Protokoll der Sitzung vom 14.12.2009

Herr Möllring wurde ja nicht müde, immer wieder zu wiederholen, dass Sie auf dem Weg seien, 2010 die Nettoneuverschuldung auf null zu bringen und mit der Tilgung zu beginnen. Das haben Sie uns noch im Mai dieses Jahres hier erzählen wollen.

(Zuruf von der SPD: Unerhört!)

Wenige Tage später, meine Damen und Herren, müssen Sie feststellen, dass das irgendwie nicht aufgeht. Dann kommen Sie mit einer Presseerklärung, in der Sie den Haushaltsentwurf für das Jahr 2010 vorstellen. Wir stellen fest: Die Neuverschuldung in 2009 wird auf 2,3 Milliarden Euro gesetzt. Die Neuverschuldung in 2010 wird auf 2,3 Milliarden Euro gesetzt. - Meine Damen und Herren, wie lautete die Überschrift dieser Presseerklärung? - Finanzieller Konsolidierungskurs wird solide fortgesetzt. - Bei dem, was Sie mit „solide“ meinen, läuft es mir kalt den Rücken runter. Das möchte ich nur einmal feststellen.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Sie verfügen wirklich über eine begnadete Verdrängungskunst. Das muss ich schon sagen.

Ein bisschen weniger Selbstgefälligkeit, Herr Wulff, wäre wirklich einmal angebracht. Sie stellen sich im Mai dieses Jahres in dieser aufgewühlten Situation hier hin und erklären uns, dass im Jahre 2017 in Niedersachsen die Neuverschuldung auf null sei.

(Ernst-August Hoppenbrock [CDU]: So machen wir das!)

Das ist Ausdruck Ihrer Planung und Ihres soliden Vorgehens.

Sie sollten einmal über Folgendes nachdenken: Ihr Finanzminister Schäuble stellt in dieser Woche den Bundeshaushalt vor. Er sieht sich außerstande, die mittelfristige Finanzplanung vorzulegen. Das heißt: Sie wissen, was im Jahre 2017 hier geht. Herr Schäuble - auch er hat ein paar gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter - weiß heute noch nicht, was im Jahre 2011 in Deutschland hinsichtlich der finanziellen Lage passiert. Alles, was Sie hier auf den Tisch legen, ist doch unerhört und von vorne bis hinten nicht stichhaltig!

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Deshalb sage ich: Kommen Sie von Ihren Träumereien herunter, und gehen Sie ins Leben hinein! Dann sehen Sie, wie die tatsächliche Lage ist.

In den letzten Monaten und Jahren gab es in der Bildungslandschaft in Deutschland viel Bewegung. Es gibt eigentlich nur eine Konstante, meine Damen und Herren, und das ist die Tatsache, dass die museale Bildungspolitik in Niedersachsen aufrechterhalten bleibt. Hier ist 19. Jahrhundert angesagt. Das Kultusministerium in Hannover ist der Hort der bildungspolitischen Reaktionen,

(David McAllister [CDU]: Was?)

und die einzelnen Unterstützer sitzen hier vorne in der Führung der CDU-Fraktion und in der Staatskanzlei, meine Damen und Herren.

(Lebhafter Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Nun hätte man ja denken können, mit dem personellen Wechsel von Herrn Althusmann in das Kultusministerium hätte es dort eine leichte Aufhübschung geben können.

(Zuruf von der CDU: Was?)

- Eine programmatische Aufhübschung. - Beim Regierungshandeln hat sich das aber noch nicht sehr ausgewirkt. Herr McAllister, in der Arbeit Ihrer Fraktion hat sich das jedoch unheimlich ausgewirkt. Wir merken hier in der Zwischenzeit jeden Monat, wie sehr er Ihnen fehlt.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und Zustimmung von Dr. Manfred Sohn [LINKE] - Karl-Heinz Klare [CDU]: Das ist aber eine Ehre!)

- Sie haben doch gefragt: Haben Sie auch ein Lob übrig?

Niedersachsen hat mehrere rote Laternen. Die problematischste ist, wie ich glaube, die im Bereich der frühkindlichen Bildung. Sie laufen hinter den anderen 15 Bundesländern her. Ich kann nichts dafür, wenn Sie nicht in Bildern denken können, aber es ist halt so.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Sie kennen die Ausgangspunkte nicht!)

Obwohl Niedersachsen im Bereich der frühkindlichen Bildung Schlusslicht ist, war sich der Ministerpräsident nicht zu schade, in diesem Sommer wenigstens eine präzise Aussage zu machen, wie auf die Finanzkrise reagiert wird, und zwar indem er die Beitragsfreiheit im Kita-Bereich auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben hat. Das war ein schwerwiegender Bruch der Koalitionsvereinbarung und ein schwerwiegender politischer Fehler.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Herr Wulff, wenn Sie am Freitag im Bundesrat mit Nein stimmen - wir helfen an dieser Stelle gerne mit, auch was die argumentative Außenwirkung angeht -, dürfte dadurch ungefähr das zusammenkommen, was Beitragsfreiheit an Kosten verursachen würde. Das wäre doch ein Signal in das Land hinein. Sie reden davon, Bildung habe Vorrang. Hier ist eine Möglichkeit, dem Rechnung zu tragen. Am Freitag kann Bildung Vorrang bekommen, wenn das Geld aufgrund der unsinnigen Maßnahmen, auf die ich noch zu sprechen komme, nicht dem Bund zufließt, sondern für die Kinder - auch hier in Niedersachsen - ausgegeben wird. Das wäre unser Vorschlag.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und Zustimmung von Ina Korter [GRÜNE] und Dr. Manfred Sohn [LINKE])

Bildung kostet Geld, Dummheit ist teurer. Das war das Motto der letzten Demonstration zum Bildungsbereich in Niedersachsen am vergangenen Sonnabend in Hameln, bei der 500 Menschen unterwegs waren. Es gab in den letzten Monaten doch kaum einen Tag, an dem nicht irgendwer in Niedersachsen gegen die Bildungspolitik von Schwarz-Gelb demonstriert hat. Das müsste Ihnen doch zu denken geben.

(Lebhafter Beifall bei der SPD, Beifall bei den GRÜNEN und Zustimmung von Dr. Manfred Sohn [LINKE])

Natürlich geben Sie Geld für Bildung aus. Sie geben für Bildung sogar mehr aus als im Jahr zuvor.

In der letzten Woche ist der Bildungsfinanzierungsbericht vorgelegt worden, der das bestätigt.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Ja, jedes Jahr!)

Niedersachsen legt leicht zu. Alle anderen Flächenländer legen aber deutlich zu. Was ist die Konsequenz Ihres Tuns? - Wir fallen weiter zurück. Wir aber wollen nicht akzeptieren, dass Niedersachsen im Vergleich der Länder in der Bildungspolitik zurückfällt.

(Lebhafter Beifall bei der SPD sowie Zustimmung von Ina Korter [GRÜNE], Dr. Manfred Sohn [LINKE] und Pat- rick-Marc Humke-Focks [LINKE])

Was hätte das, was Sie in dieser Woche beschließen wollen, zur Folge? - Sie bleiben Schlusslicht im Bereich der frühkindlichen Bildung. Es bleibt bei einem Anteil von 7 bis 8 % der Kinder ohne Abschluss. Die Bertelsmann-Stiftung hat vor wenigen Wochen ein Gutachten herausgebracht, in dem deutlich geworden ist, dass dies aus wirtschaftspolitischen Gründen eine absolute Fehlentwicklung ist. Wir können niemanden zurücklassen. In dem Gutachten wird die erhöhte Wertschöpfung ausgerechnet, wenn wir auf dem Weg in eine Bildungszukunft alle mitnehmen. Sie ignorieren das. In Niedersachsen bleiben rund 8 % der Kinder ohne Abschluss - ein fataler Fehler!

Sie machen sich inzwischen für Ganztagspädagogik stark. Ich stelle fest: Die Ganztagspädagogik bei Ihnen hat mit Pädagogik wenig zu tun. Sie ist vor allem halbherzig.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Sie haben gar keine Ahnung!)

In diesen Tagen wird in vielen kommunalen Parlamenten über das diskutiert, was sie im nächsten Jahr tun wollen. Das gilt für Hannover und auch für Osterholz, wo ich in der letzten Woche war. Viele kommunale Mandatsträger sind inzwischen der Meinung, sie seien formell zwar nicht zuständig, aber das Thema sei ihnen so wichtig, dass sie kommunales Geld dafür ausgeben. Sie reden von Konnexität. Durch Unterlassung schaffen Sie zwar keine Kosten. Aber Sie zwingen die kommunale Seite dazu, Landesaufgaben zu übernehmen, und das ist nicht akzeptabel.

(Lebhafter Beifall bei der SPD sowie Zustimmung von Miriam Staudte [GRÜNE] und bei der LINKEN)

Das Thema Schulassistenz bleibt für Sie weiter ein Fremdwort. Sie haben den Druck gespürt und deshalb mit einer Verpflichtungsermächtigung wenigstens das abgesichert, was im Hauptschulbereich schon vorhanden ist. Schulsozialarbeit ist aber kein Thema, bei dem es nur für die Hauptschulen ein Privileg gäbe. Wir brauchen Schulsozialarbeit in allen Schulen. Wir brauchen Schulassistenz, um eine umfassende Beratung und Förderung von Kindern möglich zu machen. Hier gehört ein Akzent gesetzt. Diesen vermissen wir aber bei Ihnen.

(Beifall bei der SPD)

Sie tragen durch Ihr Gesamtschulverhinderungsgesetz dazu bei, dass die Schülerbeförderung in vielen Teilen des Landes zahlenmäßig dramatisch ansteigt. Es geht bei diesem Thema nicht nur um Bildung, sondern auch um kommunale Kosten. Der gegenwärtige Zustand ist nicht akzeptabel. Sie tragen dazu bei, dass Schulen aus dem Dorf vertrieben werden. Eine Gemeinde in Niedersachsen mit gut 10 000 Einwohnerinnen und Einwohnern ist in der Lage, ein vierzügiges Bildungsangebot vor Ort vorzuhalten. Das müssten auch Sie wissen. Wenn man die rechtlichen Voraussetzungen dafür schaffen würde, hätte man in sehr, sehr vielen niedersächsischen Kommunen ein integriertes oder kooperatives Angebot, das sämtliche Bildungsgänge umfassen würde. Die Kinder könnten dann im Dorf bleiben und würden nicht klassenweise - zum Teil sogar bis über die Landesgrenzen hinaus - aus dem Dorf getrieben. Es ist doch überhaupt nicht zulässig, was dort passiert.

(Starker Beifall bei der SPD sowie Zu- stimmung von Elke Twesten [GRÜNE] und bei der LINKEN)

Ich war in der letzten Woche in Uchte im Landkreis Nienburg. Dort gibt es aus jedem Schuljahrgang weit mehr als eine Klasse, die täglich zum Gymnasium nach Petershagen in Nordrhein-Westfalen fährt. Warum? - Weil von Ihnen vor Ort unterbunden wird, dass eine gymnasiale Beschulung stattfinden kann. Dieses Problem ist nur lösbar, wenn Sie endlich einsehen, dass Ihre Verhinderungsstrategien ins Leere laufen. Die Eltern wählen das ab, was Sie tun, und trotzdem bleiben Sie bockbeinig. Ich sage Ihnen, dass das nicht mehr lange gut gehen wird.

(Lebhafter Beifall bei der SPD sowie Zustimmung bei den GRÜNEN und Beifall bei der LINKEN)

Natürlich ist die finanzielle Lage des Landes angespannt. Gleichwohl haben wir Ihnen einen Haushaltsantrag auf den Tisch gelegt, der Umschichtungen von mehr als 350 Millionen Euro vorsieht. Diese Umschichtungen wollen wir vor allem im Bereich der Bildungspolitik vornehmen. Dort gehören sie hin. Wir wollen, dass 30 Millionen Euro mehr an Investitionsmitteln in die Krippen fließen, damit die Rechtsansprüche 2013 überhaupt realisiert werden können und die Kommunen bei diesem Thema nicht allein gelassen werden. Wir wollen, dass 30 Millionen Euro dafür eingesetzt werden, die Qualität der frühkindlichen Bildung zu verbessern. Wir haben im September letzten Jahres hier einen Gesetzentwurf eingebracht, in dem es um Verfügungsstunden und vor allen Dingen um den Personalschlüssel im frühkindlichen Bereich ging. Sie haben diesen Gesetzentwurf abgelehnt. Sie hätten jetzt die Möglichkeit, die qualitative Verbesserung, die von den Bildungs- und gesellschaftlichen Organisationen in Niedersachsen dringend gewünscht wird, zu erreichen, indem Sie unserem Änderungsantrag zustimmen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Wir haben 39 Millionen Euro veranschlagt, um die Beitragsfreiheit im Bereich der frühkindlichen Bildung zu erweitern und diesem Thema nicht den Garaus zu machen, wie Herr Wulff es angekündigt hat.

Wir wollen den Vorbereitungsdienst für Lehrämter verbessern, und wir wollen 2 000 Vollzeitlehrereinheiten, wie es so schön heißt, veranschlagen, weil wir wissen, dass es nicht nur darum geht, kleinere Klassen perspektivisch in Angriff zu nehmen, sondern auch die Schulleitungen mit einem neuen Konzept ausgestattet werden müssen und Schulpsychologie und Schulsozialarbeit dringend geboten sind. Wenn wir mehr als 150 Millionen Euro in den Kultushaushalt geben, beseitigen wir damit nicht alle Probleme - so naiv ist doch keiner -, aber wir würden die heutige Alltagssituation deutlich verbessern, und das ist dringend geboten.

(Beifall bei der SPD)

Wir fühlen uns durch eine neue Untersuchung des HIS aus Hannover übrigens darin bestätigt, dass die Studiengebühren endlich abgeschafft werden müssen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)