Protokoll der Sitzung vom 14.12.2009

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Wie viele?)

Meine Damen und Herren, wir möchten ein Schulsystem, in dem alle Kinder eine Chance bekommen, in kleinen Lerngruppen - ich denke da für alle Altersgruppen an Klassengrößen von höchstens 20 Schülerinnen und Schülern; ich weiß, dass das zurzeit eine Utopie ist - individuell gefördert zu werden. Wir möchten Schulen, in denen die Rahmenbedingungen stimmen, vom Zustand der Gebäude über ein vernünftig ausgestaltetes Ganztagsangebot bis hin zu einer angemessenen Ausstattung mit Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern und psychologischer Unterstützung für alle Schulen. Solche Möglichkeiten bieten Gesamt

schulen, sofern nicht in Zukunft deren pädagogisches Konzept durch Ihre Schulgesetznovellen restlos zerschlagen wird.

(Beifall bei der LINKEN - Glocke des Präsidenten)

Meine Damen und Herren aufseiten der Regierungskoalition, Sie haben in den letzten Jahren erleben können, dass immer mehr Eltern erkennen, dass integrierte Gesamtschulen ihren Kindern die Möglichkeit bieten, individuell gefördert einen möglichst hohen Schulabschluss zu erreichen.

Frau Kollegin, Sie müssen jetzt zum Schluss kommen.

Die Linke will ein flächendeckendes Angebot integrierter Gesamtschulen. Das heißt für uns: individuelle Bildung für die Kinder mit den Kindern im Mittelpunkt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich erteile dem Kollegen Klare von der CDU-Fraktion das Wort für fünf Minuten.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie man bei solch einem Thema so viel Polemik und falsche Unterstellungen hineinbringen kann, das verwundert und erschreckt mich regelrecht.

(Zustimmung von Heidemarie Mund- los [CDU] - Kreszentia Flauger [LIN- KE]: Jetzt sind wir gespannt, wie es bei Ihnen ist!)

Es geht um den freien Elternwillen, die freie Entscheidung der Eltern, auf welche weiterführende Schule sie ihr Kind nach der vierten Klasse anmelden wollen. Dies ist eine eminent pädagogische Frage und keine Schulstrukturdiskussion wert, die Sie hier wieder angezettelt haben. Das ist 1978 von Werner Remmers eingeführt worden, wenn ich es richtig in Erinnerung habe. Ich kann auch sagen: Der freie Elternwille in Niedersachsen hat sich bewährt und ist über die Jahre von niemandem ernsthaft in Frage gestellt worden,

(Dr. Manfred Sohn [LINKE]: Seit wann heißt Herr Wulff denn niemand?)

obwohl die Auswirkungen für jeden Einzelnen natürlich von sehr weitreichender Bedeutung sind.

(Hans-Henning Adler [LINKE]: Und wie ist es jetzt?)

Meine Damen und Herren, der freie Elternwille ist nicht dazu geeignet, Schulstandortfragen zu regeln oder zu diskutieren. Das ist auch nicht der Sinn. Er ist auch nicht dazu da, Schulformen zu bewerten. Frau Heiligenstadt und die anderen Redner der Opposition, wenn Sie die Schulstruktur- und Schulsystemdiskussion hier wieder anzetteln wollen, dann bitte ich Sie, sich ernsthaft mit dem Sinn des freien Elternwillens, so wie er gedacht ist, zu befassen.

Die niedersächsische Praxis ist von einer großen Verantwortung der Grundschullehrerinnen und Grundschullehrer und der Lehrerinnen und Lehrer der weiterführenden Schulen getragen. Unsere Grundschulen erstellen sehr gewissenhaft nach Beobachtung der einzelnen Kinder über vier Jahre in der Grundschule eine Schullaufbahnempfehlung, nach intensiver und genauer Dokumentation der Lern- und Leistungsentwicklung. Diese Schullaufbahnempfehlungen haben einen ganz großen Wert und sind für Eltern sehr wichtig, weil sie dann eine gute Grundlage haben, zu entscheiden, auf welche weiterführende Schule sie ihr Kind schicken. Wenn Eltern von dieser Empfehlung abweichen wollen, gibt es Beratungsgespräche. Es gibt sogar eine Vielzahl von Einzelgesprächen, teilweise unter Einbeziehung der Lehrerinnen und Lehrer der weiterführenden Schulen, aber immer gemeinsam mit den Eltern, meine Damen und Herren. Dieser große Aufwand wird betrieben, weil es wichtig ist, dass man eine richtige, am Kindeswohl orientierte Empfehlung geben kann.

(Gerd Ludwig Will [SPD]: Sagen Sie das doch Herrn Wulff!)

Die Praxis der Schullaufbahnempfehlung ist immer mit einem intensiven Austausch zwischen den Grundschulen, den Eltern und den weiterführenden Schulen verbunden. Das heißt, es gucken immer viele Beteiligte hin. Das ist wichtig für die Akzeptanz dieser Empfehlung.

Letztendlich treffen diese Entscheidung dann die Eltern. Das Erziehungsrecht der Eltern ist ein hohes Gut - es ist im Grundgesetz verankert -, unabhängig davon, ob es auch so ausgeführt wird, wie wir alle uns das wünschen.

Die Regierungskoalition hat insbesondere das Elternrecht zur Erziehung ganz deutlich unterstri

chen und die Mitbestimmungsrechte von Eltern im Schulgesetz besonders gestärkt. Daraus resultiert, dass auch der freie Elternwille zur Schullaufbahnempfehlung dazugehört.

Meine Damen und Herren, in Niedersachsen bleibt der freie Elternwille erhalten.

(Widerspruch bei den GRÜNEN)

Selbstverständlich können Eltern ihre Kinder weiterhin auf die Schule schicken, auf die sie sie schicken wollen. Aber es gibt keine Denkverbote.

(Zustimmung von Christian Dürr [FDP])

Das bedeutet, dass man in jeder Weise sehr genau hinschauen muss. Nach jetziger Rechtslage können Eltern von der Schullaufbahnempfehlung extrem abweichen. Ein hauptschulempfohlenes Kind kann an einem Gymnasium angemeldet werden

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Und hat sehr oft Erfolg!)

und dann drei Jahre auf diesem Gymnasium bleiben. Es geht in die fünfte Klasse, wiederholt die fünfte Klasse und kommt dann mit Ach und Krach und vielleicht mit viel Nachhilfe in die sechste Klasse. Dann erst kann die Schule eingreifen, meine Damen und Herren. Das Kind war dann drei Jahre auf der falschen Schule mit all den negativen Folgen wie Überforderung, Verlust des Selbstwertgefühls bis hin zu psychischen Erkrankungen. Meine Damen und Herren, hier ist Handlungsbedarf gegeben. Das sagen die Lehrkräfte uns und Ihnen doch auch!

(Beifall bei der CDU)

Da muss man ganz genau hinschauen, und das wollen wir auch. Wir wollen die Schulen handlungsfähiger machen. Wir wollen, dass die Schulen deutlich früher Maßnahmen ergreifen können, wenn es nötig ist.

Meine Damen und Herren, es geht darum, den Kindern Erleichterung zu verschaffen und sie wieder zu Erfolgserlebnissen zu führen. Genau das hat auch der Ministerpräsident gesagt.

Ich will Ihnen eines zum Schluss sagen: Diejenigen, die hier heute schon fast reflexartig den Elternwillen einfordern, sind genau die, die mit ihren Einheitsschulüberlegungen den Elternwillen total abschaffen, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Stefan Wenzel [GRÜNE]: Blödsinn!)

Wenn Sie Ihre politischen Ziele durchsetzen könnten, würde es keine Hauptschule, keine Realschule, kein Gymnasium, keine kooperative Gesamtschule geben. Dann gäbe es auch keine Wahlmöglichkeiten der Eltern. Also plustern Sie sich nicht auf! Machen Sie Politik für die Eltern, das ist wichtig!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Dr. Manfred Sohn [LINKE]: Wer plus- tert denn hier?)

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Adler?

Herr Adler!

Herr Kollege, Sie haben eben gesagt, dass Sie den freien Elternwillen achten wollen. Anschließend haben Sie gesagt, man darf sich aber keine Denkverbote auferlegen. Das ist ein Satz, der immer eine politische Änderung einleitet. Warum sagen Sie nicht, was Sie jetzt einführen und ändern wollen?

(Beifall bei der LINKEN und Zustim- mung von Dörthe Weddige-Degen- hard [SPD])

Ich bin Ihnen dankbar für die Frage. Ich habe Ihnen sehr detailliert mehrere Beispiele genannt, wo man den Schulen flexiblere Möglichkeiten geben soll, aber nach Aufnahme in die weiterführende Schule, nicht vorher. Darauf kommt es an. Wenn wir die Informationen von den Schulen bekommen, dass Kinder wirklich überfordert sind, mit all den negativen Auswirkungen, dann müssen wir die Handlungsspielräume für die Schulen auch in Gesprächen mit Eltern erweitern. Das habe ich gesagt, und dazu stehen wir. Die Pädagogik verlangt nämlich von uns, dass wir, wenn wir Gesetze machen, immer die Auswirkungen dessen bedenken, was wir hier beschließen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bitte jetzt um Ihre besondere Aufmerksamkeit. In der Ehrenloge hat eine Delegation aus dem russischen Gebiet Kaluga Platz genommen, die auf Einladung

des Vorstandsvorsitzenden der Volkswagen AG, Herrn Professor Dr. Winterkorn am 13. und 14. Dezember 2009 Hannover und Wolfsburg besucht.

Ich begrüße Herrn Gouverneur Artamonov, Herrn Vizegouverneur Akimov und Frau Kopylova als Leiterin des Generalsekretariats der Volkswagen Group Rus. Ich heiße Sie herzlich willkommen und wünsche Ihnen einen angenehmen und vor allen Dingen auch informativen Aufenthalt in Niedersachsen.

(Beifall - David McAllister [CDU]: Die Linken klatschen am lautesten! - Dr. Manfred Sohn [LINKE]: Druschba, das haben wir gesagt! - Hans-Henning Adler [LINKE]: Aber Towarischtsch hast du nicht gesagt!)

Herr Gouverneur, Sie können sich jetzt auch persönlich davon überzeugen: Hier im niedersächsischen Parlament wird wirklich lebendig diskutiert.

Zu einem weiteren Beitrag hat jetzt die Frau Kollegin Korter von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Forderung der FDP, dass Kinder im Mittelpunkt der Schule stehen sollen, unterstütze ich gerne. Das ist genau richtig.

(Zustimmung von Christian Dürr [FDP])