Protokoll der Sitzung vom 25.11.2009

lich ein zentraler Anspruch von Geschichtsunterricht.

(Beifall bei der SPD)

Allerdings drängen sich einige Fragen auf:

Brauchen Mädchen Heldinnen? - Das fragte heute z. B. auch die taz, und Geschichtsprofessor Michael Sauer problematisierte diese Frage.

Müssen Frauen aus dem Dunkel der Geschichte stärker ans Licht geholt werden?

Soll die Geschichte großer Frauen ausführlicher dargestellt werden?

In einem wichtigen Punkt stimmen wir mit dem Antrag der Grünen überein: Die Rolle der Frauen war in der Vergangenheit bedeutender, als es die Geschichtsbücher ausweisen. - Das ist klar. Aber reicht es denn aus, den „großen“ Männern von gestern die „großen“ Frauen an die Seite zu stellen? - Natürlich nicht.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, hier liegt auch der Unterschied zum Antrag der Grünen. Spannender ist es doch, zu zeigen, mit welchen Mitteln Frauen weitestgehend einflusslos gehalten wurden: Wie wurde der Unterschied zwischen Frau und Mann in eine - keineswegs statische, sondern immer historisch veränderbare - Herrschaftsbeziehung verwandelt? - Das ist doch die spannende Frage. Denken Sie an die Ungleichbehandlung im Erb- und Wirtschaftsrecht, bei der Ausübung von politischer Mitsprache! Diese Tatsachen sind im Geschichtsunterricht zu benennen und auch bewusst zu machen.

Ein gewissenhaftes Aufsammeln aller Ausnahmen und deren bevorzugte Nennung könnte das Problem in den Augen der SchülerInnen - diesmal mit großem I - verkürzen: Wenn immer wieder Frauen hervorgehoben werden, dann kann es mit Ausgrenzung und Unterprivilegierung doch nicht so schlimm gewesen sein.

Wie also können wir zu einer geschlechtergerechten Geschichtsschreibung kommen? - Geschlechtergeschichte ist - davon gehe ich aus - ein Thema für Mädchen und Jungen. Durch andere Quellen und neue Aspekte fühlen sich nämlich beide Geschlechter angesprochen. Das kann gelingen, wenn sich die Geschichte mehr an der Alltags-, Mentalitäts- und Kulturgeschichte orientiert.

(Reinhold Coenen [CDU]: Die Ge- genwart!)

Dann sind Antworten auf die Frage, was die Frauen taten, als die Männer das machten, worüber wir im Geschichtsunterricht reden, leichter zu finden.

(Beifall bei der SPD)

Ein Blick in die Rahmenrichtlinien des Landes Sachsen-Anhalt zeigt, wie das gehen kann:

„Deshalb muss historisches Wissen herangezogen werden, um gegenwärtige Probleme, typische Situationen im Leben von Menschen (Kindheit, Ehe, Arbeit …) und politische Entscheidungsbedürfnisse (Krieg, Frieden …) zu untersuchen. Das Verknüpfen gegenwärtiger wie künftiger Erfahrungen, Aufgaben und Probleme von Schülerinnen und Schülern mit historischen Erfahrungen ist Grundlage für ein Verständnis von Geschichte als Entwicklungszusammenhang, der die eigenen gegenwärtigen und künftigen Lebenssituationen beeinflusst.“

Meine Damen und Herren, wir streiten hier nicht um eine Nuance, wir streiten um eine prinzipielle Sichtweise auf Geschichte. Meine Fraktion hält es für eine Gesellschaft nicht für folgenlos, wenn sie von Geschlechtsstereotypen geprägt wird. Deshalb gehört es dazu, zu erklären, was geschlechtsspezifische Normen bewirken. Soziale Rollenzuweisungen bestimmen das Verhältnis der Geschlechter zueinander. Aufgabe eines modernen Geschichtsunterrichts ist es, aufzuzeigen, wie sie sich im Laufe der Geschichte verändert haben und weiterhin verändern.

Fazit: Es geht also nicht um ein Plus, um ein Hinzufügen von Frauen, sondern um eine andere Sichtweise auf Geschichte. Deshalb müssen wir die Geschichtscurricula ändern.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, zu einer Kurzintervention hat sich Frau Korter von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gemeldet. Bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich verstehe nicht ganz Ihre Spitzfindigkeiten, wieso Sie jetzt an unserem Antrag etwas falsch finden und dort die Genderperspektive vermissen. Sie steht ausdrücklich drin. Wir sagen in diesem Antrag auch nicht, wir wollen soundso viele Frauen

mehr, sondern wir wollen einfach, dass insgesamt mehr Frauen in ihren verschiedenen Rollen - als Akteurinnen und auch als Opfer, als Sklavinnen, als Bäuerinnen, in welchen Rollen auch immer - berücksichtigt werden. Wir wollen auch, dass Jungen sich damit beschäftigen, beides. Wenn man genau liest, kann man das auch sehen.

Ich verstehe überhaupt nicht, wieso die SPD mit ihrem Änderungsantrag eine derart abstrakte Genderperspektive installieren will. Frau Twesten hat es gesagt: Geschichtliche Identitätsbildung geht über Personen. - Wollen Sie erreichen, dass Frauen wieder nicht vorkommen, dafür aber unausgesprochen die herrschenden Männer, die Kriege geführt haben, Eroberer waren usw., weiterhin den Geschichtsunterricht dominieren, wie wir alle es früher erlebt haben, und die Identität prägen? - Das wollen wir nicht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Frau Lesemann möchte erwidern. Bitte!

Frau Korter, was Sie eben gesagt haben, steht wiederum nicht in Ihrem Antrag. Ich finde es auch ein bisschen problematisch, wenn wir uns an dieser Stelle streiten. Das ist nicht meine Absicht.

(David McAllister [CDU]: Streit im lin- ken Block!)

Mit unserem Änderungsantrag wollen wir darauf aufmerksam machen, dass die Entwicklung innerhalb der Geschichtswissenschaft erheblich weiter gegangen ist, als in Ihrem Antrag suggeriert wird. Es kann nicht sein, dass wir nur Frauen hinzufügen. Es geht wirklich um eine andere Perspektive auf Geschichte insgesamt.

Wenn Sie das als Gender-Mainstreaming interpretieren wollen, dann bedeutet das aber auch eine Gesamtdurchdringung der Perspektiven und eine Veränderung der Kategorien.

(David McAllister [CDU]: Streit im lin- ken Block!)

In der Sache sind wir uns unterm Strich sicherlich nicht so uneinig, wie das jetzt hier erscheinen mag.

(Beifall bei der SPD - David McAllister [CDU]: Der Vereinigungsparteitag ist abgesagt!)

Meine Damen und Herren, die nächste Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist Frau Reichwaldt von der Fraktion DIE LINKE. Bitte schön!

(Vizepräsidentin Astrid Vockert über- nimmt den Vorsitz)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In den Kerncurricula Geschichte für die Klassen 5 bis 10 sind Frauen und ihre Rolle in der Geschichte unzureichend berücksichtigt.

(Zustimmung von Ina Korter [GRÜNE] und von Kreszentia Flauger [LINKE])

Das Missverhältnis von nur 8 Frauen im Vergleich zu über 40 Männern ist ein Merkmal dafür. Dieses Missverhältnis zeigt sich mir übrigens nicht nur bei historischen Persönlichkeiten in den Kerncurricula, sondern auch, wenn man die Gruppe der Lehrenden und Lernenden zumindest zur Zeit meiner Ausbildung und meines Studiums betrachtet. Die Männer sind auch dort eindeutig in der Überzahl gewesen.

Frauen- und Geschlechtergeschichte finden nur unzureichend Eingang in die Unterrichtsinhalte.

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

Ich stimme dem Argument zu, dass es, um Abhilfe zu schaffen, nicht reichen würde, den Lehrinhalten lediglich einige herausragende Frauen hinzuzufügen. Es geht um einen anderen Blick auf Geschichte insgesamt. Allerdings wird Geschichte vor allem auch an der Behandlung historischer Persönlichkeiten gelernt. Da kommen Frauen nun einmal zu kurz.

(Zustimmung bei der LINKEN und von Ina Korter [GRÜNE])

Nennen wir eine von ihnen: Minna Faßhauer,

(Beifall bei der LINKEN)

aufgewachsen in ärmlichen Verhältnissen, Arbeiterin, Analphabetin, Autodidaktin, Teilnehmerin an der Novemberrevolution in der Braunschweiger Räterepublik, Volkskommissarin für Bildung und damit die erste deutsche Frau, die ein Ministeramt bekleidete.

(Beifall bei der LINKEN)

Minna Faßhauer kommt in den meisten Geschichtsbüchern überhaupt nicht vor.

(Frank Oesterhelweg [CDU]: Was ist denn mit Margot Honecker? - Weitere Zurufe - Unruhe)

Dieses krasse Missverhältnis von Frauen im Verhältnis zu den Männern in der Geschichte wirkt auf Schülerinnen und Schüler, weil es den Eindruck vermittelt, Frauen hätten einen weniger aktiven Part in der Geschichte gehabt.

(Anhaltende Unruhe)

Frau Reichwaldt, ich kann Sie überhaupt nicht mehr verstehen. Einen kleinen Augenblick. Ihnen wird nichts von Ihrer Redezeit abgezogen, Sie haben noch genügend Zeit. - Alles beruhigt sich wieder, auch Herr Kollege Klare. - Herzlichen Dank. - Frau Reichwaldt!