auszuschließen, wie wir es für sinnvoll halten.

Aus meiner Sicht fehlen darüber hinaus Angaben über Kapitaldienste und Abschreibungen; denn dies ist für die Bürgerinnen und Bürger absolut wichtig. Diese Angaben sind nämlich erheblicher Bestandteil der Gebühren.

Überhaupt nicht nachvollziehbar ist aus unserer Sicht, warum jetzt die Genehmigungspflicht lediglich in eine Anzeigepflicht für die Verbringung der Abfälle aus Niedersachsen heraus umgewandelt werden soll. Angeblich sind es nur wenige Fälle. Der Aufwand ist gering. Es hat keine Auswirkungen auf den Haushalt. Aber das Wesentliche, meine Damen und Herren, ist: Die Schwelle für diejenigen schwarzen Schafe - und die gibt es in der Müllwirtschaft; das wissen wir - wird herabgesenkt. Das ist, mit Verlaub, wirklich nicht im Sinne der Gebührenzahlerinnen und Gebührenzahler.

Wir brauchen deshalb sehr wohl Kontrollinstrumente, und zwar wirksame Kontrollinstrumente; denn der Müllsektor - das haben wir gerade beim Thema Altpapier gesehen - ist hart umkämpft. Wir haben hohe Investitionskosten. Um die wiederverwertbaren Rohstoffe wird gestritten, und nicht zuletzt gibt es eine erhebliche Grauzone.

Deutschland und Niedersachsen werden Abfallimportland werden. Darüber haben wir noch gar nicht geredet. Dieses Thema wird uns aber irgendwann einholen. Hier fehlen bisher umfassende Regelun

gen. Diese werden wir letztendlich auch im Sinne der Gebührenzahlerinnen und -zahler noch nachschieben müssen.

Nun zu den Vorgängen beim Altpapier. Es ist ja schon interessant, wenn ein Richterspruch ergeht, wobei man durchaus sagen kann: Richter haben auch nicht immer recht. Aber dieser Richterspruch ist da.

(Christian Dürr [FDP]: Also was jetzt?)

- Herr Dürr, so ist das nun einmal im Leben. Man kann es nicht anders sagen.

(Christian Dürr [FDP]: War das Rich- terschelte? Beschimpfen Sie jetzt die Richter?)

Insofern, Herr Dürr, geht der Antrag der Grünen völlig in die richtige Richtung. Wir haben gar keine andere Wahl. Ich will Ihnen einmal kurz schildern, wie das in Lüchow-Dannenberg ist. Dort hat die Kommune mit einem privaten Entsorger einen Vertrag über die Papierentsorgung geschlossen. Das ist bisher gut gelaufen. Jetzt kommt der Konkurrent und drückt ihn heraus. Er pickt sich nämlich die Altpapierrosinen heraus. Er wird die besiedlungsstärkeren Räume abräumen. Der erste Entsorger wird aufgeben, und die Kommune hat ein Problem. Es gibt nämlich auch Räume, wo kein Geld zu verdienen ist.

Fazit: Die Deregulierung oder Liberalisierung führt wie schon beim Strom zum Gegenteil des Versprochenen. Es wird nämlich teurer. Insofern bin ich über die Zwiespältigkeit beispielsweise der Grünen erstaunt, die an der einen Stelle Deregulierung und an der anderen Stelle Regulierung fordern. Interessant sind natürlich die Aussagen der CDU zu diesem Thema. Ich hoffe, dass wir wenigstens im Altpapiersektor eine gemeinsame Meinung hinkriegen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)