Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Infolge der Wirtschafts- und Finanzkrise sind Wachstumsimpulse dringend geboten. Ich stelle aber fest: Dieses sogenannte Wachstumsbeschleunigungsgesetz hat mit Wachstum überhaupt nichts zu tun.
Es ist, wie Herr Zimmermann vom DIW zu Recht kritisiert, ein vollmundiger Etikettenschwindel. Man sollte es, finden wir, eher „Schuldenbeschleunigungsgesetz“ nennen. Es ist schlimmste Klientelpolitik, wie wir sie selten erlebt haben.
Erstens. Die Unternehmen in Deutschland sollen um 2,4 Milliarden Euro entlastet werden. Ich stelle fest: Deutschland ist wettbewerbsfähig. Wir haben vergleichsweise niedrige Unternehmenssteuern. Wer Wachstum in Deutschland stärken will, der muss die Binnennachfrage stärken. Meine Damen und Herren, das gehört auf die Tagesordnung.
Was heißt das in der Konsequenz? - Es muss Schluss damit sein, den Niedriglohnsektor zu legitimieren, was Sie gerade vorhaben. Es ist überfällig, in Deutschland endlich Mindestlöhne einzuführen.
Wachstum entsteht dort, wo es um den ökologischen Umbau geht und insbesondere wo die Kommunen in die Lage versetzt werden, die notwendigen und überfälligen Investitionen in die kommunale Daseinsvorsorge zu gewährleisten. Das gehört auf die Tagesordnung.
Was machen Sie? - Sie geben den Konzernen Gestaltungsspielräume zur Minimierung ihrer Steuern. Der Mittelstand hat davon übrigens nichts; das kommt verschärfend hinzu. Der Sachverständigenrat war nicht einmal bereit, zu prüfen, welche Wachstumsimpulse das auslöst, weil das aus Banalitätsgründen zu vernachlässigen ist. Meine Damen und Herren, das sagt doch genug über die Qualität.
Zweitens: Erbschaftsteuer. Die Lohnquote in Deutschland sinkt, die Lohnspreizung nimmt zu. Die Steuern auf Vermögen sind in den letzten Jahren kontinuierlich zurückgefahren worden. Das hat die Große Koalition veranlasst, festzustellen: Lasst uns bei der Erbschaftsteuer bleiben! Sie kommt ausschließlich den Ländern zugute. Wir gewährleisten, dass ein Minimalaufkommen von 4 Milliar
den Euro im Jahr auf Dauer trägt. - Meine Damen und Herren, das war das Ergebnis von Koch/Steinbrück; ich war Mitglied dieser Kommission.
Was macht die neue Bundesregierung in Berlin? - Zulasten Dritter, zulasten der Länder werden deutlich mehr als 400 Millionen Euro im Jahr hergegeben und den Länderhaushalten entrissen.
Meine Damen und Herren, das ist eine Attacke auf die Länderhaushalte. Mit Wachstumsimpulsen hat das nichts zu tun.
Drittens: der ermäßigte Umsatzsteuersatz auf Beherbergungsleistungen. Was passiert, wenn Lobbyismus und Dilettantismus zusammentreffen, meine Damen und Herren? - Im Normalfall Chaotismus, und der ist bei diesem Thema wirklich eingetreten.
Erstens. Zwei Parteien, die für Subventionsabbau eintreten, finden zusammen. Was ist ihre erste Maßnahme? - Die Schaffung einer neuen Subvention. Meine Damen und Herren, was wir da erleben, ist ganz spannend.
Zweitens. Sie sind für Steuervereinfachung. Ich stelle fest: Bei dieser Mehrwertsteuersenkung gibt es massive Abgrenzungsprobleme. Haben Sie in den letzten Tagen Zeitung gelesen? Da gibt es die Frage: Was ist eigentlich bei Pauschalreisen? Wie ist das eigentlich mit den geldwerten Leistungen beim Frühstück usw.? - Alle wissen, dass das Unfug ist. Die Schleswig-Holsteiner wollen nicht mitmachen, damit der Bund das wenigstens allein bezahlt. Herr Wulff ist auch der Meinung, dass es Unfug ist, aber - ich zitiere ihn - einen „kraftvollen Start“ will man dieser Bundesregierung ermöglichen. Dafür ist er bereit, jährlich auf mehr als 950 Millionen Euro Steuergelder zu verzichten. Das ist ein Skandal, meine Damen und Herren!
Viertes Thema. Uns sind alle Kinder gleich viel wert; deshalb wollen wir zukünftig eine Grundsicherung für Kinder haben. Bei Ihnen werden die Freibeträge geändert. Das hat zur Folge, dass Herr
Wulff für sein Kind in Zukunft monatlich zwischen 250 und 275 Euro bekommt. Sein Fahrer bekommt in Zukunft 184 Euro Kindergeld. Das ist eine Differenz von 60 bis 80 Euro. In 1,7 Millionen Haushalten in Deutschland - SGB II, Hartz IV - gibt es null mehr, weil das Kindergeld sofort mit dem Arbeitslosengeld II verrechnet wird. Das ist Ihre Vorstellung zum Thema Armut und Kindheit!
(Starker Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Christian Dürr [FDP]: Wer hat das denn eingeführt, Herr Jüttner?)
Ich sage Ihnen: Mit diesen 4,5 Milliarden Euro können Sie sämtliche Kitaplätze in Deutschland auf einen Schlag gebührenfrei stellen. Möglicherweise ist dann sogar noch das Geld dafür da, allen Kindern das kostenlose Mittagessen zu geben. Das wäre ein Beitrag, mit dem wir in Deutschland beim Thema Kinder und Familie vorankommen würden.
Was ist das Fazit daraus? - „Unseriös“, sagt der Sachverständigenrat. Die Kommunen fühlen sich wirklich allein gelassen. Es spaltet die Gesellschaft und gefährdet die Landeshaushalte. Es gefährdet auch die kommunale Demokratie.
Überwinden Sie das, was die Welt als pathologischen Starrsinn bezeichnet hat. Lehnen Sie diesen Gesetzentwurf im Bundesrat ab!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Wir sind positiv, optimistisch und konstruktiv. … Die neue Bundesregierung schafft so einen kraftvollen
Start“. - Meine Damen und Herren, diese Jubelarie unseres Ministerpräsidenten auf den Berliner Murks ist doch Realsatire pur.
Herr Ministerpräsident, mit dem Programm sollten Sie sich wirklich für den nächsten Comedypreis bewerben. Da haben Sie alle Chancen, die platten Blödeleien von Mario Barth & Co. in den Schatten zu stellen.
Wachstumsbeschleunigungsgesetz heißt das. Ich würde es Koalitionspartner- und Klientelbedienungsgesetz nennen.
Aber - da will ich dem Kollegen Jüttner durchaus widersprechen - auch die erste Bezeichnung lässt sich begründen. Man muss nur genau hinschauen, welches Wachstum beschleunigt wird. Das wirtschaftliche ist es jedenfalls nicht; denn dazu wäre Voraussetzung, dass in Bildung, Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit investiert wird.
Das Kindergeld soll erhöht werden. Mit dieser neuen Regelung probt die FDP das erste Mal ihren neuen Dreistufentarif. Ein ganz aufschlussreiches Praxisbeispiel:
Stufe 3: 1,8 Millionen Kinder, die von ALG II oder Grundsicherung leben, bekommen keinen Cent zusätzlich.
Das heißt, beschleunigt wachsen werden die Vermögen der Besserverdienenden, und beschleunigt wachsen werden die Unterschiede zwischen Arm und Reich.