Protokoll der Sitzung vom 15.12.2009

Als ersten Redner rufe ich Herrn Haase von der SPD-Fraktion auf. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im letzten Jahr beklagte ich hier eingangs den nicht optimalen Zustand der Justiz in unserem Land. Leider ist es noch immer so, dass es den Menschen nicht gelingt, in allen Gerichtszweigen zeitgerecht zu einem Urteil zu kommen. Noch immer gibt es nach den anerkannten PEBB§Y-Berechnungen Überbelastungen im Richterdienst wie auch in den Nachfolgediensten. Noch immer haben wir im Ausschuss zig Petitionen zu bearbeiten, in denen sich Rechtsuchende wegen der zu langen Bearbeitungszeiten in der Sozialgerichtsbarkeit beklagen.

Sie haben leider recht. Wenn wir feststellen müssen, dass nach wie vor die große Masse der Richterschaft, aber auch der Servicekräfte ständig mit einer Quote von 1,2 und mehr belastet ist, dann heißt dies objektiv nichts anderes, als dass wir nach wie vor zu wenig Personal haben.

Meine Damen und Herren, ich glaube, wir alle hier im Haus sind uns einig, dass unsere rechtsstaatliche Ordnung nur dann dauerhaft funktionsfähig und in der Bevölkerung anerkannt bleibt, wenn wir die Justiz für ihre Aufgaben funktionsgerecht und leistungsfähig ausstatten.

(Zustimmung von der SPD)

Immer wieder müssen wir uns deshalb die Frage stellen, was uns unsere Justiz wert ist, was uns dieser Rechtsstaat wert ist. Wir dürfen nicht fragen, was wir tun müssen, um ihn nur aufrechtzuerhalten. Reichen also die aktuell 4,3 % des Gesamthaushalts mit einem Volumen von 1,08 Milliarden Euro, um den Justizbereich unseren gemeinsamen Ansprüchen entsprechend ordentlich auszustatten? - Schließlich haben wir mit der allgemeinen Justiz und, nicht zu vergessen, mit einem ordentlich funktionierenden Strafvollzug zwei ganz wesentliche Kernaufgaben - sie sind nicht etwa eine freiwillige Leistung - zu erfüllen. Es handelt sich um staatliche Daseinsvorsorge, auf die die Menschen in einem Rechtsstaat einen Anspruch haben. Reichen also die eingeplanten Mittel für diese Aufgabe? - Die Antwort vorweg: nicht wirklich.

Bevor ich aber zum Haushaltsentwurf komme, bedanke ich mich ausdrücklich bei allen in der niedersächsischen Justiz Beschäftigten für ihre manchmal unter wirklich widrigen Umständen engagierte Arbeit. Qualität und Effizienz ihrer Arbeit in den Justizvollzugsanstalten wie in den Gerichten haben einen hohen Standard. Diesen zu sichern wird unsere Aufgabe sein.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, leider ist auch der diesjährige Haushaltsplanentwurf nicht wirklich der große Wurf. Ich erkenne durchaus an, dass es schon ein kleiner Erfolg ist, wenn in diesen Zeiten knapper Mittel im Einzelplan 11 nicht gekürzt worden, ja, sogar ein kleines Plus herausgekommen ist. Aber nach wie vor sind weniger die objektiven Anforderungen, die wir an eine moderne, leistungsfähige Justiz stellen, für die Mittelvergabe verantwortlich als vielmehr die aktuelle Kassen- bzw. Haushaltslage, die letztlich über die Finanzausstattung im Justizbereich entscheidet. Neue

oder innovative Impulse fehlen leider fast gänzlich. Auch der Änderungsantrag der Regierungsfraktionen vermag dies nicht zu ändern. Auch er führt nur partiell zu Verbesserungen.

Minister Busemann stellte die Vorstellung des Justizhaushalts im Ausschuss sinngemäß unter das Motto: Die Justiz und der Justizvollzug in Niedersachsen sind hervorragend aufgestellt und fit für die Zukunft.

(Zuruf von der CDU: Damit hat er auch recht!)

Ohne in den Ruch des ewigen Nörglers kommen zu wollen: Dem kann ich beileibe nicht zustimmen. Noch viel zu viele Baustellen sind zu bearbeiten. Herr Minister, es reicht auch nicht, sich die Welt schönzureden bzw. im Laufe eines Jahres unzählige Ankündigungen zu machen oder Projekte abzufeiern. Wir brauchen eine nachhaltig und gut für die Zukunft aufgestellte Justiz. Dazu gehören zunächst ausreichend Stellen für Richter, Staatsanwälte, Rechtspfleger und weiteres Personal. Bei allen Zweifeln und Ungereimtheiten des Systems sind die durch PEBB§Y ermittelten Zahlen ein guter Richtwert, um die tatsächlichen Bedarfe anzuerkennen. 1,0 ist die errechnete Normbelastung, die es für alle zu erreichen gilt. Auch wenn sich diese Werte zugegebenermaßen in den letzten Jahren leicht verbessert haben, so liegen wir dennoch in der Regel darüber, im Einzelfall weit darüber. Nach wie vor gibt es einen hohen Richterfehlbedarf. Bei den Rechtspflegern sieht es mit 1,22 im Schnitt auch nicht besser aus.

Natürlich ist es gut, dass auch dieser Entwurf einige zusätzliche Stellen für Richter und Staatsanwälte vorsieht. Aber bei diesem Tempo wird es noch viele Jahre dauern, um die jetzt bestehende Belastung, die durch lange Prozessdauern unmittelbar den Bürger trifft, wirksam abzubauen. Zudem ist zweifelhaft - ich empfinde es als einen Skandal -, ob es sinnvoll ist, diese neuen Stellen durch einen Abbau im mittleren Dienst um 51 Vollzeiteinheiten gegenzufinanzieren. Ohne Servicekräfte, ohne Geschäftsstellen nützen uns schließlich auch mehr Richter nichts. Auch dürfen wir nicht zulassen, dass wir von unserem Personal ständig eine mehr als 100-prozentige Leistung erwarten. Auf Dauer wird sich ein solches Verhalten rächen.

(Beifall bei der SPD)

In unserem Änderungsantrag haben wir deshalb weitere 35 Richter- und 15 Staatsanwaltsstellen vorgesehen und solide gegenfinanziert. Diese sind

unbedingt nötig, um schneller das Ziel einer Belastung von 1,0 im Mittel zumindest bei den Richtern zu erreichen.

Diese Richter müssen aber auch anständig bezahlt werden. Wir können hier zwar heute nicht die Verfassungsgemäßheit der Richterbesoldung erörtern, aber wir müssen zumindest die Kritik der Richterverbände ernst nehmen. Nur wer anständig bezahlt, wird auch qualifiziertes neues Personal gewinnen können. Es wird deshalb genau zu prüfen sein, ob die in Niedersachsen aufgrund der Föderalismusreform im Vergleich zum Bund und zu anderen Bundesländern niedrigen Gehälter der Richter und Staatsanwälte zu einem Standortnachteil führen, der sich langfristig nachteilig auf unsere Justiz auswirken kann.

Positiv allerdings - auch das muss einmal gesagt werden - sind in diesem Haushalt die Hebungen im mittleren Dienst und die in nicht geringem Umfang vorgesehenen Verbeamtungen zu bewerten. Sie stärken mit Sicherheit die Motivation der Mitarbeiter. Hierbei werden allerdings lediglich Altlasten aus dem Justizvollzugsbereich abgearbeitet. Dieser Weg muss konsequent weitergeführt werden. Wie schnell mangelnde Fürsorge unsererseits zu Demotivation, hohen Krankenständen und im Extremfall zur Bestechlichkeit führen kann, zeigt uns eindringlich das Beispiel des Ausbruches in NRW vor ca. zwei, drei Wochen. In Niedersachsen warten bestimmte Bereiche der Justiz immer noch darauf, dass man sich um sie kümmert. Ich erinnere nur an die Werkmeister.

(Zustimmung bei der SPD)

Meine Damen und Herren, die Justiz genießt nur dann Respekt, wenn auch der Rahmen stimmt. Es macht mich mehr als nachdenklich, wenn wir bei Besuchen in Gerichten oder durch direkte Ansprache immer wieder auf die vielen kleinen baulichen Mängel in den Justizgebäuden hingewiesen werden. Ist es würdevoll, wenn es auf den Gängen eines Gerichtes durchregnet und Eimer das Wasser auffangen? - Herr Busemann, natürlich war es richtig, wegen der Sicherheit des Personals einen Teil der baulichen Mittel zunächst für Sicherheitsschleusen auszugeben - leider in heutiger Zeit ein Muss. Allerdings wird es auch nicht klappen, wenn nicht auch Personal bereitgestellt wird, das diese Sicherheitsschleusen bedient. Aber die bauliche Unterhaltung und die sogenannten kleinen baulichen Maßnahmen dürfen darüber nicht zu kurz kommen. Wir haben die Pflicht, unsere Justiz auch in diesem Bereich anständig auszustatten. Des

halb sieht unser Entwurf 2 Millionen Euro mehr für diese Projekte vor. Herr Minister, hier bleibt weiterhin Nachbesserungsbedarf.

Genauso warten wir übrigens immer noch mit Spannung auf Äußerungen - im Haushalt haben wir nichts gefunden -, wie es mit dem Justizzentrum in Hannover und mit dem Justizzentrum in Oldenburg weitergeht.

Meine Damen und Herren, die streitige Erledigung eines Konfliktes kostet viel Geld, führt aber nicht immer zum Rechtsfrieden. Es ist deshalb richtig, weitere Anstrengungen zu unternehmen, um nicht streitige Erledigungsverfahren auszubauen und zu stärken. Nachweislich führen sie bei allen Betroffenen zu mehr Einsicht, dienen also einem nachhaltigen Rechtsfrieden und sind zumindest auf Sicht auch billiger als ein streitiges Verfahren vor Gericht.

(Zustimmung bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Mit der obligatorischen Streitschlichtung bei den Schiedsleuten ist ein wichtiger Schritt getan, auch wenn es meines Erachtens falsch ist, dort Fragen des AGG verhandeln zu lassen.

Ebenso wichtig ist der weitere Ausbau der Mediation. Hier müssen wir in den nächsten Jahren den eingeschlagenen Weg konsequent, auch mit entsprechenden Qualifizierungen, weitergehen.

Ich komme zum Täter-Opfer-Ausgleich. Vor Jahren schon machte sich Niedersachsen auf den Weg, den sogenannten Täter-Opfer-Ausgleich einzurichten, um damit für Kriminalität bis zum mittleren Ausmaß einen Ausgleich zwischen dem Strafanspruch des Staates, dem Täter und vor allen Dingen dem Opfer herbeizuführen. Die Erfahrungen sind überall gut. Dieses Verfahren wird angenommen, in bestimmten Landgerichtsbezirken sogar mit stark steigender Tendenz. Soweit wir diesen TOA aber freien Trägern übertragen haben, gibt es ein Problem: Die Fallzahlen steigen, damit auch der Personaleinsatz. Die Förderung durch das Land ist allerdings quasi eingefroren. Hier muss dringend nachgebessert werden, Herr Minister, damit wir nicht auf halbem Weg stehen bleiben, sondern diesen Weg konsequent weitergehen. In unserem Änderungsantrag haben wir deshalb 300 000 Euro dafür bereitgestellt.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei den GRÜNEN)

Unser Ziel muss doch sein, durch alle Formen außergerichtlicher Streitschlichtung oder -erledigung letzten Endes mehr für den Rechtsfrieden und damit für die Rechtssicherheit zu tun.

Meine Damen und Herren, Minister Busemann hat im Laufe des Jahres vieles angekündigt. Viele Projekte sind medial vermarktet worden. Leider folgten nicht immer Taten, von einem erkennbaren Haushaltsansatz ganz zu schweigen.

Die von uns allen als Daueraufgabe empfundene, notwendige Verbesserung des Opferschutzes lässt immer noch auf sich warten. Anderen Opfern, nämlich zu Unrecht Inhaftierten, wird dagegen flapsig Geldabzocken unterstellt, wenn eine europäischen Standards entsprechende Haftentschädigung gefordert wird.

Beim Richtergesetz wird die justizpolitische Diskussion um richterliche Selbstverwaltung nicht wirklich einbezogen. Vielmehr belässt man es bei kleinen Verbesserungen.

Leider hält Minister Busemann - ich vermute, aus Koalitionsräson - immer noch am Privatknast Bremervörde fest, obwohl Erfahrungen aus anderen Bundesländern und der eigene Rechnungshof die erwarteten Einsparungen mehr als infrage stellen. Ob wir uns dies - unabhängig von meinen grundsätzlichen Bedenken gegen einen Privatknast - überhaupt finanziell leisten können und leisten sollten, wage ich an dieser Stelle zu bezweifeln.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung von Hans-Henning Adler [LINKE])

Meine Damen und Herren, enttäuscht bin ich auch vom Abstimmungsverhalten im Bundesrat zum Thema „Verbot der Diskriminierung aufgrund der sexuellen Identität in das Grundgesetz aufnehmen“. Nach qualitativ wirklich guter Diskussion in diesem Hause ist derzeit ein entsprechender Antrag in der Beratung. Aber Niedersachsen schlägt im Bundesratsausschuss schon die Tür für eine Rechtsentwicklung zu. In der Zukunft sollten solche Dinge hier erst abschließend beraten werden, bevor die Landesregierung eine Rechtsentwicklung verhindert.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Justiz und Justizvollzug sind und bleiben eine ganz besondere Form der staatlichen Daseinsvorsorge; ich kann es immer nur wiederholen. Da ist kein Platz für Experimente, große Kosteneinsparungen

oder gar Privatisierungen bestimmter Aufgaben. Ich bin gespannt, wie sich Niedersachsen demnächst bei der von Schwarz-Gelb geplanten Privatisierung des Gerichtsvollzieherwesens und vergleichbaren anderen Plänen aus Berlin verhalten wird - und vor allen Dingen wer am Schluss die Zeche zahlt. Ich befürchte, das werden die Menschen und der Rechtsstaat tun, während einige sehr wenige profitieren werden.

Meine Damen und Herren, ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und bitte um Zustimmung zu unseren Verbesserungsvorschlägen.

Herr Brunotte wird nachher noch etwas zum Justizvollzug sagen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Für die CDU-Fraktion spricht Herr Dr. Biester. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es entspricht einer gewissen Tradition - das ist auch richtig so -, dass bei Debatten über den Justizhaushalt auf die besondere Bedeutung der Justiz hingewiesen wird. In der Tat sprechen wir hier über die dritte Gewalt in unserer demokratischen Grundordnung. All diejenigen Parteien, die auf dem Boden dieser demokratischen Grundordnung stehen, haben deshalb die Aufgabe und die Pflicht, die Justiz finanziell so auszustatten, dass sie ihrer hohen verfassungsrechtlichen Aufgabe gerecht werden kann.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Ich stelle deshalb gleich zu Beginn fest - dann hört der Beifall wahrscheinlich auf -: Dieser Anforderung wurden die Haushalte in der Vergangenheit gerecht, und auch der jetzige Haushalt wird diesem Gebot gerecht, und zwar in vollem Umfang.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Hans-Henning Adler [LINKE]: Das se- hen wir in der Tat anders!)

Meine Damen und Herren, der Bereich der Justiz ist vielleicht nicht so spektakulär. Wir haben keine drei 500er-Programme wie die Polizei. Aber ich darf Sie auf folgende Situation aufmerksam machen: In der Zeit von 2006 bis 2009 hat die Landesregierung in ihren Haushaltsvorschlägen 250 neue Stellen in der Justiz vorgesehen. Durch Än

derungsanträge haben die Koalitionsparteien von CDU und FDP weitere 160 Stellen zur Verfügung gestellt. Das heißt, wir haben von 2006 bis 2009 insgesamt 410 neue Stellen in der Justiz zur Verfügung gestellt. Das ist eine beachtliche Anzahl. Sie ist auch nur teilweise gegenfinanziert.

Herr Kollege Haase, um das gleich zu sagen, was die Gegenfinanzierung aus dem Bereich der Serviceeinheiten des mittleren Dienstes angeht: Wenn PEBB§Y bei den Richtern gilt, dann gilt PEBB§Y natürlich auch beim mittleren Dienst. Wenn wir beim mittleren Dienst eine Überbesetzung festzustellen haben, dann müssen und dürfen wir - das ist legitim - dort entsprechende Einsparungen vornehmen, allerdings nicht in einem Maße von 100 %, sondern wenn wir mehr Richter schaffen, brauchen wir auch mehr Servicestellen.