Protokoll der Sitzung vom 07.05.2008

Nach Herrn Klein erteile ich jetzt Herrn Adler von der Fraktion DIE LINKE das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst etwas zum Entwurf der CDU/FDP-Koalition. Der verfassungsändernde Text ist sehr kurz, deshalb kann ich ihn einfach vorlesen:

„Kinder und Jugendliche genießen den besonderen Schutz des Landes und der Kommunen.“

Das ist der gesamte Text. Mehr steht da nicht drin. Erhellend ist die Begründung. Denn dort kann man nachlesen, dass im Grunde nur das bekräftigt werden soll, was sowieso schon gilt. Dazu frage ich mich natürlich: Wozu brauchen wir eine Verfassungsänderung, wenn wir damit im Grunde nur etwas bekräftigen wollen, was schon gilt, nämlich in Artikel 3 Abs. 2 der Niedersächsischen Verfassung mit Verweisung auf Grundgesetz und dessen Artikel 6 Abs. 2? - Das ist zu wenig.

Auf der anderen Seite ist der Entwurf der SPDFraktion nach unserer Auffassung zu gespreizt. Er sprengt ein bisschen den Rahmen dessen, was man normalerweise in der Verfassung niederlegt. Deshalb haben wir folgende Formulierung vorgeschlagen:

„Jedes Kind hat ein Recht auf Achtung seiner Würde als eigenständige Persönlichkeit und auf besonderen Schutz von Staat und Gesellschaft. Dazu gehört das Recht der Kinder

und Jugendlichen auf Entwicklung und Entfaltung ihrer Persönlichkeit, auf gewaltfreie Erziehung und den Schutz vor Gewalt, Vernachlässigung und Ausbeutung.“

Das ist ein Vorschlag. Deshalb verstehe ich nicht, weshalb in der bisherigen Debatte so konfrontativ diskutiert worden ist, mit starkem Klopfen auf die Tische, als ob man etwas durchzupeitschen hätte. Wir brauchen in diesem Parlament eine Zweidrittelmehrheit, und deshalb sollte man meiner Ansicht nach konstruktiver miteinander umgehen.

(Zustimmung von Kurt Herzog [LIN- KE])

Wir haben in der Begründung unseres Gesetzentwurfs gesagt, dass wir über den Text, den wir eingebracht haben, verhandlungsbereit sind. Nachdem der Vertreter der SPD-Fraktion gesagt hat, wir hätten einen Gesichtspunkt übersehen, nehmen wir ihn eben mit auf. Wir sind durchaus gesprächsbereit. Hier sollte man im Interesse der Kinder aufeinander zugehen und nicht gerade an dieser Stelle den konfrontativen Stil pflegen. Denn bei der Zweidrittelmehrheit brauchen wir alle uns gegenseitig - mehr oder weniger.

(Zustimmung bei der LINKEN und bei der SPD)

In diesem Hause hat es durchaus schon einen solchen konstruktiven Umgang gegeben. Ich zitiere dazu aus einem älteren Gesetz, und zwar aus dem Arbeitschutzgesetz für Jugendliche vom 9. Dezember 1948. Ich lese nur die Präambel vor:

„Um die Jugend vor Ausnutzung ihrer Arbeitskraft zu schützen, ihr die zur beruflichen Weiterbildung und zur Teilnahme am kulturellen und gesellschaftlichen Leben erforderliche Freizeit zu gewährleisten sowie ihr die volle körperliche und geistige Entwicklung und die Erfüllung ihrer Pflichten gegenüber der Gesellschaft zu ermöglichen, wird das folgende Gesetz erlassen …“

Dieses Gesetz geht übrigens - jetzt werden Sie natürlich aufhorchen - auf einen Gesetzentwurf der KPD-Fraktion in der Drucksache 1/832 des Niedersächsischen Landtages zurück. Damals ist es trotz Differenzen im Detail gelungen, in dieser Frage eine gemeinsame Fassung des Arbeitsschutzgesetzes im Niedersächsischen Landtag zu be

schließen. Daran könnten wir uns ein Beispiel nehmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN - Jens Nacke [CDU]: Junge, Junge, was die alles lesen!)

Nächste Rednerin ist Frau Flauger von der Fraktion DIE LINKE. Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ceterum confiteor constitutionem - außerdem bekenne ich mich zur Verfassung.

(Dr. Bernd Althusmann [CDU]: Wie viele lateinische Sprichwörter haben Sie noch auswendig gelernt?)

Herr Busemann, Sie haben im April-Plenum gesagt:

„Ich wünsche mir - und ich sage das für die ganze Landesregierung -, dass es uns in diesem Jahr gelingen wird, gemeinsam einen Text für die Verfassungsergänzung zu formulieren.“

Es ging um das gleiche Thema wie jetzt. Es kommt ja nicht sehr oft vor, manchmal ist es aber doch so, dass wir gemeinsame Positionen mit der CDU haben. In diesem Fall ist es so. Wir teilen Ihren Wunsch, zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen.

Abgesehen davon entdecken wir heute sowieso ganz neue Gemeinsamkeiten. Vermutlich wird im nächsten Verfassungsschutzbericht auch Herr Bäumler nach dem, was er heute gesagt hat, gemeinsam mit uns stehen. Ich habe jedenfalls vorsichtshalber vorhin Herrn Schünemann informiert - er war gerade draußen - und ihm gesagt, was Herr Bäumer hier gesagt hat. Herr Schünemann hat gesagt: Das geht natürlich so nicht. - Gucken wir mal.

(Lachen bei der LINKEN und der SPD - Heinz Rolfes [CDU]: Was?)

Das hat Herr Schünemann gesagt.

Das Thema Kinderrechte in der Verfassung ist ernst. Also Spaß bei Seite. Es ist uns auch sehr wichtig. Frau Staudte, unser Vorschlag eines Kompromisses ist auch genau so und ganz ernst gemeint. Es geht uns nicht darum, dass wir uns damit

irgendwie profilieren wollen. Wenn wir gemeinsam nach einer Lösung suchen, sind solche Unterstellungen nicht hilfreich. Es geht uns hier wirklich um die Sache. Deshalb sollten wir das lassen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Die Frage, warum Kinderrechte überhaupt in die Verfassung sollen, wird immer wieder gestellt, obwohl doch dort schon die Menschenwürde verankert ist. Zum Glück sind wir alle offensichtlich schon ein kleines Stück weiter und haben einen Konsens darüber, dass Kinderrechte in der Verfassung zu verankern sind. Das ist ja schon mal was. Auch die Argumentation, die manchmal gebracht wird, gesetzliche Regelungen und Verfassungsregelungen schreckten an der Stelle nicht ab, verfängt selbstverständlich nicht; denn mit der gleichen Begründung könnte man auch das Strafgesetzbuch und Ähnliches ablehnen: Auch da schaut niemand rein, bevor er gegen ein Gesetz verstößt. Das ist natürlich kein Argument gegen eine gesetzliche oder verfassungsrechtliche Regelung.

Insofern haben wir einen Konsens. Kinderrechte gehören in die Verfassung unseres Landes. Es geht also um die Formulierung. Es muss doch möglich sein, eine Formulierung zu finden, wenn es um so wichtige Dinge geht wie die Misshandlung von Kindern, Vernachlässigung von Kindern, Bildungschancen für Kinder, Kinderarmut und ungleiche Teilhabechancen. Dann sollten wir doch einen Weg finden, damit die Rechte für Kinder auf einer stabilen Grundlage verwirklicht werden können.

Wir alle sind zusammen der Meinung, dass Kinder unsere Zukunft sind, dass Kinder unser wertvollstes Gut sind. Preise wie „Kinder haben Rechte“ und andere Symbole sind natürlich sehr schön, aber sie reichen nicht aus. Deshalb sind wir alle der Meinung, dass die Rechte von Kindern auf eine sehr stabile Basis gestellt werden müssen. Die Verfassung ist der richtige Platz für eine solche stabile Basis.

Meine Damen und Herren, unser Vorschlag ist ein Kompromiss zwischen dem CDU/FDP-Entwurf und dem Entwurf der SPD. Wir glauben, dass wir eine gute Verfassungsregelung vorschlagen, die einerseits konkret genug ist, dass man sich darauf juristisch brauchbar und relevant beziehen kann, und die, was solche Regelungen immer sollten, eine gewisse Normen prägende Kraft entfaltet; denn es ist ein Charakter solcher Regelungen, dass sie auch Normen in der Gesellschaft prägen sollen. Andererseits ist unser Vorschlag auch nicht so

ausführlich, dass man sich um das letzte Komma oder um letzte Formulierungsdetails streiten und lange daran aufhalten müsste. Wir bitten deshalb die SPD einerseits und die CDU sowie die FDP andererseits, sich einen Ruck zu geben, aufeinander zuzugehen, dann können wir uns sicherlich irgendwo in der Nähe unseres Vorschlags treffen. Ich betone noch einmal: Wir sind gerne bereit, über unseren Textvorschlag und auch über die Textvorschläge der anderen Fraktionen in diesem Hause mit allen Abgeordneten in den entsprechenden Ausschüssen zu reden. Wir sind kompromissbereit. Alles ist besprechbar. Ich denke, wir können eine gemeinsame Lösung finden. Ich bitte Sie darum, dass Sie alle sich konstruktiv daran beteiligen.

(Beifall bei der LINKEN)

Jetzt hat sich Herr Professor Dr. Dr. Zielke von der FDP-Fraktion zu Wort gemeldet. Ich erteile ihm das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nun sind es schon drei Entwürfe zur Aufnahme von Kinderrechten in die Niedersächsische Verfassung, die sich der Aufmerksamkeit dieses Hohen Hauses erfreuen dürfen. Zwei davon wurden wortgleich aus der letzten Legislaturperiode übernommen, als das Thema schon einmal ausführlichst vorwärts und rückwärts, aber letztlich ergebnislos diskutiert worden ist. Keiner der beiden Entwürfe hat die erforderliche Zweidrittelmehrheit erreicht.

Und jetzt? Same procedure as last year? - Nicht ganz! Denn die Linke hat den Antrag aus der SPDFeder listig modifiziert, indem sie einfach die letzten 60 Wörter gestrichen hat.

(Zuruf: Das ist zynisch!)

Der Antrag umfasst immer noch 45 Wörter. Dem Ideal, dass Verfassungen möglichst prägnant und knapp formuliert sein sollten, entspricht am besten der Antrag von CDU und FDP; denn er kommt mit 12 Wörtern aus.

(Hans-Dieter Haase [SPD]: An der Anzahl der Wörter kann es doch wohl nicht liegen! Es geht doch um den Gehalt!)

- Der Gehalt ist gut. Von dem Gehalt habe ich noch gar nicht gesprochen.

Oberflächlich betrachtet, leisten alle Anträge mehr oder weniger das Gleiche: Sie haben eher deklaratorischen Charakter und ändern nichts bzw. nichts Entscheidendes an der Situation gefährdeter Kinder. Trotzdem wäre es verfehlt, hier nur gesetzgeberischen Aktionismus zu erblicken. Das Thema ist im Zuge der Beratungen der Kinderkommission des Bundestages aktuell geworden. Es ist in den Medien durch immer neue Berichte über schreckliche Einzelfälle von Kindesvernachlässigung, Kindesmisshandlung und Kindstötung am Köcheln gehalten worden. Nebenbei sei angemerkt: Die Zahl der Kindstötungen in Deutschland ist in den vergangenen Jahren nach Ansicht von Fachleuten nicht gestiegen und ist auch unabhängig davon, ob in einem Bundesland Kinderrechte in der Verfassung verankert sind oder nicht.

Worum geht es in Wirklichkeit? - In unserem Grundgesetz heißt es - ich zitiere -:

„Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.“

(Glocke des Präsidenten)

Auf einer Anhörung jener Kinderkommission Ende 2006 hat die SPD-Politikerin Peschel-Gutzeit erklärt, unser Grundgesetz bevorzuge im Verhältnis Eltern : Kind : Staat über Gebühr die Eltern, d. h. die Rechte der Eltern sollen zugunsten der Rechte des Staates und seiner subsidiären Kollektive geschwächt werden. Die SPD will die „Lufthoheit über den Kinderbetten“, wie es Olaf Scholz auf den Punkt gebracht hat; die martialische Metapher entlarvt nebenbei, wie Sozialdemokraten das Verhältnis vom Staat zu seinen Bürgern empfinden.

(Zuruf: Versuchen Sie es doch einmal konstruktiv!)

Die wenigen Rabeneltern werden zum Hebel, um die übergroße Mehrzahl liebender, verantwortungsvoller Eltern in ihren Rechten zu erodieren und sie als nur begrenzt erziehungsfähig zu diffamieren.