Protokoll der Sitzung vom 07.05.2008

Bei der vorgeschlagenen Neuregelung bleiben viele Fragen offen. Unbestritten befinden sich bei uns zu viele Jugendliche im berufsbildenden Schulwesen in Warteschleifen. Aber wie soll bei der ab 2009 nur noch auf freiwilliger Basis möglichen Anrechnung des Berufsgrundbildungsjahres eine einheitliche Regelung in Niedersachsen erreicht werden? Wie kann die geplante Berufseinstiegsschule sinnvoll mit dem dualen System verbunden werden?

Damit ich es nicht vergesse: Wir brauchen insgesamt mehr Ausbildungsplätze im dualen System.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir brauchen eine Ausbildungsplatzabgabe. Wer nicht ausbildet, soll zahlen.

Es gibt also viele offene Fragen, die einen getrennten Gesetzentwurf erfordert hätten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich erteile nun Frau Heiligenstadt von der SPDFraktion das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Mit der Vorlage der Novelle zum Niedersächsischen Schulgesetz hat die Landesregierung hinsichtlich der Gesamtschulen alle Befürchtungen, die wir vor den Landtagswahlen hatten, weit übertroffen.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Neue Gesamtschulen sollen nur dort errichtet werden dürfen, wo Schülerinnen und Schüler nach

ihrer Gründung auch noch die Schulen des gegliederten Schulsystems, insbesondere Haupt- und Realschulen, unter zumutbaren Bedingungen erreichen können.

(Hans-Werner Schwarz [FDP]: Das ist gut so!)

Schon bestehende Gesamtschulen müssen bei Bedarf bis zur Achtzügigkeit erweitert werden. Neue Integrierte Gesamtschulen müssen mindestens fünfzügig sein. Bisher galt für IGSen in der Regel mindestens eine Vierzügigkeit.

Insgesamt ist festzustellen, dass gerade im ländlichen Raum die Errichtung von Gesamtschulen unter den von CDU und FDP gesetzten Bedingungen nahezu unmöglich sein dürfte.

(Beifall bei der SPD)

Neue Gesamtschulen sind nach Ihrem Gesetzentwurf vielleicht in Großstädten möglich - dort aber auch erst dann, wenn sich die bestehenden Gesamtschulen zu übergroßen Systemen entwickelt haben. So oder so - Sie verhindern die Errichtung von neuen Gesamtschulen.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN - Hans-Werner Schwarz [FDP]: Das ist falsch!)

Da war das Gesamtschulerrichtungsverbot aus der Vergangenheit wenigstens noch etwas klarer.

Meine Damen und Herren, es lässt sich auch nicht vollständig der Eindruck vermeiden, dass die pädagogische Arbeit bestehender Gesamtschulen durch die von Ihnen vorgenommene Größenvorgabe so nachhaltig eingeschränkt werden soll, dass diese Schulform möglichst schnell ihre Attraktivität verliert.

Für die SPD bestätigt sich immer mehr, dass alle Beschwichtigungsversuche von Herrn Wulff und anderen vor der Landtagswahl nur ein groß angelegtes Täuschungsmanöver waren.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Herr Wulff, nichts von dem, was Sie die Wählerinnen und Wähler haben glauben lassen, ist Realität geworden. Im Gegenteil, es ist noch viel unehrlicher und schlimmer geworden als vorher.

Noch Anfang Januar dieses Jahres hat Herr Klare beispielsweise hervorgehoben, dass Kooperative Gesamtschulen im Genehmigungsverfahren ähnlich zu behandeln seien wie die Schulen des ge

gliederten Systems. Von einer ähnlichen oder auch nur annähernden Gleichbehandlung ist in der Novelle nichts zu erkennen. Damit ist die Errichtung einer IGS als auch einer KGS nur dann möglich, wenn der Besuch einer Schule des gegliederten Systems weiterhin zumutbar ist.

Herr Klare, Sie haben den Gesamtschulinitiativen mehrfach erklärt, dass deren jetzige Planungen nach der Schulgesetznovelle durchaus möglich seien. Nach den von Ihnen jetzt vorgelegten Formulierungen ist das genau nicht der Fall. Nach meiner Auffassung sollten Sie endlich einsehen, dass Sie in der Bildungspolitik nun wirklich nichts mehr zu suchen haben, und Ihren Platz dort lieber räumen.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Frau Heili- genstadt, da müssen Sie noch ein bisschen lernen!)

Mit diesem Gesetzentwurf ist meiner Meinung nach auch Ihre letzte Reputation dahin.

(Beifall bei der SPD)

In der Öffentlichkeit und auch in den Verbandszeitschriften wird ja schon zitiert, dass Sie von Ihrem Fraktionsvorsitzenden zurückgepfiffen worden sind, Herr Klare. Ihre sehr kurze Rede, die Sie eben zum Anfang gehalten haben, macht auch deutlich, dass Sie sich bei der Vorstellung dieses Gesetzentwurfs nicht wirklich wohlgefühlt haben.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN - Björn Thümler [CDU]: In der Kürze liegt die Würze!)

Nun komme ich zum Gesetzentwurf im Einzelnen. Den Schulträgern ist die jetzige Entscheidung verwehrt, statt einer riesigen Schule - vielleicht achtzügig mit 1 000 Schülerinnen und Schülern allein in der Sekundarstufe I - lieber zwei kleinere einzurichten. Die nun vorgeschriebene Mindestgröße ist für Niedersachsen überhaupt nicht begründbar, sondern dient einzig dem Zweck, die Gründung neuer Schulen zu verhindern. Dass dabei auch wesentliche pädagogische Erkenntnisse aus den letzten 30 Jahren nicht beachtet werden, wird den Beobachter der niedersächsischen Schulpolitik nicht mehr überraschen. Für viele Landkreise bedeutet dies, dass eine sinnvolle Weiterentwicklung der Schulen in Richtung eines besseren Leistungsangebots im ländlichen Raum blockiert ist.

Meine Damen und Herren, gerade in Niedersachsen sind die Eltern enttäuscht. Sie sind aber wenigstens um die Erfahrung reicher, dass sie von

der CDU für die Schule nichts Positives mehr erwarten können, auch wenn es im Wahlkampf zuweilen anders geklungen hat.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Zugleich zeigt sich den unvoreingenommenen Betrachtern, wo die wahren Ideologen in der Schulpolitik sitzen. Wie ideologisch blind CDU und FDP sind, erweist sich noch in ihrer Begründung zum Gesetzentwurf. Dort wird für das gegliederte Schulsystem immer der Begriff „begabungsgerecht“ gebraucht. Alle ernst zu nehmenden wissenschaftlichen Untersuchungen kommen doch zu dem Schluss, dass von Begabungsgerechtigkeit auch im Ansatz nicht gesprochen werden kann. Statt Förderung von Begabungen gibt es in Niedersachsen Auslese, durch die Begabung verhindert wird.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei der LINKEN - Hans-Werner Schwarz [FDP]: Sie sagen aber nicht, was Sie wollen!)

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein. - Meine Damen und Herren, die Schulgesetznovelle bestätigt alle diejenigen, die der jetzigen Ministerin und der gesamten Landesregierung die Fähigkeit absprechen, in Niedersachsen einen Weg für eine nachhaltige Verbesserung im Schulwesen frei zu machen.

(Dr. Bernd Althusmann [CDU]: So ein Unsinn!)

So weit zu dem Komplex Gesamtschulen. Sie machen in diesem Gesetzentwurf aber auch noch zwei andere Baustellen auf, die einer gründlichen Beratung und Anhörung bedürfen.

So wollen Sie Kinder eher einschulen lassen - Jahr für Jahr einen Monat eher. Das bedeutet konkret, dass zukünftig zum Teil Kinder eingeschult werden müssen, die noch fünf Jahre alt sind und erst im September sechs werden - es sei denn, sie würden dann noch vom Schulbesuch zurückgestellt.

Grundsätzlich muss man hier auch auf die Erfahrungen aus den anderen Bundesländern zurückgreifen und diese auch auswerten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in diesem Zusammenhang müssen wir aber auch überlegen,

wie wir die im Schulgesetz geregelte flexible Eingangsstufe stärker in ganz Niedersachsen umsetzen können. Es gibt noch viel zu wenige Grundschulen mit einer flexiblen Eingangsstufe.

(Beifall bei der SPD)

Nutzen Sie daher die Chance, durch diese Veränderung des Eingangsalters nun die flexible Eingangsstufe stärker in den Fokus zu nehmen!

Unabhängig davon sind wir der Meinung, dass man nicht einfach das Einschulungsalter verringern und die Schulen dann mit dieser neuen Situation im Regen stehen lassen kann. Auf eine von der Altersstruktur her anders zusammengesetzte Klasse muss man sich schon anders einstellen können. Auch die Klassenfrequenzen müssen dann neu überdacht werden.

Lassen Sie mich zum Schluss zur beruflichen Bildung kommen. Sie müssen die Veränderungen des Berufsbildungsgesetzes des Bundes im Land verankern. Das ist grundsätzlich nicht zu beanstanden. Dass Sie für die Berufseinstiegsklassen aber noch quasi einen Numerus clausus festlegen und zusätzlich eine Abschulung in den Berufseinstiegsschulen im Bereich der beruflichen Bildung in das Gesetz aufnehmen, ist allerdings zumindest sehr stark zu hinterfragen.

Meine Damen und Herren, alles in allem sind insbesondere die Vorschläge zum Gesamtschulkomplex für uns zurzeit nicht hinnehmbar und würden auch nicht unsere Zustimmung finden. Nehmen Sie bitte Folgendes zur Kenntnis: Nicht zuletzt durch die Erfolge in Hildesheim und Braunschweig hat sich das Bild der Gesamtschulen deutlich verändert. Auch bezüglich des Elternwillens sowie der demografischen Entwicklung im Hinblick auf Schulstandorte und Klassengrößen müssen wir uns Gedanken machen, wie wir die Kinder möglichst lange gemeinsam beschulen können.